Betrachtung über Matthäus (Synopsis)
Kapitel 5-7
In der Erzählung des Evangeliums treten jetzt zwei Dinge in den Vordergrund. Das erste ist die Macht, welche die Verkündigung des Reiches begleitet, – eine Tatsache, die in zwei oder drei Versen 1 und ohne besondere Einzelheiten angekündigt wird. Unter mächtigen Taten, die die Aufmerksamkeit des ganzen Landes, des ganzen alten Gebietes Israels auf sich ziehen, wird das Reich ausgerufen. Jesus erscheint vor Israel mit dieser Macht bekleidet. Zweitens wird der Charakter des Reiches, sowie der Charakter derer, die daran teilhaben sollten, in der Bergpredigt (Kap. 5–7) dargelegt, indem zugleich der Name des Vaters offenbart wird.
Es ist augenscheinlich, dass in diesem ganzen Teil des Evangeliums die Stellung des Herrn und nicht die Einzelheiten seines Lebens der Gegenstand der Belehrung des Geistes ist. Die Einzelheiten kommen nachher, um völlig das zu zeigen, was Jesus inmitten Israels war. Seine Beziehungen zu diesem Volk und seinen Wandel in der Kraft des Geistes, wodurch der Bruch zwischen dem Sohn Davids und dem Volk, das Ihn hätte aufnehmen sollen, herbeigeführt wurde.
Als nun die Aufmerksamkeit der ganzen Gegend durch seine mächtigen Taten angeregt war, belehrt der Herr seine Jünger, und zwar vor den Ohren des Volkes, über die Grundsätze seines Reiches. Diese Unterweisungen kann man in folgende Teile zerlegen.
- der Charakter und das Teil derer, die in dem Reich sein sollen (Kap. 5,1–12);
- ihre Stellung in der Welt (V. 13–16);
- die Verbindung zwischen den Grundsätzen des Reiches und dem Gesetz (V. 17–48) 2.
- die Gesinnung, in der die Jünger Jesu gute Werke verrichten sollten (Kap. 6,1–18);
- die Trennung von dem Geist der Welt und ihren Sorgen (V. 19–34);
- der Charakter der Beziehungen der Jünger Jesu zu anderen Menschen (Kap. 7,1–6);
- das Vertrauen auf Gott, was ihnen geziemte (V. 7–12);
- die Energie, die sie an den Tag legen sollten, um in das Reich einzugehen; doch nicht nur einzugehen – das würden manche zu tun versuchen –, sondern jenen Grundsätzen entsprechend einzugehen, die es für den Menschen schwer machen: Gott gemäß, durch die enge Pforte. Sodann das Mittel, um die, welche sie zu täuschen suchen würden, zu erkennen, sowie die nötige Wachsamkeit, um sich nicht täuschen zu lassen (V. 13–23);
- endlich der praktische und wirkliche Gehorsam gegenüber den Aussprüchen des Herrn, der wahren Weisheit derer, die seine Worte hören (V. 24–29). Noch ein anderer Grundsatz kennzeichnet diese Unterweisungen, nämlich die Einführung des Vaternamens. Jesus setzt seine Jünger in Verbindung mit seinem Vater als ihrem Vater. Er offenbart ihnen den Vaternamen, damit sie in Beziehung zu Ihm stehen und handeln möchten in Übereinstimmung mit dem, was Er ist.
Die obige Einteilung kann zu einer praktischen Anwendung der Bergpredigt behilflich sein. Hinsichtlich der in ihr enthaltenen Gegenstände könnte sie vielleicht, obwohl der Unterschied nicht sehr groß ist, noch besser in folgender Weise eingeteilt werden:
Kap. 5,1–16 enthält das vollkommene Bild des Charakters und der Stellung des Überrestes, der die Unterweisungen des, Herrn empfing – einer Stellung, wie sie den Gedanken Gottes gemäß sein sollte. Dieser Teil ist in sich selbst vollständig.
Die Verse 17–48 bestätigen die Autorität des Gesetzes, das das Verhalten der Getreuen bis zur Einführung des Reiches hätte regeln sollen; des Gesetzes, das sie, geradeso wie die Worte der Propheten, hätten erfüllen sollen, um als ein Überrest auf diesen neuen Boden gestellt zu werden, während die Verachtung desselben jeden Schuldigen, wer er auch war, vom Reich ausschließen musste. Denn Christus redet hier nicht als im Reich befindlich, sondern indem Er es als nahe bevorstehend ankündigt. Aber während Er in solcher Weise die Autorität des Gesetzes bestätigt, bespricht Er die beiden Hauptelemente des Bösen, Gewalttat und Sittenverderbnis, die im Gesetz nur als offenbare Taten behandelt werden, und verurteilt das Böse in dem Herzen (V. 22 u. 28). Er will, dass man sich, was es auch kosten möge, von demselben und von jeder Veranlassung dazu losmache, und zeigt so, was das Verhalten und der Seelenzustand seiner Jünger sein sollte; denn gerade das war es, was sie als solche kennzeichnen sollte.
Dann beschäftigt sich der Herr mit gewissen Dingen, mit denen Gott in Israel Nachsicht gehabt hatte, und die demgemäß angeordnet worden waren, wie sie es damals zu ertragen vermochten. Diese Dinge werden jetzt in das Licht einer richtigen sittlichen Schätzung gerückt. Zunächst ist die Rede von der Ehescheidung, während doch die Ehe die von Gott angeordnete Grundlage aller menschlichen Beziehungen ist; dann vom Schwören oder vom feierlichen Geloben, der Tätigkeit des menschlichen Willens in Beziehung zu Gott; dann von der Geduld dem Bösen gegenüber und von vollkommener Gnade, Seinem eigenen gesegneten Charakter, und in Verbindung damit von dem sittlichen Anrecht der seinen auf das, was sein lebendiger Platz war: Söhne ihres Vaters, der im Himmel war. Anstatt das zu schwächen, was Gott unter dem Gesetz gefordert hatte, wollte der Herr es nicht nur bis zu seiner gänzlichen Erfüllung befolgt haben, sondern seine Jünger sollten auch vollkommen sein, sogar wie ihr Vater im Himmel vollkommen war. Das fügte dem sittlichen Wandel und Zustand, der dem Charakter der Söhne, wie er sich in Christus offenbarte, angemessen war, die Offenbarung des Vaters hinzu.
Im 6. Kapitel haben wir die Beweggründe, den Gegenstand, wodurch das Herz im Gutestun, im Führen eines gottseligen Lebens geleitet werden sollte. Das Auge der Jünger sollte auf ihren Vater gerichtet sein. Das gilt dem einzelnen.
Das 7. Kapitel beschäftigt sich wesentlich mit dem geziemenden Verhaltn seines Volkes anderen gegenüber: sie sollten ihre Brüder nicht richten und sich vor den Verächtern hüten. Dann ermahnt Er sie zum Vertrauen, wenn sie ihren Vater um das bitten würden, was sie bedürften, und belehrt sie, mit derselben Gnade, die sie von anderen sich selbst erwiesen sehen möchten, auch gegen andere zu handeln. Das gründet sich auf die Erkenntnis der Güte des Vaters. Endlich ermahnt Er sie zu der Energie, die durch die enge Pforte eingehen und den Weg Gottes erwählen will, was es auch kosten möge (denn viele würden in das Reich einzugehen begehren, aber nicht durch jene Pforte); und Er warnt sie vor solchen, die unter dem Vorwand, das Wort Gottes zu haben, sie zu verführen trachten würden; denn wir haben bei der Nachfolge des Herrn nicht nur unsere eigenen Herzen und das wirklich Böse zu fürchten, sondern auch die List des Feindes und seiner Diener. Doch diese würden sich durch ihre Früchte verraten.
Die Bergpredigt entwickelt die Grundsätze des Reiches, setzt aber die Verwerfung des Königs voraus sowie die Stellung, in welche die Seinigen dadurch gebracht werden würden: sie mussten sich infolge jener Verwerfung nach einer himmlischen Belohnung umsehen. Sie sollten da, wo Gott bekannt und wirksam war, ein göttlicher Geruch sein und würden der ganzen Welt als Schauspiel dienen. Zudem war das die Absicht Gottes. Ihr Bekenntnis sollte so offensichtlich sein, dass die Welt ihre Werke dem Vater zuschreiben würde. Einerseits sollten sie nach einem Urteil über das Böse handeln, wodurch das Herz und die Beweggründe erreicht wurden, anderseits aber auch nach dem Charakter des Vaters in Gnade, um sich den Beifall des Vaters zu erwerben, der im Verborgenen sieht, wohin das Auge des Menschen nicht zu dringen vermag. Hinsichtlich aller ihrer Bedürfnisse sollten sie ihr volles Vertrauen auf Ihn setzen. Sein Wille war die Richtschnur, nach der man in das Reich einging.
Man wird bemerken, dass diese Rede mit der Verkündigung des Reiches als nahe bevorstehend in Verbindung steht, und dass alle hier angeführten Grundsätze des Verhaltens gegeben sind, um das Reich sowie die Bedingungen des Eintritts in dasselbe zu kennzeichnen. Ohne Zweifel geht daraus hervor, dass die gegebenen Grundsätze sich für diejenigen geziemen, welche in das Reich eingegangen sind; jedoch ist diese Rede inmitten von Israel 3 gehalten worden, bevor das Reich errichtet war, und um den Zustand zu bezeichnen, der zum Eintritt ins Reich verlangt wurde, sowie um die Fundamental-Grundsätze desselben, in Verbindung mit diesem Volk und im Gegensatz zu den Vorstellungen, die Israel sich darüber gebildet hatte, ans Licht zu stellen.
Bei Betrachtung der Seligpreisungen finden wir, dass dieser Teil im Allgemeinen den Charakter Christi selbst darstellt. Sie setzen zwei Dinge voraus: die zukünftige Besitznahme des Landes Israel seitens der Sanftmütigen und die Verfolgung des treuen Überrestes, der, wirklich gerecht in seinen Wegen, die Rechte des wahren Königs behauptet, während ihm als Hoffnung und zur Aufrechthaltung des Herzens der Himmel vor Augen gestellt wird 4. Dies wird die Stellung des Überrestes in den letzten Tagen vor der Einführung des Reiches sein; und es war in sittlichem Sinn der Fall in den Tagen der Jünger des Herrn in ihrem Verhältnis zu Israel, indem der irdische Teil des Reiches einstweilen hinausgezögert war. Was den Himmel betrifft, so werden die Jünger als Zeugen in Israel betrachtet; aber als das Salz der Erde, als das einzige Erhaltungsmittel derselben sind sie der Welt ein Zeugnis. Sie werden also als mit Israel in Verbindung stehend betrachtet, zu gleicher Zeit aber auch als Zeugen von Seiten Gottes der Welt gegenüber, indem das Reich in Aussicht gestellt, aber noch nicht errichtet ist. Die Verbindung mit den letzten Tagen ist augenscheinlich; dessen ungeachtet hatte das Zeugnis der Jünger in jenen Tagen sittlich den soeben besprochenen Charakter. Nur ist die Aufrichtung des irdischen Reiches einstweilen aufgeschoben und die Kirche, die himmlisch ist, eingeführt. In Kap. 5,25 finden wir eine deutliche Anspielung auf die Stellung Israels in den Tagen Christi: Israel bleibt in der Tat im Gefängnis verwahrt, bis es seine volle Strafe erhalten hat, dann wird es herauskommen.
Der Herr, angeregt und geleitet durch den Heiligen Geist, spricht und handelt stets als der gehorsame Mensch; aber man sieht in diesem Evangelium auf die schlagendste Weise, wer es ist, der also handelt, und gerade dies ist es, was dem Reich der Himmel seinen wahren, sittlichen Charakter verleiht.
Johannes der Täufer mochte das Reich als einen Wechsel der Haushaltung ankündigen; aber sein Dienst war irdisch. Christus mochte ebenfalls denselben Wechsel ankündigen (und dieser Wechsel war von großer Wichtigkeit), allein in Ihm gab es mehr als das. Er war vom Himmel, der Herr, der vom Himmel kam; und indem Er von dem Reich der Himmel redete, sprach Er aus der tiefen und göttlichen Fülle seines Herzens. Niemand war im Himmel gewesen außer Ihm, der von dort herabgekommen war, dem Sohn des Menschen, der im Himmel war. Wenn also Jesus vom Himmel sprach, so redete Er von dem, was Er wusste, und zeugte von dem, was Er gesehen hatte, und dies war, wie uns im Evangelium Matthäus gezeigt wird, auf zweierlei Art der Fall. Es war nicht mehr eine irdische Regierung nach dem Gesetz des HERRN, der Heiland, Emmanuel, war da. Hätte Er in seinem Charakter, in der Gesinnung, in dem Wesn seines ganzen Lebens anders als himmlisch sein können? Mehr noch! Als Er seinen öffentlichen Dienst antrat und von dem Heiligen Geist versiegelt wurde, öffnete sich Ihm der Himmel; Er wurde als ein vom Heiligen Geist auf Erden versiegelter Mensch mit dem Himmel einsgemacht. So war Er der fortwährende Ausdruck des Geistes oder der Wirklichkeit des Himmels. Es war noch nicht die Ausübung der richterlichen Macht, die diesen Charakter allem gegenüber geltend machen wird, was sich ihr widersetzt. Es war die Offenbarung dieses Charakters in Geduld, ungeachtet des Widerstandes seiner ganzen Umgebung und der Unfähigkeit seiner Jünger, Ihn zu verstehen.
Wir finden daher in der Bergpredigt die Beschreibung dessen, was dem Reich der Himmel angemessen war, und selbst die Zusicherung einer Belohnung im Himmel für die, welche auf Erden um Seinetwillen leiden würden. Diese Beschreibung ist, wie wir gesehen haben, wesentlich diejenige des Charakters Christi selbst. In solcher Weise drückt sich eine himmlische Gesinnung auf Erden aus. Wenn der Herr diese Dinge lehrte, so geschah es, weil Er sie liebte, weil Er sie war und an ihnen seine Freude fand. Als der Gott des Himmels, der als Mensch mit dem Heiligen Geist ohne Maß erfüllt war, stand sein Herz in vollkommenem Einklang mit einem Himmel, den Er vollkommen kannte. Deshalb schließt der Herr die Beschreibung des Charakters, den seine Jünger tragen sollten, mit den Worten: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Kap. 5,48). Ihr ganzes Betragen sollte in Beziehung stehen zu ihrem Vater in den Himmeln.
Je mehr wir die göttliche Herrlichkeit Jesu verstehen, je mehr wir verstehen, in welcher Weise Er als Mensch in Verbindung mit dem Himmel war, desto besser werden wir zu erfassen vermögen, was das Reich der Himmel für Ihn war im Blick auf das, was demselben entsprach. Wenn es später in Macht errichtet sein wird, dann wird die Welt nach diesen Grundsätzen regiert werden, wiewohl sie eigentlich nicht deren eigene Grundsätze sind. Indes wird, wie ich nicht bezweifle, der Überrest in den letzten Tagen, weil er alles um sich her mit der Treue im Widerspruch findet und jede jüdische Hoffnung vor seinen Augen schwinden sieht, gezwungen sein, aufwärts zu schauen, und wird mehr und mehr diesen Charakter erlangen, der, wenn nicht himmlisch, so doch wenigstens sehr viel mit Christus übereinstimmend ist 5.
Es gibt zwei Dinge, die mit der Anwesenheit der Volksmenge (V. 1) in Verbindung stehen. Zunächst erforderte der Augenblick, dass der Herr einen wahren Begriff von dem Charaktr seines Reiches gab, weil Er jetzt schon die Menge anzog. Da seine Macht sich fühlbar machte, war es wichtig, seinen Charakter bekannt zu machen. Anderseits war die Menge, die Jesus folgte, ein Fallstrick für die Jünger. Er lässt sie daher den völligen Gegensatz verstehen, der zwischen dem Einfluss, den die Volksmenge auf sie ausüben konnte, und dem wahren Geist bestand, der sie leiten sollte. Selbst voll des wahrhaft Guten, brachte Er unmittelbar das hervor, was sein eigenes Herz erfüllte. Das war der wahre Charakter des Überrestes, der hierin im Grund Christus ähnlich war. Es ist häufig so in den Psalmen.
Der Herr sagt zu den Seinigen: „Ihr seid das Salz der Erde“; und: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Kap. 5,13+14). Das Salz der Erde ist etwas anderes als das Licht der Welt. Die Erde scheint mir hier das auszudrücken, was bekannte, schon Licht von Gott empfangen zu haben – das, was kraft dieses Lichtes in Beziehung zu Ihm stand und vor Ihm eine bestimmte Gestalt angenommen hatte. Die Jünger Christi waren das erhaltende Element der Erde; aber sie waren auch das Licht der Welt, die dieses Licht nicht besaß. Das war ihre Stellung, ob sie wollten oder nicht. Es war die Absicht Gottes, dass sie das Lieht der Welt sein sollten; und man zündet nicht ein Licht an, um es zu verbergen.
Alles das setzt die Möglichkeit der Aufrichtung des Reiches in dieser Welt voraus, aber auch den Widerspruch der Mehrzahl der Menschen gegen diese Aufrichtung. Es handelt sich nicht um die Erlösung des Sünders, sondern um die Verwirklichung des Charakters, der einem Platz im Reich Gottes angemessen war; um das, was der Sünder suchen sollte, solange er sich noch mit seiner Gegenpartei auf dem Weg befand, damit er nicht dem Richter überliefert würde. Dies letztere ist tatsächlich mit Israel geschehen.
Zugleich werden die Jünger persönlich in Verbindung mit dem Vater gebracht – der zweite Hauptgrundsatz der Bergpredigt, die Folge der Anwesenheit des Sohnes – und noch etwas Köstlicheres, als ihre Stellung des Zeugnisses für das Reich, wird ihnen vorgestellt. Gleich ihrem Vater sollten sie in Gnade handeln, und sie sollten beten um eine Ordnung der Dinge, in der in sittlichem Sinn alles dem Charakter und Willen ihres Vaters entsprechen würde. „Geheiligt werde dein Name; dein Reich 6 komme“, d. h. alles möge dem Charakter des Vaters entsprechen, alles die Wirkung seiner Macht sein. „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden“; das ist vollkommener Gehorsam (Kap. 6,9+10). Eine allgemeine Unterwerfung im Himmel und auf Erden unter Gott wird durch die Dazwischenkunft Christi im 1000-jährigen Reiche bis zu einem gewissen Punkt herbeigeführt werden; vollkommen wird sie da sein, wenn Gott alles in allem ist. Inzwischen drückt das Gebet die tägliche Abhängigkeit aus, das Bedürfnis der Vergebung, das Bedürfnis, vor der Macht des Feindes bewahrt zu werden, den Wunsch, nicht von ihm, als Gottes Schickung (wie Hiob und Petrus) gesichtet, sondern von dem Bösen errettet zu werden.
Dieses Gebet ist auch der Stellung des Überrestes angepasst; es übergeht die Haushaltung des Geistes und selbst dasjenige, was dem 1000-jährigen Reiche als einem irdischen Reich eigentümlich ist, um die richtigen Wünsche auszudrücken und von dem Zustand und den Gefahren des Überrestes bis zur Ankunft des Reiches des Vaters zu sprechen. Viele der in diesem Gebet enthaltenen Grundsätze sind immer wahr, denn wir befinden uns in dem Reich und sollen im Geist seine Charakterzüge offenbaren; allein die besondere und buchstäbliche Anwendung ist die eben angegebene. Die Jünger werden mit dem Vater in Verbindung gebracht in der Verwirklichung seines Charakters, der sich kraft dieser Verbindung in ihnen entfalten und sie veranlassen sollte, die Aufrichtung seines Reiches herbeizuwünschen, die Schwierigkeiten einer feindlichen Welt zu überwinden, vor den Ränken des Feindes sich zu hüten und den Willen des Vaters zu vollbringen. Es war Jesus, der ihnen dieses mitteilen konnte. Er geht deshalb von dem Gesetz 7, das als von Gott gekommen anerkannt wird, zur Erfüllung desselben über, wenn es sozusagen in dem Willen Dessen, der es gegeben hat, aufgegangen oder in seinen Absichten durch Den erfüllt sein wird, Der es allein und in jeglichem Sinn zu erfüllen vermochte.
Fußnoten
- 1 Der ganze Dienst des Herrn wird hier in einem einzigen Vers erzählt (Kap. 4,23). Alle nachfolgenden Berichte enthalten Tatsachen, die eine besondere sittliche Bedeutung haben und uns zeigen, was in Gnade unter dem Volk bis zur Verwerfung des Herrn vorging, bilden aber nicht eine eigentliche fortlaufende Geschichte. Das bezeichnet sehr deutlich den Charakter des Evangeliums Matthäus.
- 2 Es ist indes wichtig zu bemerken, dass wir hier keine allgemeine Vergeistlichung des Gesetzes haben, wie oft behauptet wird. Es werden vielmehr die beiden Hauptgrundsätze der Sittenlosigkeit unter den Menschen (Gewalttat und böse Lust) behandelt, welche freiwilligen Eidschwüre hinzugefügt sind. Die Forderungen des Gesetzes in Bezug hierauf und das, was Christus fordert, werden einander gegenübergestellt.
- 3 Wir müssen uns hierbei stets vergegenwärtigen, dass, obwohl Israel, was die Verwaltung der Zeiten betrifft, als Mittelpunkt der Regierung Gottes in dieser Welt von großer Wichtigkeit ist, es doch in sittlicher Beziehung gerade den Menschen darstellt, mit welchem die Wege und Handlungen Gottes ausgeführt worden waren, um zu zeigen, was der Mensch ist. Die Nationen oder Heiden stellten den Menschen dar, der (was die besonderen Wege Gottes betrifft) sich selbst überlassen und deshalb ungeoffenbart blieb. Christus war ein Licht zur Offenbarung der Nationen.
- 4 Die seliggepriesenen Charakterzüge mögen hier kurz hervorgehoben werden; sie setzen das Böse in der Welt und unter dem Volk Gottes voraus. Der erste besteht darin, dass man nicht etwas Großes für sich selbst sucht, sondern sich mit einem verachteten Platz in einer Welt, die Gott entgegen ist, begnügt. Solche Personen kennzeichnet daher Trauer und Sanftmut, ein Wille, der sich nicht gegen Gott auflehnt oder seinen Platz und sein Recht zu behaupten sucht. Dann folgt das Herbeisehnen des wirklich Guten, denn es ist noch nicht vorhanden: daher bestehen der innere Zustand und die Tätigkeit des Herzens im Hungern und Dürsten danach. Dann haben wir Gnade anderen gegenüber; dann Reinheit des Herzens, die Abwesenheit von allem, wodurch Gott ausgeschlossen werden würde; und, was stets damit verbunden ist, Friedfertigkeit und Friedenstiften. Ich glaube, dass in diesen Versen ein innerer Fortschritt liegt, indem jeder die aus dem vorhergehenden sich ergebende Folge ist. Der Inhalt der beiden letzten Seligpreisungen ist die Folge der Bewahrung eines guten Gewissens und der Verbindung mit Christus in einer Welt des Bösen. Wir finden hier, wie im 1. Briefe Petri, zwei Arten von Leiden: Leiden um der Gerechtigkeit und Leiden um Christi willen.
- 5 Diejenigen, welche getötet werden, werden in den Himmel gehen, wie es Matthäus (Kap. 5,12) und Johannes in der Offenbarung bezeugen; die anderen, die Christus, als einem leidenden Juden, in der oben angedeuteten Weise gleichgemacht werden sollen, werden mit Ihm auf dem Berg Zion stehen; sie werden das Lied lernen, das im Himmel gesungen wird, und dem Lamm folgen, wohin irgend es (auf der Erde) geht. Wir mögen hier auch noch beachten, dass in den Seligpreisungen den Sanftmütigen der Besitz der Erde verheißen wird (Kap. 5,5); diese Verheißung wird in den letzten Tagen buchstäblich in Erfüllung gehen. In Kap. 5,12 wird denen, die um Christi willen leiden, eine Belohnung in den Himmeln zugesagt, eine Zusage, die jetzt uns und in gewissem Sinn auch denen gilt, die in den letzten Tagen um Seinetwillen den Tod finden und, obwohl sie dem jüdischen Überrest und nicht der Versammlung angehören, ihren Platz droben haben werden. Denselben Personen begegnen wir auch in Dan 7,25; nur ist dort zu beachten, dass nicht die Heiligen, sondern die Zeiten und Gesetze in die Hände des Tieres gegeben sein werden.
- 6 d. h. das Reich des Vaters (vgl. Mt 13,43).
- 7 Das Gesetz ist die vollkommene Richtschnur für ein Kind Adams, die Richtschnur oder der Maßstab dessen, was der Mensch sein sollte, nicht aber der Offenbarung Gottes in Gnade. Das war Christus, Der hierin unser Muster ist. Das Gesetz ist eine gerechte Aufforderung, Gott zu lieben und in Erfüllung der Pflichten gegen andere zu wandeln, nicht aber ein Nachahmen Gottes, indem man in Liebe wandelt, „gleichwie der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat“.