Betrachtung über Römer (Synopsis)

Kapitel 1

Betrachtung über Römer (Synopsis)

Es gibt keinen Brief, in dem der Apostel sein Apostelamt auf einen so entschiedenen und formellen Boden stellt, wie in diesem, denn in Rom konnte er keine Ansprüche aufgrund seiner Arbeit stellen. Er hatte die Römer nie gesehen. Er war nichtsdestoweniger ihr Apostel, denn er war der Apostel der Nationen. Er war ein Schuldner der Nationen. Er schreibt an sie, weil er vom Herrn Selbst einen Auftrag für alle Nationen empfangen hatte. Als Nationen gehörten sie in die ihm zugewiesene Sphäre des Dienstes. Es war sein Amt, sie als ein durch den Heiligen Geist geheiligtes Opfer darzubringen (Röm 15,16). Das war sein Auftrag. In Petrus war Gott den Juden gegenüber mächtig; der Auftrag des Paulus war an die Nationen. Ihm wurde dieser Auftrag anvertraut. Übrigens erkannten die Zwölfe das an. Wenn Gott angeordnet hatte, dass Paulus seinen Auftrag in direkter Verbindung mit dem Himmel und außerhalb des weltlichen Einflusses der Hauptstadt ausführen sollte, und wenn Rom eine Verfolgerin des Evangeliums werden sollte, so gehörte diese Stadt deswegen nichtsdestoweniger zu den Nationen. In Bezug auf das Evangelium gehörte sie dem Paulus. Dem Heiligen Geist gemäß wendet sich Petrus beim Ausüben seines Apostelamtes an die Juden, Paulus an die Nationen.

Dies war die gottgemäße Verwaltungsordnung; lasst uns jetzt zu dem Wesentlichen seiner Stellung übergehen. Paulus war der Knecht Christi - das war sein Charakter, sein Leben. Aber auch andere waren das mehr oder weniger. Er aber war mehr als das. Er war ein Apostel durch die Berufung des Herrn, ein „berufener Apostel“; und nicht nur das, auch arbeitsam wenn die Gelegenheit sich bot, war er nichts als nur das in seinem Leben hienieden. Er war zum Evangelium Gottes abgesondert worden.

Diese beiden letzten Wesenszüge werden in der Offenbarung des Herrn an Paulus auf dem Wege nach Damaskus eindeutig verbürgt, nämlich seine Berufung und sein bei dieser Gelegenheit gegebener Auftrag an die Nationen, und dadurch, dass er in Antiochien durch den Heiligen Geist abgesondert wurde, als er auszog, seinen Auftrag zu erfüllen.

Er nennt das Evangelium, zu dem er abgesondert wurde, das Evangelium oder die frohe Botschaft „Gottes“: der Heilige Geist stellt es in seinem Ursprung dar. Es geht nicht darum, was der Mensch für Gott sein sollte, noch auch nur um das Mittel, durch das der Mensch Ihm auf Seinem Thron nahen kann. Es handelt sich um die Gedanken Gottes - und wir dürfen hinzufügen, um Seine Handlungen - dem Menschen gegenüber, um Seine Gedanken in Güte, um Seine Offenbarung in Christo, Seinem Sohne. Er tritt an den Menschen demgemäß heran, was Er ist, und dem entsprechend, was Er in Gnade will. Gott kommt zu ihm; es ist das Evangelium Gottes. Das ist der wahre Anblick: das Evangelium wird niemals richtig verstanden, bis es uns das Evangelium Gottes wird, das Wirken und die Offenbarung Seiner Natur und Seines Willens in Gnade dem Menschen gegenüber.

Nachdem er auf den Ursprung, den Urheber des Evangeliums, auf Den, den es also in Seiner Gnade offenbart, hingewiesen hat, stellt der Apostel den Zusammenhang zwischen diesem Evangelium und den historisch vorhergegangenen Verfahren Gottes dar - seine Verkündigung hienieden und gleichzeitig sein eigenes eigentliches Ziel, das heißt das, was genau gesagt sein Gegenstand genannt wird, und die Beziehung, in der das Vorhergegangene zu ihm stand (die Ordnung, der diejenigen angehörten, die diese als ein wesentliches und unabhängiges System dadurch festzuhalten trachteten, dass sie das Evangelium verwarfen). Hier stellt er das Vorhergegangene dar, nicht als einen Streitgegenstand, sondern in seinem wahren Charakter, um dem Zeugnis des Evangeliums Nachdruck zu verleihen (wobei er Einwänden zuvorkommt, die somit im Voraus erledigt waren).

Für den aus den Nationen war es die Offenbarung der Wahrheit und Gottes in Gnade; für den Juden war es dies wahrhaftig, während es auch alles, was ihn betraf, an den rechten Platz rückte. Der Zusammenhang des Alten Testaments mit dem Evangelium ist dieser: das Evangelium Gottes wurde zuvor durch Seine Propheten in heiligen Schriften kundgetan. Man beachte hier, dass in diesen heiligen Schriften das Evangelium nicht gekommen war, noch richtete es sich an die Menschen, sondern es wurde verheißen oder zuvor angekündigt, dass es gesandt werden sollte. Die Versammlung wurde nicht angekündigt, aber das Evangelium wurde angekündigt, aber als solches, das noch kommen sollte.

Übrigens ist der Gegenstand dieses Evangeliums zuerst der Sohn Gottes. Er hat ein Werk vollbracht; Er ist es aber Selbst, der der wahre Gegenstand des Evangeliums ist. Nun wird Er von einem zwiefachen Blickpunkt dargestellt: 1. als der Gegenstand der Verheißungen, der Sohn Davids nach dem Fleische; 2. als der Sohn Gottes in Kraft, der inmitten der Sünde durch den Geist in göttlicher und absoluter Heiligkeit wandelte (indem die Auferstehung der glänzende und siegreiche Beweis dafür war, wer Er war, der in diesem Charakter wandelte). Das heißt, die Auferstehung war eine öffentliche Offenbarung jener Kraft, durch die Er Zeit Seines Lebens in absoluter Heiligkeit wandelte - eine Offenbarung dessen, dass Er der Sohn Gottes in Kraft ist. Mittels dieser Tatsache wird Er klar als der Sohn Gottes in Kraft erwiesen. Hier geht es nicht um Verheißung, sondern um Kraft, um Den, der den Kampf mit dem Tode, in dem der Mensch lag, aufnehmen und den Er vollständig besiegen konnte, und dies in Verbindung mit der Heiligkeit, die während Seines Lebens die Kraft jenes Geistes, durch den Er wandelte, bezeugte, und in der Er Sich vor der Berührung der Sünde bewahrte. Es war dieselbe Kraft, durch die Er im Leben absolut heilig war, durch die Er aus den Toten auferweckt wurde.

In den Wegen Gottes auf Erden war Er der Gegenstand und die Erfüllung der Verheißungen. In Bezug auf den Zustand des Menschen unter der Sünde und dem Tode war Er der vollkommene Sieger über alles, was Ihm im Wege stand, ob im Leben oder in der Auferstehung. Es war der Sohn Gottes, der da war - erwiesen durch Toten-Auferstehung nach der Kraft, die in Ihm war, einer Kraft, die sich dem Geiste gemäß durch die Heiligkeit, in welcher Er lebte, erwies 1.

Welch wunderbare Gnade ist es zu sehen, wie die ganze Macht des Bösen - jene schreckliche Tür des Todes, die sich hinter dem sündigen Leben des Menschen schloss und ihn dem unausweichlichen von ihm verdienten Gerichte überließ - durch Den zerbrochen und vernichtet wird, der bereit war, in die von ihr abgeschlossene finstere Kammer einzugehen und die ganze Schwachheit des Menschen im Tode auf Sich zu nehmen und auf diese Weise den zu erlösen, vollständig und absolut, dessen Strafe Er getragen hatte, indem Er Sich dem Tode unterwarf! Dieser Sieg über den Tod, diese Befreiung des Menschen von seiner Herrschaft durch die Kraft des Mensch gewordenen Sohnes Gottes, als Er ihn erlitten hatte, und zwar als Opfer für die Sünde, ist die einzige Grundlage der Hoffnung für den sterblichen und sündigen Menschen. Er beseitigt alles, was die Sünde und der Tod zu sagen haben. Für den, der ein Teil an Christo hat, vernichtet Er das im Tode bestehende Siegel des Gerichts über die Sünde; und ein neuer Mensch, ein neues Leben beginnt für den, der darunter festgehalten wurde, und zwar außerhalb des ganzen Schauplatzes, der ganzen Wirkung seines früheren Elends - ein Leben, das auf den ganzen Wert dessen, was der Sohn Gottes dort vollbrachte, gegründet ist.

Eigentlich haben wir also als Gegenstand des Evangeliums den Sohn Gottes, geworden aus dem Samen Davids dem Fleische nach, und im Schoße der Menschheit und des Todes als Sohn Gottes in Kraft durch Toten-Auferstehung 2 erwiesen, Jesum Christum, unseren Herrn.

Das Evangelium war das Evangelium Gottes Selbst; aber durch Jesum Christum, den Herrn, geschah es, dass der Apostel seinen Auftrag empfing. Er war das Haupt des Werkes, und Er sandte die Arbeiter in die Ernte aus, die sie in der Welt ernten sollten. Der Gegenstand und der Umfang seines Auftrages war der Glaubensgehorsam (nicht Gehorsam dem Gesetz gegenüber) unter allen Nationen, indem die Autorität und der Wert des Namens Christi begründet wurden. Es war dieser Name, der vorherrschen und anerkannt werden sollte.

Der Auftrag des Apostels war nicht nur sein Dienst; die Tatsache, dass er ihm anvertraut wurde, war gleichzeitig die persönliche Gnade und Gunst Dessen, dessen Zeugnis er trug. Ich rede nicht über die Errettung, obwohl im Falle des Paulus diese beide übereinstimmten - eine Tatsache, die seinem Auftrage eine bemerkenswerte Farbe und Lebenskraft verlieh, es lagen aber eine Gnade und Gunst in dem Auftrage selbst, und es ist wichtig, dies im Sinn zu behalten. Das verleiht dem Auftrag und seiner Ausführung den Charakter. Ein Engel vollbringt einen Auftrag der Vorsehung; ein Mose gibt die Einzelheiten eines Gesetzes im Geiste des Gesetzes; ein Jona, ein Johannes der Täufer predigen Buße, er zieht sich von der Gnade zurück, die anscheinend seine Drohungen wider die bösen Nationen Lüge strafte, oder er legt in der Wüste die Axt an die Wurzel der unfruchtbaren Bäume im Garten Gottes. Durch Jesum aber empfängt Paulus Gnade und Apostelamt. Durch Gnade, und als Gnade trägt er die Botschaft der Gnade zu den Menschen, wo sie auch sein mögen, die Gnade, die in dem ganzen Umfang der Rechte Gottes über die Menschen kommt, und in Ihm Selbst, in Seiner Unumschränktheit, in der Er Seine Rechte ausübt. Unter diesen Nationen wurden auch die gläubigen Römer von Jesu Christo berufen.

Deshalb wendet sich Paulus an alle Gläubigen in jener großen Stadt. Sie waren Geliebte Gottes und Heilige durch Berufung 3.

Wie in allen seinen Briefen wünscht er ihnen Gnade und Friede von Gott, dem Vater, und vom Herrn Jesus Christus, von dem er seine Botschaft ausrichtete. Die vollkommene Gnade Gottes durch Christum, der vollkommene Friede des Menschen, und zwar mit Gott: das war es, was er im Evangelium und in seinem Herzen brachte. Dies sind die wahrhaftigen Bedingungen der Beziehung Gottes mit dem Menschen, und der des Menschen mit Gott, und das durch das Evangelium - dies ist die Grundlage, auf die das Christentum den Menschen stellt. Wenn ein einzelner angesprochen wird, kommt eine andere Überlegung auf, nämlich die seiner Schwachheiten und Gebrechen; deshalb wird dem Wunsche der heiligen Schreiber, wenn es um einzelne geht, „Barmherzigkeit“ hinzugefügt. (Siehe die Briefe an Timotheus und Titus, und den zweiten Brief des Johannes 4.)

Wenn die Liebe Gottes im Herzen ist, wenn Er dort Seinen Platz hat, so ist es vor Gott, wo man sich mit den Gegenständen Seiner Gnade befasst, dann ist es das Werk Gottes in ihnen, die entfaltete Gnade, das erste, was einem in den Sinn kommt, sei es in Liebe oder in Dankbarkeit. Der Glaube der Römer steigt als Danksagung aus dem Herzen des Apostels empor, den die Kunde darüber erreicht hatte.

Dann bringt er das Verlangen, sie zu sehen zum Ausdruck, ein Verlangen, das ihn oft beschäftigt hat. Hier bringt er seine apostolische Beziehung zu ihnen zum Ausdruck, und zwar mit all der Zärtlichkeit und all dem Feingefühl, die zur Gnade und Liebe gehören, die diese Beziehung gestaltet hatten und ihre Kraft ausmachten. Durch sein Recht ist er der Apostel aller Nationen, auch wenn er sie nicht gesehen haben mag; im Herzen ist er aber ihr Diener und mit der wahrhaftigsten und inbrünstigsten Bruderliebe, die der Gnade, die ihn zum Apostel gemacht hatte, entfließt, verlangt es ihn, sie zu sehen, um ihnen einige Gnadengaben mitzuteilen, die er dank seines Apostelamts mitzuteilen in der Lage war. Was er dabei im Herzen hatte, war, dass er den Glauben, der ihm und ihnen gemeinsam war, genießen möchte - einen durch diese Gaben gestärkten Glauben - und das zu ihrem gegenseitigem Trost. Oft hatte er sich vorgesetzt zu ihnen zu kommen, auf dass er auch auf diesem Teil des Feldes einige Frucht haben möchte, das Gott ihm anvertraut hatte; bis dahin wurde er immer verhindert.

Dann erklärt er sich als Schuldner aller Nationen, und ist bereit, so viel an ihm ist, auch denen, die in Rom sind, das Evangelium zu verkündigen. Die Weise, auf welche der Apostel das ganze Feld der Nationen als sein eigenes beansprucht, auf dem er von Gott verhindert wurde, nach Rom zu kommen, bis er am Ende seines Laufes dort ankam (und dann nur als Gefangener), ist aller Beachtung wert.

Wie es auch sein mochte, er war bereit, und zwar wegen des Wertes des Evangeliums - ein Punkt, der ihn dazu führt, den Wert wie auch den Charakter dieses Evangeliums darzulegen; denn er sagt, er schämt sich seiner nicht. Es war die Kraft Gottes zum Heil. Man beachte, wie der Apostel alles als von Gott kommend schildert. Es ist das Evangelium Gottes, die Kraft Gottes zum Heil, die Gerechtigkeit Gottes, ja sogar der Zorn Gottes, und zwar vom Himmel her - etwas anderes als irdische Züchtigung. Dies ist der Schlüssel zu allem. Der Apostel hebt es hervor, er betont es vom Anfang des Briefes an; denn der Mensch neigt immer dazu, sich selbst zu vertrauen, sich seiner selbst zu rühmen, irgendwelches Verdienst, irgendwelche Gerechtigkeit bei sich zu suchen, dem Judentum zu frönen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, als ob er etwas tun könnte. Es war die Freude des Apostels, seinen Gott in den Vordergrund zu stellen.

So schaltete Sich Gott im Evangelium ein, indem Er ein Heil vollbrachte, das ausschließlich Sein Werk war, - ein Heil, dessen Ursprung und Kraft Er war und das Er Selbst bewirkt hatte. Der Mensch kam durch Glauben dazu; es war der Glaubende, der daran teilhatte; aber um durch Glauben daran teilzuhaben war gerade der Weg, an ihm teilzuhaben, ohne auch nur irgendetwas hinzuzufügen und es völlig als das Heil Gottes zu belassen. Gott sei gelobt, dass es so ist, sei es wegen der Gerechtigkeit oder der Kraft, oder wegen des ganzen Ergebnisses, denn auf diese Weise ist es vollkommen, es ist göttlich. Gott ist in Seiner allmächtigen Kraft und in Seiner Liebe ins Mittel getreten, um die Elenden nach Seiner eigenen Macht zu erretten. Das Evangelium ist dessen Ausdruck: man glaubt daran und hat daran teil.

Es gibt aber einen besonderen Grund dafür, dass es die Kraft Gottes im Heil ist. Der Mensch war durch die Sünde von Gott abgewichen. Allein Gerechtigkeit konnte ihn in die Gegenwart Gottes zurückbringen und ihn zu einem solchen machen, dass er dort in Frieden sein kann. Ein Sünder - er hatte keine Gerechtigkeit, sondern ganz das Gegenteil, wenn aber der Mensch als Sünder vor Gott treten sollte, so erwartet ihn notwendigerweise Gericht: die Gerechtigkeit würde sich auf diese Weise äußern. Im Evangelium aber offenbart Gott Seinerseits eine positive Gerechtigkeit. Wenn der Mensch keine hat, so hat Gott eine Gerechtigkeit, die Ihm gehört, die Sein eigen ist, vollkommen wie Er Selbst, ganz nach Seinem Herzen. Eine solche Gerechtigkeit wird im Evangelium geoffenbart. Es gab keine menschliche Gerechtigkeit; eine Gerechtigkeit aus Gott wird geoffenbart. Sie ist vollkommen in sich selbst, göttlich und vollständig. Um geoffenbart zu werden, muss es so sein. Das Evangelium verkündigt sie uns.

Der Grundsatz, auf dem sie kundgetan wird, ist der Glaube, weil sie da ist, und sie ist göttlich. Wenn der Mensch etwas an ihr gewirkt oder einen Teil von ihr vollbracht hätte, oder wenn sein Herz irgendeinen Anteil an ihrer Ausführung gehabt hätte, wäre das nicht die Gerechtigkeit Gottes, sie ist aber vollständig und absolut Sein. Wir glauben an das Evangelium, welches sie kundtut. Wenn es aber der Glaubende ist, der an ihr teilhat, so hat jeder, der Glauben hat, an ihr teil. Diese Gerechtigkeit besteht auf dem Grundsatz des Glaubens. Sie ist geoffenbart, und zwar dem Glauben, wo immer dieser Glaube vorhanden ist.

Dies ist die Bedeutung des Ausdrucks, der mit „aus Glauben zu Glauben“ übersetzt wird - nach dem Grundsatze des Glaubens zum Glauben. Nun ist die Wichtigkeit dieses Grundsatzes hier augenscheinlich. Er lässt jeden Glaubenden aus den Nationen auf derselben Grundlage wie den Juden gelten, der kein anderes Eintrittsrecht hat als er. Sie haben beide Glauben: das Evangelium erkennt kein anderes Mittel an, um daran teilzuhaben. Die Gerechtigkeit ist Gottes; in ihr ist der Jude nichts mehr als der aus den Nationen - wie geschrieben steht: „Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.“ Die Schriften der Juden bezeugten die Wahrheit des Grundsatzes des Apostels.

Das ist es nun, was das Evangelium dem Menschen von Gottes Seite anbietet. Der vorherrschende Gegenstand war die Person Christi, der Sohn Davids dem Fleische nach (Erfüllung der Verheißung), und der Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach. Aber die Gerechtigkeit Gottes (nicht des Menschen) wurde darin geoffenbart. Das ist das Hauptthema von allem, was folgt. Der Apostel hatte allen Grund, sich dessen nicht zu schämen, wie sehr es auch vom Menschen verachtet wurde.

Diese Lehre wurde aber durch eine andere Überlegung bestätigt, und sie fußte auf der darin enthaltenen großen Wahrheit. Indem Gott Sich darstellt, konnte Gott die Dinge nicht nach den teilweisen, der Unkenntnis des Menschen angepassten Mitteilungen betrachten noch nach den vorübergehenden Zeitverwaltungen, durch welche Er sie regierte. Der Zorn war nicht bloß Seine Einschaltung in Seinen Regierungswegen, wie durch die Assyrer oder durch die babylonische Gefangenschaft. Es war „Zorn vom Himmel her“. Die wesentliche Opposition Seiner Natur gegen das Böse und dessen strafrechtliche Verwerfung überall da, wo es gefunden wurde, wurden offenbar. Nun offenbarte Sich Gott im Evangelium. Auf diese Weise bricht der Zorn tatsächlich nicht hervor (denn die Gnade verkündigte die Gerechtigkeit Gottes den Sündern zum Heil, die glauben würden), er wird aber (genau genommen nicht im Evangelium - das ist die Offenbarung der Gerechtigkeit) geoffenbart vom Himmel her über alle Ungerechtigkeit - über alles, was die Gegenwart Gottes nicht ehrt - über alles, was mit der Gegenwart Gottes nicht übereinstimmt, und über alle Ungerechtigkeit und Bosheit bei denen, die die Wahrheit hatten, Gott aber immer noch verunehrten; das bedeutet über alle Menschen, ob aus den Nationen oder andere, und besonders über die Juden, welche die dem Gesetz gemäße Erkenntnis Gottes besaßen; und wiederum (denn der Grundsatz ist weltweit und entfließt dem, was Gott ist, wenn Er Sich offenbart) über jeden, der sich zum Christentum bekennt, wenn er in dem Bösen wandelt, welches Gott hasst.

Dieser Zorn, göttlicher Zorn (der der Natur Gottes, der im Himmel ist, entspricht) wider den Menschen als Sünder machte die Gerechtigkeit Gottes notwendig. Der Mensch sollte jetzt Gott begegnen, und zwar als völlig geoffenbart, wie Er ist. Dies zeigte, dass er ganz und gar ein Sünder war, es ebnete aber in Gnade den Weg zu einem weit vorzüglicheren Platz und Stand - zu einem, der auf der Gerechtigkeit Gottes gegründet ist. Das Evangelium offenbart die Gerechtigkeit; wie günstig und notwendig sie ist, wird durch den Zustand der Sünde erwiesen, in dem sich alle Menschen befinden und weswegen der Zorn vom Himmel her geoffenbart wurde. Der Mensch sollte nicht nur durch Gott regiert werden und regierungsmäßigen Zorn empfangen, sondern er sollte vor Gott erscheinen. Wie könnten wir dort bestehen? Die Antwort ist die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes durch das Evangelium. Und deshalb, selbst wenn von der Auferstehung die Rede ist, wird Christus als Sohn Gottes nach dem Geist der Heiligkeit erwiesen. Man muss Gott als Dem begegnen, der Er ist. Die Offenbarung Gottes Selbst in Seiner heiligen Natur erfasste notwendigerweise mehr als nur die Juden. Sie war wider die Sünde als solche, wo immer sie war, wo immer sie der Sünde begegnete, um das, was Gott ist, zu verwirklichen. Es ist eine herrliche Wahrheit, und wie gesegnet, dass die göttliche Gerechtigkeit also in unumschränkter Gnade geoffenbart werden sollte! Da aber Gott Liebe ist, dürfen wir sagen, dass es nicht anders sein konnte; wie herrlich aber, dass Gott Sich so geoffenbart hat!

Also liegt die These dieses Briefes in Vers 17, das, was ihre Notwendigkeit in Vers 18 bewies. Von Vers 19 an bis Kapitel 3,20 wird der Zustand der Menschen, der Juden und der Nationen, auf die sich diese Wahrheit bezieht, ausführlich beschrieben, um zu zeigen, auf welche Weise der Zorn verdient wurde, und dass alle in die Sünde eingeschlossen wurden (V. 19 und 21 dieses Kapitels geben die führenden Grundsätze des Bösen in Bezug auf die Nationen). In Röm 3,21-31  wird die Antwort in Gnade durch die Gerechtigkeit Gottes durch das Blut Christi kurz, aber kraftvoll kundgetan. Denn wir bekommen zuerst durch das Blut Christi die Antwort auf den alten Zustand, und dann die Einführung in den neuen Zustand durch Tod und Leben durch Christum.

Der Apostel beginnt mit den Nationen - „alle Ungerechtigkeit“ der Menschen. Ich sage der Nationen (es ist augenscheinlich, dass, wenn ein Jude in diesen Zustand verfällt, ihm diese Schuld anhaftet; der beschriebene Zustand aber bis zu Kapitel 2,17 ist der der Nationen); späterhin ist es der der Juden bis Kapitel 3,20.

Kapitel 1,18 ist die These der ganzen Erörterung von Vers 19 bis Kapitel 3,20, indem dieser Teil des Briefes den Grund jenes Zornes angibt.

Die Nationen sind aus zwei Gründen unentschuldbar. Erstens ist das von Gott Erkennbare durch die Schöpfung offenbar geworden - seine Kraft und Göttlichkeit. Dieser Beweis hat seit der Erschaffung der Welt bestanden. Zweitens, dass sie die Erkenntnis Gottes so wie Noah hatten, Ihn aber als Gott nicht verherrlichten, sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen, und indem sie sich diesbezüglich ihre eigenen Gedanken und Begriffe machten, wurden sie zu Narren, während sie sich für Weise ausgaben, verfielen sie dem Götzendienst, und zwar von der gröbsten Art. Gott hat das nun gerichtet. Wenn sie einen gerechten Begriff von der Herrlichkeit Gottes nicht behalten wollten, dann sollten sie nicht mal einen gerechten Begriff von der natürlichen Würde des Menschen behalten. Sie sollten sich selbst verunehren, wie sie Gott verunehrt hatten. Mit einigen kraftvollen und energischen Worten haben wir hier die genaue Schilderung der ganzen heidnischen Mythologie. Sie hatten kein Unterscheidungsvermögen, keinen moralischen Geschmack, Gott in Erkenntnis zu haben, deshalb hat Gott sie dahingegeben in einen verworfenen Sinn, sich ihres verderbten Geschmacks zu rühmen, solcher Dinge, die sich nicht mal für die Natur geziemen. Das natürliche Gewissen erkannte, dass Gott nach der gerechten Forderung seiner Natur solches Tun für des Todes würdig hielt. Nichtsdestoweniger übten sie diese Dinge nicht allein aus, sondern sie hatten Wohlgefallen an denen, die es taten, wenn sie ihre eigenen Gelüste nicht fortrissen. Das ließ für die, welche das Böse verurteilten (und es gab solche), keinen Raum zur Entschuldigung, denn sie verübten es, indem sie es verurteilten. Durch dieses Richten verdammte sich der Mensch doppelt, denn dadurch, dass er das Böse richtete, zeigte er, dass er es als böse erkannte, und doch verübte er es. Das Gericht Gottes aber nach der Wahrheit ist über die, welche solches tun; die, welche einen guten Ruf dadurch erwarben, dass sie diese Dinge richteten, sollten dem Gericht Gottes nicht entrinnen.

Fußnoten

  • 1 Da dies für uns ist, bringt uns dies in Verbindung mit einer Heiligkeit (wie es die Offenbarung der Gerechtigkeit weiter tut, aber auf eine offenere Weise), die eine Verbindung mit Gott, wie Er in Sich Selbst völlig geoffenbart ist, einschließt - nicht wie die Juden außerhalb des Vorhangs.
  • 2 Es heißt nicht „durch Seine Totenauferstehung“, sondern abstrakt „durch Totenauferstehung“. Seine eigene war der große Beweis, aber auch die eines jeden Menschen ist ebenso ein Beweis.
  • 3 Der Leser muss merken, dass es in den Versen 1 und 7 nicht heißt: „Berufen, um ein Apostel zu sein“, noch „berufen, um Heilige zu sein“, sondern berufener Apostel, berufene Heilige. Sie waren das Erklärte, und zwar durch die Berufung Gottes. Ein Jude war kein Heiliger durch Berufung; im Vergleich zu den Nationen war er heilig geboren. Diese waren die Berufenen Jesu Christi; sie waren aber nicht einfach berufen, um Heilige zu sein, sondern sie waren es durch Berufung.
  • 4 Auf den ersten Blick mag es scheinen, als ob der Brief an Philemon eine Ausnahme ist; er bestätigt aber diese Bemerkung, denn man wird sehen, dass die Versammlung in seinem Hause in diesen Wunsch eingeschlossen ist. Dies macht den Judasbrief noch bemerkenswerter. In Bezug aber auf Titus 1,4 kommt eine verschiedene Lesart in Frage.
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