Mit Gott in der Wüste
Eine Verständnishilfe zum 2. Buch Mose

In Mara und in Elim

Mit Gott in der Wüste

Vom Roten Meer zum Sinai

„Und sie kamen nach Mara; aber sie konnten das Wasser von Mara nicht trinken, denn es war bitter: darum gab man ihm den Namen Mara. Und das Volk murrte wider Mose und sprach: Was sollen wir trinken? Und er schrie zu dem HERRN, und der HERR wies ihm ein Holz; und er warf es in das Wasser, und das Wasser wurde süß“ (2. Mo 15,23‑25).

Die Wüstenwanderung des Volkes Israel, wie sie in den Kapiteln 15 bis 18 des zweiten Buches Mose geschildert wird, trägt einen ganz besonderen Charakter. Sie umfasst nur einen Zeitraum von nicht einmal drei Monaten (Kap. 19, 1).

Die ganze Reise durch die Wüste jedoch dauerte, wie wir wissen, vierzig Jahre. Doch das Besondere an dieser ersten Etappe ist, dass sie ganz unter dem Zeichen, dem Grundsatz der Gnade Gottes, stand. Das ist auch der Grund dafür, dass diese kurze Periode mit einem lieblichen Vorbild vom 1000-jährigen Reich abschließt (Kap. 18). Auf dieses Kapitel werden wir im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht eingehen.

Nachdem die Kinder Israel auf wunderbare Weise die Erlösung von ihren Feinden erfahren hatten, leitete Gott sie durch Seine unumschränkte Gnade durch die Wüste, wie wir bereits gesehen haben. Nun finden wir aber in jedem der Kapitel 15, 16 und 17 ein Murren, ein ungläubiges, trotziges Murren der Kinder Israel. Doch hören wir auch, dass Gott sie dafür tadelt oder gar straft? Nicht im Geringsten! War denn das Murren in den Augen des HERRN nicht verwerflich? Doch, unbedingt! Aber Gott trug und ertrug sie mit großer Gnade und Geduld; denn sie standen nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade. Das war der eigentliche Grund für Sein langmütiges Handeln mit ihnen. je heftiger sie murrten, desto mehr ließ Gott Seine Gnade gegen sie hervorströmen. Das erinnert uns unwillkürlich an eine Stelle in Römer 5: „Wo aber die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwänglicher geworden“ (V. 20). Weil dieser Grundsatz gerade unsere Stellung heute kennzeichnet, bringen die genannten Kapitel eine Fülle von Belehrungen vor uns, die wir direkt auf uns anwenden können. Tatsächlich bieten sie uns ein überaus kostbares Zeugnis von der Gnade Gottes ‑ der Gnade, in der wir heute stehen (Röm 5,2).

Erst als die Kinder Israel in die Wüste Sinai kamen und sich, „dem Berg gegenüber“, freiwillig unter Gesetz stellten (2. Mo 19), änderte sich das Verhalten Gottes ihnen gegenüber: Er richtete sie und ihre Übertretungen gemäß der Gerechtigkeit Seiner Regierung. Sie hatten sich unter Gesetz gestellt, hatten gemeint, „alles, was der HERR geredet hat“, tun zu können. Nun, dann sah Sich Gott genötigt, jede Übertretung und Empörung ihrerseits gemäß den Forderungen des Gesetzes und Seiner Heiligkeit augenblicklich zu richten. Das kennzeichnete die zweite, große Etappe der Reise durch die Wüste von beinahe vierzig Jahren. Dass jedoch nicht nur rein das Gesetz herrschte, sondern immer wieder auch die Gnade Gottes ins Mittel trat, ist unübersehbar und gereicht ebenfalls zur Verherrlichung Gottes.

Die Lektion von Mara

Gott ließ die Kinder Israel drei Tage durch die Wüste wandern, ohne sie Wasser finden zu lassen. Und als sie schließlich nach Mara kamen und dort endlich Wasser vorfanden, war es so bitter, dass sie es nicht trinken konnten. Warum das? Hatte Gott Freude daran, sie zu quälen? Das ist stets der Gedanke, den uns Satan einzuflößen sucht, wenn Gott Versuchungen über uns kommen lässt. Nein, „nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschenkinder“ (Klgl 3,33). Was die Israeliten damals und was wir Kinder Gottes heute zu lernen haben, ist dies: dass wir hier für jeden Tropfen Wasser von Gott abhängig sind. Da ist gar nichts in uns, worauf wir vertrauen könnten. Weder für den Dienst noch für den Kampf noch für den Weg ‑ für nichts haben wir irgendeine Kraftquelle in uns. Wie schwer lernen wir das! Wie schwer fällt es uns einzusehen, dass wir völlig kraft‑ und machtlos sind! Gott benutzt solche Erprobungen in der Wüste, um uns von jedem Selbstvertrauen zu befreien. Wir sollen ganz und gar Ihm vertrauen. Gibt es etwas Besseres in dieser Welt, als vollständig von Ihm abhängig zu sein?

Gott muss uns zuweilen zeigen, was in unserem Herzen ist, um uns dann auch erkennen zu lassen, was in Seinem Herzen für uns ist. Uns ergeht es oft so wie hier den Israeliten in Mara. Nach drei Tagen Wanderung ohne Wasser wähnten sie, jetzt in erreichbarer Nähe dessen zu sein, wonach sie verlangten, und sie streckten ‑ in Unabhängigkeit von Gott ‑ ihre Hand danach aus. Und als sie es dann in ihren Besitz gebracht hatten, mussten sie feststellen, dass es bitter war. Wer von uns hätte nicht schon Ähnliches versucht: unabhängig von Gott dieses oder jenes zu erreichen? Aber wie bitter sind die Ergebnisse unabhängigen Handelns, wie bitter auch die Umstände, wenn wir ohne Gott durch sie hindurchgehen!

„Und das Volk murrte wider Mose und sprach: Was sollen wir trinken?“ Hier wird offenbar, was in ihrem Herzen war: Unglaube, und dieser Herzenszustand musste ihnen zum Bewusstsein gebracht werden. Waren nicht erst wenige Tage vergangen, seit sie ihrem Erlöser mit jubelnden Herzen Lob und Preis gesungen hatten? Nun war das Lied der Erlösung auf ihren Lippen jäh verstummt, stattdessen murrten sie gegen Mose. War es wohl denkbar, dass Gott sie durch das Rote Meer in die Freiheit geführt hatte, um sie in der Wüste verdursten zu lassen? Könnte Er je die Gegenstände Seiner Liebe aufgeben? War es Lieblosigkeit von Seiner Seite, wenn sich nun auch die Wasser von Mara als bitter herausstellten?

Zweierlei können wir hier für uns lernen, wenn wir in ähnliche Umstände geführt werden. Zuerst dies: Die bitteren Wasser von Mara offenbaren nicht das, was im Herzen Gottes ist. Gottes Herz ist an einem ganz anderen Ort und auf völlig andere Weise sichtbar geworden: am Kreuz von Golgatha und in der Erlösung. Davon redet das ›Holz‹, das Mose von dem HERRN gezeigt bekam und das, in das bittere Wasser geworfen, es süß machte. Gott bringt uns nicht nach Mara, um Zweifel an Seiner Liebe zu uns zu erwecken. Im Kreuz Christi hat Er Seine Liebe zu uns völlig unter Beweis gestellt (Röm 5,8), so dass die Antwort auf ›Mara‹ nur sein kann, dass wir etwas zu lernen haben. Und was haben wir immer zu lernen? Dass wir gänzlich von Gott abhängig sind, für jeden Tropfen Wasser, für alles, was unsere Seele erfrischt. Die uns prüfenden Umstände selbst aber sind in sich nicht der Spiegel des Herzens Gottes. Wenn wir jedoch das Kreuz Christi als höchsten Ausdruck der Liebe Gottes in unsere Umstände bringen, verlieren sie für uns ihre Bitterkeit. Auf diese Weise werden wir in prüfenden Umständen vor Zweifeln an der Liebe Gottes bewahrt.

Aber dann müssen wir auch lernen, den Tod auf das Fleisch zu schreiben. Das, was den Tod bedeutete (das bittere Wasser von Mara), benutzte Gott als Mittel zum Leben. Hiskia drückt diese Wahrheit nach der Genesung von seiner ernsten Krankheit so aus: „O Herr! durch dieses lebt man, und in jeder Hinsicht ist darin das Leben meines Geistes“ (Jes 38,16). Die neutestamentliche Sprache ist so: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben, wenn ihr aber durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet, so werdet ihr leben“ (Röm 8,13). Wenn wir auch in dieser Weise das Kreuz Christi in die Bitterkeit der Wasser von Mara bringen, dass wir die Prüfungen als Mittel zur Befreiung von der Wirksamkeit des Fleisches und damit als Mittel zu unserer Segnung annehmen, werden die bitteren Wasser süß werden. ja, wir werden dadurch sogar befähigt, uns der Trübsale zu rühmen (Röm 5,3), weil uns durch die Dinge, die uns so bitter erscheinen, Erfrischung und Heilung bewirkt wird. Das Rätsel Simsons bewahrheitet sich stets aufs Neue: „Aus dem Fresst kam Fraß, und aus dem Starken (oder‑ Grausamen) kam Süßigkeit“ (Ri 14,14). Ich denke, dass wir beide Gedanken mit dem ›Holz‹, dem Kreuz Christi, verbinden dürfen.

Gehorsam

Es folgt ein äußerst wichtiger Grundsatz, der für die Gläubigen des Alten Testaments galt und auch für die des Neuen Testaments unverändert seine Gültigkeit behält: dass der Segen Gottes vom Gehorsam der Erlösten und damit von ihrem Wandel abhängt.

„Dort stellte er ihm Satzung und Recht, und dort versuchte er es; und er sprach: Wenn du fleißig auf die Stimme des HERRN, deines Gottes, hören wirst und tun, was recht ist in seinen Augen, und horchen wirst auf seine Gebote und beobachten alle seine Satzungen, so werde ich keine der Krankheiten auf dich legen, die ich auf Ägypten gelegt habe; denn ich bin der HERR, der dich heilt“ (Verse 25.26).

Gott würde sie vor den Krankheiten Ägyptens bewahren, wenn sie fleißig auf die Stimme des HERRN, ihres Gottes, hören und das Ihm Wohlgefällige tun würden. Wir sollten nicht denken, dass sich dies ja nur auf das irdische Volk Gottes unter Gesetz beziehe. Denn zum einen stand Israel zu diesem Zeitpunkt noch nicht unter Gesetz, wie wir gesehen haben. Und zum anderen finden wir diesen Grundsatz überall in der Heiligen Schrift, nicht zuletzt im Neuen Testament. Er kommt zum Beispiel auch in den Worten des Herrn Jesus in Johannes 14 zum Ausdruck: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“ (V. 23). Abgesehen davon, dass Gehorsam der wahre Test der Liebe ist, lernen wir hier, dass die Liebe des Vaters gemäß Seiner Regierung mit Seinen Kindern unterschiedlich ist und von dem Maß ihres Gehorsams abhängt.

Wir können uns das nicht eindringlich genug vor die Seele stellen. Der Vater kommt zu denen, die gehorsam sind, bei ihnen nimmt Er Wohnung. Hier geht es nicht einfach um das Wohnen des Heiligen Geistes in dem Gläubigen, sondern um den Genuss der Nähe Gottes. Wir müssen befürchten, dass es viele Kinder Gottes gibt, die sich kaum einer Segnung wirklich erfreuen. Der Grund dazu liegt fast immer in einem sorglosen, unabhängigen Wandel. Man fragt nicht nach dem Willen Gottes, tut vielmehr das, was recht ist in seinen Augen. Was Wunder, wenn das Herz erkaltet und oberflächlich und gleichgültig wird! In solch einem Zustand kann man sich nicht der Liebe des Vaters erfreuen, kann man nicht erleben, dass Sich der Herr Jesus dem Herzen offenbar macht (V. 21).

Die geistlichen Segnungen gehören zwar allen Erlösten (Eph 1,3), doch ihr Genuss wird nur denen geschenkt, die fleißig das Wort Gottes untersuchen, um darin die Gedanken Gottes zu erfahren und sie dann zu tun. Insofern kommt nichts einem Wandel in Gehorsam dem Wort Gottes gegenüber gleich. Wieviel wir an Segen und Freude durch Unabhängigkeit und Ungehorsam verloren haben, wird einmal vor dem Richterstuhl des Christus vollkommen offenbar werden.

Den Kindern Israel jedenfalls wurde jetzt bewusst, dass sie es mit Gott zu tun hatten. In Satzungen und Geboten tat Er ihnen Seinen Willen kund. Und das Ergebnis davon, dass sie es nicht mehr mit dem Pharao, sondern mit dem lebendigen Gott zu tun hatten, war, dass sie Gott in einem neuen Charakter kennenlernen durften: als der HERR, der sie hellte. Es ist wahr, Gott prüfte sie, und Er prüft uns. Er weiß, was in unserem Herzen ist; nur wir wissen es oft nicht. Deswegen stellt Er uns auf die Probe. Aber Er tut es aus Liebe, um Sich als der Herr zu erweisen, der uns heilt.

Erfrischung und Schutz

„Und sie kamen nach Elim, und daselbst waren zwölf Wasserquellen und siebenzig Palmbäume; und sie lagerten sich daselbst an den Wassern“ (V. 27).

Es ist sicher nicht von ungefähr, dass nach dem Vorstellen des Segens, der aus dem Gehorsam hervorfließt, Elim mit seinen Wasserquellen und Palmbäumen vor unsere Blicke kommt. Dort fanden die Kinder Israel nach all den Prüfungen vollkommene Erfrischung und vollkommenen Schutz.

Der Hirte Israels, der „Joseph wie eine Herde leitet“ (Ps 80,1), der Seine Herde weidet wie ein Hirt (Jes 40,11), ließ sie jetzt Seine Erbarmungen schmecken. Und es wurde wahr, was der Prophet Jesaja an anderer Stelle über Ihn sagt: „Denn ihr Erbarmer wird sie führen und wird sie leiten an Wasserquellen“ (Kap. 49,10).

So führt Er auch uns immer wieder zu überströmender Erquickung, ob es sich nun um unseren persönlichen oder um unseren gemeinsamen Weg handelt. Wie überaus gütig ist unser Herr! Wir haben mit Ihm bereits Erfahrungen gemacht in der Wüste und können kühn sagen: „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ (Ps 23,1). So kann nur ein Herz sprechen, das Ihm völlig vertraut, das nicht auf die Wüstenumstände, sondern auf Ihn schaut.

Die Zahlen ›zwölf‹ und ›siebzig‹ sind verschiedene Bilder von Vollkommenheit. Sie symbolisieren hier einerseits eine vollkommene Erfrischung („zwölf Wasserquellen“) und andererseits einen vollkommenen Schutz („siebzig Palmbäume“). Nun ist es beachtenswert, dass der Herr Jesus in Verbindung mit der Aussendung Seiner jünger auf beide Zahlen zurückgreift. Einmal sendet Er die Zwölf aus (Lk 9,1.2) und ein Kapitel später die Siebzig (Lk 10,1). Durch sie wollte Er jeweils dem Volk die ihnen zugedachten Segnungen zukommen lassen. So scheinen auch die zwölf Wasserquellen und siebzig Palmbäume in Elim auf besondere Werkzeuge hinzuweisen, die Gott zur Segnung und Tröstung der Seinen berufen hat und benutzt. Haben wir nicht schon oft solch ein ›Elim‹ erlebt, als wir zum Namen des Herrn Jesus hin versammelt waren und Er uns durch Seine Knechte Seinen Segen zufließen, uns die „Speise zur rechten Zeit“ geben ließ (Mt 24,45)?

Doch beachten wir die Reihenfolge: ›Mara‹ kommt vor ›Elim‹! Die Ströme der Erquickung in ›Elim‹ können erst dann ungehindert fließen, wenn wir in ›Mara‹ gelernt haben, was es heißt, sich der Sünde für tot zu halten und statt auf Fleisch auf Gott zu vertrauen. Gewiss lernen wir diese Dinge nie aus, solange wir auf der Erde sind. Aber grundsätzlich sollten wir sie doch erfahren haben und bemüht sein, in dieser Haltung zu bleiben. Dann wird uns der Herr bei all unserer Unvollkommenheit gnädig zu Hilfe kommen und es uns an nichts fehlen lassen. Ohne Glauben jedoch können wir den Weg des Glaubens nicht gehen, und Fleisch ist nicht Glaube.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel