Betrachtung über das Evangelium nach Johannes

Kapitel 17

Betrachtung über das Evangelium nach Johannes

Nachdem der Herr die Herzen der Jünger durch die Bekanntmachung mit ihrer Stellung als Familie des Vaters getröstet und ihnen sozusagen einen Ersatz für Seine Abwesenheit von ihnen „nach dem Fleisch” und den zu erduldenden Hass seitens der Welt verheißen hat, führt Er im 17. Kapitel wiederum einen Seiner priesterlichen Dienste aus, wie Er es schon im 13. Kapitel getan hatte. Aber die beiden Dienste sind verschiedener Art, obwohl beide zusammen eine völlige Darstellung Seiner Wege als unser Sachwalter im himmlischen Heiligtum bilden. Im 13. Kapitel hatte Er gleichsam eine Hand auf die beschmutzten Füße Seiner Heiligen gelegt, während Er hier die andere auf den Thron des Vaters legt und so eine Kette wunderbarer Tätigkeiten bildet, die von Gott bis zu den Sündern reicht. Im 13. Kapitel hatte Er sich umgürtet und zu unseren Füßen herabgeneigt; hier sind Seine Augen erhoben, und Er blickt in das Antlitz des Vaters. Kann irgendetwas Dem, der diesen Abstand zwischen dem glänzenden Thron Gottes und unseren beschmutzten Füßen ausfüllt, verweigert werden? Ihm muss alles gewährt, Er muss allezeit erhört werden!

So kommen wir zu der Allgenugsamkeit und der Annehmlichkeit des Sachwalters, und wir wollen beachten, in welcher Reihenfolge Er Seine Bitten vor den Vater bringt.

Zuerst bittet Er für die Herrlichkeit des Vaters selbst. „Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche.” Sein erster Gedanke war das Interesse des Vaters, wie Er früher Seine Jünger gelehrt hatte, vor ihren eigenen Wünschen und Anliegen zu beten: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name.”

Ewiges Leben legt der Herr in die Hand des Vaters: „So wie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe.” Dadurch beugt sich unser Mittler unter die Wahrheit Gottes, die Satan einst verdreht und der Mensch angezweifelt hatte (1. Mo 3,4–5). Aber dann fügt Er hinzu: „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.” Damit bringt Er zum Ausdruck, dass es jetzt nur durch die Erlösung Leben gibt; das ist nicht das Leben eines natürlichen Geschöpfes, sondern das eines erlösten Geschöpfes, ein Leben, das durch die Gnade des Vaters und des Herrn Jesus Christus für uns von der Macht des Todes befreit ist.

Sodann denkt Er an Seine eigene Herrlichkeit. „Verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.” Diesen Ausspruch gründet Er auf das Werk, das Er vollbracht hat, das Ihm der Vater zu tun gegeben hatte: „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte.” In diesem Werk gab es keinen Makel, weshalb Gott darin ruhen und erquickt werden konnte, wie in Seinen Werken vor alters. Es war ein Werk, von dem der Vater, wenn Er es ansah, sagen konnte: „Es ist alles sehr gut”, und in welchem Er wiederum einen Sabbath finden konnte.

Es ist der Trost des Gläubigen, dass er auf eine Errettung sehen kann, die sich auf ein vollbrachtes Werk stützt, in welchem Gott einen „Geruch der Beruhigung” riecht (siehe die Anmerkung zu 1. Mo 8,21). Als Gott am Anfang das Schöpfungswerk vollendet hatte, heiligte Er den siebten Tag und ruhte mit voller Befriedigung in allem, was Seine Hand gebildet hatte. Aber der Mensch störte diese Ruhe, so dass es Gott reute, dass Er den Menschen auf der Erde gemacht hatte. Später sah der Herr eine andere Ruhe für sich vor, indem Er die Stiftshütte errichtete und Israel die Verordnung des Sabbaths gab (2. Mo 31,13). Das Schwert Josuas verschaffte Israel diese Ruhe in Kanaan erst in Wirklichkeit (Jos 21,44; 23,1), später dann die Herrschaft Salomos (1. Chr 22,9). Aber Israel störte wie Adam diese Ruhe; das Land genoss keinen Sabbath, denn die Gottlosigkeit hatte sich darin breit gemacht (2. Chr 36,21). Der gepriesene Gott hat jetzt eine andere und bessere Ruhe gefunden, die weder verloren noch gestört werden kann. In dem durch den Herrn Jesus Christus vollbrachten Werk ruht Gott abermals, wie in Seinen Werken vor alters, in völliger Zufriedenheit. Das vollbrachte Werk entspricht völlig Seinem Sinn, und durch die Auferstehung Christi hat der Vater bezeugt: „Siehe, es ist sehr gut.” Dies ist Seine Ruhe für ewig. Er hat bleibende Wonne an diesem Werk, und Seine Augen und Sein Herz ruhen beständig auf ihm. Das für Sünder vollbrachte Werk Christi hat Gott eine Ruhe gegeben. Das ist ein Gedanke voll Segens für die Seele. Wenn der Glaube dem Blut Christi seinen wahren Wert, d. h. den Wert, den es vor Gott hat, beilegt, dann gibt es Ruhe, ja, Gottes eigene Ruhe für die Seele. Aber dann beginnt für den Gläubigen die Arbeit. In dem Augenblick, da ich als Sünder zur Ruhe gekommen bin, beginnt meine Arbeit als Gläubiger. Die Ruhe für den Gläubigen „bleibt übrig”; deshalb steht geschrieben: „Lasst uns nun Fleiß anwenden, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle” (Heb 4,11). Der Sünder ruht jetzt, der Heilige arbeitet noch, bis der Herr kommt.

Schließlich betet Er für Sein Volk. Er bittet, dass sie in dem Namen des Vaters bewahrt und durch die Wahrheit des Vaters geheiligt werden möchten, so dass sie jetzt eins sein möchten in der Freude des Sohnes. Er bittet, dass sie bei Ihm sein möchten, da wo Er ist, und dort Seine Herrlichkeit schauen und dann mit Ihm eins sein möchten in Seiner Herrlichkeit. Das sind große Bitten. Der göttliche Sachwalter möchte, dass alle Seine Heiligen eins sein möchten (Joh 17,11.21). Aber diese Einheit ist nicht, wie ich glaube, die öffentliche Einheit der Kirche, wie man es gewöhnlich auslegt, sondern die Einheit in der persönlichen Erkenntnis des Vaters und des Sohnes und in der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Es ist eine Einheit im Geist, in ihrer Gesinnung, weil jeder von ihnen den Geist der Sohnschaft hat, der eine besondere Gnade und Kraft jener Haushaltung ist, die der Sohn jetzt einzuführen im Begriff stand. Unser Wunsch ist es, dass ein solcher Geist in jedem Herzen aller Auserwählten, die jetzt gesammelt werden, wirken möchte.

Hat es daran gemangelt? Nein, das konnte auch nicht sein. Alle Briefe der Schrift bezeugen es uns. Denn wir finden in ihnen, dass die Heiligen an jedem Platz, seien es nun Juden oder Heiden, durch den Vater in Seinem eigenen Namen bewahrt sind, dass sie „begnadigt sind in dem Geliebten”, dass sie den „Geist der Sohnschaft” besitzen und zu der „Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes” gebracht sind. Alles das bestätigt uns, dass die Bitte unseres großen Fürsprechers erhört worden ist, indem jeder einzelne Gläubige die Freude des Sohnes völlig in sich hat und somit alle eins sind im Geist ihrer Gesinnung. Diese Bitte betrifft aber, wie ich überzeugt bin, nicht den äußeren kirchlichen Zustand der Dinge. Solche Gedanken haben schon zu vielen menschlichen Anstrengungen unter den Gläubigen geführt. Sie haben sich selbst verurteilt, weil sie diese Bitte des Herrn nicht durch die Darstellung der Einheit verwirklichten, sondern sie durch menschliche Mittel hervorzubringen versuchten. Aber, so frage ich, ist die Erfüllung dieser Bitte des Herrn von den Anstrengungen der Heiligen abhängig? Ist sie nicht an den Vater gerichtet, und stützt sie sich nicht einfach auf das Wohlgefallen, die Macht und die Gabe des Vaters? Sicherlich! Sie appellierte an den Vater, dass Er die Auserwählten in Seinem Namen bewahren, sie durch die Wahrheit heiligen und ihnen die Freude des Sohnes mitteilen möchte, damit jeder diese Freude völlig in sich haben möchte.

Dieser Wunsch ist erfüllt worden. Der Geist des Sohnes ist in gleicher Weise für alle und jeden Heiligen da, und sie sind eins in diesem Geist und in dieser Freude. Wenn die Zeit gekommen sein wird, werden auch die anderen Bitten dieses Kapitels erfüllt sein. Alle, welche dieses Zeugnis aufnehmen sollen, sind noch nicht berufen, auch ist ihnen die Herrlichkeit jetzt noch nicht geschenkt, so dass die Welt bis jetzt weder geglaubt noch erkannt hat, dass der Vater den Sohn gesandt hat (Joh 17,21.23). Die Welt erkennt sie bis jetzt noch nicht (1. Joh 3,1). Aber zu ihrer Zeit werden diese Bitten erfüllt werden, wie auch die Herrlichkeit geschaut werden wird (V. 24). Soweit die göttliche Haushaltung vorgeschritten ist, sind diese Bitten bereits beantwortet worden, und die übrigen werden zu ihrer Zeit noch erfüllt werden.

Wie erquickend ist es für uns, Geliebte, zu sehen, dass der Herr diese herrlichen Bitten einfach damit begründet, dass die Heiligen das Zeugnis des Vaters über den Sohn angenommen und unerschütterlich an die Liebe des Vaters geglaubt haben. „Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und haben geglaubt, dass du mich gesandt hast.”

Es ist gesegnet zu sehen, dass wir vor Gott einfach als solche hingestellt sind, die an diese Liebe glauben. Dies zeigt uns zuverlässig, dass das Wohlgefallen Gottes darin besteht, dass wir Ihn in Seiner Liebe und, gemäß den Worten Dessen, den Er gesandt hat, als den Vater kennen. Das bedeutet Freude und Freiheit. Allein diese Tatsache, dass wir Gott in Seiner Liebe als Vater gesehen und in Jesus gehört haben, macht uns zu der Familie Gottes, und nicht die Vorrechte, die uns auszeichnen, oder die Dienste, die wir tun. Das unterscheidet den Gläubigen von der Welt und gibt ihm einen Platz in der Gegenwart des Vaters. Es ist nichts anderes, wie der Herr hier zum Vater sagt, als dass wir Sein Wort und das Zeugnis des Sohnes über den Vater angenommen haben.

So bittet unser göttlicher Fürsprecher vor dem Thron. Alles ist vorbereitet und gesichert für die Herrlichkeit des Vaters, des Sohnes und Seines Volkes. Nachdem Er so die Wünsche Seines Herzens vor dem Vater ausgeschüttet hat, übergibt Er „die Welt”, den großen Feind, der Aufmerksamkeit des gerechten Vaters. „Gerechter Vater! – Und die Welt hat dich nicht erkannt.” Sie hatte sich selbst erwiesen als eine Welt, die in der Tat den Vater nicht erkannt und Den, den der Vater gesandt hat, gehasst hatte, aus welcher der Herr Sein Volk herauszuführen im Begriff stand. Indessen ruft Er nicht das Gericht auf sie herab, sondern Er übergibt sie einfach der Gerechtigkeit des Vaters, dem das Gericht über sie zustand.

Der Herr stellt hier also nur fest, dass die Welt unwissend ist über den Vater. Er klagt vor dem Thron ebenso wenig ihre Sünden an, wie Er vorher, in Seiner Bitte für die Kirche, von ihren Segnungen und Diensten gesprochen hat. Die Erkenntnis des Vaters macht die Kirche zu dem, was sie ist, und die Unkenntnis über den Vater macht auch die Welt zu dem, was sie ist. Die Welt weigert sich, die Liebe Gottes anzunehmen und sich in Ihm zu erfreuen. Sie will ihre eigenen Vergnügungen haben und aus ihren eigenen Quellen schöpfen, sie will andere Dinge haben als die Musik, den Ring und das gemästete Kalb des Vaterhauses (Lk 15). Die Welt war durch Satan im Garten Eden gestaltet worden; dort betrog die Schlange die Frau. Nachdem Satan zu dem Menschen gesprochen hatte und auch von ihm angehört worden war, formte er die Gesinnung des Menschen nach seinem eigenen Muster. Gottes Liebe und Sein Wort wurden durch den Feind verleumdet, und der Mensch glaubte dem Verleumder und machte Gott zum Lügner. Die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens wurden als die beherrschende Kraft in die Seele gepflanzt (1. Mo 3,6; 1. Joh 2,16). Das Gewissen, die Furcht und die Flucht vor Gott kennzeichneten nunmehr den Menschen. Der Mensch und seine Frau erkannten, dass sie nackt waren, verbargen sich unter den Bäumen und flohen vor der Stimme Gottes. Dann brachten sie aus dem Versteck Entschuldigungen für sich selbst und Anklagen gegen Gott hervor. „Die Schlange betrog mich, und ich aß”, sagte Eva. „Die Frau, die du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß”, sagte Adam.

So war der Mensch damals, und so ist die Welt seitdem immer noch. Seine eigenen Lüste, der Schrecken Gottes und der gewollte Abstand von Ihm beherrschen den Menschen, und im Innern seines Herzens schreibt er Gott die Schuld an diesem ganzen Unglück zu.

Von einer solchen Welt, die dem Gericht überlassen ist, sind die Heiligen dem Geist und ihrer Berufung nach befreit. „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin.” Die Welt hatte keinen Platz in Jesus, und ihr Fürst kam und erhielt von Ihm nur das Zeugnis, dass Er den Vater liebte und das tun wollte, was der Vater Ihm geboten hatte (Joh 14,30–31). So haben die Heiligen die Welt verlassen. Sie kamen auf die Stimme des Sohnes aus ihrem Versteck. Sie hörten von der Liebe des Vaters zu ihnen, glaubten daran und gingen voran in dem Schein dieser Liebe. Die Verheißung, dass der Same der Frau der Schlange den Kopf zertreten sollte, lockte Adam hinter den Bäumen des Gartens hervor. Obwohl tot in Sünden, glaubte er dieser Verheißung des Lebens und nannte seine Frau „Mutter aller Lebendigen”. Gerade so ist es auch hier, wie wir in diesem Kapitel sehen. Der Glaube an die Botschaft der Liebe, die der Sohn uns von dem Vater gebracht hat, ist es gerade, der die Heiligen zu dem macht, was sie sind, eine Auswahl aus den dunklen und gottfernen Regionen, wo die Welt wohnt und der Geist der Welt weht. Und gerade die Weigerung, auf diese Botschaft der Liebe zu hören, lässt auch die Welt noch immer die Welt bleiben. „Gerechter Vater! – Und die Welt hat dich nicht erkannt.” Die Menschen brauchen nur Gottes „Wort der Versöhnung” anzunehmen, an Seine Liebe und die Dahingabe Seines Sohnes zu glauben, dann dürfen sie ihren Platz in Seiner Familie als Seine Auserwählten, als „Begnadigte in dem Geliebten”, einnehmen.

Hier endet der dritte Abschnitt unseres Evangeliums. Er zeigte uns Jesus als unseren Fürsprecher, der uns beständig dient, als den Sohn des Vaters, der den Vater Seinen Kindern offenbart. Der gepriesene Gott hat sich selbst durch Seine Zeichen und Wunder in Ägypten und in Israel einen Namen gegeben, den Namen „HERR” (Jer 32,20), aber nun gab Er sich einen anderen Namen, einen Namen viel reicherer Gnade, den Namen „Vater”. Diesen Namen erlangte Er durch die Person und das Werk des Sohnes Seiner Liebe. Die Kraft dieses Namens ist jetzt durch den Heiligen Geist in den Herzen der Kinder wirksam.

Das sind einige Deiner Wege, unser Gott und Vater! Aber wie wenig von Dir verstehen und genießen unsere kleinen Herzen!

Bevor wir in die Betrachtung des letzten Teils unseres Evangeliums eintreten, möchte ich noch bemerken, dass wir beim Lesen der Schriften des Johannes einen Eindruck von dem sehr persönlichen Charakter bekommen und den göttlichen Zweck erkennen, sich ganz persönlich mit uns zu beschäftigen. Sofort bei Beginn unseres Evangeliums können wir dies feststellen. Die Welt kannte Den nicht, der sie geschaffen hatte, und Israel, das Ihm gehörte, nahm Ihn nicht auf. „So viele” Ihn aber aufnahmen, diese berechtigte und befähigte Er, Kinder Gottes zu werden. So lesen wir gleich am Anfang unseres Evangeliums. Wir werden auf unserem gemeinschaftlichen Platz des Verderbens und in unserem gemeinsamen Charakter als Sünder und Opfer der Lüge Satans angesprochen. Die Szenen, die wir hier haben, stellen uns als Einzelwesen persönlich vor Gott. Sie sehen uns nicht in irgendwelchen Beziehungen oder auf dem Platz, wo frühere Haushaltungen uns hingestellt haben mögen, sondern vielmehr dort, wohin das allgemeine Verderben der Natur uns gebracht hat, nämlich in der „Finsternis”, jener Entfernung von Gott, die unser Fall und Abfall am Anfang uns gebracht hat.

Welch einen unmittelbaren, eindrucksvollen Charakter haben die Schriften des Johannes! Ob wir nun sein Evangelium oder seine Briefe lesen, sie zeigen uns, dass wir ganz persönlich vor Gott stehen und mit Ihm zu tun haben, und dass wir dies auch wissen sollen. Dementsprechend können wir im Johannesevangelium auch in den Wegen des Herrn selbst manches beobachten, was hiermit in Übereinstimmung steht und diesen starken persönlichen Charakter trägt, wovon ich eben sprach.

In dem früheren Abschnitt dieses Evangeliums, während Seines öffentlichen Dienstes, sehen wir die Apostel oft von dem Herrn getrennt, d. h. sie werden wenig erwähnt. Dagegen finden wir sie in dem vorliegenden Abschnitt, während Seiner Unterredung mit ihnen, in Seiner ganz besonderen Nähe.

In den Kapiteln 1–10 finden wir den Herrn in der Tat bemerkenswert oft allein in Seinem Wirken, wie ich bereits sagte. Er beruft hier nicht, wie in den anderen Evangelien, die Zwölf und die Siebzig zu Gefährten Seines Dienstes. Er ist allein mit den Sündern und beschäftigt sich mit den großen Bedürfnissen ihrer Seelen in der Gnade und Kraft des Sohnes Gottes. Das zu sehen ist gesegnet. Es ist einer der lieblichsten Gedanken für den Sünder, dass wir mit Jesus allein sein können, und dass Apostel und Kirchen, Mitgläubige und Verordnungen unnötig sind in der Angelegenheit, die unser persönliches, ewiges Heil entscheidet. Die Quelle von Samaria, wo der Sohn des Vaters der Sünderin begegnete, war für die Frau ein ebenso einsamer Platz wie einst Lus für Jakob. Aber er wurde auch für sie ein Bethel, die wahre „Pforte des Himmels”. Ich möchte hinzufügen, dass diese Trennung von Seinen Aposteln oder Jüngern, diese Einsamkeit des Sohnes Gottes mit den Sündern während Seines öffentlichen Dienstes um des Sünders willen geschah und sich nicht gegen die Jünger richtete. Er liebte Seine Jünger und Gefährten und wollte ihnen keineswegs einen Anteil an Seinem Dienst und an der Belohnung verweigern. Aber Er ist für den Sünder da und kann nicht zulassen, dass jener dieses großen Trostes beraubt wird, der in dem Gedanken liegt, dass für die Regelung seiner Ewigkeitsdinge niemand als nur der Sohn Gottes selbst nötig ist.

Dieser öffentliche Dienst endet mit dem 10. Kapitel, wie ich früher bereits sagte. Nachdem die Frucht der Gnade zu ihrer Zeit den Sündern versiegelt worden ist, verlässt Jesus Seinen Dienst draußen und beschäftigt sich mit den Seinen im Verborgenen. Und dann sehen wir Ihn in so inniger Verbindung mit ihnen, wie sie in der Tat nicht inniger sein kann, wie sie die Liebe nur wünschen konnte.

Nachdem Judas hinausgegangen (Joh 13,30) und alles vorüber ist zwischen Jesus und dem Schauplatz um Ihn her, kann Er mit den Jüngern allein sein, wie Er vorher mit den Sündern allein war, und wir sehen Ihn nun in der lieblichsten, innigsten Vertrautheit mit ihnen (Joh 14–16). Er zieht sich zu ihnen zurück wie in den Schoß einer Familie und öffnet die Fülle Seines Herzens. Er spricht vom Vater, von des Vaters Haus, des Vaters Liebe, des Vaters Geheimnissen, verheißt den Sachwalter, um dies alles in ihren Seelen wirksam zu machen, und versichert ihnen, dass Er selbst, wenn auch von ferne, ihnen weiter dienen und sie erinnern wird 1.

Welche herrlichen Dinge ziehen im Verlauf dieses Evangeliums an uns vorüber! Wenn im ersten Teil die Einsamkeit des Sohnes Gottes mit dem Sünder diesem wie die „Pforte des Himmels” erschien, was ist dieser letzte Teil, diese Vertrautheit des Sohnes des Vaters mit Seinen Auserwählten, für die Heiligen anderes als der Himmel selbst!

Das Johannesevangelium ist in der Tat das Evangelium des vertraulichen Umgangs des Sohnes Gottes zuerst mit dem Sünder und dann mit dem Jünger. Wie unaussprechlich kostbar ist ein solcher Gedanke! Hätten wir nur geöffnete und empfindsame Herzen dafür! Alles ist Gnade, und die Gnade findet ihre Freude daran, die Vielfalt ihrer Wege, als auch die Reichtümer ihrer ganzen Fülle kundzutun. Möchten wir uns ein einfältiges, gläubiges Herz bewahren, Geliebte, das fähig ist, sich mit solchen Geheimnissen und Kostbarkeiten zu beschäftigen!

Fußnoten

  • 1 Weil Er ihren Herzen nahe war, fühlte Er ihre Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit, und Er ließ sie auch wissen, dass Er sie empfand und dadurch betrübt wurde (S. Joh 14,28; 16,5).
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