Betrachtung über Johannes (Synopsis)
Kapitel 8
In Kapitel 8 zeigt uns der Heilige Geist, was Jesus in Sich Selbst und was Er den Menschen gegenüber ist, indem Er sie auf diese Weise auf die Probe stellte so dass sie, indem sie Ihn verwerfen, sich selbst verwerfen und sich als Verworfene erweisen. Lasst uns jedoch etwas näher auf den Inhalt dieses Kapitels eingehen. Stets zeigt sich derselbe Gegensatz zu dem Judentum. Man bringt ein Weib zu Ihm, dessen Schuld erwiesen ist. Die Juden bringen sie in ihrer Bosheit herbei, in der Hoffnung, den Herrn in Verwirrung zu bringen. Wenn Er sie verurteilte, so war Er kein Heiland; denn so viel konnte auch das Gesetz tun. Ließ Er sie gehen, so verkannte und verwarf Er das Gesetz. Die Schlinge war klug gelegt. Aber was vermag alle Klugheit in der Gegenwart des Gottes, der das Herz erforscht? Der Herr lässt sie sich ganz bloßstellen, indem Er ihnen eine Weile nicht antwortet. Wahrscheinlich meinten sie, Ihn in der Schlinge gefangen zu haben. Endlich sagt Er zu ihnen. „Wer von euch ohne, Sünde ist, werfe zuerst den Stein auf sie“ (V. 7). Durch ihr Gewissen verurteilt, aber ohne Ehrlichkeit und Glauben, verlassen sie den Schauplatz ihrer Beschämung, trennen sich voneinander, indem ein jeder für sich selbst besorgt ist – besorgt für den Charakter, nicht aber für das Gewissen –, und entfernen sich von Dem, der sie überführt hatte; und zwar geht der, der das höchste Ansehen zu retten hatte, zuerst hinaus. Welch ein trauriges Gemälde! Welch ein mächtiges Wort! Jesus und das Weib sind allein gelassen; wer könnte in Seiner Gegenwart stehen, ohne überführt zu werden? Hinsichtlich des Weibes, dessen Schuld erwiesen war, überschreitet Er die jüdische Stellung nicht, ausgenommen um die Rechte Seiner eigenen Person in Gnade aufrecht zu erhalten.
Es ist hier nicht, wie in Lk 7, völlige Vergebung und Errettung. Die Ankläger konnten das Weib nicht verurteilen, und Er wollte es nicht. Er entlässt sie mit den Worten. „Gehe hin und sündige nicht mehr!“ Es ist also nicht die Gnade der Errettung, die der Herr hier zeigt. Er richtet nicht, denn dazu war Er nicht gekommen. Allein die Wirksamkeit der Vergebung ist nicht der Gegenstand dieser Kapitel; es handelt sich hier vielmehr um die Herrlichkeit Seiner Person im Gegensatz zu allem, was vom Gesetz ist. Er ist das Licht, und durch die Macht Seines Wortes dringt Er als Licht in die Gewissen derer ein, die das Weib zu Ihm gebracht hatten. Denn dieses Wort war Licht; aber das war nicht alles. In die Welt kommend, war Er das Licht (Joh 1,4–10). Nun war aber das Leben das Licht der Menschen. Es war nicht ein Gesetz, das Forderungen stellte und verurteilte, oder das, wenn man seine Vorschriften beobachtete, das Leben verhieß. Das Leben selbst war in Seiner Person gegenwärtig; und dieses Leben war das Licht der Menschen, das sie überführte und vielleicht richtete, aber als Licht. Demgemäß sagt Jesus hier im Gegensatz zu dem Gesetz, auf das sich diejenigen beriefen, die vor dem Lichte nicht bestehen konnten: „Ich bin das Licht der Welt“ (nicht allein der Juden). Wer irgend Ihm nachfolgte, sollte das Licht des Lebens haben (V. 12). Aber es war in Ihm, in Seiner Person zu finden; und Er konnte von Sich Selbst zeugen, weil Er – obwohl ein Mensch in dieser Welt – wusste, woher Er kam und wohin Er ging. Er war der Sohn, der vom Vater kam und zu Ihm zurückkehrte; und dessen war Er Sich bewusst. Sein Zeugnis war also nicht das einer eigennützigen Person, das zu glauben man hätte Anstand nehmen können. Zum Beweise, dass Er Der war, als der Er Sich darstellte, war das Zeugnis des Sohnes (Sein eigenes) und dasjenige des, Vaters vorhanden. Wenn die Juden Ihn gekannt hätten, so würden sie auch Seinen Vater gekannt haben.
In jenem Augenblick legt keiner die Hände an Ihn, trotz eines Zeugnisses wie das eben besprochene; denn Seine Stunde war noch nicht gekommen. Das allein war die Ursache. Ihr Widerstand und ihre Feindschaft gegen Gott waren unzweifelhaft und dem Herrn wohlbekannt; sie gehen klar aus den Versen 19–24 hervor. Infolgedessen werden sie, wenn sie nicht glauben, in ihren Sünden sterben. Nichtsdestoweniger sagt ihnen der Herr, dass sie, wenn Er verworfen und am Kreuze erhöht sein und als der vom Volke und von der Welt verworfene Heiland eine ganz andere Stellung eingenommen haben werde – dass sie alsdann wissen würden, wer Er sei; wenn Er ihnen nicht mehr als Messias dargestellt sein werde, würden sie erkennen, dass Er es wirklich gewesen sei, und dass Er im Auftrage des Vaters zu ihnen geredet habe.
Als Er diese Worte redete, glaubten viele an Ihn (V. 30). Dann erklärt Er ihnen die Wirkung des Glaubens, und dies gibt Veranlassung, den wahren Zustand der Juden mit einer schrecklichen Genauigkeit ans Licht zu stellen. Zunächst sagt ihnen der Herr, dass die Wahrheit sie freimachen werde, und dass, wenn der Sohn (der die Wahrheit ist) sie freimache, sie wirklich frei sein würden. Die Wahrheit macht moralisch vor Gott frei. Der Sohn werde ihnen kraft der natürlichen und erblichen Rechte, die notwendigerweise Ihm gehörten, und gemäß jenen Rechten einen Platz im Hause geben, und zwar in der Macht des göttlichen Lebens, das vom Himmel hernieder gekommen ist – der Sohn Gottes in Kraft, wie die Auferstehung es erwiesen hat. Hierin bestand die wahre Befreiung.
Die Juden, verletzt darüber, als Knechte angesehen zu werden, was ihr Stolz nicht zu ertragen vermochte, behaupten, frei und nie jemandes Knechte gewesen zu sein. In Erwiderung darauf zeigt der Herr, dass alle diejenigen, die die Sünde tun, Knechte (Sklaven) der Sünde sind. Weil sie aber unter dem Gesetz Juden waren, so waren sie Knechte im Hause, und als solche sollten sie weggeschickt werden. Der Sohn aber hatte unveränderliche Rechte; Er war vom Hause und wird für immer in ihm bleiben. Unter der Sünde oder unter dem Gesetz sein ist für ein Kind Adams dasselbe: er ist ein Knecht. Der Apostel beweist dies in Röm 6 (vgl. auch Kap. 7+8) und in Gal 4–5. Zudem waren die Juden weder wirklich noch moralisch vor Gott Kinder Abrahams, obwohl sie es nach dem Fleische waren; denn sie suchten Jesum zu töten. Sie waren keine Kinder Gottes; wären sie es gewesen, so würden sie Jesum, der von Gott kam, geliebt haben. Sie waren Kinder des Teufels und taten seine Werke.
Beachten wir hier beiläufig, dass das Verständnis des Sinnes des Wortes Gottes das Mittel ist, um die Kraft der Worte zu erfassen. Man forscht nicht nach der Erklärung der Worte und erfasst dann die Sache, sondern man lernt zuerst die Sache, und dann ist der Sinn der Worte leicht zu verstehen. Wer z. B. weiß, was die Wiedergeburt ist, wird die Worte des Herrn verstehen, wenn Er von der neuen Geburt redet.
Die Juden beginnen dem Zeugnis des Herrn zu widerstehen, weil sie fühlen, dass Er Sich höher stellte als alle diejenigen, auf die sie sich bis dahin gestützt hatten. Sie verhöhnen Ihn wegen Seiner Worte; und ihr Widerstand veranlasst Ihn, Sich noch deutlicher auszusprechen. Nachdem Er ihnen erklärt hat, dass Abraham darüber frohlockte, Seinen Tag sehen zu dürfen, und die Juden dies auf Sein Alter als Mensch anwandten, kündigt Er ihnen aufs bestimmteste an, dass Er Der sei, der Sich „Ich bin!“ nennt – dass Er, der Sich diesen höchsten Namen Gottes beilegt, Gott Selbst sei, Derselbe, den sie als Den zu kennen behaupteten, der Sich in dem brennenden Dornbusch geoffenbart hatte.
Welch eine wunderbare Offenbarung! Ein verachteter und verworfener Mensch, verachtet und verworfen von den Menschen, widersprochen, geschmäht und misshandelt – und dennoch Gott Selbst! Gott war gegenwärtig. Welch eine Tatsache! Welch eine gänzliche Veränderung! Welch eine Offenbarung für die, die Ihn anerkannten oder Ihn kennen! Welch ein Zustand auf Seiten derer, die Ihn verworfen haben, und zwar darum verworfen, weil sich ihre Herzen alledem, was Er war, widersetzten; denn Er ermangelte nicht, Sich zu offenbaren! Welch ein Gedanke, dass Gott Selbst hier gewesen ist, Er, die Güte Selbst! Wie verschwindet alles vor Ihm: das Gesetz, der Mensch und seine Vernunftschlüsse! Alles hängt notwendigerweise von dieser großen Tatsache ab. Und, gepriesen sei Sein Name! dieser Gott ist ein Heiland. dass wir dieses wissen, verdanken wir den Leiden Christi.
Hier aber stellt der Herr Sich dar als der Zeuge, als das Wort, das fleischgewordene Wort, der Sohn Gottes, aber immer das Wort, Gott Selbst. In der Erzählung zu Anfang des Kapitels richtet Er Sein Zeugnis an das Gewissen; Er ist das Wort, das erforscht und überführt. In Vers 18 legt Er Zeugnis ab mit dem Vater; in Vers 26 erklärt Er in der Welt, was Er von dem Vater empfangen hat, und als von Gott gelehrt, hat Er geredet. Überdies war der Vater mit Ihm. Durch Sein Wort erkannte man die Wahrheit (V. 31+32), und die Wahrheit machte frei. Er redete die Worte Gottes (V. 47). Wenn man Sein Wort hielt, so wurde man vor dem Tode bewahrt (V. 51). Es war Gott Selbst, der da redete, der Jehova, den die Väter gekannt hatten (V. 58).
Der Widersprach erhob sich, weil das Wort Jesu das Wort der Wahrheit war (V. 54). Die Gegner waren von dem Widersacher. Dieser war ein Mörder von Anfang, und ihm wollten sie folgen. Weil nun die Wahrheit die Quelle des Lebens war, so kennzeichnete den Widersacher die Tatsache dass er nicht in dieser geblieben war: es ist keine Wahrheit in ihm. Er ist der Vater und die Quelle der Lügen, so dass, wenn die Lüge redet, der Redende einer von denen ist, die ihm angehören. Sünde war Knechtschaft, und durch das Gesetz waren sie in Knechtschaft (die Wahrheit, der Sohn Selbst, machte frei). Doch noch mehr als das: die Juden waren Feinde, Kinder des Feindes, und sie wollten dessen Werke tun, indem sie den Worten Christi nicht glaubten, weil Er die Wahrheit redete. Wir hören hier nichts von einem Wunder; es ist die Macht des Wortes, und das lebendige Wort ist Gott Selbst. Verworfen von den Menschen, ist der Herr sozusagen gezwungen, die Wahrheit zu reden, Sich Selbst zu offenbaren. So wie, Er im Fleische war, ist Er zugleich verborgen und geoffenbart: verborgen hinsichtlich Seiner Herrlichkeit, geoffenbart hinsichtlich alles dessen, was Er in Seiner Person und in Seiner Gnade ist.