Betrachtung über den Propheten Jeremia (Synopsis)
Kapitel 26-29
Diese Reihe von Einzelheiten beginnt mit einer Weissagung aus dem Anfang der Regierung Jojakims. Dem Volke, das sich bereits der Sünde ergeben hat, wird vorgehalten, daß es im Falle der Buße dem Gericht entrinnen würde. Wir haben stets gesehen, daß die Weissagungen Jeremias diesen Charakter tragen; es ist, als ob Gott sagte: „Heute, wenn ihr meine Stimme höret.“ Die Umstände machten diese Berufung an das Gewissen des Volkes nur noch dringender; denn wenn Israel nicht Buße tat, so sollte das Haus Jehovas in der Tat wie Silo werden. Wir finden hier das, was Gott dem Propheten warnend vorhergesagt hatte. Man streitet mit ihm, aber wie Jehova verheißen hatte, erlangen seine Widersacher keinen Vorteil über ihn. Es ist, wie wir sehen, die kirchliche Partei, die das Volk gegen das Zeugnis erregt, welches Gott durch den Mund des Propheten an dasselbe richten läßt; aber Gott wendet das Herz der Fürsten und des Volkes ihm zu. Es gab auch noch einige, die auf die Wege Jehovas achteten. Ihre Einsicht ging nicht weit, aber doch weit genug, um die Befreiung zu erlangen; sie fürchteten Gott. Es ist beachtenswert hier, daß das Gewissen das Wort Gottes in Seiner unmittelbaren Anwendung erfaßte. Es konnte zwar kein Zweifel darüber bestehen, daß das Böse immer mehr zunehmen und daß, wenn es reif wäre, das Gericht vollzogen werden würde (denn Gott schlägt nicht eher, bis die Ungerechtigkeit ihren Höhepunkt erreicht hat), und dann würde die Weissagung in Erfüllung gehen. Aber unter dem Einfluß des Wortes achtet das Gewissen auf die Grundsätze, welche von demselben gerichtet werden, selbst wenn noch nicht alles zum Gericht reif ist und infolgedessen das Gericht noch nicht zur Ausführung gelangt (V. 18. 19).
Die Kapitel 27 und 28 gehören zusammen. Ihr Hauptgegenstand ist die Unterwerfung unter das Haupt der Nationen, die Gott von den Juden verlangt. Doch ehe wir näher darauf eingehen, möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Sorgfalt lenken, mit der Gott Sein Volk bei jedem neuen Abschnitt warnt. Wir werden uns erinnern, daß Zedekia dieses Gericht dadurch herbeiführte, daß er sich gegen den König von Babel empörte. Zu Anfang seiner Regierung sandte der Herr Sein Wort durch Jeremia, um alle Könige ringsumher, wie auch Zedekia, zu warnen und zur Unterwerfung aufzufordern. Unterwarfen sie sich, so sollten sie in ihrem Lande in Frieden wohnen; wenn nicht, so sollten sie hinausgetrieben werden und umkommen.
Werfen wir jetzt einen Blick auf den Platz, welchen Gott, als Schöpfer der Erde, des Menschen und der Tiere, dem König von Babel gibt. Gott hat die Nationen und selbst die Tiere des Feldes für eine bestimmte Zeit in die Hand Nebukadnezars gegeben. Er errichtet die Macht, die bestimmt war, über alles zu herrschen und den Mittelpunkt von allem zu bilden; die Nation daher, die sich dieser Macht nicht unterwerfen wollte, befand sich in Empörung gegen Ihn Selbst und sollte deshalb aufgerieben werden. Vergleiche Daniel 2, 38, wo noch die Vögel des Himmels hinzugefügt und Nebukadnezars Herrschaft unterworfen werden. So wurde alles auf Erden diesem König der Erde, dem kaiserlichen Haupte, das aus den Nationen genommen war, dienstbar gemacht. Es war eine Regierung, die von Gott Selbst eingesetzt war, der Jerusalem verlassen hatte und es nicht länger beschützen wollte, es sei denn, daß es sich dieser Regierung unterwarf. Es scheint, als ob die Könige der umliegenden Länder eine Verschwörung mit Zedekia geplant hätten, um das Joch des Königs von Babel abzuschütteln, und daß die Sendung ihrer Boten die Gelegenheit bot, jene Weissagung zu geben, durch die Gott Seinem Willen Ausdruck gab, daß alle sich diesem Joch unterwerfen sollten, weil Er Selbst es ihnen auferlegt hatte. Diese Tatsache, daß Gott die Macht in dieser Weit einem Menschen anvertraut hat, ist sehr bemerkenswert. In dem Falle Israels war der Mensch aufgrund des Gehorsams gegen Gott geprüft worden und war nicht fähig gewesen, in den Besitz des Segens zu gelangen, der die Folge jenes Gehorsams hätte sein sollen. Jetzt gibt Gott diese unmittelbare Regierung der Welt auf (obwohl Er stets der unumschränkte Herr über alles bleibt) und, indem Er Israel beiseite setzt, das Er aus den Völkern erwählt hatte, indem Er die letzteren um das auserwählte Volk und Seinen eigenen Thron in Israel ordnete, unterwirft Er nunmehr die Welt einem einzigen Haupte, vertraut dem Menschen die Macht an und stellt ihn dadurch auf eine neue Probe, um zu erforschen, ob er den Gott anerkennen will, der ihm die Macht verliehen hat, und ob er diejenigen glücklich machen wird, die ihm unterworfen sind, wenn er in dieser Welt tun kann was er will.
Ich gehe hier nicht in die Einzelheiten der Geschichte dieser Probe ein: sie gehören dem Buche Daniel an. Wir wissen, daß der Mensch die Probe nicht bestanden hat. Gefühllos und vermessen, verheerte er die Welt und unterdrückte das Volk Gottes, trat Sein Heiligtum mit Füßen und bereitete sich selbst ein Gericht, das um so schrecklicher sein wird, weil Satan ihn zum Widerstand gegen dasselbe verleiten und ihm in seiner Empörung beistehen wird. Nebukadnezar allein entspricht schon in allen Punkten dem eben Gesagten. Er ist das Haupt von Gold. Gott hatte ihm unmittelbar die Regierung der Welt anvertraut. Kores hatte für seine eigene Person eine besondere und in mancher Hinsicht ehrenvollere Stellung; aber als Reich betrachtet traten die Perser nur an die Stelle eines bereits bestehenden Reiches, und sowohl die Quellen als auch der Charakter der Macht verschlechterten sich mehr und mehr, je weiter die Zeit zurücklag, in weicher der Mensch diese Gabe von Gott empfangen hatte.
Falsche Propheten sowohl als falsche Lehrer widerstehen der Wahrheit gerade in dem Punkte, in welchem Gott Sein Volk auf die Probe stellt. Sie können sich aller anderen Teile der Wahrheit bedienen, um zu betrügen, und mögen scheinbar im Glauben an dieselben zunehmen. Es ist offenbar, daß das Geheimnis des Herrn nie für sie ist. Aber wie auch immer der Anschein sein mag, sie halten Gott weder auf, noch bringen sie Ihn von dem Wege ab, den Er einschlägt. Doch ist die Stellung des wahren Propheten eine schmerzliche. Es mag scheinen, als ob er für den Augenblick zum Schweigen gebracht wäre, denn die Herzen des Volkes sind von der ihm zusagenden Lüge eingenommen. Jeremia mußte weggehen. Dessenungeachtet tritt Gott oft in dem Kampfe zwischen Irrtum und Wahrheit mit einem schlagenden Zeugnis ins Mittel. So war es auch hier. Wenn der Prophet den ihm gewordenen Auftrag in bezug auf die Regierung der Welt und den Wandel des Volkes ausrichtet, so ist das immer ein Zeugnis für das Gericht, welches der Untreue droht.
Andererseits tröstet der Prophet in Kapitel 29 diejenigen, die infolge des Gerichtes Gottes dem Joch unterworfen waren, das Er ihnen auferlegt hatte. Die Juden in Babel sollten in Frieden wohnen, indem sie ruhig die Wohlfahrt der Stadt suchten, in welcher sie sich als Gefangene befanden. Die Zeit der Befreiung sollte kommen. Der Geist der Empörung sollte bestraft werden. Endlich, nachdem Er auf der Unterwerfung des Volkes unter das Gericht bestanden hat, offenbart Gott Seine eigenen Gedanken der Gnade. Jene Unterwerfung war um Israels Sünde willen notwendig, denn Gott muß stets Seinen Charakter aufrecht halten und kann Sich nicht mit den Wegen eines aufrührerischen Volkes einsmachen. Aber Er muß Sich auch notwendigerweise offenbaren, wie Er in Seiner Gnade ist. Die Ausführung des Gerichts und Israels zerrütteter Zustand ließen die Wahrheit und Schönheit der Gnade Gottes in desto hellerem Lichte erscheinen.