Betrachtung über Offenbarung (Synopsis)
Kapitel 19
Der zweite Vers dieses Kapitels zeigt uns deutlich unter welchem Gesichtspunkt Babylon gerichtet wird: sie ist die große Hure, welche die Erde verderbte, und Gott rächt das Blut Seiner Knechte an ihrer Hand. Dieses Gericht über Rom ruft die große Freude des Himmels wach. Halleluja und Heil wird gesungen. Die Ältesten und die vier lebendigen Wesen fallen nieder und beten an, und die Stimme der Volksmenge verkündigt laut, dass nun, nach Beseitigung des falschen Weibes, die Hochzeit des Lammes gekommen sei. Bis dahin war die Versammlung wohl verlobt, aber noch nicht in der himmlischen Hochzeit des Lammes tatsächlich als Sein Weib mit Ihm verbunden. Indessen konnte kein bedeutsameres Ereignis eintreten, als ein an Rom vollzogenes Gericht. Ohne Zweifel musste das Tier vernichtet werden. Aber wenn Gott der Macht einmal freien Spielraum ließ, so war das bald geschehen. Hier jedoch wird die alte Verderberin und Verfolgerin für immer beseitigt. Der Himmel ist deshalb voller Freude. In dem ganzen Buche der Offenbarung findet sich keine Freudenäußerung, die dieser hier gleichkäme.
Der noch übrige Teil des Buches ist einfach und klar genug, denn das Geheimnis Gottes ist vollendet. Ich für meine Person lege keinen Wert auf den Unterschied, den man macht zwischen dem Weibe des Lammes und denen, die geladen sind, um an den Freuden jenes Tages teilzunehmen. Man betrachtet letztere vielfach als eine besondere Klasse von Gläubigen. Aber nach meiner Meinung sind die Gäste, von denen hier die Rede ist, geradeso wie in dem Gleichnis von der Hochzeit des Sohnes des Königs, einfach die, welche an der Hochzeitsfreude teilnehmen werden.
Indessen ist es nötig, noch auf verschiedene Punkte hinzuweisen: Gott ist in Macht eingeschritten, um Seine Herrschaft aufzurichten. Der wahre, obwohl noch nicht offenbare Sitz der Macht des Bösen ist gerichtet und vertilgt worden. Zwei Charaktere des Bösen - Falschheit, oder mit Trug umgehende Verderbtheit, und Gewalttat haben bestanden, seitdem Satan seine Laufbahn betrat; falsch in sich selbst, war er im Blick auf andere ein Mörder. Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit schloss beides in sich, wiewohl Babylon stets die letzte Eigenschaft zu verdecken suchte und andere zur Ausführung ihrer mörderischen Pläne benutzte. Sie wurde durch Verderbtheit und das, was falsch ist, gekennzeichnet, während unmittelbare Gewalttat von dem Tiere ausging. Die Vernichtung des Tieres wird ohne Zweifel die Erde von Unterdrückung befreien; aber für den Himmel und für alle, die himmlisch gesinnt sind, erweckt die Vertilgung jener Christum verunehrenden, Seelen knechtenden und Seelen erniedrigenden Verderbtheit laute Freude und Fröhlichkeit und ist das Zeugnis davon, dass göttliche Macht eingeschritten ist. Diese Macht hat die böseste Sache, die es je gegeben hat, beseitigt: ein Übel, welches das, was Gott angehörte, verdarb, indem er, vorgab, das zu sein, was Christus für Sich erkauft hat, jener eine kostbare Gegenstand Seiner besonderen Liebe. Und nun ertönt das Lied. „Halleluja! denn der Herr, unser Gott, der Allmächtige, hat die Herrschaft angetreten“.
Dies muss der Einführung dessen Bahn machen, was wirklich Sein ist; die offenbare Macht Seines Christus muss eingeführt werden. Doch ehe das geschieht, muss die Versammlung den Platz einnehmen, der sie darin mit Ihm verbindet, den Platz, der ihr zukommt, sie muss Ihn Selbst besitzen: die Hochzeit des Lammes ist gekommen. Solange das böse Weib nicht beseitigt war, konnte die Hochzeit nicht stattfinden. Das ist der Charakter der himmlischen Freude sowie der Erlösung, durch welche wir in dieselbe eingeführt sind. Der Mensch war auf Erden zuerst gut, dann gab er der Versuchung nach und fiel. Die Erlösung setzt zuerst das Böse, ja selbst Sündenknechtschaft voraus, dann aber bringt sie die Befreiung von dem Bösen und führt uns gänzlich aus dem Bereich desselben heraus, indem Gott Seine Macht an Sich genommen hat. Die Versammlung wird Christo ohne Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen, glänzend und rein, so wie sie Ihm entspricht, dargestellt. Der Prophet fühlte sich angesichts all dieser Glückseligkeit getrieben, niederzufallen und den anzubeten, der sie ihm zeigte. Das, was er schaute, erfüllte sein Herz mit Gefühlen tiefer Verehrung, die sich unwillkürlich auf den himmlischen Boten richteten; und so fiel er zu dessen Füßen nieder, um ihn anzubeten, aber es wurde ihm untersagt. Der Engel war ein Mitknecht des Johannes sowie aller derer, welche das Zeugnis Jesu hatten; denn der Geist der Weissagung ist, wie wir hören, das Zeugnis Jesu. Die Warnung, nicht irgendwelche vermittelnde Wesen zwischen uns und Gott treten zu lassen und sie anzubeten, ist das letzte Zeugnis, welches an eine im Niedergang befindliche Versammlung gerichtet wurde, wie es auch, wenn man so sagen will, eines der ersten war, das an sie erging (vgl. den Brief an die Kolosser).
Wir kommen jetzt zu der großen Ankündigung des Erscheinens Christi in Macht. Der Himmel, der einst über Jesu und für Stephanus aufgetan wurde, öffnet sich jetzt, um Jesum als König der Könige und Herrn der Herren hervortreten zu lassen. Dem Glauben war Er als der Heilige und Wahrhaftige und als der treue und wahrhaftige Zeuge bekannt gewesen. „Treu und wahrhaftig“ wird Er auch hier genannt, jedoch nicht als Zeuge, sondern indem Er das Gericht zur Ausführung bringt; nur ist das Gericht selbst das Zeugnis von Seiner Treue und Wahrhaftigkeit. Die Charaktere, in denen Er hier gesehen wird, sind einfach und klar verständlich, jedoch von der höchsten Bedeutung. Zunächst erscheint Er, um ein allgemeines Gericht auszuführen, jedoch in Form eines Krieges; Er hält nicht, wie wir es nennen möchten, eine Gerichtssitzung ab, sondern offenbart Seine alles überwältigende Macht. Ein Gericht in dem letztgenannten Sinne findet sich in Kapitel 20 vom 4. Verse an. Seine Augen haben das Durchdringende, welches ein göttliches Gericht kennzeichnet. Er trägt viele Diademe, die von der Verschiedenartigkeit und der allgemeinen Ausdehnung Seiner Herrschaft Zeugnis ablegen. Wiewohl Er jedoch in dieser Weise als Mensch geoffenbart wird, besitzt Er doch eine Herrlichkeit, in die niemand, einzudringen vermag 1 (Er hat einen Namen geschrieben, den niemand kennt, als nur Er Selbst), - eine Herrlichkeit, deren Er Sich bewusst ist und über deren Macht Er verfügt, die jedoch nicht geoffenbart ist. Er ist der Rächer, Sein Gewand ist in Blut getaucht. Beachten wir hier, dass alle Charakterzüge, die von Ihm angeführt werden, Ihn in der Weise darstellen, wie Er Sich im Gericht offenbart. Er ist es, der Gott offenbar macht, Er ist das Wort Gottes; das ist Sein ewiger Charakter, das, was Er vor der Schöpfung war, und diesen Charakter bringt Er nun im Gericht zur Geltung.
Die Kriegsheere, die im Himmel sind, tragen nicht in Blut getauchte Gewänder. Sie triumphieren, sie folgen Ihm in Seinem Triumph, rein und vollkommen, als Seine Auserwählten, Berufenen und Treuen. Die Vollstreckung der Rache in Idumäa ist nicht ihre Sache, wiewohl sie an dem Siege Christi über das Tier teilhaben. Der Racheakt, der an Edom vollzogen wird, hat einen mehr irdischen Charakter und steht mehr mit Juda in Verbindung. Dort handelt es sich um den Assyrer (siehe Ps 83), nicht um das Tier. Das Tier und der falsche Prophet werden von dem Herrn vernichtet, wenn Er vom Himmel herabkommt. Er schlägt die Nationen mit dem Schwerte, das aus Seinem Munde hervorgeht, Er weidet sie mit einer eisernen Rute; daran haben die Heiligen mit Ihm teil (Off 2,26+27). Er tritt auch die Kelter des Weines des Grimmes Gottes 2. Das ist der Teil des Gerichts, der einen mehr irdischen Charakter trägt, wie Jesaja 63 dies zeigt. So legt Der, welcher auf der Wolke sitzt, Seine Sichel an die Erde. Es war ein Engel, der die Beeren in die Kelter warf, und die Kelter wurde getreten 3; hier wird nicht gesagt, dass es durch Einen geschah, der auf der Wolke saß. Das Gericht über das Tier und den falschen Propheten hat einen himmlischen Charakter - es wird durch das Wort Gottes, den Herrn, der vom Himmel kommt, ausgeführt. Die Kelter hat einen irdischen Charakter. Christus ist öffentlich, Seiner amtlichen Stellung und Seinem inneren Wesen nach, der König der Könige und der Herr der Herren. Das Tier und der falsche Prophet werden lebendig in den Feuersee geworfen: ein endgültiges Gericht, das sofort vollzogen wird; die übrigen werden in der Ausführung des Gerichts getötet, aber es wird nicht gesagt, dass das endgültige Gericht dieser Verführten hier schon stattfände.
Fußnoten
- 1 So war es auch im Blick auf Seine Person und Seinen Dienst. Niemand erkannte den Sohn, als nur der Vater. Das war das Geheimnis, auf welchem Seine Verwerfung beruhte. Er trug diesen Charakter und musste ihn notwendigerweise in der Welt tragen. Aber die Welt, die sich unter dem Einfluss Satans befand, konnte das nicht ertragen. In Seiner Erniedrigung wurde Seine göttliche Herrlichkeit in den unergründlichen Tiefen Seiner Person bewahrt und aufrecht gehalten. Jetzt wird Er in Herrlichkeit geoffenbart, aber es bleibt immer etwas übrig, was niemand erforschen und worin niemand eindringen kann: Seine eigene Person und Seine Natur. Sein geoffenbarter Name ist „das Wort Gottes“. Wir kennen Ihn als Den, der Gott in Gnade oder in Macht offenbart, damit man Gott kenne; aber Seine Person als Sohn bleibt immer unerforschlich. Sein Name ist geschrieben, so dass wir wissen, dass er nicht gekannt werden kann; nicht nur, dass er nicht gekannt ist, sondern dass er nicht gekannt werden kann. Aber er macht jetzt den Charakter, welchen Gott den Menschen gegenüber trägt, und die Forderungen, die Er an sie stellt, wahr; d. h. das, was die Menschen Gott gegenüber sein sollten, und was Gott ihnen gegenüber ist in dem natürlichen Verhältnis, in welchem sie zu Ihm stehen, wenn Er Sich im Blick auf ihre Verantwortlichkeit offenbart. Gericht kommt zur Anwendung, sowohl im Blick auf sie als auch auf uns.
- 2 Auch dies tut Er allein; nicht dass die Heiligen, gewissermaßen als Sein Gefolge, dabei sein mögen, aber die Ausführung des Gerichts geschieht durch Ihn. In Jesaja 63,3 wird nur gesagt, dass von den Völkern niemand bei Ihm war. Wenn das Gericht in Form einer Sitzung stattfindet, wird es den Heiligen gegeben.
- 3 Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Ernte ein unterscheidendes Gericht ist; bei ihr gibt es Weizen, der auf den Kornboden gehört. Bei der Kelter aber handelt es sich ausschließlich um die Ausführung einer gerechten Rache.