Betrachtung über den Propheten Jeremia (Synopsis)

Kapitel 10-14

Betrachtung über den Propheten Jeremia (Synopsis)

Im 10. Kapitel werden die Götzen und Nichtigkeiten der Nationen Jehova gegenübergestellt. In den Versen 19 - 25 finden wir die Trübsal des Propheten, der von der Verwüstung Jerusalems spricht, als ob er selbst die verwüstete Stadt wäre, und zu Gott betet, daß Seine Handlungen nur Züchtigung, nicht Vertilgung sein möchten. Der Leser wird wohl tun, zu beachten, daß die Wiederholung der eindringlichen Ermahnungen Gottes an Israel (obgleich diese Ermahnungen, die mannigfaltiger Art sind, nur weniger Bemerkungen betreffs ihres Verständnisses bedürfen) der rührendste Beweis der Güte Gottes ist, der immer wieder Seinen Mahnruf an ein widerspenstiges und verstocktes Volk erschallen läßt, „frühe sich aufmachend“, wie Er es ausdrückt, „um ihnen ernstlich zu bezeugen“.

Das 11. Kapitel erfordert einige Bemerkungen. Gott wendet Sich wieder an Israel aufgrund ihrer Verantwortlichkeit, indem Er sie an die Aufforderung zum Gehorsam erinnert, die stets seit ihrem Auszug aus Ägypten an sie gerichtet worden war. Gott stand im Begriff, das Unglück, welches Er ihnen angedroht hatte, über sie zu bringen. Jeremia soll nicht Fürbitte für sie einlegen. Nichtsdestoweniger nennt Gott Israel noch Seinen „Geliebten“. Allein was hatte es in Seinem Hause zu schaffen, da es doch völlig verdorben war? Was es auch für Ihn gewesen sein mochte, jetzt brach das Gericht herein. Am Ende des Kapitels nimmt Jeremia den Platz des treuen Überrestes ein, der das Zeugnis Gottes hat. Seine Stellung erinnert uns beständig an die Psalmen. Wir sehen die Wirksamkeit des Geistes Christi oft deutlich zutage treten, wenn auch zuweilen, wie es mir scheint, in Ausdrücken, die mehr mit der persönlichen Stellung Jeremias vermischt, und daher weniger tief und weniger den Gefühlen Christi verwandt sind, obwohl sie dem Grundsatz nach die gleichen sind wie in den Psalmen. Jeremia war seiner Treue und seines Zeugnisses wegen den Anschlägen der Bösen ausgesetzt. Jehova offenbarte ihm diese, und im Einklang mit der Gerechtigkeit, die den Überrest kennzeichnet, verlangt er nach der Rache Gottes 1. Diese wird für den Überrest das Mittel zur Befreiung sein. Der Prophet kündigt das Gericht dieser bösen Männer durch das Wort Jehovas an. In Psalm 83 finden sich dieselben Grundsätze, auch dieselbe Bosheit in den Feinden Gottes; nur sind dort diese Feinde Heiden, und der Gesichtskreis ist weiter: Israel und die Erkenntnis Jehovas sind die Gegenstände des Gebets in jenem Psalm. Vergleiche auch Jer 9 und Psalm 65. Hier findet sich mehr Fürbitte von seiten Jeremias, der Psalm redet von Gericht. Vergleiche auch Psalm 69, 6. 7 und Jeremia 15, 15. Da die Worte des Psalmes aus dem Munde Christi Selbst kommen, so betrifft die Bitte andere und ist unendlich ergreifender. Der Vergleich dieser Stellen wird dem Leser behilflich sein, die Beziehung zwischen der Stellung Jeremias und derjenigen des Überrestes, wie sie in dem Psalm hervortritt, zu verstehen.

Wir können auch Psalm 73 mit dem Anfang des 12. Kapitels vergleichen. Das letztere enthält die Fortsetzung der in dem vorhergehenden Kapitel enthaltenen Weissagung. Jeremia redet mit Gott über Seine Urteile, aber in einer demütigen und unterwürfigen Weise, die Gott dadurch anerkennt, daß Er ihn - eine schmerzliche Notwendigkeit - die Bosheit des Volkes noch tiefer empfinden läßt. Zugleich hält Er den Glauben des Propheten durch die persönliche Teilnahme aufrecht, die Er für ihn an den Tag legt. Gott läßt ihn verstehen, daß Er Sein Erbteil verlassen habe, man brauchte sich deshalb nicht länger über den Stand der Dinge zu wundern. Gleichzeitig offenbart Er Seine Segensabsichten für Sein Volk und selbst für die Nationen, unter welche es zerstreut werden sollte 2, vorausgesetzt, daß diese Nationen die Wege Jehovas lernen.

Das 13. Kapitel erinnert wieder daran, wie Gott Israel in Sein Herz geschlossen hatte, kündigt das schreckliche Gericht an und ruft es aufgrund dieses Gerichts zur Buße. Es läßt ihre hoffnungslose Verderbtheit erkennen sowie den ungeheuchelten Kummer des Propheten über ihre Hartnäckigkeit (vgl. Lk 19, 41). Dieser Eifer für Jehovas Ehre wider das Böse und wider das Volk, welches Ihn verunehrte, sowie eine innige Zuneigung zu demselben als dem Volke Jehovas ist überall ein deutliches Kennzeichen der Wirksamkeit des Geistes Christi. Vergleiche Mose (2.Mo 32, 27. 28. 31 und weiterhin); ebenso Paulus (Röm 10; 1.Thes 2, 15. 16), nur wird hier unter der Gnade kein Ruf nach Gericht laut; ja sogar Christus Selbst (vergl. Mt 23, 31-37).

Das 14. Kapitel nimmt auf eine Hungersnot Bezug, die im Lande eingetreten war. Die Verwüstung Jerusalems durch Schwert und Hunger wird wiederum ausgesprochen. Doch beachte man hier die rührende Fürbitte in Vers 7 - 9, und weiter in Vers 17 - 22 die tiefe Trübsal des Geistes Christi, die sich im Munde des Propheten kundgeben. Denn „in all ihrer Bedrängnis war er bedrängt“. Zugleich finden wir hier noch ein weiteres Merkmal ihres Zustandes, worauf der Apostel Petrus und der Herr Selbst im Blick auf die letzten Tage hinweisen - nämlich falsche Propheten.

Fußnoten

  • 1 Den Heiligen kennzeichnet ebensowohl Gerechtigkeit wie Liebe, und jene ist an ihrem Platze, wenn Widersacher gegen diese Liebe und gegen die Segnung des geliebten Volkes vorhanden sind. Es ist hier der Geist der Weissagung und nicht das Evangelium, ohne Zweifel weil die Weissagung mit der Regierung Gottes in Verbindung steht, nicht aber mit Seinen gegenwärtigen Handlungen in unumschränkter Gnade. Deshalb rufen die Heiligen in der Offenbarung nach Rache.
  • 2 Wir sehen zu gleicher Zeit die unwandelbare Liebe Gottes zu Seinem Volke und das Band Seiner Treue, das nicht zerrissen werden kann. Er nennt die Nationen, welche das Erbteil, das Er Seinem Volk gegeben hatte, umwohnen, Seine Nachbarn. Auch sehen wir die Beiseitesetzung des ganzen Völkersystems, zu dessen Mittelpunkt Er Israel gemacht hatte, und das zusammenstürzt, sobald Israel, der Schlußstein des Bogens, weggenommen wird (V. 14). Später sollen diese Nationen, so gut wie Israel, wieder in ihre Stelle eingesetzt und gesegnet worden, wenn sie anders den Gott Israels anerkennen. Christus, der Herr, wird in Seiner Person zwei Dinge wieder vereinigen: die allgemeine Oberherrschaft des Menschen und die Vereinigung von Nationen um Israel als ihren Mittelpunkt. Er wird der Eine Mensch sein, dem alle Herrschaft übergeben ist; und Israel sowohl, wie die verschiedenen Nationen mit ihren Königen, werden wieder, eine jede in ihr eigenes Land und ihr eigenes Erbteil (wie vor der Zeit Nebukadnezars), eingesetzt werden, mit Ausnahme von Edom, Damaskus, Hazor und Babylon selbst; d. h. mit Ausnahme derjenigen Nationen, welche Israels Gebiet innehaben, und Babels, das alle anderen verschlungen und ihren Platz eingenommen hatte und daher durch das Gericht Gottes verschwinden muß, um jenen ihren Platz wiederzugeben (vgl. Kapitel 46 und die folgenden Kapitel).
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