Drei Charaktere – ein Haus in Bethanien

Kapitel 2: Martha

Drei Charaktere – ein Haus in Bethanien

Martha ist beschäftigt (Lukas 10)

Was für einen lieblichen Eindruck hinterlässt die Familie in Bethanien bei uns! Mit welch einer Liebe wurde der Herr Jesus dort empfangen und wie gern hielt Er sich dort auf! Wir wollen nun zu unserem eigenen Nutzen die Personen, aus denen diese Familie bestand, näher kennenlernen. Denn obwohl alle Jesus von Herzen lieb hatten und Er sie alle innig liebte, gab es bei den dreien doch große Unterschiede im Charakter und im geistlichen Leben. Der Heilige Geist stellt uns diesen Unterschied in einigen markanten Merkmalen vor Augen. Auf eine Art und Weise, wie nur Gott dies tun kann, werden uns der Charakter und der geistliche Zustand eines jeden geschildert. Manche wichtige Lektion gilt es hier für uns zu lernen. Manch beschämendes Wort werden wir hören. Manch herrlicher Trost wird uns hier geschenkt.

Martha scheint die Hauptperson im Haus gewesen zu sein. Auf ihr lastete die Sorge und Leitung des Haushalts. Es wird ihr Haus genannt. „Eine gewisse Frau aber, mit Namen Martha, nahm ihn in ihr Haus auf“ (Lk 10,38). Dadurch lernen wir Martha sofort kennen. Sie fühlte sich von dem Herrn Jesus angezogen, sie hatte Ihn lieb und sie schätzte seine Anwesenheit. Sie öffnete ihr Haus für Ihn, und das nicht nur einmal, sondern mehrmals. Sie empfing ihn nicht kühl, sondern mit größter Herzlichkeit und Freude. Alles hatte sie für Ihn übrig. Alles, was ihr Haus hergab, wurde für den Herrn Jesus hergerichtet. „Martha aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen“, lesen wir in Lukas 10,40. Sie wollte es Jesus so angenehm wie möglich machen. Als eifrige Hausfrau tat sie alles, um ihrem Gast alles Nötige zu geben.

Sie war ganz mit Dienen beschäftigt und konnte es sich nicht erklären, wie Maria so ruhig zu den Füßen des Herrn sitzen konnte, ohne ihr zu helfen. Wir sollten sie hierin nicht zu hart verurteilen. Zwar war das ein Beweis dafür, dass Martha in Christus nicht das gefunden hatte, was Maria in Ihm fand; sie zeigte wohl mehr Interesse an der Versorgung des Herrn als darin, seiner Unterweisung zuzuhören. Aber dennoch war ihr Dienen ein schöner und ein passender Beweis ihrer Liebe zu Ihm.

Der Herr Jesus schätzte das. Hätte Martha keinen Einwand gegen Marias Handeln geäußert, so hätte Er sie sicher ruhig arbeiten und dienen lassen. Oder musste denn etwa nichts getan werden, als Jesus in ihr Haus eintrat? Musste denn keine Mahlzeit gekocht und mussten keine Erfrischungen angeboten werden? Doch, natürlich. Und dass Martha dies so eifrig tat, zeigte, wie sehr sie sich über seinen Besuch freute. Und dass der Herr immer wieder dort zu Besuch kam, beweist doch, dass Er es in ihrem Haus gut hatte und Er sich dort gern aufhielt.

Jesus ist es wert, dass wir alles für Ihn übrig haben. Für Ihn sollte keine Mühe zu viel, keine Arbeit zu schwer und keine Anstrengung zu groß sein. Wir können viel von Martha lernen. Wir sind allerdings manchmal zu kühl und geizig. Es fällt uns oft so schwer, etwas für Ihn zu tun. Für unsere eigene Freude, für unser eigenes Vergnügen tun wir oft sehr viel – aber für Ihn? Oft müssen wir uns schämen. Wenn es um uns selbst geht und um unsere eigenen Angelegenheiten, dann haben wir Zeit genug. Wir scheuen weder Kosten noch Mühen, wenn es um unsere Bequemlichkeit oder um unser Vergnügen geht. Doch wie oft ziehen wir uns zurück, wenn etwas für den Herrn sein soll!

Es ist wahr: Martha hatte viel zu tun mit ihrem Dienen; Martha fand ihren Dienst wichtiger als das Zuhören von Maria, und das war nicht gut von ihr, denn hierin irrte sie sich. Doch wie oft benutzen wir Marthas Irrtum, um uns dem Dienen für den Herrn Jesus zu entziehen. Manch einer lässt sich ruhig nieder und tut nichts, oder er entschuldigt sich, wenn seine Hilfe gebraucht wird, weil er denkt, dienen und arbeiten sei nicht das Wichtigste und dass man dann leicht im Vordergrund steht und hochmütig werden kann. Aber man vergisst, dass die Liebe zum Herrn uns niemals zum Nichtstun, sondern im Gegenteil zum Arbeiten anspornen wird. Es ist gut, wenn wir uns davor fürchten, dass wir uns in der Arbeit selbst verwirklichen; doch wenn wir aus wahrhaftiger Liebe zum Herrn arbeiten, ohne uns darin selbst zu verwirklichen, dann ist das besser.

Und Martha in all ihrer Betriebsamkeit, „beschäftigt mit vielem Dienen“, ist weit höher zu schätzen als jemand, der sich kühl rechnend müßig niedersetzt. Bei Martha ist Liebe zum Herrn und Freude über seine Person die Triebfeder, selbst wenn sich dann fremdes Feuer auf dem Altar befindet. Beim Letzteren ist zu befürchten, dass vielmehr Selbstliebe als Liebe zu Jesus das Herz leitet.

Martha war eine gläubige Frau. Das wird häufig bezweifelt. Der Herr Jesus sagte einmal zu ihr: „Martha, Martha! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; eins aber ist nötig. Denn Maria hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird“ (Lk 10,41.42). Diese Worte werden oft so aufgefasst, als ob der Herr sagen wollte: „Maria hat mich lieb und glaubt an mich, aber du, Martha, beschäftigst dich nur mit den äußerlichen Dingen.“

Das ist jedoch ein gewaltiger Irrtum. Der Unterschied zwischen Maria und Martha bestand nicht darin, dass die eine glaubte und die andere nicht und dass die eine den Herrn Jesus lieb hatte und die andere nicht. Nein! Hierin waren sie gleich. Beide glaubten an den Herrn Jesus, beide liebten Ihn brennend und beide hatten sie alles für Ihn übrig. Der Heilige Geist hat dafür gesorgt, dass dies über allen Zweifel erhaben bleiben wird. Lies nur einmal die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus in Johannes 11 und du wirst davon völlig überzeugt sein.

Waren es nicht beide Schwestern, die dem Herrn die ergreifende Botschaft sandten, die ihr festes Vertrauen auf seine Liebe bewies: „Herr, siehe, der, den du lieb hast, ist krank“ (Joh 11,3)? Eilte Martha nicht dem Herrn entgegen, sobald sie hörte, dass Er sich dem Ort näherte? Hören wir nicht aus ihrem Mund das schöne Bekenntnis ihres Glaubens an den Herrn Jesus: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll“ (Joh 11,27)?

Und als hätte der Heilige Geist es verhindern wollen, dass wir eine falsche Vorstellung von Martha haben, fügt Er noch hinzu: „Jesus aber liebte Martha und ihre Schwester und Lazarus“ (Joh 11,5), und stellt dabei Martha auf auffallende Weise an die erste Stelle. Der Unterschied zwischen Martha und Maria besteht also nicht darin, dass die eine glaubte und die andere nicht und dass die eine Jesus lieb hatte und die andere nicht, sondern der Unterschied besteht darin, dass Maria die Unterweisung des Herrn Jesus über alles wertschätzte, während Martha mehr ihren eigenen Dienst wertschätzte. Das gute Teil, das Maria gewählt hatte, war, zu den Füßen des Herrn Jesus zu sitzen und auf seine Unterweisungen zu hören.

Martha war eine gläubige Frau, die Jesus herzlich lieb hatte, aber sie war eine Gläubige, die mehr mit sich selbst als mit Jesus beschäftigt war. Sie dachte mehr an ihren Dienst als an den Herrn; sie war schon etwas von sich eingenommen. Darum konnte sie Marias Verhalten nicht gut ertragen; es ärgerte sie. Martha hatte viel zu tun und meinte, sich damit verdient zu machen; und Maria ließ sie still gewähren, kam ihr nicht zur Hilfe und zeigte dadurch stillschweigend, dass sie die Unterweisungen des Herrn Jesus viel wichtiger fand als alles Dienen von Martha.

Es ist völlig natürlich, dass Martha nicht an sich halten kann und ihrer Unzufriedenheit Luft verschaffen musste. Sie war in gutem Glauben und meinte es gut! Gedanken an Eigenliebe und Selbstsucht gab es nicht im Entferntesten. Alles, was sie tat, tat sie doch für den Herrn! Aber sie kannte sich selbst nicht und wusste nicht, was in ihrem Herzen war. Die Umstände zeigten dies, denn hätte sie nur um des Herrn Jesu willen gedient, dann wäre kein Einwand über ihre Lippen gekommen. Sie wäre glücklich gewesen, wenn sie ihre Berufung erfüllt und sich um Maria nicht gekümmert hätte. Da das aber nicht so war, konnte sie es nicht ertragen, dass alle ihre Mühen und Sorgen fast unbemerkt blieben.

Viele Gläubige gleichen Martha. Sie sind mit vielem Dienen beschäftigt. Sie predigen und machen Besuche, sie schreiben und verteilen Traktate oder halten Sonntagsschule. Voll Eifer machen sie sich an die Arbeit. Sie gönnen sich selbst keine Ruhepause. Sie haben ständig Stress und Sorgen. Sie meinen es wahrlich gut. Sie haben den Herrn herzlich lieb. Und was sie tun, tun sie – wie sie aufrichtig denken – aus ungeheuchelter Liebe zum Herrn. Doch sie kennen sich selbst nicht. Sie erkennen nicht, dass sie mehr auf ihren Dienst ausgerichtet sind als auf den Herrn Jesus; dass sie viel mehr daran denken, was sie tun, als was Er getan hat.

Häufig tritt das zutage. Spricht man mit ihnen über christliche Aufgaben, sind sie Feuer und Flamme; ganze Abende kann man auf diese Weise mit ihnen verbringen; unerschöpflich teilen sie sich mit. Aber wenn man mit ihnen über die Bibel spricht, wenn man ihnen die herrlichen Wahrheiten zeigt, die sie enthält, oder wenn man mit ihnen über die Herrlichkeit des Herrn Jesus spricht und die selige Gemeinschaft mit Ihm, dann sind sie stumm; sie werden ungeduldig; sie versuchen abzulenken, um das Gespräch wieder auf ihr geliebtes Thema zurückzubringen. In diesen Dingen sind sie nicht zu Hause. Ja, oft hat man mir geantwortet, dass solche Themen nicht so wichtig seien.

Es spricht für sich, dass diese Gläubigen, genau wie Martha, andere tadeln, die nicht so schnell laufen und nicht so viel mit Dienen beschäftigt sind, sondern sich zuallererst lieber zu den Füßen des Herrn niedersetzen, um von Ihm unterwiesen zu werden. Solche sind ihnen oft ein Ärgernis. Dies wird manchmal durch die Umstände deutlich. Ich habe Gläubige gekannt, die mit Feuereifer bei der Arbeit waren, die sich in der Arbeit sehr glücklich fühlten, die immer aufgeweckt und aufgeräumt waren. Doch als sie dann vom Herrn aufs Krankenbett gelegt wurden und ihre Arbeit längere Zeit unterbrechen mussten, verloren sie all ihr Glück und all ihre Aufgeräumtheit und bemerkten eine unerklärliche Leere in sich.

Was war die Ursache? Sie hatten sich einfach mehr an ihrer Arbeit erfreut als am Herrn; mehr an sich selbst gedacht als an Ihn; sich mehr mit ihrem Dienst beschäftigt als mit seiner Herrlichkeit und Wahrheit. Sie hatten gelebt, um zu arbeiten, und nicht gearbeitet, um zu leben. Wäre Letzteres der Fall gewesen, so wären sie, als sie bei ihrer Arbeit unterbrochen wurden, genauso glücklich gewesen wie bei der Arbeit selbst. Es sagt schon sehr viel aus, dass – wenn man aus seiner Arbeit die Hauptsache macht – eine schreckliche Leere sich im Herzen und im Leben einstellt, wenn uns die Arbeit aus der Hand genommen wird. Wenn der Herr Jesus jedoch der Mittelpunkt unserer Gedanken und unserer Arbeit ist, dann bleibt die Freude dieselbe, auch wenn die Arbeit unterbrochen werden muss; denn der Herr Jesus ändert sich nicht. Während man gearbeitet hat, hat man für Ihn gelebt und gehandelt, und man hört nicht auf, für Ihn zu leben und zu handeln, während man auf dem Krankenbett liegt. Das ist ein sicherer Prüfstein. Fragen wir uns selbst einmal: Sind wir genauso glücklich und ruhig, wenn wir allein mit dem Herrn sind, als wenn wir damit beschäftigt sind, das Evangelium zu verkündigen, Sonntagsschule zu halten oder irgendeinen anderen christlichen Dienst tun?

Martha war alles andere, nur nicht ruhig. Sie war „sehr beschäftigt mit vielem Dienen“. An sich war es eine gute Sache, dass sie diente. Doch weil sie sich selbst und den Jesus zu wenig kannte, konnte sie nicht ruhig ihre Arbeit tun und alles in die Hände des Herrn legen. Als Maria sie allein dienen ließ, konnte Martha es nicht lassen, sowohl den Herrn Jesus als auch ihre Schwester zu tadeln. Als sie nach Lazarus’ Tod hörte, dass Jesus endlich kam, eilte sie Ihm entgegen und fing ein ausführliches Gespräch mit Ihm an, lief aber ebenso schnell wieder weg, um Maria zu rufen, als sie merkte, dass sie Jesus nicht verstand.

Gemeinsam mit Maria kehrt sie wieder zurück, und am Grab von Lazarus wird erneut deutlich, dass sie unruhig ist und sich gehetzt fühlt. Das konnte auch gar nicht anders sein, denn es war eine Folge ihres geistlichen Zustands. Nur in der Gegenwart und in der Gemeinschaft des Herrn Jesus wird man ruhig und gelassen. Unsere Natur ist immer gehetzt, vorschnell und unruhig oder das Gegenteil: kühl, gefühllos und unbewegt. Der Herr sagte zu Martha: „Martha, Martha! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge“ (Lk 10,41). In diesen Worten ist alles eingeschlossen. Sie beschreiben den Zustand ihrer Seele. Es ist nicht verkehrt, viel zu tun. Wenn der Herr uns viel zu tun gibt, so ist das wunderbar. Doch sich um viele Dinge zu sorgen und unruhig zu werden, zeigt, dass man selbst am Werk ist und dass man meint, alles selbst regeln und lenken zu müssen.

Wie viel Getriebensein gibt es oft unter Christen! Wie wenig wird gefragt: Herr, was willst du, dass ich tun soll? Man denkt so wenig daran. Was man selbst für gut und nützlich hält, was man selbst für das Evangelium nützlich und förderlich hält, das tut man einfach, ohne zu fragen, ob der Herr das gutheißt. Kein Wunder, dass man unbeständig ist in seinen Wegen und hin und her geworfen wird. Alle möglichen Dinge werden in Angriff genommen und eifrig verteidigt. Aber schnell flauen sie ab und verschwinden. Das eine verdrängt das andere. Vielen kann man ansehen, dass ihnen die Ruhe des Glaubens völlig fehlt.

Martha war aber nicht nur unruhig, sondern auch unwissend. Wie könnte das auch anders sein! Wenn unsere eigene Arbeit uns einspannt, sind unsere Gedanken natürlich auch davon erfüllt, und dann haben wir keine Zeit – und eigentlich auch keine Lust –, um uns an der Unterweisung des Herrn zu erfreuen. Man liest zwar in der Bibel und wird dadurch erbaut, aber man studiert die Bibel nicht. Man bleibt bei den ersten Grundsätzen stehen. Vom Wachsen in der Erkenntnis Gottes und des Herrn Jesus Christus ist kaum die Rede. Man vermutet nicht einmal, dass solche herrlichen Wahrheiten in der Schrift gefunden werden, und man kann nicht verstehen, dass andere sich so daran erfreuen. Und so geht es weiter, jahrein, jahraus, ohne dass man viel mehr weiß, als dass man durch den Glauben an Jesus errettet ist, falls dieses Bewusstsein nicht inzwischen aus dem Herzen verschwunden ist. Es sagt sehr viel aus, dass man nur sehr wenig von der Wahrheit versteht, wenn man so handelt. Über viele Dinge kann man nicht mitreden; und wenn darüber gesprochen wird, fühlt man sich genauso unwohl wie Martha, als der Herr mit ihr sprach.

Wie Martha mit Leid umgeht (Johannes 11)

Die Geschichte in Johannes 11 liefert uns dafür einen trefflichen Beweis. Wir wollen uns jetzt mit ihr und mit ihren Besonderheiten beschäftigen, denn diese Geschichte ist zu wichtig, um beiseitegelassen zu werden.

Sobald Martha hörte, dass Jesus kam, ging sie Ihm entgegen. „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben“ (V. 21), ruft sie aus und beweist damit ihren Glauben an den Herrn Jesus. Wenn Jesus da gewesen wäre, hätte Er Lazarus gesund gemacht. „Aber“, fügt sie hinzu, „auch jetzt weiß ich, dass, was irgend du von Gott erbitten magst, Gott dir geben wird“ (V. 22). Martha gleicht in einer Eigenschaft dem Petrus. Sie ist genauso voreilig, genauso unruhig; auch sie gehört immer zu den Ersten; auch sie hat wohl Liebe zu Jesus, aber wenig Selbsterkenntnis. So auch hier. Sie denkt, dass sie viel weiter ist, als sie tatsächlich ist.

Petrus sagte: „Wenn alle an dir Anstoß nehmen werden, ich werde niemals Anstoß nehmen“ (Mt 26,33). Und: „Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“ (Lk 22,33). Er meinte das wirklich so. Doch als sein Glaube auf die Probe gestellt wurde, hatte er vor einer einfachen Dienerin Angst. Martha meinte das auch so: „Was irgend du von Gott bitten magst, wird Gott dir geben“ (Joh 11,22). Aber als Jesus sagte: „Nehmt den Stein weg!“, bekam Martha es mit der Angst zu tun und rief aus: „Herr, er riecht schon, denn er ist vier Tage hier“ (V. 39). Die Wirklichkeit ist oft anders, als wir denken. Unser Kopf ist oft viel weiter als unser Herz. Wir tun uns manchmal hervor, doch wenn unser Glaube auf die Probe gestellt wird, wie sieht es dann aus?

Der Herr Jesus antwortet: „Dein Bruder wird auferstehen“ (V. 23). „Ja“, sagt Martha. „Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag“. Martha verstand Jesus nicht. Sie war zu wenig an seine Unterweisung gewöhnt, um Ihn verstehen zu können. Der Herr erklärt nun, was er meint: Ich rede nicht von der Auferstehung am letzten Tag, Martha, will der Herr gewissermaßen sagen. Dein Bruder wird jetzt auferstehen, denn ich, der ich vor dir stehe, „ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du dies?“ (V. 25.26).

Und was ist Marthas Antwort: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll“ (V. 27). Das war allerdings nicht die Antwort auf die Frage des Herrn Jesus. Nein, Martha verstand den Herrn nicht. Und sie merkte das selbst. Sie fühlte, dass sie hier nicht am rechten Fleck war; Maria würde besser an ihre Stelle passen; Maria würde die Worte des Herrn begreifen. Hätte es etwas zu tun gegeben, würde Martha sich am rechten Platz gefühlt haben; da nun aber die Wahrheit erklärt wurde, musste Maria kommen! „Und als sie dies gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sagte: Der Lehrer ist da und ruft dich“ (V. 28).

Wie traurig muss das für den Herrn sein, wenn wir seine Worte nicht verstehen; wenn wir uns zu viel mit anderen Dingen beschäftigt haben und dadurch unfähig sind, seine Gedanken zu verstehen. Wie oft kommt das bei Gläubigen vor! Dann ist es, als wenn der Herr zu tauben Ohren spricht. Wollen wir nicht auf seine Stimme hören und uns für alle seine Worte interessieren? Dann werden wir mehr und mehr deren Tiefe und Reichtum verstehen lernen.

Die Worte, die der Herr zu Martha sprach, haben eine tiefere Bedeutung, als man auf den ersten Blick denken könnte. „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit“ (V. 25.26). In Verbindung mit den Erläuterungen in 1. Korinther 15,51-54 und in 1. Thessalonicher 4,13-18 erklären sie die Auferstehung in kurzen, aber klaren und herrlichen Worten. In diesen beiden Stellen lehrt Paulus, was passiert, wenn der Herr in den Wolken kommt: Diejenigen, die in dem Herrn Jesus entschlafen sind, werden auferweckt werden, und die, die bis zur Ankunft des Herrn auf der Erde leben, werden nicht sterben, sondern in einem einzigen Augenblick verändert werden. Im Prinzip finden wir dieselbe Wahrheit in den Worten des Herrn Jesus ausgedrückt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Er sagt gewissermaßen: Ich bin die Auferstehung und das Leben in meiner eigenen Person; niemand hat mir dies gegeben, ich bin es selbst. Darum hat jeder, der an Ihn glaubt, das Leben, das ewige Leben. Und dieses Leben haben wir schon jetzt. Unsere Seele lebt. Unser Leben ist Christus und unser Leben ist „verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kol 3,3). Dieses Leben wird auch unserem Körper zuteilwerden (vgl. Röm 8,11; 2. Kor 5,4).

Unser Körper ist noch sterblich und verweslich; aber das wird sich ändern. Wenn der Herr kommt, erhalten wir einen unsterblichen und unverweslichen Körper. „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (V. 25). Der Gläubige, der gestorben ist, wird auferweckt werden. „Und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit“ (V. 26). Der Gläubige, der lebt, wenn Jesus kommt, wird nicht sterben, sondern in einem einzigen Augenblick verwandelt werden. Wir werden nicht alle entschlafen, sondern wir werden verwandelt werden. Herrliche Wahrheit! Der Tod hat über den Gläubigen keine Macht mehr! Der Herr Jesus hat den Tod überwunden! Es wird Gläubige geben, die nicht sterben. Jesus ist die Auferstehung und das Leben. In und durch Ihn triumphieren wir. Alle Mächte, die gegen uns waren, sind besiegt. Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt durch Jesus Christus, unseren Herrn (1. Kor 15,57)!

Martha dient (Johannes 12)

Lesen wir nun nichts mehr über Martha? Doch, sie wird im 12. Kapitel des Johannesevangeliums noch kurz erwähnt. Wenn wir die Umstände berücksichtigen, in denen sie hier erwähnt wird, so habe ich den Eindruck, als ob der Heilige Geist uns mitteilen will, dass die unruhige und über viele Dinge besorgte Martha sich in eine ruhige Jüngerin des Herrn verwandelt hat.

Sechs Tage vor dem Passah war Jesus in Bethanien. Man bereitete Ihm dort eine Mahlzeit. Während dieser Mahlzeit salbte Maria die Füße des Herrn Jesus. Die Jünger waren unzufrieden und hielten dies für eine große Verschwendung. Diese Salbe hätte besser verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können. Was für eine schöne Gelegenheit für Martha, wieder in den Vordergrund zu treten! Was für eine Gelegenheit, um Marias Verhalten zu tadeln! Mehr Grund sogar als beim ersten Mal. Und was lesen wir von ihr? Nichts anderes als dies: „Sie machten ihm nun dort ein Abendessen, und Martha diente“ (V. 2). Wie schön! Diese kurzen Worte sprechen für sich selbst. Martha diente. Sie hatte ihre Arbeit nicht aufgegeben. Sie hatte ihren Platz keinem anderen anvertraut. Sie war nicht mutlos und unzufrieden geworden, nein, sie diente genauso wie früher. Sie verrichtete dieselbe Arbeit, aber jetzt in der Stille, jetzt, wie es sich für jemand gehört, der eine Berufung vom Herrn empfangen hat. Kein Tadel kommt über ihre Lippen. Sie lässt Maria und geht selbst auch ihren Weg. Jede von ihnen an ihrem Platz, beide dem Herrn dienend. Beide sind zufrieden und glücklich in dem Werk, das sie für Jesus tun.

Was für ein schönes Ende der Geschichte von Martha! Die Gnade führt uns dahin, dass wir uns selbst erkennen und dass Christus uns überaus groß ist. Dann ist man ruhig und gelassen; dann tadelt man nicht mehr die anderen; dann ist man glücklich und zufrieden. Und dann hört man nicht auf mit Arbeiten und Dienen, nein, dann ist man genauso eifrig beschäftigt mit dienen, doch dann ist man mit einem ganz anderen Herzen und auf ganz andere Weise dabei. Denk an den voreiligen Petrus mit seinem großen Selbstvertrauen. Wie anders war er später! Voller Eifer verkündigte er das Evangelium, brennend bekannte er seinen Herrn. Aber er war ruhig und gelassen; er hatte sein Selbstvertrauen verloren; er ließ sich durch Gottes Geist leiten. – Eine herrliche Frucht der Gnade Gottes.

Je mehr wir uns selbst kennenlernen, desto wertvoller wird uns Christus werden. Je mehr wir Christus kennenlernen, desto mehr werden wir uns zu Ihm hingezogen fühlen und desto lieber werden wir uns Ihm geben und uns durch Ihn leiten lassen.

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