Betrachtung über 2. Korinther (Synopsis)
Kapitel 6
Paulus hatte gesagt, dass Gott durch ihn ermahnt, und wir werden jetzt sehen, wie eifrig er dieses göttliche Werk durch den Heiligen Geist betreibt, indem er die Korinther bittet, dass sie die ihnen gebrachte Gnade nicht vergeblich empfangen haben möchten; denn jetzt war die wohlannehmliche Zeit, der Tag des Heils 1. Der Apostel hatte von den großen Grundsätzen und dem Ursprung seines Dienstes geredet. Er erinnert jetzt die Korinther an die Art und Weise, wie er diesen Dienst in den verschiedenen Umständen, durch die er gehen musste, ausgeführt hatte. Die Hauptsache ist, dass er ein Diener Gottes war, dass er in seinem Dienst Gott darstellte. Diese Tatsache machte zweierlei notwendig: erstens, dass Paulus in allen Dingen ohne Tadel war, und dann, dass er diesen Charakter als Gottes Diener und die Ausübung seines Dienstes trotz allen Widerstandes und in allen Umständen, durch die die Feindschaft des menschlichen Herzens oder die List Satans ihn führen mochte, aufrecht hielt. In allen Dingen und überall vermied der Apostel durch sein Verhalten jeden wirklichen Anlass zu einem Vorwurf gegen ihn, damit niemand Gelegenheit fände, seinen Dienst zu verlästern. Er erwies sich in allem als Gottes Diener, indem er in würdiger Weise Den vertrat, in dessen Namen er sich an die Menschen wandte, und er tat dies inmitten der Verfolgung und des Widerspruchs der Sünder mit einer Geduld, die eine innere Tatkraft sowie ein Pflichtgefühl gegen Gott und eine Abhängigkeit von Gott bewies, die nur die Verwirklichung der Gegenwart Gottes und dessen, was wir Ihm schuldig sind, zu verleihen vermag. Diese Gesinnung erhielt sich bei dem Apostel durch alle Umstände hindurch, von denen er redet, und beherrschte sie.
So zeigte er sich in allem, was ihn auf die Probe stellen konnte, als Gottes Diener, in Reinheit, in Gütigkeit, in Liebe, als ein Gefäß der Kraft, geehrt oder geschmäht, der Welt unbekannt und doch bekannt und hervorragend, als äußerlich von den Menschen mit Füßen getreten und gezüchtigt und innerlich siegreich und voller Freude, andere reich machend und alles besitzend! – Hiermit endet die Beschreibung, die der Apostel von den Quellen und dem Charakter eines Dienstes gibt, der über die Umstände triumphierte und die Kraft Gottes in einem schwachen Gefäß entfaltete, dessen bestes Teil der Tod war.
Die Wiederherstellung der Korinther in einen dem Evangelium entsprechenden sittlichen Zustand, im Zusammenhang mit den Umständen, durch die der Apostel soeben gegangen war, hatte ihm erlaubt, ihnen sein Herz zu öffnen. Bis dahin vornehmlich mit dem verherrlichten Christus beschäftigt, der nach vollbrachter Versöhnung ihn als den Boten der Gnade ausgesandt hatte, einer Gnade, der die Versöhnung freie Bahn gemacht hatte, und nachdem er mit einem freien Herzen von allem, was in diesen Dienst einbegriffen war, geredet, kommt Paulus jetzt mit Zärtlichkeit auf seine geliebten Korinther zurück, indem er ihnen zeigt, dass gerade ihnen gegenüber sein Herz so offen und weit sei. „Unser Mund“, sagt er, „ist zu euch aufgetan, ihr Korinther, unser Herz ist weit geworden. Ihr seid nicht verengt in uns, sondern ihr seid verengt in eurem Innern“ (V. 11+12). Zur Vergeltung dieser Gefühle der Liebe, die ihnen aus seinem Herzen entgegenströmten, bittet der Apostel nur um die Erweiterung ihrer eigenen Herzen. Er redet zu ihnen wie zu seinen Kindern; aber er bedient sich dieses lieblichen Verhältnisses, um die Korinther zu ermahnen, doch an dem Platz zu bleiben, auf den Gott sie gestellt hatte. „Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen.“ Da der Apostel auf ihre Liebe Anspruch hatte und sich vor Gott innig über die Gnade freute, die sie zu richtigen Gefühlen zurückgeführt hatte, ist sein Herz frei, um sich (als wenn er „außer sich“ wäre) dem Genuss hinzugeben, der in dem verherrlichten Christus sein Teil war; und anschließend, wenn er wieder vernünftig denkt und es sich um seine geliebten Kinder im Glauben handelt 2, sucht er sie von allem abzusondern, wodurch das Fleisch als berechtigt anerkannt wurde oder woraus hätte gefolgert werden können, dass für einen Christen ein Verhältnis möglich sei, in dem das Fleisch Anerkennung findet; – er sucht sie von allem zu trennen, was der Stellung eines Menschen widersprach, der sein Leben und seine Interessen in der neuen Schöpfung hat, deren Haupt Christus in der Herrlichkeit ist. Ein Engel kann Gott in dieser Welt dienen, und es würde ihm wenig ausmachen, auf welche Weise, vorausgesetzt, dass es der Weg Gottes wäre, aber sich mit den Interessen dieser Welt verbinden als einer, der teil daran hat, sich mit denen vereinigen, die sich von den Beweggründen leiten lassen, die die Menschen dieser Welt beeinflussen, sodass das gemeinsame Verhalten zeigen würde, dass der eine wie der andere nach Grundsätzen handelte, die den Charakter der Welt ausmachen, – das hieße für diese himmlischen Wesen, ihre Stellung und ihren Charakter verlieren. Für den Christen, dessen Teil die Herrlichkeit Christi ist, der seine Welt, sein Leben, seine wahren Verbindungen da hat, wo Christus eingegangen ist, wäre es geradeso; er kann sich, da er Christ ist, nicht mehr unter dasselbe Joch mit denen begeben, die nur weltliche Beweggründe haben können, er kann den Lebenswagen nicht in einem für beide gemeinsamen Gleise ziehen.
Welche Gemeinschaft besteht zwischen Christus und Belial, zwischen Licht und Finsternis, zwischen Glauben und Unglauben, zwischen dem Tempel Gottes und den Götzen? Die Christen sind der Tempel des lebendigen Gottes, der unter ihnen wohnt und wandelt, Er ist ihr Gott, sie sind sein Volk. Deshalb müssen sie aus jeder Verbindung und Gemeinschaft mit Weltleuten ausgehen und sich von ihnen absondern. Als Christen müssen sie abgesondert dastehen, denn sie sind der Tempel Gottes. Gott wohnt und wandelt unter ihnen, und Er ist ihr Gott. Darum müssen sie aus der Welt ausgehen und abgesondert sein, und dann will Gott sie anerkennen und in dem Verhältnis eines Vaters zu geliebten Söhnen und Töchtern zu ihnen stehen.
Man beachte, dass dies hier das besondere Verhältnis ist, in welches Gott sich zu uns stellt. Indem die beiden früher schon geoffenbarten Beziehungen Gottes zu den Menschen erwähnt werden, tritt Gott hier in eine dritte ein: dem Abraham offenbarte Er sich als der Allmächtige, dem Volk Israel als Jehova oder Herr; hier erklärt der Herr, der Allmächtige, dass Er den Seinigen, seinen Söhnen und Töchtern, „Vater“ sein wolle. Wir gehen aus der Mitte der Weltleute hinaus, denn genau so ist es – nicht als ob wir, was unsere Leiber betrifft, aus der Welt gingen, sondern wir gehen aus ihrer Mitte, während wir uns noch in ihr befinden –, um in das Verhältnis von Söhnen und Töchtern zu dem allmächtigen Gott zu treten; anders können wir dieses Verhältnis nicht praktisch verwirklichen. Gott will nicht Weltkinder in dem Verhältnis von Söhnen und Töchtern zu sich haben, sie sind nicht in diese Stellung Ihm gegenüber eingetreten. Auch will Er diejenigen, die mit der Welt verbunden bleiben, nicht als in dieser Stellung befindlich anerkennen; denn die Welt hat seinen Sohn verworfen, und die Freundschaft der Welt ist Feindschaft gegen Gott, und wer ein Freund der Welt sein will, stellt sich als Feind Gottes dar. Weltlich bleiben heißt, nicht in praktischem Sinn Gottes Kind sein. Gott sagt deshalb: „Geht aus ihrer Mitte und sondert euch ab, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein.“ Ich wiederhole, dass es sich nicht um ein Weggehen aus der Welt selbst handelt, – nein, das was gefordert wird, geschieht, während wir in der Welt sind –, sondern um ein Ausgehen aus der Mitte der Weltkinder, um in die Stellung von Söhnen und Töchtern einzutreten, um Gott zu Söhnen und Töchtern zu sein, um von Ihm als in diesem Verhältnis befindlich anerkannt zu werden 3.
Fußnoten
- 1 Diese Stelle ist eine Anführung von Jesaja 49,8, wo von der Segnung die Rede ist, die auf die Nationen kommen sollte, nachdem Christus von den Juden verworfen sein würde, jedoch vermittels des Werkes Christi und durch die Auferstehung.
- 2 In welch einem gesegneten Zustand befindet sich ein Mensch, der, wenn er außer sich, d. h. außerhalb eines Zustandes ruhiger Überlegung ist, einzig und allein mit Gott beschäftigt, völlig Gott zugewandt ist, und der, wenn er vernünftig denkt und urteilt, in Liebe beschäftigt ist, das Wohl seiner Brüder, der Glieder Christi, zu suchen; der entweder ganz hingerissen ist zu der Betrachtung Gottes und der Gemeinschaft mit Ihm oder erfüllt ist mit Gott, um in Liebe nur an das Wohl anderer zu denken! (Vgl. 2. Kor 5,13).
- 3 Der Leser wolle beachten, dass die Stelle zweierlei enthält: nämlich, dass Gott in der Versammlung derer, die von der Welt abgesondert sind, gegenwärtig ist und in ihrer Mitte wandelt, wie es einst der Fall war mit Israel in der Wüste, als sie aus Ägypten ausgezogen waren, und dass die Einzelnen, die die Versammlung ausmachen, in das Verhältnis von Söhnen und Töchtern treten.