Betrachtung über Römer (Synopsis)
Kapitel 10
Nachdem er diesen Gegenstand berührt hat, schüttet der Apostel, der seine Nation als das Volk Gottes innig liebte, sein Herz in Bezug auf die Lehre aus, die ihnen ein Stein des Anstoßes war. Das Wohlgefallen seines Herzens und sein Flehen zu Gott war ihre Errettung. Als der Gegenstand seiner Zuneigungen waren sie in seinen Augen mit ihrem Eifer für Gott bekleidet, wie unwissend sie auch waren, unwissend leider in Bezug auf das, was Gott lehrte. Da sie Gottes Gerechtigkeit nicht kannten, trachteten sie in ihrem Eifer danach, ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten und unterwarfen sich nicht der Gerechtigkeit Gottes. Denn Christus ist des Gesetzes Ende, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit. Da war die Gerechtigkeit Gottes, da der Stein des Anstoßes für Israel.
Nichtsdestoweniger begründet der Apostel seine Erörterung klar und fest. Er begründet sie seinerseits, aber das 5. Buch Mose liefert ihm unerwartet den Beweis dieses großen Grundsatzes. Er führt eine Stelle aus diesem Buch an, die über das Thema des Zustandes Israels redet, wenn sie das Gesetz übertreten und infolgedessen leiden würden. Der Gesetzgeber hatte gesagt: „Das Verborgene ist Jehovas, unseres Gottes; aber das Geoffenbarte“ ist für das Volk. Das bedeutet, dass das Gesetz als eine Bedingung des klaren und positiven Genusses der Segnung gegeben worden war; was Gott in Gnade tun würde, wenn Israel unter den Folgen des übertretenen Gesetzes litt, blieb in Seinem allerhöchsten Willen verborgen. Danach wird jedoch ein anderer Grundsatz deutlich geoffenbart, nämlich, dass, als die Erfüllung des Gesetzes unmöglich war und als Israel aus seinem Land vertrieben wurde, weil sie es übertreten hatten, wenn sich ihr Herz in jenem fernen Land zu Gott umkehrte, Er sie annehmen würde. Mit dem Gesetz als einer Bedingung für die Beziehungen zu Gott war alles zu Ende. Nach dem Kapitel, das wir betrachten, war Israel vertrieben worden (5.Mo 30) - sie waren Lo-Ammi - nicht mehr das Volk Gottes. Nichtsdestoweniger wurde das Zeugnis Gottes an sie gerichtet: sie durften sich in ihrem Geist und im Glauben Ihm zuwenden. Es ging nicht mehr um das Gesetz, sondern um den Glauben. Aber, sagt der Apostel, wenn das so ist, so ist Christus sein Gegenstand. Kein Jude hätte geleugnet, dass, als alles zusammengebrochen war, Gott die Hoffnung jedes wahren Israeliten war.
Als Mose mit dem Gesetz Schluss macht und andere Ratschlüsse Gottes voraussetzt und auf ihnen den Grundsatz begründet, man solle im Herzen zu Gott umkehren, wenn alles, was das Gesetz betrifft, zu Ende ist, und Israel sich an einem Ort befinden würde, wo es unmöglich wäre, das Gesetz zu halten, da sie in Gefangenschaft unter den Nationen waren - dann bekommt diese Schriftstelle im 5. Buch Mose eine besondere Bedeutung in der Beweisführung des Apostels, und die Tatsache, dass sie angeführt wird, ist ein merkwürdiger Beweis dafür, dass es der Heilige Geist ist, der in seinen Erörterungen wirkt.
Der Apostel ist es, der Christum einführt; aber die Zusammenstellung der Wahrheiten der verschiedenen Stellungen Israels, des Gesetzes und der Umkehr des Herzens, als sie unter dem Gesetz verloren waren - eine Zusammenstellung, dessen Schlussstein Christus war und nur allein sein konnte - gibt einen umfassenden Ausblick auf die Einheit aller Wege Gottes, moralisch und in Seinen Zeitverwaltungen, wozu der Geist Gottes nur allein fähig ist und was augenscheinlich Seine Gedanken zum Ausdruck bringt. Siehe das Ende von 5.Mo 29 (am Schluss) und 5.Mo 30.
Das Wort des Glaubens, das damals als die Hoffnung Israels dargestellt wurde, war das, was der Apostel verkündete - dass, wenn jemand mit dem Munde den Herrn Jesus bekannte und mit dem Herzen glaubte, dass Gott Ihn aus den Toten auferweckt hatte, er errettet werden würde. Kostbare, einfache und entschiedene Feststellung! Und wenn es nötig wäre, würde sie durch das Zeugnis des Alten Testaments bestätigt werden: „Wer an ihn glaubt, wird nicht zu Schanden werden.“ Die Worte Herz und Mund stehen im Gegensatz zum Gesetz. In dem im 5. Buch Mose angenommenen Falle konnte Israel das Gesetz nicht erfüllen; Mose sagte ihnen, dass das Wort ihres Gottes in ihrem Herzen und in ihrem Munde sein könnte. Nun war dies für den Juden (wie für einen jeden) der Glaube des Herzens.
Man beachte - es heißt nicht: wenn du in deinem Herzen liebst, oder: wenn dein Herz so ist, wie es zu Gott hin sein soll, sondern: wenn du in deinem Herzen glaubst. Ein Mensch glaubt mit seinem Herzen, wenn er wirklich mit einem Herzen glaubt, das sich für die Sache interessiert. Wenn seine Zuneigungen mit der Wahrheit beschäftigt sind, begehrt er, wenn von der Gnade die Rede ist, dass das, was zu ihm gesagt wird, die Wahrheit sei. Er begehrt die Sache, gleichzeitig bezweifelt er sie nicht. Es liegt nicht daran, dass er an der Sache einen Anteil hat, dass er glaubt, sondern an der Wahrheit der Sache an sich, und er ist an ihr interessiert, weil sie für ihn wichtig ist. Nicht der Zustand seiner Zuneigungen ist hier der Gegenstand (und doch eine sehr wichtige Überlegung an ihrem Platz), sondern die Wichtigkeit und die Wahrheit dessen, was durch das Wort dargestellt wird - dessen Wichtigkeit für ihn selbst, da er der Errettung bedarf, einer Errettung, die er bewusst notwendig braucht, ohne die er nicht auskommen kann - eine Wahrheit, deren er als eines Zeugnisses Gottes Selbst sicher ist. Einem solchen versichert Gott, dass Errettung ihm gehört; es ist aber nicht das, was er als einen Gegenstand des Glaubens zu glauben hat; es ist das, was Gott einem jeden versichert, der glaubt.
Übrigens erweist sich dieser Glaube durch den Beweis seiner Aufrichtigkeit - durch das Bekennen des Namens Christi. Wenn jemand davon überzeugt ist, dass Jesus der Christus ist, und sich weigert Ihn zu bekennen, so wäre augenscheinlich seine Überzeugung seine noch größere Verdammnis. Der Glaube des Herzens erzeugt das Bekenntnis des Mundes; das Bekenntnis des Mundes ist der Gegenbeweis für die Aufrichtigkeit des Glaubens und für die Ehrlichkeit in Bezug auf den Anspruch, den der Herr in Gnade auf uns hat. Es ist das Zeugnis, welches der Herr am Anfang fordert. Es bedeutet, angesichts des Feindes die Posaune auf Erden erschallen zu lassen. Es soll besagen, dass Christus gesiegt hat, und dass Ihm alles rechtmäßig gehört. Es ist ein Bekenntnis, das Gott als Antwort auf den Namen Jesu einschaltet. Es ist nicht das, was Gerechtigkeit herbeiführt, sondern es ist die öffentliche Anerkennung Christi; und dadurch wird dem Glauben, durch den man an der Gerechtigkeit Gottes teilhat, Ausdruck verliehen, so dass gesagt werden kann: „Er glaubt an Christum zum Heil; er hat den Glauben, der da rechtfertigt.“
Ich bin hier mehr auf Einzelheiten eingegangen, weil dies ein Punkt ist, über den das menschliche Herz in Verwirrung gerät, und zwar desto mehr, weil es aufrichtig ist, solange noch irgendwie Unglaube und Selbstgerechtigkeit bestehen. Es ist unmöglich, dass eine erweckte Seele nicht die Notwendigkeit empfinden sollte, dass das Herz zurechtgesetzt und Gott zugewandt wird, und sich deshalb nicht der Gerechtigkeit Gottes unterwirft und denkt, die Gunst hinge Gott vom Zustand ihrer eigenen Zuneigung ab, wo uns Gott doch liebt, während wir noch Sünder sind. Der Zustand unserer Liebe ist von größter Wichtigkeit, er setzt aber eine schon bestehende Beziehung voraus, gemäß welcher wir lieben. Wir lieben auch, weil wir von Gott geliebt werden. Nun hat Seine Liebe etwas getan, etwas nach unseren Nöten und der göttlichen Herrlichkeit gemäß. Sie hat Jesum gegeben, und Jesus hat das Erforderliche vollbracht, auf dass wir an der göttlichen Gerechtigkeit teilnehmen können; und so hat Er einen jeden, der an Ihn glaubt (indem er zugibt, dass er ein verlorener Sünder ist), in die sichere Stellung eines Kindes und einer gerechtfertigten Seele vor Gott hingestellt, und zwar gemäß der Vollkommenheit des Werkes Christi: die Errettung gehört dieser Seele nach der Kundmachung Gottes Selbst. Geliebt mit solch einer Liebe, errettet durch solch eine Gnade, und solche Gunst genießend, lasst dies alles Zuneigungen pflegen, die für die Gabe Jesu und für die Erkenntnis Seiner Selbst und Seiner Güte passend sind.
Es ist augenscheinlich, wenn es heißt, „jeder“, der an Jesum glaubt, dass dann der aus den Nationen wie auch der Jude eingeschlossen ist. Es ist kein Unterschied, derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen. Es ist schön zu sehen, wie dieser Ausdruck „da ist kein Unterschied“, hier wiederholt wird. Der Apostel hatte ihn zuvor gebraucht, indem er die Worte hinzufügte: „... denn alle haben gesündigt.“ Die Sünde stellt alle Menschen vor Gott auf den einen Boden des Zusammenbruchs. Da ist aber auch kein Unterschied, „denn derselbe Herr von allen ist reich für (gegen) alle“, denn jeder, der Seinen Namen anruft, wird errettet werden.
Auf diese Erklärung gründet der Apostel eine andere Überlegung, und durch sie rechtfertigt er die Wege Gottes, die sich in seinem Dienst vollzogen. Die jüdischen Schriften erklärten, dass jeder, der den Namen des Herrn anrief, errettet werden sollte. Die Juden erkannten, dass die Nationen den Namen des wahren und lebendigen Gottes nicht kannten. Es war deshalb erforderlich, Ihn zu verkündigen, damit sie Ihn anrufen könnten, und der ganze Dienst des Apostels war dann gerechtfertigt. Deshalb stand geschrieben: „Wie lieblich sind die Füße derer, welche das Evangelium des Friedens verkündigen.“ Dann während er unter den Juden diese Fragen erörtert, stützt er sich natürlich auf die Autorität ihrer eigenen Schriften.
Er wendet aber diesen Grundsatz für die Evangelisation auf die Juden wie auch auf die Nationen an (denn das Gesetz war nicht die Verkündigung der frohen Botschaft). Er führt Jesaja zu demselben Zwecke an. Es war eine Verkündigung - eine auf diese Weise öffentlich gepredigte Wahrheit -, an die Israel nicht geglaubt hatte, so dass es also Glauben an eine also gepredigte Wahrheit, an das verkündigte Wort geben sollte. Vers 18 stellt eine gewisse Schwierigkeit dar. Gewiss beabsichtigt der Apostel zu erklären, dass eine Verkündigung der Wahrheit von Seiten Gottes stattgefunden hatte. Israel war ohne Entschuldigung, denn die Verkündigung war überallhin ausgegangen, die Worte, die Gott bis an die Enden des Erdkreises kundtaten. Somit war das Zeugnis nicht auf die Juden beschränkt. Die Nationen hatten es überall gehört. Das ist klar. Borgt aber der Apostel bloß die Worte (die sich in der angeführten Schriftstelle auf die Schöpfung beziehen), oder will er über das Zeugnis der Natur selbst reden? Ich glaube, dass er diese Schriftstelle gebraucht, um zu zeigen, dass Gott in Seinen Zeugnissen die Nationen vor Sich hatte. Er möchte die Juden durch ein Zitat aus ihren eigenen Schriften in Stille auf den Gedanken bringen, dass nicht nur sie, die Juden, gehört haben, sondern dass das Zeugnis überallhin ausgegangen ist, und dass Gott das im Sinn hatte. Paulus führt diese Stelle nicht als eine Weissagung darüber an, was gerade stattfand; er leiht die Worte ohne jede Form der Rede, um zu zeigen, dass Gott dieses weltweite Zeugnis im Sinn hatte, welcherart die gebrauchten Mittel auch sein mochten. Dann aber, indem er die Sache den Juden genauer erklärt, fügt er hinzu: „Hat Israel es etwa nicht erkannt?“ Wurde dem Volke dieses Ausdehnen auf die Nationen nicht bekundet, des Zeugnisses dieser Verkündigung der Gnade gegen sie, des Empfangs des Zeugnisses durch die Nationen, damit sie in Beziehung zu Gott gebracht werden möchten? Ja, Mose hatte schon gesagt, dass Er Israel durch eine unverständige Nation reizen würde. Und Jesaja erkühnt sich, indem er formell erklärt, dass Gott von einer Nation, die Ihn nicht suchte, gefunden werden würde; und Israel gegenüber, dass Er den ganzen Tag zu einem ungehorsamen und widersprechenden Volke die Hände ausgestreckt hatte - mit einem Wort, dass die Nationen Ihn finden würden, während Israel widersprechend und ungehorsam sein würde. Obwohl der Apostel allmählich und in aller Stille herangeht, ist dieses Zeugnis über ihre diesbezüglichen Stellungen deutlich und formell: die aus den Nationen wurden angenommen, Israel war verfeindet.