Vorträge über die Sendschreiben
Anhang
Die bevorstehenden Betrachtungen sind Auszüge aus einer Reihe von Vorträgen und hatten die praktische Erbauung der Heiligen Gottes zum Zweck. Es ist deshalb in denselben keine Rede von den verschiedenen, aufeinander folgenden Zuständen der Kirche, auf welche der moralische Zustand einer jeden der sieben Versammlungen seine Anwendung findet. Zur Ausfüllung dieser Lücke mögen die nachfolgenden kurzen Bemerkungen dienen.
Der Leser wird sich erinnern, dass wir in den Sendschreiben niemals der wirkenden Macht des Geistes Gottes, welche die Quelle der Segnung der Versammlung ist, begegnen, sondern dass es sich in denselben vielmehr stets um die Form oder den Zustand der bekennenden Kirche handelt, nachdem diese Macht des Geistes wirksam gewesen und die Verantwortlichkeit des Menschen eingetreten ist. Es mag sich ein gewisses Maß von Segnung oder eine große Strafbarkeit vorfinden, aber nie kann die wirkende Macht des Heiligen Geistes Gegenstand des Gerichts sein.
Schon die erste Versammlung (Ephesus) zeigt das Abweichen der Gläubigen von ihrem ersten gesegneten Zustande, welchen die Macht des Heiligen Geistes hervorgebracht hatte. Dieser Umstand bezeichnet hinlänglich den Zeitabschnitt, auf welchen sich das Sendschreiben bezieht. Zugleich deutet dasselbe in allgemeiner Weise das Endergebnis an, welches für die ganze bekennende Kirche aus dem Verlassen der ersten Liebe hervorgehen muss. Die Kirche wird hier nicht betrachtet als ein von Gott in der Welt aufgerichtetes System, als ein Licht in der Welt, nicht aber in ihrer vollkommen sicheren Stellung, als der wahre, lebendige Leib Christi, der nach der Kraft der Erlösung durch die unfehlbare Macht Christi sicher gestellt ist.
Die Kirche verließ ihre erste Liebe, und dies bewies, dass der Mensch in der ersten Segnung, unter welche Gott ihn gestellt hatte, nicht geblieben war. Der Herr kündigt nun der Kirche, in ihrer Stellung in der Welt betrachtet, an, dass sie hinweg getan werden würde, wenn sie nicht zu ihren ersten Werken zurückkehre. Das also war schon ihr Zustand in den Tagen der Apostel unmittelbar nach ihrer Gründung. - So ist der Mensch. - Das an Ephesus gerichtete Schreiben spricht von Verantwortlichkeit im Blick auf die der Kirche zu Teil gewordene Gabe des Heiligen Geistes, redet von ihrem Verfall und bedroht sie mit dem Hinwegtun, wenn sie nicht zu ihrem ersten Zustande zurückkehrt. Sie wird ermahnt, die ersten Werke zu tun, zu gedenken an das Werk des Heiligen Geistes, wie es sich im Anfang in ihrer Mitte geoffenbart hatte. Wohl war noch manches Gute in Ephesus vorhanden; unter anderem konnten sie die Bösen nicht ertragen und verurteilten die, welche sich anmaßten, mit Autorität zu lehren; in Wirklichkeit aber hatte sich ihr Herz von Christo entfernt.
Dieser Zustand führte bald Trübsale für die Kirche herbei, wenn auch nur für eine beschränkte Zeit. (Smyrna.) Die Armen der Herde, die Getreuen, wurden den verleumderischen Anklagen derer ausgesetzt, welche vorgaben, ein wohlbegründetes Recht zu haben, sich Gottes Volk zu nennen; zugleich kamen Verfolgungen von außen über sie. Dieser Zustand dauerte von Nero bis auf Diokletian.
Nach diesem charakterisierte ein anderer Zustand der Dinge die Kirche. Sie war durch die Verfolgung hindurchgegangen, und manche hatten als treue Märtyrer ihr Leben gelassen. Die Welt, ihr irdischer Wohnungsort, hatte sich als ihre Feindin erwiesen. Jetzt aber drangen Lehren in die Kirche ein, welche sie zur Verbindung mit der Welt führten; sie wurde dahin gebracht, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen. (Pergamus.) Dasselbe hat einst Balaam Israel gegenüber getan. Da er es als Feind nicht verfluchen noch verderben konnte, so gab er als angeblicher Freund Ratschläge zu seinem Verderben. Auch wurden Lehren in der Kirche verbreitet, die zu bösen Werken führten, welche die Verletzung unmittelbarer, moralischer Bande guthießen. Es ergeht deshalb der Ruf an die persönlich Treuen, welche sich inmitten dieses Bösen befanden, dasselbe zu verlassen. Dieser Zustand kennzeichnete die Kirche seit den Tagen Konstantins; obwohl er sich schon früher eingeschlichen hatte, so entwickelte er sich doch erst von diesem Zeitpunkt an zu einem bestimmten System. Das Papsttum begann, innerhalb der bekennenden Kirche die Mutter von Kindern zu werden. Dies sehen wir deutlich in Thyatira. Jesabel ist nicht einfach eine Prophetin, welche die Knechte Gottes verführt, wie es diejenigen taten, welche die Lehre Balaams hatten, sondern sie ist die Mutter von Kindern. Alle welche sich mit ihr verbanden, sollten in große Drangsal kommen, ihre Kinder aber einem völligen Gericht anheim fallen. Schon hier wird die Aufforderung: „wer ihr ein Ohr leiht, der höre,“ erst ausgesprochen, nachdem die „Übrigen von Thyatira“ von der Masse unterschieden sind. In den drei ersten Sendschreiben richtet sich die Aufforderung an den ganzen Körper. Hernach aber, nachdem alle Buße verweigert und deshalb jede Hoffnung auf Wiederherstellung des Körpers, als eines Ganzen, verloren ist, wird die Ankunft Christi und die gänzliche Veränderung der gegenwärtigen Verwaltung den Heiligen als ihre Hoffnung vorgestellt. Meines Erachtens schließt hier die allgemeine prophetische Geschichte des bekennenden Körpers in seiner Gesamtheit.
Zunächst folgt jetzt der Protestantismus - ich sage nicht die Reformation, als ein Werk der Macht Gottes vermittelst des Heiligen Geistes, sondern Protestantismus, als das große öffentliche Resultat dieses Werkes unter den Menschen, inmitten der bekennenden Christenheit. Christus wird deshalb hier von neuem als derjenige vorgestellt, der alles für die Kirche in Seiner Hand hält. Was diese selbst betrifft, so hat sie den Namen, dass sie lebe, aber sie ist tot. Wir begegnen in Sardes nicht der Prophetin Jesabel, welche Kinder des Verderbnisses, der Hurerei und des Götzendienstes hervorbringt; sein Zustand besteht vielmehr darin, dass es nicht dem entspricht, was es empfangen und gehört hat. Es wird ihm daher angekündigt, dass es bei der Ankunft Christi zum Gericht behandelt werden wird wie die Welt. (Vgl. 1.Thess. 5) Ich bemerke hier noch, dass diese allgemeinen Zustände, welche die Kirche charakterisieren, bis zum Ende ihren Fortgang haben; so der Zustand von Ephesus, Thyatira, Sardes, Philadelphia und selbstredend auch von Laodicäa, obwohl einige dieser Zustände erst spät beginnen mögen.
Indessen sollte nicht alles in diesem Zustande von Sardes bleiben. Eine Wiederherstellung der Kraft sollte zwar nicht stattfinden - die sieben Geister und die sieben Sterne in der Hand Christi dienten, wenn ich so reden darf, zu nichts anderem als zur Verurteilung - aber es sollte ein Häuflein von Getreuen vorhanden sein, welches das Wort Christi bewahrt und Seinen Namen nicht verleugnet, das allerdings nur eine kleine Kraft besitzt, aber eine geöffnete Tür vor sich hat. Der Charakter Christi und nicht Seine Macht wird in dem Sendschreiben an Philadelphia in den Vordergrund gestellt und der Heilige Geist bezeichnet Festigkeit, Gehorsam, Abhängigkeit und ein treues Bekennen Christi als die Eigenschaften derer, welche Christus einst darstellen wird als die, welche Er geliebt hat. Sie werden durch die Zusicherung, dass Er bald kommt, gestärkt und getröstet.
Nach der Offenbarung dieser Verachteten von Philadelphia, wird uns in Laodicäa gezeigt, was das Ende des allgemeinen, bekennenden Körpers sein wird. Sein Zustand kennzeichnet sich nicht so sehr durch das Verderben Jesabels, als durch die abscheuerregende Lauheit, eine hohe Meinung von sich selbst und seinem vermeintlichen Reichtum, während in Wahrheit göttliche Gerechtigkeit, geistliche Unterscheidung und die Früchte eines geistlichen Charakters völlig fehlen. Die in diesem Zustand befindliche Kirche wird aus dem Munde Gottes ausgespieen werden. Das ist das Ende der bekennenden Kirche, insoweit sie sich von Jesabel unterscheidet. So geben uns die sieben Sendschreiben in großen Zügen die Geschichte der bekennenden Kirche von den Tagen der Apostel bis dahin, wo sie gänzlich verworfen oder durch Gott gerichtet wird. Dieses Gericht wurde schon Ephesus angekündigt, es wird aber erst ausgeführt werden in Jesabel und Laodicäa, nachdem Gott eine bewunderungswürdige Geduld bewiesen hat. Schließlich nimmt Christus in dem Charakter, unter welchem Er sich in dem Sendschreiben an Laodicäa ankündigt, den Platz des Zeugnisses ein, das die Kirche nicht vermocht hat, aufrecht zu erhalten. — Möchte der Herr uns allen die Gnade schenken, in der gegenwärtigen Zeit einen wahrhaft philadelphischen Charakter zur Schau zu tragen.