Einführende Vorträge zum Lukasevangelium
Kapitel 17
Das letzte Kapitel enthüllte im Licht der gegenwärtigen Umstände sowie der anderen Welt und der ewigen Dinge im Guten wie im Bösen die Unterweisungen des Herrn für die Jünger, nachdem Er die Handlungsweise der Gnade im 15. Kapitel vorgestellt hatte. Nur diese Sichtweise gibt uns Kraft, um die gegenwärtige Welt richtig einschätzen zu können, und zwar nach dem Maßstab der Zukunft, der ewigen Zukunft Gottes. Um das Bild vollständig zu machen, zeigte der Herr einen gesegneten Mann, der in dem gelebt hatte, was ewig ist, während er die Bitterkeit dieses bösen Zeitlaufs erfuhr. Er stellte jedoch auch noch eine andere Person vor die Blicke, die nur für die Gegenwart lebte und Gottes Botschaft bezüglich der Ewigkeit verachtete.
In Lukas 17 werden den Jüngern noch weitere Belehrungen vermittelt, und zwar zunächst eine ernste Warnung vor Ärgernissen. Es ist möglich, dass Ärgernisse kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen sie kommen! Neben der strengen Ermahnung, anderen kein Ärgernis zu geben, finden wir die ebenso dringende Aufforderung, anderen zu vergeben. Wir sollen unbeugsam gegen uns selbst sein; wir sollen jedoch auch standfest zugunsten unserer Brüder sein – sogar da, wo sie uns „ärgern“. Die Jünger fühlten die große Schwierigkeit, weil die menschliche Natur so nicht zu handeln vermag, und baten deshalb den Herrn, ihren Glauben zu vermehren. Dieser deutet in seiner Antwort an, dass der Glaube selbst angesichts von Schwierigkeiten wächst. Der Glaube sucht das, was nicht zur menschlichen Natur, sondern zu Gott gehört. Wenn Gott auch unsere Bitte in seiner Herablassung erhört und wir Ihm einen Dienst erweisen konnten, werden andererseits die ermahnenden Worte hinzugefügt, dass wir unnütze Knechte sind; und das wird nicht gesagt als Antwort auf unser Versagen, sondern nachdem wir alles getan haben. Dies sollte die wahre Sprache und das echte Gefühl im Herzen eines Knechtes sein. Damit schließt die unmittelbare Belehrung an seine Jünger (V. 1–10).
Danach wird unser Herr in einer sehr charakteristischen Weise vorgestellt (V. 11–19), indem gezeigt wird, dass der Glaube nicht notwendigerweise auf einen Wechsel der Haushaltung warten muss. Der Herr hatte die Pflichten des Glaubens in ihren mannigfachen Formen in den ersten Versen des Kapitels dargelegt. Jetzt sehen wir, dass der Glaube immer seinen Platz des Segens vor Gott findet und dabei beweist, dass Er über den Formen steht. Gott wird jedoch nur in Jesus gefunden.
In den zehn Aussätzigen erblicken wir diesen gesegneten Grundsatz. Die Heilung durch den Herrn war an allen zehn in gleicher Weise zu sehen. Es gibt allerdings etwas, das größer ist als die Kraft, welche den Leib reinigt, selbst wenn er hoffnungslos aussätzig ist. Sie ist zwar göttlich und geht von Gott aus, und doch kann sie nicht mit der Erkenntnis Gottes selbst verglichen werden. Allein letztere führt im Geist zu Gott (wie es in Wirklichkeit durch das Kreuz Christi geschah). Beachten wir, dass derjenige, an dem diese Handlung der göttlichen Gnade als Vorbild dargestellt wird, nicht wie die anderen die traditionelle Religion kannte und sich im Vergleich zu den übrigen keiner großen Vorrechte rühmen konnte! Der Herr verdeutlichte die Kraft des Glaubens am Beispiel des Samariters. Er hatte alle zehn Männer weggeschickt, um sich dem Priester zu zeigen, und als sie auf dem Weg waren, wurden sie gereinigt. Nur einer kehrte um, als er sah, dass er gereinigt war, und verherrlichte Gott mit lauter Stimme. Er rühmte Ihn jedoch auf eine Weise, welche die Segnung nicht ausschließlich Gott zuschrieb, sondern auch Jesus. „Er fiel aufs Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm; und derselbe war ein Samariter“ (V. 16).
Das war ganz offensichtlich Ungehorsam; und die anderen konnten ihren samaritischen Leidensgenossen dafür tadeln, dass er Jesus nicht treu gehorcht hatte. Doch der Glaube handelt stets richtig, was immer der Augenschein auch sagen mag. Ich spreche natürlich nicht von Einbildung oder exzentrischer Laune oder Täuschung, die von Menschen nur zu oft die Bezeichnung „Glaube“ erhalten. Ein wirklicher Glaube, der von Gott kommt, handelt niemals so verkehrt. Und derjenige, der auf dem Weg zum Priester umkehrte und in Jesus die Macht und Güte Gottes auf der Erde erkannte – er, sage ich, war der einzige von den zehn, der sich in einer geistlichen Gesinnung befand, die nicht allein der Segnung entsprach, sondern auch dem, der die Segnung gab. Der Instinkt seines Glaubens, der von Gott stammte, wirkte in seinem Herzen und führte ihn zur Quelle der Segnung zurück, und darum verteidigte ihn unser Herr. „Sind nicht die zehn gereinigt worden?“, fragte der Heiland, „wo sind aber die neun? Sind keine gefunden worden, die zurückkehrten, um Gott Ehre zu geben, außer diesem Fremdling?“ (V. 17–18).
Der Glaube entdeckt stets einen Weg, um Gott Ehre zu geben. Sei es bei Abraham, sei es bei einem samaritischen Aussätzigen – der Pfad des Glaubens liegt völlig außerhalb des Gesichtskreises der menschlichen Natur; und doch kann er ihn immer erkennen. Der Herr setzt nachdrücklich sein Siegel darauf; und die Gnade liefert alle notwendige Kraft, um diesem Glauben zu folgen.
Dem Grundsatz nach haben wir hier das Endurteil über das jüdische System. Das Ereignis zeigt die Kraft des Glaubens, welcher das Judentum sich selbst überlässt und in Jesus zur Quelle von sowohl Gesetz als auch Gnade emporsteigt, ohne allerdings die gesetzliche Ordnung aufzuheben. Das war anderen Händen vorbehalten. Der Glaube zerstört nicht; er hat keinen solchen Auftrag. An einem späteren Tag werden Engel diese Aufgabe übernehmen. Der Glaube hingegen findet jetzt Befreiung und überlässt jene, die unter dem Gesetz sind und die Gnade nicht lieben, dem Gesetz, welches nur verdammen kann. Er entdeckt für sich selbst den Segen der Freiheit von demselben. Er ist jedoch nicht ohne Gesetz vor Gott, sondern im Gegenteil wirklich und der Pflicht gemäß Christus gesetzmäßig unterworfen (1. Kor 9, 21), und dies umso mehr, weil er sich nicht unter dem Gesetz befindet. Wie der Evangelist Lukas berichtet, stand in dem Fall vor uns der gereinigte Samariter, indem er zu Jesus ging, völlig unter dem Einfluss der Gnade, und zwar dem Geist entsprechend, der sein Herz belebte und seinen Weg bereitete.
Wie bewundernswert dieses Ereignis dem Stil und Charakter des Lukasevangeliums angepasst ist, brauche ich nicht nachzuweisen. Das muss, denke ich, selbst einem flüchtigen Leser klar genug sein. Allein Lukas gibt uns diesen Bericht, weil letzterer mit dem Lukasevangelium für die Absicht, die der Heilige Geist in diesem Evangelium und in dem Abschnitt vor uns verfolgt, ganz besonders übereinstimmt.
Im folgenden Abschnitt erkennen wir in der Antwort unseres Herrn an die Pharisäer, die danach fragten, wann das Reich Gottes kommen sollte, eine treffende Offenbarung, die auch wieder vollkommen dem Thema des Lukasevangeliums entspricht. „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte“ (V. 20). Es geht nicht um Zeichen, Wunder und äußere Schaustellungen. Natürlich begleitet Gott seine Botschaft mit Zeichen. Aber das Reich Gottes, welches in der Person Christi geoffenbart wurde, wirkt tiefer und wendet sich an den Glauben (und nicht an das Schauen). Es verlangt die Tätigkeit des Heiligen Geistes in der Seele, damit der Sünder es sehen und in dasselbe eintreten kann. Genau genommen geht es hier nicht um das Eingehen und Sehen wie in Johannes 3, sondern vielmehr um den sittlichen Charakter der Ankunft des Reiches Gottes unter den Menschen. Es spricht nicht einfach zu den Sinnen und dem Verstand des Menschen; stattdessen stellt es seine eigenen Beweisgründe vor Gewissen und Herz. Da es sich um das Reich Gottes handelt, kann es unmöglich kommen ohne ein angemessenes Zeugnis in Liebe an die Menschen, welche für das Reich gesucht werden. Gleichzeitig behandelt der Mensch, der ein schlechtes Gewissen und ein verdorbenes Herz hat, Gottes Wort sowie auch sein Reich mit Geringschätzung und wartet auf etwas, das ihm selbst gefällt, indem es seine Gefühle, seinen Verstand oder den noch niedrigeren Teil seiner Natur befriedigt. Unser Herr legte jedoch zuallererst den großen Grundsatz fest, dass es nicht um ein „Siehe hier! oder: Siehe dort“ geht, „denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (V. 21). Das Reich war schon da, denn Er, sein König, war anwesend. Dann, nachdem Er diese sittliche Wahrheit, die grundlegend für die Seele ist, dargelegt hatte, wandte der Herr sich an seine Jünger. Er sagte ihnen, dass Tage kommen sollten, an denen sie nach einem Blick auf einen der Tage des Sohnes des Menschen verlangen und ihn nicht erhalten würden. Dennoch wird das Reich Gottes sich bald strahlend offenbaren. „Man wird zu euch sagen: Siehe hier! oder: Siehe dort! Gehet nicht hin, folget auch nicht. Denn gleichwie der Blitz blitzend leuchtet von einem Ende unter dem Himmel bis zum anderen Ende unter dem Himmel, also wird der Sohn des Menschen sein an seinem Tage. Zuvor aber muss er vieles leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht“ (V. 23–25). So ist die notwendige sittliche Reihenfolge Gottes. Jesus musste zuerst leiden. Auch Petrus schreibt später „von den Leiden, die auf Christum kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach“ (1. Pet 1,11). Das ist die unveränderliche Handlungsweise Gottes im Umgang mit einer sündigen Welt, in die Er jetzt nicht die Erprobung des Menschen, sondern das wirksame Werk seiner Gnade einführt. Aber diese momentane Offenbarung an den Glauben, wie wir sie gesehen haben, hinderte den Herrn nicht, von einem anderen Tag zu sprechen, an dem das Königreich äußerlich offenbar wird. Vor jenem Tag seines Erscheinens mag es verfrühte „Siehe hier! oder: Siehe dort!“ geben. Der Gottesfürchtige soll nicht den Rufen der Menschen folgen, sondern auf den Herrn rechnen. Dieser vergleicht jene Zeit mit den Tagen Noahs – das heißt, mit den Tagen des Gerichts Gottes an den Menschen und über ihre Wege in der Vergangenheit – und zuletzt mit den Tagen Lots.
Zuallererst wurden also den Jüngern Gottes Wege in Gnade in dem Sohn des Menschen, der zunächst litt, um zuletzt in Macht und Herrlichkeit zu erscheinen, gezeigt. Die Welt ist wie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft durch sorglose Gleichgültigkeit und den Genuss der Dinge dieses Zeitlaufs gekennzeichnet. Sie wird jedoch vom Herrn inmitten ihrer unbekümmerten Torheit überrascht werden. In Bezug darauf fügte der Herr noch ein kurzes, aber nicht weniger ernstes Wort hinzu: „Gedenket an Lots Weib! Wer irgend sein Leben zu retten sucht, wird es verlieren“ (V. 32–33). Lots Frau war offensichtlich durch die Macht der Engel gerettet worden. Sie hatten sie aus der verurteilten Stadt herausgeführt. Sie wurde gleichwohl ein umso eindrucksvolleres Mahnmal des alles erforschenden Gerichts Gottes. Dort steht sie allein. Die anderen kamen um. Sie blieb eine Salzsäule bis in die Tage, als Mose die, sittlich gesprochen, unvergängliche Denkschrift von dem Hass Gottes gegen ein falsches Herz schrieb. Denn diese Frau richtete trotz äußerlicher Befreiung immer noch ihre Zuneigungen auf einen Schauplatz, welcher der Vernichtung überlassen war. Und so fügte unser Herr hier das hinzu, was nicht nur das jüdische System betraf, sondern auch die Lage und das Verderben der Welt in ihrer Gesamtheit. Er teilt uns mit, dass in jener Nacht zwei Menschen auf einem Bett liegen werden; der eine wird genommen, der andere gelassen. Genauso würde es zwei Frauen an der Mühle ergehen; denn hier haben wir es nicht mit menschlichen Gerichten zu tun. Gott richtet jetzt die Lebenden. Und somit kann es keinen Schutz und keine Ausnahme geben – gleichgültig, welche Beziehungen, welche Berufe oder welches Geschlecht vorliegen, ob hinter verschlossenen Türen oder außerhalb des Hauses. Zwei Personen mögen noch so eng miteinander verbunden sein, Gott wird nach der Schärfe seiner Einsicht ihren sittlichen Zustand zu unterscheiden wissen. Einer wird genommen, der andere gelassen. „Und sie antworten und sagen zu ihm: Wo, Herr? Er aber sprach zu ihnen: Wo der Leichnam ist, da werden auch die Adler versammelt werden“ (V. 36). Wo immer Gott etwas findet, was tot und damit für Ihn sittlich anstößig ist, dort wird unzweifelhaft sein Gericht hinfallen.