Betrachtung über Johannes (Synopsis)

Kapitel 13

Betrachtung über Johannes (Synopsis)

Der Herr hat jetzt also Seinen Platz eingenommen als Der, der zum Vater geht. Er nimmt diesen Platz den Ratschlüssen Gottes gemäß ein, und nicht in Verbindung mit der Verantwortlichkeit einer Welt, die Ihn bereits verworfen hatte; und Er liebt die Seinigen bis ans Ende. Zwei Dinge stehen jetzt vor Seiner Seele: einerseits die Sünde, die für Sein Herz die schmerzlichste Form annahm, und andererseits das Bewusstsein, woher Er kam und wohin Er ging (d. h. Sein persönlicher und himmlischer Charakter in Beziehung zu Gott) und die Herrlichkeit, die Ihm gegeben war. Er war von Gott gekommen und ging zu Gott hin; und der Vater hatte alles in Seine Hände gegeben.

Aber weder Sein Eingehen in die Herrlichkeit, noch die Herzlosigkeit des Menschen in seiner Sünde entfernt das Herz Jesu von Seinen Jüngern, noch selbst von ihren Bedürfnissen. Nur ist Seine Liebe beschäftigt, sie, die Jünger, in Einklang mit der neuen Stellung zu bringen, die Er für sie schuf, indem Er also in dieselbe eintrat. Er konnte nicht länger bei ihnen bleiben auf der Erde, aber Er liebte sie mit einer Liebe, die nichts aufzuhalten vermochte. Sie ging voran, um ihre Resultate zu vollenden; und Er musste die Jünger passend machen, um bei Ihm zu sein. Gesegneter Wechsel! Anstatt bei ihnen hienieden zu sein, sollten sie droben bei Ihm sein. Sie sollten mit Ihm teilhaben, der von Gott ausgegangen war und zu Gott hinging und in Dessen Hände der Vater alles gegeben hatte. Er ist immer noch ihr Diener in Liebe, und dies sogar mehr als je. Er war es ohne Zweifel in Seiner vollkommenen Gnade gewesen, während Er unter ihnen weilte, Er und Seine Jünger waren so mit in einem gewissen Sinne Gefährten gewesen. Sie aßen hier alle an demselben Tische zu Abend. Aber Er verlässt diese Stellung, wie Er Seine persönliche Verbindung mit Seinen Jüngern aufgab, indem Er gen Himmel fuhr und zu Gott ging. Aber wenn Er dies auch tut, so umgürtet Er Sich dennoch zu ihrem Dienst und nimmt Wasser, um ihre Füße zu waschen. Obwohl Er im Himmel ist, dient Er uns noch 1. Die Wirkung dieses Dienstes ist, dass der Heilige Geist in praktischer Weise durch das Wort alle Verunreinigungen beseitigt, die wir uns bei dem Wandel durch diese Welt der Sünde zuziehen. Auf unserem Wege kommen wir in Berührung mit dieser Welt, die Christum verworfen hat. Er reinigt uns von ihrer Befleckung durch den Heiligen Geist und das Wort. Er reinigt uns im Blick auf die Beziehungen zu Gott, Seinem Vater, in die Er uns gebracht hat, indem Er Selbst in dieselben eingetreten ist.

Wir bedürfen einer Reinheit, die der Gegenwart Gottes entspricht. Jedoch handelt es sich hier nur um die Füße. Die Priester, die Gott in der Stiftshütte dienten, wurden bei ihrer Einweihung ganz gewaschen. Diese Waschung wurde nicht wiederholt. Gerade so verhält es sich mit uns. Sind wir einmal durch das Wort wiedergeboren, so geschieht dies nie wieder. Die Priester wuschen ihre Hände und Füße, so oft sie Gott nahten, um ihren Dienst zu verrichten; und das ist es, was auch wir stets bedürfen. Unser Jesus stellt die Gemeinschaft wieder her und reicht neue Kraft dar, um Gott zu dienen, wenn wir sie verloren haben. Er ist es, der dieses tut, und zwar im Blick auf die Gemeinschaft und den Dienst; denn vor Gott sind wir persönlich ganz rein. Der Dienst war der Dienst Christi, der Dienst Seiner Liebe. Er trocknete die Füße der Jünger mit dem leinenen Tuche, mit dem Er umgürtet war (ein Umstand, der bezeichnend ist für den Dienst). Das Mittel der Reinigung war Wasser, ein Bild des durch den Heiligen Geist angewandten Wortes. Petrus erschrickt vor dem Gedanken, dass Christus Sich so erniedrigen sollte (V. 6–8); allein wir müssen uns diesem demütigenden Gefühl unterwerfen, dass unsere Sünde derart ist, dass nichts Geringeres als die Erniedrigung Christi uns irgendwie davon zu reinigen vermag. Nichts anderes wird uns in Wahrheit mit der vollkommenen und blendenden Reinheit Gottes, oder mit der Liebe und Aufopferung Jesu bekanntmachen; und nur wenn wir diese Dinge verwirklichen, haben wir ein Herz, das geheiligt ist für die Gegenwart Gottes. Hernach wünscht Petrus, dass ihm der Herr auch die Hände und das Haupt wasche; allein das ist schon geschehen (V. 10). Wenn wir Sein sind, so sind wir wiedergeboren und gereinigt durch das Wort, das Er bereits auf unsere Seelen angewandt hat; aber beim Wandel beschmutzen wir unsere Füße. Nach dem Beispiel dieses Dienstes Christi in Gnade sollen auch wir hinsichtlich unserer Brüder handeln.

Judas war nicht rein; er war nicht wiedergeboren. Weil er aber vom Herrn ausgesandt war, so hatten die, welche ihn aufnahmen, gleichwohl Christum aufgenommen; und dies ist auch hinsichtlich derer wahr, die Er durch Seinen Geist aussendet. Dieser Gedanke erinnert den Herrn an den Verrat des Judas. Seine Seele ist betrübt; und Er entlastet Sein Herz dadurch, dass Er Seinen Jüngern die Sache mitteilt. Was Sein Herz hier beschäftigt, ist nicht so sehr die Kenntnis der Person Seines Verräters, als vielmehr die Tatsache, dass einer von ihnen es ist, einer von denen, die Seine Gefährten gewesen waren. Deshalb blicken auch die Jünger, als Jesus dieses sagte, einander fragend an. Einer von ihnen nun ist ganz nahe bei Ihm, der Jünger, den Jesus liebte; denn wir finden in diesem Teil des Evangeliums stets ein Zeugnis der Gnade im Gegensatz zu den verschiedenen Formen der Arglist und Bosheit im Menschen. Diese Liebe Jesu hatte das Herz des Johannes gebildet, hatte ihm Zutrauen und Beständigkeit in Seiner innigen Zuneigung zum Herrn verliehen; und er war infolgedessen, ohne irgendeinen anderen Beweggrund, nahe genug bei Jesu, um Mitteilungen von Ihm empfangen zu können. Nicht um solche zu erlangen, hatte er sich in die Nähe Jesu gesetzt; nein, er war dort, weil er den Herrn liebte, dessen eigene Liebe ihn so an Ihn gefesselt hatte. Aber weil er daselbst war, konnte er diese Mitteilungen empfangen. Auf dieselbe Weise können auch wir heute noch von Ihm lernen.

Petrus liebte den Herrn; aber es war zu viel von Petrus bei ihm vorhanden, nicht hinsichtlich des Dienstes, wenn Gott ihn dazu berief (und Er tat dies in Gnade), sondern hinsichtlich der Vertraulichkeit. Wer unter den Zwölfen hat ein Zeugnis abgelegt wie Petrus, in dem Gott so mächtig wirkte unter der Beschneidung? Allein wir finden in seinen Briefen nicht das, was in denjenigen des Johannes 2 gefunden wird. Übrigens hat ein jeder seinen eigenen Platz, der ihm von der Oberhoheit Gottes angewiesen ist. Petrus liebte Christum, und durch diese gemeinsame Liebe mit Johannes verbunden, sehen wir die beiden Männer beständig beisammen; auch wünschte Petrus sehr, wie uns am Ende des Evangeliums berichtet wird, das Schicksal des Johannes zu kennen. Hier bedient er sich seiner, um den Herrn zu fragen, wer von ihnen es sei, der Ihn verraten würde. Beachten wir hier, dass das Nahesein bei Jesu um Seiner Selbst willen auch der Weg ist, um Seine Gesinnung zu kennen, wenn sorgenvolle Gedanken sich erheben. Jesus bezeichnet den Judas durch den Bissen, der jeden anderen zurückgehalten haben würde, der aber für ihn nur das Siegel seines Verderbens war. So ist es, je nach Verhältnis, mit jeder Gunstbezeugung Gottes, die einem Herzen zuteil wird, das dieselbe verwirft.

Nach dem Bissen fährt Satan in Judas. Er war schon böse durch die Habsucht und weil es seine Gewohnheit war, den täglichen Versuchungen Gehör zu geben; und obwohl er bei Jesu weilte, hatte er sein Herz gegen die Wirkung der Gnade verhärtet, die stets vor seinen Augen und an seiner Seite gewesen und die in gewissem Sinne gegen ihn ausgeübt worden war. Und jetzt schenkte er der Einflüsterung des Feindes Gehör und machte sich selbst zum Werkzeug der Hohenpriester, um den Herrn zu verraten. Er wusste, was sie wünschten, und er geht zu ihnen und bietet ihnen seine Hilfe an. Wenn durch seinen langen, vertraulichen Umgang mit der Gnade und der Person Jesu (während er sich der Sünde ergab) diese Gnade und der Gedanke an die Person Christi ganz und gar ihren Einfluss verloren hatten, so befand er sich in einem Zustande, in dem er nichts von dem Verrat seines Herrn fühlte. Die Kenntnis, die er von der Macht des Herrn hatte, trug dazu bei, dass er sich dem Bösen hingab, und verstärkte die Versuchung Satans. Denn augenscheinlich war er überzeugt, dass es Jesu stets gelingen werde, Sich von Seinen Feinden zu befreien; und insofern es sich um Macht handelte, dachte Judas mit Recht so; der Herr hätte das stets tun können. Aber was kannte er von den Gedanken Gottes? In sittlicher Hinsicht herrschte völlige Finsternis in seiner Seele. Und jetzt, nach jenem letzten Zeugnis, das sowohl ein Zeichen der Gnade, als auch ein Zeugnis von dem wahren Zustande seines gefühllosen Herzens war (wie der hierdurch in Erfüllung gehende Psalm es ausdrückt), fährt Satan in ihn, nimmt völlig Besitz von ihm, um ihn gegen alles zu verhärten, was ihn, selbst als Mensch, das Entsetzliche seiner Tat hätte fühlen lassen oder ihm die zur Vollbringung derselben nötige Kraft hatte rauben können, so dass, indem er sie ausführte, weder sein Gewissen noch sein Herz aufgeweckt wurde. Schrecklicher Zustand! Satan hält ihn in seinem Besitz, bis er gezwungen ist, ihn dem Gericht zu überlassen, vor dem er ihn nicht schützen kann, und das zu der von Gott bestimmten Zeit auch das seinige werden wird, ein Gericht, das sich dem Gewissen des Judas offenbarte, als das Böse geschehen und es für immer zu spät war. Das Gefühl davon äußerte sich in einer Verzweiflung, die durch seine Verbindung mit Satan nur noch vergrößert, aber dennoch gezwungen wurde, von Jesu zu zeugen vor denen, die seine Sünde benutzt hatten und nun mit seinem Jammer ihren Spott trieben; denn die Verzweiflung redet die Wahrheit. Der Schleier ist zerrissen; die Selbsttäuschung hat ein Ende; das Gewissen ist bloßgelegt vor Gott, und zwar vor Ihm als Richter. Dort betrügt Satan nicht mehr; und nicht die Gnade, sondern die Vollkommenheit Christi wird erkannt. Wie später der Räuber am Kreuze, so zeugt hier Judas von der Unschuld Jesu. Auf diese Weise haben der Tod und das Verderben das Gerücht von Seiner Weisheit gehört; Gott allein kennt sie (Hiob 28,22+23).

Jesus kannte den Zustand des Judas. Es handelte sich nur um die Ausführung dessen, was Jesus zu tun im Begriff stand, und zwar durch den, für welchen es keine Hoffnung mehr gab. „Was du tust“, sagt Jesus, „tue schnell!“ (V. 27). Aber welche Worte, wenn wir sie von den Lippen Dessen vernehmen, der die Liebe Selbst war! Jedoch sind die Augen Jesu jetzt auf Seinen eigenen Tod gerichtet. Er war allein; niemand, nicht einmal Seine Jünger hatten teil mit Ihm an dem Werke, das Er vollbringen wollte. Wohin Er jetzt ging, dorthin konnten sie Ihm ebenso wenig folgen wie die Juden. Welch eine ernste und doch so glorreiche Stunde! Er, ein Mensch, war auf dem Wege, Gott zu begegnen in dem, was den Menschen von Gott trennte – Ihm zu begegnen im Gericht. Diesem gibt Er tatsächlich Ausdruck, sobald Judas hinausgegangen ist. Die Tür, die sich hinter Judas schloss, trennte Christum von dieser Welt. „Jetzt“, sagt Er, „ist der Sohn des Menschen verherrlicht“ (V. 31). Er hatte dies schon gesagt, als die Griechen zu Ihm kamen. Allein damals handelte es sich um die zukünftige Herrlichkeit, um Seine Herrlichkeit als das Haupt aller Menschen und selbst aller Dinge. Dies konnte jedoch noch nicht stattfinden; deshalb sagte Er: „Vater, verherrliche deinen Namen.“ Jesus musste sterben; und gerade das war es, was den Namen Gottes in einer Welt verherrlichte, wo die Sünde war. Es war die Herrlichkeit des Sohnes des Menschen, dieses Werk da zu vollbringen, wo die ganze Macht des Feindes, die Wirkung der Sünde und das Gericht Gottes über sie sich entfalteten, wo die Frage moralisch entschieden wurde, wo Satan (in seiner Macht über den sündigen Menschen, den Menschen unter der Sünde) und Gott sich begegneten – nicht zur Züchtigung wie bei Hiob, sondern zur Gerechtigkeit. Dort wurde geoffenbart, was Gott gegen die Sünde war. Dort traten alle Seine Eigenschaften in Tätigkeit und wurden verherrlicht. Dort wurden tatsächlich durch das, was geschah, alle die Vollkommenheiten Gottes verherrlicht, indem sie durch Jesum oder vermittelst dessen, was Er getan und gelitten hat, geoffenbart wurden. Dadurch dass diese Vollkommenheiten entweder unmittelbar in Ihm entfaltet wurden, oder dass Er Gelegenheit zu ihrer Ausübung darbot, indem Er einen Platz einnahm, der Ihn den Eigenschaften Gottes gemäß auf die Probe stellte (so dass die göttliche Vollkommenheit im Menschen, in Jesu entfaltet wurde, sogar da, wo Er den Platz des Menschen einnahm, und zwar hinsichtlich der Sünde und, Gott sei Dank! auch hinsichtlich des Sünders), ist Gott in Ihm verherrlicht worden. Doch es ist nötig zum besseren Verständnis noch einige Worte hinzuzufügen; denn nach den Gedanken Gottes ist das Kreuz der Mittelpunkt des Weltalls, die Grundlage unseres Heils und unserer Herrlichkeit und die glänzendste Offenbarung der Herrlichkeit Gottes Selbst.

Der Herr hatte gesagt, als die Griechen Ihn zu sehen wünschten, dass die Stunde gekommen sei, in welcher der Sohn des Menschen verherrlicht werden solle. Er redete in jenem Augenblick von Seiner Herrlichkeit als Sohn des Menschen, von der Herrlichkeit, die Er unter diesem Titel empfangen sollte. Er fühlte, dass Er notwendigerweise Selbst durch den Tod gehen musste, wenn Er Menschen in diese Herrlichkeit einführen wollte. Jedoch erfüllte Ihn nur eine einzige Sache, die Seine Gedanken von der Herrlichkeit und den Leiden abzog, nämlich der Wunsch Seines Herzens, dass Sein Vater verherrlicht werden möge. Alles war jetzt bis zu dem Punkte gediehen, wo dies in Erfüllung gehen sollte; und der Augenblick war gekommen, wo Judas (die Grenzen von Gottes gerechter und vollkommener Geduld überschreitend) hinausgegangen war und seiner Gottlosigkeit die Zügel schießen ließ, um jenes Verbrechen zu begehen, das die wunderbare Erfüllung der Ratschlüsse Gottes herbeiführen sollte.

In Jesu auf dem Kreuze nun ist der Sohn des Menschen auf eine viel bewunderungswürdigere Weise verherrlicht worden, als dies selbst durch die tatsächliche Herrlichkeit, die Ihm unter jenem Titel angehört, geschehen wird. Wir wissen, dass Er mit dieser Herrlichkeit bekleidet werden wird; aber auf dem Kreuz hat der Sohn des Menschen alles das ertragen, was zur völligen Entfaltung der ganzen Herrlichkeit Gottes erforderlich war. Das ganze Gewicht dieser Herrlichkeit lastete auf Ihm, um Ihn auf die Probe zu stellen, ob Er diese Herrlichkeit aufrecht erhalten, bestätigen und erheben könne, und zwar indem Er diese da in den Vordergrund stellte, wo, ohne dieses, die Sünde dieselbe verbarg und sie sozusagen in gottloser Weise Lügen strafte. War der Sohn des Menschen fähig, einen solchen Platz einzunehmen, Sich einer solchen Aufgabe zu unterziehen, sie zu erfüllen und Seinen Platz ohne irgendeinen Fehler bis ans Ende zu behaupten? Ja, Jesus hat es getan! Die Majestät Gottes musste gewahrt werden gegenüber der frechen Empörung Seiner Geschöpfe. Seine Wahrheit, die Jesum mit dem Tode bedrohte, musste aufrechterhalten, Seine Gerechtigkeit gegen die Sünde aufgerichtet (wer vermochte ihr zu widerstehen?) und zugleich Seine Liebe völlig erwiesen werden. Satan besaß hier alle die traurigen Rechte, die er durch unsere Sünde erlangt hatte; Christus aber – vollkommen als Mensch, allein, abgesondert von allen Menschen, im Gehorsam, und indem Er als Mensch nur einen Gegenstand, die Verherrlichung Gottes kannte und also göttlich vollkommen war, Er, der Sich Selbst zu diesem Zwecke opferte – verherrlichte Gott völlig. Gott wurde in Ihm verherrlicht. Seine Gerechtigkeit, Seine Majestät, Seine Wahrheit, Seine Liebe – alle diese Dinge, so wie sie in Ihm sind, wurden auf dem Kreuze erwiesen und nur dort geoffenbart, und zwar im Blick auf die Sünde. Und jetzt kann Gott frei handeln gemäß dem, was Er ist, ohne dass dadurch eine einzige Eigenschaft verborgen oder verdunkelt werde oder mit einer anderen in Widerspruch käme. Die Wahrheit verurteilte den Menschen zum Tode; die Gerechtigkeit verurteilte den Sünder für immer und ewig; die Majestät forderte die Vollziehung dieses Urteils. Wo blieb nun Raum für die Liebe? Und wenn die Liebe über alles die Oberhand hätte haben sollen, wo blieb die Majestät, wo die Gerechtigkeit Gottes? Überdies war dies ganz unmöglich; denn es wäre nicht wirklich Liebe, sondern vielmehr Gleichgültigkeit gegen das Böse gewesen. Mittels des Kreuzes aber ist Gott gerecht, und Er rechtfertigt in Gnade; Er ist die Liebe, und in dieser Liebe macht Er den Menschen Seiner Gerechtigkeit teilhaftig. Die Gerechtigkeit Gottes tritt für den Gläubigen an die Stelle der Sünde des Menschen; und die Gerechtigkeit wie die Sünde des Menschen schwinden vor dem hellen Licht der Gnade dahin und trüben keineswegs die unumschränkte Herrlichkeit einer solchen Gnade gegen den Menschen, der wirklich von Gott entfremdet war.

Und wer hat alles dieses vollbracht? Wer hat die ganze Herrlichkeit Gottes (hinsichtlich ihrer Offenbarung und ihrer Aufrechterhaltung, da wo sie, was den Zustand der Dinge betrifft, durch die Sünde bloßgestellt war) auf gerichtet? Es war der Sohn des Menschen. Deswegen verherrlicht Ihn Gott mit Seiner eigenen Herrlichkeit; denn diese Herrlichkeit war es, die Jesus wieder aufgerichtet und zu Ehren gebracht hat, als sie durch die Sünde verwischt war; denn an und für sich kann sie nicht verwischt werden. Und nicht nur wurde sie aufgerichtet, sondern auch in einer Weise verwirklicht, wie dies nie auf einem anderen Wege hätte geschehen können. Nie gab es eine Liebe, die der Gabe des Sohnes Gottes für die Sünde gleich käme; nie eine Gerechtigkeit (der die Sünde so unerträglich ist) gleich derjenigen, die selbst des einzigen Sohnes nicht schonte, als Er die Sünde auf Sich nahm; nie eine Majestät gleich derjenigen, die den Sohn Gottes Selbst verantwortlich machte, allen ihren Anforderungen zu entsprechen (vgl. Heb 2); nie eine Wahrheit gleich derjenigen, die vor der Notwendigkeit des Todes Jesu nicht zurückwich. Wir kennen Gott jetzt. Da Gott in dem Sohne des Menschen verherrlicht ist, so verherrlicht Ihn Gott in Sich Selbst. Aber Er wartet demzufolge hier nicht auf den Tag Seiner Herrlichkeit bei den Menschen nach dem Gedankengang des 12. Kapitels. Gott beruft Ihn vielmehr zu Seiner Rechten und führt Ihn alsbald und allein dort ein. Wer anders als Er (ausgenommen im Geiste) könnte dort sein? Hier steht Seine Herrlichkeit mit dem in Verbindung, was Er allein zu tun vermochte, mit dem, was Er allein tun musste und wovon Er allein die Frucht bei Gott haben muss; denn Er war Gott.

Andere Herrlichkeiten werden zu ihrer Zeit ans Licht treten. Er wird dieselben mit uns teilen, obwohl Er in allem den Vorrang hat. Hier aber ist Er und muss Er stets allein bleiben, d. h. in dem, was Ihm persönlich angehört. Wer teilte das Kreuz mit Ihm, insofern Er dort für die Sünde litt und die Gerechtigkeit erfüllte? Wir teilen es freilich mit Ihm, insofern wir, um der Gerechtigkeit willen und aus Liebe zu Ihm und den Seinigen, selbst bis zum Tode leiden können; und in dieser Weise werden wir auch Seine Herrlichkeit teilen. Es ist aber augenscheinlich, dass wir Gott hinsichtlich der Sünde nicht verherrlichen konnten. Er, der keine Sünde kannte, konnte allein zur Sünde gemacht werden; der Sohn Gottes allein konnte diese Last tragen.

Nachdem das Herz des Herrn dadurch Erleichterung gefunden hat, dass Er diese herrlichen Gedanken, diese wunderbaren Ratschlüsse mitteilt, wendet Er Sich in obigem Sinne liebevoll an Seine Jünger und sagt ihnen, dass ihre Verbindung mit Ihm hienieden bald beendigt sein werde, dass Er dahin gehe, wohin sie Ihm ebenso wenig folgen konnten wie die ungläubigen Juden (V. 33 u. f.). Die brüderliche Liebe sollte, in einem gewissen Sinne, an Seinen Platz treten. Wie Er sie geliebt hatte, so sollten sie sich untereinander lieben mit einer Liebe, die über den Offenbarungen des Fleisches in den Brüdern erhaben ist, mit einer brüderlichen Liebe, die in dieser Hinsicht Gnade übt. Wenn der Hauptpfeiler, an den sich viele lehnten, weggenommen sein würde, sollten sie einander unterstützen, wiewohl nicht aus eigener Kraft; und hieran sollten die Jünger Christi erkannt werden. Simon Petrus wünscht da einzudringen, wohin außer Jesu kein Mensch gelangen konnte – in die Gegenwart Gottes durch den Pfad des Todes. Das ist fleischliches Vertrauen. Der Herr sagt ihm in gnädiger Weise, dass dies jetzt nicht geschehen könne. Jesus musste zuvor das für den Menschen unergründliche Meer, den Tod, diesen Ufer weit überschreitenden Jordan, austrocknen; und dann, wenn der Tod nicht mehr das Gericht Gottes war, wenn er nicht mehr durch die Macht Satans beherrscht wurde (denn in diesen beiden Charakteren hat Christus die Macht des Todes für den Gläubigen völlig vernichtet), dann konnte auch Sein armer Jünger um der Gerechtigkeit und um Christi willen hindurchgehen. Petrus aber wollte dem Herrn in seiner eigenen Kraft folgen, indem er sich für fähig erklärte, gerade das tun zu können, was Jesus für ihn zu tun im Begriff stand. In Wirklichkeit aber weicht er, durch die erste Regung des Feindes erschreckt, vor der Stimme einer Magd zurück und verleugnet den Herrn, den er liebte. In den Dingen Gottes führt uns fleischliches Vertrauen immer nur in eine Lage, wo es nicht bestehen kann. Aufrichtigkeit allein vermag nichts gegen den Feind; wir müssen die Kraft Gottes haben.

Fußnoten

  • 1 Der Herr nahm, indem Er Mensch wurde, die Gestalt eines Knechtes an (Phil 2). Diese Stellung gibt Er nie auf. Man hätte denken können, dass Er sie bei Seinem Hingang in die Herrlichkeit aufgeben würde; allein Er zeigt hier, dass es nicht so ist. Er sagt jetzt, wie wir in 2. Mo 21 lesen: „ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Kinder, ich will nicht frei ausgehen“; und Er wird ein Knecht auf immer, obwohl Ihm mehr als zwölf Legionen Engel zur Verfügung standen. Hier ist Er ein Knecht, um den Seinigen die Füße zu waschen, wenn sie sie beim Durchschreiten dieser Welt verunreinigt haben. In Lukas 12 sehen wir, dass Er den Platz des Dienstes in der Herrlichkeit behält. Es ist ein lieblicher Gedanke, dass Er sogar dort die beste Segnung des Himmels zu unserer Glückseligkeit bedient.
  • 2 Andererseits starb Petrus für den Herrn, während Johannes zurückgelassen wurde, um für die Kirche Sorge zu tragen. Es scheint nicht, dass er ein Märtyrer geworden ist.
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