Einführende Vorträge zum Lukasevangelium
Kapitel 12
In Lukas 12 beschreibt der Herr den Jüngern den Pfad des Glaubens inmitten des verborgenen Bösen, des offenen Hasses und der Weltlichkeit der Menschen. Ihr Zeugnis musste von seiner Verwerfung ausgehen. Zuerst einmal sollten sie sich vor dem Sauerteig der Pharisäer, der Heuchelei, hüten und das Bewusstsein von dem Licht Gottes, zu dem der Gläubige gehört, pflegen (V. 1–3). Darin liegt die bewahrende Kraft. Satan handelt sowohl durch Verführung als auch Gewalttätigkeit (V. 4). Gott wirkt nicht nur im Licht, wie wir schon gesehen haben, sondern auch durch Liebe und durch das Vertrauen, zu dem Er in seiner Person einlädt (V. 5–7). „Ich will euch aber zeigen, wen ihr fürchten sollt: Fürchtet den, der nach dem Töten Gewalt hat in die Hölle zu werfen; ja, sage ich euch, diesen fürchtet.“ Der Herr achtet jedoch darauf, dass dieses Wort nicht zu einseitig verstanden wird. Es gilt zwar immer, und auch für den Gläubigen, doch stellt es sozusagen nur das unbedeutendere Ende der Wahrheit dar. Indem der Herr des Vaters Liebe vorstellt, fragt Er: „Werden nicht fünf Sperlinge um zwei Pfennig verkauft? und nicht einer von ihnen ist vor Gott vergessen. Aber selbst die Haare eures Hauptes sind alle gezählt. So fürchtet euch nun nicht; ihr seid vorzüglicher als viele Sperlinge.“
Danach zeigt Er, wie wichtig das Bekennen seines Namens ist und welche Folgen es hat, Ihn zu verleugnen. Es folgt die Lästerung des Heiligen Geistes, welche nicht vergeben wird, auch wenn sich die Gnade gegen jeden entfalten kann, der den Sohn des Menschen lästert. Im Gegensatz dazu steht die Verheißung des Beistandes durch den Heiligen Geist angesichts einer feindlichen Weltkirche (V. 8–12). Dann bat jemand den Herrn, eine Streitfrage dieser Welt zu klären. Das war jedoch nicht sein gegenwärtiger Auftrag. Natürlich wird Er als Messias mit der Erde zu tun haben und die Welt zurechtrücken, wenn Er kommt, um zu herrschen. Damals sollte Er sich jedoch ausschließlich mit den Seelen der Menschen beschäftigen. Für Ihn – und auch für die Menschen, deren Augen nicht durch Unglaube verhüllt waren – ging es um Himmel oder Hölle, um das, was ewig ist und die andere Welt betrifft. Folglich weigerte Er sich strikt, ein Richter und Verteiler dessen zu sein, was zur Erde gehört. Genau das haben viele Christen nicht von ihrem Meister gelernt.
Als Nächstes deckte der Herr die Torheit des Menschen in seinem gierigen Verlangen nach Dingen dieses Lebens auf. Inmitten seines Reichtums forderte Gott plötzlich, noch in derselben Nacht, die Seele von dem reichen Toren. „Also ist, der für sich Schätze sammelt, und ist nicht reich in Bezug auf Gott“ (V. 21). Danach zeigte der Herr den Jüngern, wo ihre wahren Reichtümer sein sollten. Der Glaube soll von Angst und Gier befreien. Er besteht nicht in Essen und Kleidung. Gott, der sogar die sorglosen Raben füttert, wird seine Kinder nicht versäumen, die Ihm viel mehr wert sind als die Vögel. Solche Sorgen beweisen im Gegenteil, wie arm man in Bezug auf Gott ist. Warum triffst du so eilig Vorsorge? Damit bekennst du ja, dass du nicht genug hast an dem, was dir dargereicht wurde. Und was erreichst du mit deinen Sorgen? Die Lilien überstrahlen Salomo in all seiner Herrlichkeit. Wie viel mehr achtet Gott auf seine Kinder! Es ist eines Heiligen, der berufen ist, nach dem Reich Gottes zu trachten, nicht würdig, mit denselben Dingen beschäftigt zu sein wie die Nationen, die Gott nicht kennen. Ein Kind Gottes sollte das sichere Bewusstsein haben, dass ihm alles hinzugefügt wird. „Euer Vater aber weiß, dass ihr dieses bedürfet“ (V. 30).
Das gibt mir die Gelegenheit, kurz auf die Art einzugehen, in der sich diese unaussprechliche Liebe nicht nur durch den Vater, sondern auch durch den Sohn zeigt. Sie offenbart sich unter zwei Gesichtspunkten: Der Sohn liebt sowohl diejenigen, welche auf Ihn warten, als auch jene, die für Ihn arbeiten. In den Versen 35 und 36 sehen wir das Warten. „Es seien eure Lenden umgürtet und die Lampen brennend; und ihr, seid Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten, wann irgend er aufbrechen mag von der Hochzeit, auf dass, wenn er kommt und anklopft, sie ihm alsbald aufmachen!“ Die Herzen sind von Christus erfüllt. Darum wendet sich sein Herz ihnen zu. Wenn Er kommt, lässt Er sie sich sozusagen an den Tisch setzen und tut – sogar in der Herrlichkeit – alles für sie. Es gibt jedoch auch Arbeit im Auftrag des Herrn; die nächsten Verse reden davon. „Petrus aber sprach zu ihm: Herr, sagst du dieses Gleichnis zu uns oder auch zu allen? Der Herr aber sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, welchen der Herr über sein Gesinde setzen wird, um ihm die zugemessene Speise zu geben zur rechten Zeit? Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, also tuend finden wird! In Wahrheit sage ich euch, dass er ihn über seine ganze Habe setzen wird“ (V. 41–44). Hier wird nicht gesagt „also wachend“, sondern „also tuend“. Es geht um die Arbeit für Ihn; und auch diese hat ihren lieblichen und nötigen Platz. Beachten wir, dass die Arbeit erst an zweiter Stelle nach dem Wachen angeführt wird! Christus ist immer wichtiger – wichtiger als selbst die Arbeit für Ihn. Nichtsdestoweniger gefällt es Ihm, in großer Gnade das Verkündigen des Evangeliums mit seiner Person zu verbinden, wie wir von Markus erfahren (Kap. 10, 29). Diese Wahrheit erwarten wir geradezu im Markusevangelium, sofern wir dessen Charakter kennen. Dort verbindet der Herr die Arbeit mit sich selbst. Wenn durch Lukas die sittlichen Bezüge, wie ich sie nennen möchte, herausgestellt werden, hören wir, wie der Herr den Unterschied zwischen Herz und Hand in Bezug auf sein Kommen erklärt. Im Markusevangelium, das dem Arbeiter und seinem Werk gewidmet ist, sehen wir diese Trennung nicht. Glückselig der, den der Herr, wenn Er kommt, bei der Arbeit für Ihn antrifft! Er wird ganz gewiss über alles, was der Sohn des Menschen besitzt, als Aufseher eingesetzt. Doch beachte den Unterschied! Es ist eine erhöhte Stellung über sein Erbteil. Jene indessen, die auf Ihn warten, finden Gemeinschaft – Freude, Ruhe, Herrlichkeit und Liebe – mit Ihm.
Achten wir in diesem Kapitel des Lukasevangeliums auf eine weitere Eigenheit! Wir haben gesehen, welche Glückseligkeit für die bereit liegt, die ein Eigentum des Herrn sind – was erwartet hingegen die Ungläubigen? Der Unterschied wird uns hier in einer Weise dargestellt, die sich von selbst an das Gewissen wendet. Wir lesen von einem Knecht, der den Willen seines Herrn kannte und trotzdem nicht ausführte, und von einem anderen, der diesen Willen nicht kannte. (V. 47–48). Weder Matthäus, noch Markus – und natürlich erst recht nicht Johannes – berichten davon. Lukas wirft das Licht Christi auf die jeweilige Verantwortlichkeit der Nichtjuden, die in den Ölbaum eingepfropft wurden (Röm 11), und der heidnischen Welt. In der Christenheit kennt der Knecht den Willen seines Herrn, aber er ist gleichgültig oder aufsässig. Dagegen ist der Knecht außerhalb der Christenheit völlig unwissend über des Herrn Willen und folglich gesetzlos und böse. Beide werden geschlagen. Wer jedoch den Willen seines Herrn kennt und nicht tut, wird mit mehr Schlägen geschlagen werden. Die Taufe und das Anrufen des Namens des Herrn in einem äußerlichen Bekenntnis erleichtern am Tag des Gerichts nicht die Bürde für die Heuchler, sondern erhöhen im Gegenteil die Strenge der Strafe. Die Gerechtigkeit und Weisheit dieser Handlungsweise ist umso bemerkenswerter, weil sie im Widerspruch zur frühen Lehre der Christenheit steht. Es herrschte die Meinung, welche wahrscheinlich nach dem ersten oder zweiten Jahrhundert allgemein verbreitet wurde, dass zwar alle Menschen, die in Sünde sterben, gerichtet werden, das Los der Getauften in der Hölle aber weit besser sei als das der Ungetauften. Dies war die Lehre der Kirchenväter. Die Bibel sagt davon nichts. In dem gerade Betrachteten zeigt uns Lukas den Herrn Jesus, wie Er diese Torheit nicht nur voraussieht, sondern auch vollständig und endgültig widerlegt.
Die Fülle der Liebe Christi konnte zurzeit nur mit dem Anzünden eines Feuers enden. Denn jene Liebe kam zusammen mit göttlichem Licht, welches die Menschen richtete; und der Mensch wollte es nicht ertragen. Infolgedessen brannte das Feuer schon. Es wartete nicht auf einen späteren Tag oder eine besondere Anfachung durch Gott; es wirkte schon damals. Sicherlich wurde die Liebe Christi nicht durch seine Leiden hervorgerufen, noch weniger die Liebe Gottes. Sie war immer da und wartete nur auf den vollen Ausbruch des Hasses vonseiten der Menschen, bevor sie alle Fesseln zerreißen und uneingeschränkt in alle Richtungen des Bedürfnisses und des Elends ausfließen konnte. In solch wunderbarer Weise breitet unser Herr in diesem Kapitel die großen sittlichen Grundsätze aus. Die Menschen als solche, die toten Bekenner, die Heiden und die Heiligen in ihrer Liebe zu Christus sowie auch in ihrem Dienst – sie alle finden hier ihren besonderen Platz.
Der Zustand war damals so schlecht wie nur möglich. Es herrschte hoffnungsloser gesellschaftlicher Verfall, den sein Kommen und seine Anwesenheit ins Licht stellten. Warum konnten sie die Zeit nicht beurteilen? Warum richteten sie nicht recht? Es lag nicht daran, dass in seinen Widersachern Böses fehlte oder in Ihm Gnade. Das Ende des Kapitels beschäftigt sich mit den Juden und zeigt, dass ihnen eine große Gefahr drohte und sie sich in einem ernsten Rechtsstreit befanden. Der Herr rät ihnen, in ihrem Gerichtsprozess mit Gott sozusagen von einer schiedsrichterlichen Entscheidung Gebrauch zu machen, solange Er noch mit ihnen auf dem Weg war. Anderenfalls würden sie bis zur Bezahlung des letzten Hellers ins Gefängnis geworfen. Das war eine Warnung an Israel, welches jetzt noch, wie wir alle wissen, unter den Folgen ihrer Missachtung der Worte des Herrn leidet.