Salomo und der Tempelbau
Die Bundeslade kommt in den Tempel
Der Tempel sollte vor allem der Ruheort für die Lade sein. Als der Bau vollendet war, brachten Salomo und das Volk „das Zelt der Zusammenkunft“ (die Stiftshütte) „und alle heiligen Geräte, die im Zelte waren“, von Gibeon nach Jerusalem hinauf (2. Chr 5,5). Dies ist die letzte geschichtliche Notiz über dieses geistlich so bedeutungsvolle Heiligtum, das Mose in der Wüste gebaut hatte. Aber keines seiner ursprünglichen heiligen Geräte kam in den Tempel. Anders war es mit der Bundeslade, die seit den traurigen Tagen Elis nicht mehr in der Stiftshütte war. David hatte für sie in Zion ein Zelt aufgerichtet, während die Stiftshütte in Gibeon geblieben war. Jetzt wurde die Lade von Salomo und dem Volk mit allen denkbaren Ehren aus ihrem Zelt in Zion heraufgebracht. „Ich habe daselbst“ (in den Tempel) „die Lade hingestellt, in welcher der Bund des Herrn ist, den er mit den Kindern Israel gemacht hat“, sagte Salomo (2. Chr 6,11).
Die Lade war ein wunderbares Vorbild von Christus. Der Gnadenstuhl (oder Sühndeckel) war der Thron des Herrn und das Zeichen Seiner Gegenwart inmitten des Volkes, das Seine Gnade aus der Knechtschaft Ägyptens befreit hatte. Welch ein denkwürdiger Tag in Israel war es doch, als die weitgereiste Lade ihren endgültigen Ruheplatz im Tempel fand! Die Sänger, die seit ihrer Einsetzung durch David in zwei Abteilungen ihren Dienst getan hatten, einige bei der Stiftshütte, andere bei der Lade (1. Chr 16,37-42), wurden nun vereinigt.
Als David die Lade von Kirjath-Jearim nach Zion holte und sie nun durch Salomo von Zion in den Tempel gebracht wurde, waren jedes Mal Tage nationaler Freude. Aber wir finden auch beachtenswerte Unterschiede, denn David war von heiliger Begeisterung erfüllt, was für ihn kennzeichnend und für Gott äußerst kostbar war. „David tanzte mit aller Kraft vor dem Herrn, und David war mit einem leinenen Ephod umgürtet“ (2. Sam 6.14). Das war kein fleischlicher Gefühlsausbruch, sondern ungeheuchelte Freude in Gott, der Seinem Knecht so nahe gekommen war. Michal mochte Davids Freudenkundgebungen verachten, aber Gott schätzte sie in ihrem wahren Wert, denn einem solchen Gott, wie auch wir ihn kennen, gebühren aufrichtige Herzenszuneigungen. „Ich will den Herrn preisen mit meinem ganzen Herzen, will erzählen alle deine Wundertaten“ (Ps 9,2). – „Mit meinem ganzen Herzen habe ich dich gesucht“ (Ps 119,10). – „Von ganzem Herzen habe ich gerufen; erhöre mich, Herr!“ (Ps 119,145). So zu seinem Gott zu reden, war Davids Freude. Gott bewahre uns alle vor toten Formen und schenke uns Davids Gesinnung!
„Nichts war in der Lade, als nur die beiden Tafeln, welche Mose am Horeb hineinlegte, als der HERR einen Bund machte mit den Kindern Israel, als sie aus Ägypten zogen“ (2. Chr 5,10). Einst hatte die Lade auch einen goldenen Krug mit Manna und Aarons Stab, der gesprosst hatte, enthalten, woran uns Hebräer 9,4 erinnert. Beides redete von den Bedürfnissen während der Wüstenwanderung, die es jetzt nicht mehr gab. Die steinernen Gesetzestafeln waren geblieben, denn sie bildeten die Grundlage aller Gesetze des Königtums. Nehemia nennt sie in seinem Bekenntnis vor Gott „gerade Rechte und Gesetze der Wahrheit, gute Satzungen und Gebote“ (Neh 9,13), und Paulus sagt: „Das Gesetz ist heilig“ (Röm 7,12).
Als die Priester aus dem Heiligtum herauskamen, nahm der in Byssus gekleidete Chor der Leviten seinen Platz auf der Ostseite des Brandopferaltars ein und ließ Lobgesänge mit Zimbeln, Harfen und Lauten erschallen, und mit ihnen schmetterten an 120 Priester mit ihren Trompeten. Welch gewaltiges Lob stieg zum Himmel empor! Sie lobten den Herrn, „weil er gütig ist, weil seine Güte ewiglich währt“ (2. Chr 5,11-13). Dieser göttlich eingegebene Wortlaut des Lobgesanges, den wir in den Psalmen häufig finden, verbürgt die zukünftige Wiederherstellung Israels und seine Segnungen. Mochten auch das Volk und seine Könige oft versagt haben – Gott versagt niemals!
Aber was bedeutet diese ganze überschwängliche Freude, als die Lade in den Tempel gebracht wird?
Für das menschliche Auge war sie nur eine mit Gold überzogene Truhe, der gegenüber dem ehernen Altar ungeheuer groß erschien, aber sie war das Symbol der Gegenwart des HERRN. Der, welcher in den Tagen Moses die Stiftshütte in der Wüste als Seine Wohnung angenommen hatte, kam nun gewissermaßen zum zweiten Mal hernieder, um in der Mitte des Volkes zu wohnen. Aber der Glaube sollte nicht das Symbol mit der Wirklichkeit, den Schatten nicht mit dem Gegenstand verwechseln. Salomo ließ in seinem Gebet an jenem Tag erkennen, dass er Gott vor sich hatte. In den bösen Tagen Hophnis und Pinehas' sandte das Volk nach der Bundeslade, damit „sie in unsere Mitte komme und uns rette aus der Hand unserer Feinde“ (1. Sam 4,3). Wir wundern uns nicht, dass die unwissenden Philister das Sinnbild für die Wirklichkeit nahmen, so dass sie zitterten, als sie das Triumphgeschrei der Israeliten beim Eintreffen der Lade hörten und sagten: „Gott ist ins Lager gekommen ... wehe uns!“ (1. Sam 4,7). Aber Israel sollte es besser gewusst haben, und Gott zürnte über ihre abergläubische Fleischlichkeit so sehr, dass Er die Lade in die Hand der Feinde fallen ließ (Ps 78,61).
In späteren Tagen, als das Volk nicht nach dem Herrn und Seinen Geboten fragte und sich überdies noch des Besitzes gottesdienstlicher Äußerlichkeiten rühmte, sagte Gott: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße. Welches ist das Haus, das ihr mir bauen könntet, und welches der Ort zu meiner Ruhestätte? Hat doch meine Hand dieses alles gemacht, und alles dieses ist geworden, spricht der HERR. Aber auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Worte“ (Jes 66,1.2). Daher war das Herz eines demutsvollen Menschen, das richtig zu Ihm stand, für Gott ein annehmlicherer Wohnort als Jerusalems kostbarer Tempel. Unser Gott liebt Wahrheit. Zwei oder drei wirklich Gebeugte, die sich um den Herrn Jesus versammeln, weil sie Ihn lieben, sind Ihm heute wertvoller als alle noch so imposanten christlichen Zeremonien, und Er sagt: „Da bin ich in ihrer Mitte.“ Aber Aufrichtigkeit des Herzens, verbunden mit einem zarten, für seinen Willen empfänglichen Gewissen, muss vorhanden sein, andernfalls auch das schlichteste konventionelle Zusammenkommen für Gott nicht wohlgefälliger ist als jenes, wovon man sich getrennt hat. Ja, es kann sogar wegen seiner Anmaßung in Seinen Augen anstößiger sein. Denken wir daran, und lesen wir aufmerksam Jeremia 7,1-7!
Gott beantwortete Israels Lobeserhebung auf bemerkenswerte Weise: „Da wurde das Haus, das Haus des HERRN, mit einer Wolke erfüllt. Und die Priester vermochten wegen der Wolke nicht dazustehen, um den Dienst zu verrichten, denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes“ (2. Chr 5,13.14). Dasselbe hatte sich schon bei der Stiftshütte ereignet, so dass selbst Mose nicht hineingehen konnte (2. Mose 40,35). Obwohl Moses als der Mittler größere Vorrechte hatte als Aaron, konnte selbst er nicht in diesem kritischen Augenblick das Heiligtum betreten.
Hesekiel berichtet uns die schmerzliche Geschichte des Abzugs der Herrlichkeit, als der Herr sich in Seiner Gerechtigkeit gezwungen sah, Sein Haus zu verlassen. Die Stellen in Kapitel 9, 3; 10, 4. 18; 11,23 beschreiben die einzelnen Etappen ihres Zurückweichens, so als gäbe Gott nur äußerst widerstrebend Sein Volk auf. Kapitel 10, 4 sagt uns, dass „der Vorhof voll war von dem Glanz der Herrlichkeit des HERRN“, und Kapitel 11, 23, dass die Herrlichkeitswolke auf dem Berg an der Ostseite der Stadt (dem Ölberg) weilte, ehe sie sich endgültig zurückzog. Hatte Gott doch schon durch Hosea sagen lassen: „Ich werde davongehen, an meinen Ort zurückkehren, bis sie ihre Schuld büßen und mein Angesicht suchen. In ihrer Bedrängnis werden sie mich eifrig suchen“ (Hos 5,15). Was es für das Herz Gottes war, das auserwählte Volk aufzugeben, übersteigt unser Verständnis. „Wie sollte ich dich hingeben?... Mein Herz hat sich in mir umgewendet, erregt sind alle meine Erbarmungen“ (Hos 11,8). Der „Herr der ganzen Erde“ (Jos 3,11) wurde hinsichtlich seiner Regierungswege der „Gott des Himmels“ (Dan 2,37; Esra 7,23).
Noch einmal kehrte die Wolke der Herrlichkeit für einen kurzen Augenblick in das Land zurück, als der Herr Jesus auf dem Berge der Verklärung war, aber nur drei Menschen war es vergönnt, sie zu sehen (Mt 17,5). Sie bezeugen uns, dass Gott an Ihm jenes Wohlgefallen gefunden hatte, das Er an Israel bisher niemals gehabt hatte. Hesekiel sah jedoch nicht nur den Abzug der Herrlichkeit vom Tempel, sondern auch ihre Rückkehr in noch zukünftigen, glücklicheren Tagen, wenn das bußfertige Volk zu dem so lange verworfenen Jesus sagen wird: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Mt 23,39). In seinem prophetischen Gesicht sah er: „Die Herrlichkeit des Herrn kam in das Haus“ (den Tempel des Tausendjährigen Reiches), „den Weg des Tores, welches gegen Osten gerichtet war. . ., und siehe, die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus“ (Hes 43,4.5). Nach dem Osten ging sie davon, und von Osten wird sie wiederkehren.