Aus dem Wort der Wahrheit (Band 4)
gesammelte Vorträge
Das verlorene und gefundene Schaf
(Mt 18,12–14; Lk 15,3–7)
„Was dünkt euch? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte, und eines von ihnen sich verirrte, lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen und geht hin und sucht das irrende? Und wenn es geschieht, dass er es findet, wahrlich, ich sage euch, er freut sich mehr über dieses, als über die neunundneunzig, die nicht verirrt sind. Also ist es nicht der Wille eures Vaters, der in den Himmeln ist, dass eines dieser Kleinen verloren gehe“ (Mt 18,12–14).
„Er sprach aber zu ihnen dieses Gleichnis und sagte: Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eines von ihnen verloren hat, lässt nicht die neunundneunzig in der Wüste und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, so legt er es mit Freuden auf seine Schultern; und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und die Nachbarn zusammen und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: Also wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, welche der Buße nicht bedürfen“ (Lk 15,3–7).
Wir brauchen uns als Christen niemals vor dem zu fürchten, was die Zukunft bringt. Es ist der gute Hirte, der das verlorene Schaf sucht und, nachdem Er es gefunden hat, es auf Seine Schultern nimmt und nach Hause trägt. Für uns Kinder Gottes ist dieses Haus letztlich das Haus des Vaters. Das ist das Evangelium in seinem vollen Umfang. Das Evangelium in seiner ausgedehnten Bedeutung umfasst nicht nur die Bekehrung des Sünders, sondern die Erlangung aller Segnungen, die unser Teil sind durch das Werk des Herrn Jesus. Das ist auch der tiefe Sinn von 1. Petrus 3,18: „Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass er uns zu Gott führe.“ Und das ist das Haus des Vaters.
Der Herr Jesus vergleicht sich hier mit einem Hirten, der neunundneunzig Schafe in der Wüste lässt, um einem verirrten Schaf nachzugehen. Als der Hirte es gefunden hat, legt Er es mit Freuden auf Seine Schultern. Zu Hause angekommen, teilt Er diese Freude mit seinen Freunden und Nachbarn. So wird Freude im Himmel sein. Das ist das Ziel, zu dem der Herr uns bringt.
Kann einem Schaf etwas widerfahren, das auf den Schultern seines Hirten ruht? Finden wir nicht dasselbe in 5. Mose 33, wo Mose am Ende der Wüstenreise zu dem Volk Israel sagt: „Deine Wohnung ist der Gott der Urzeit, und unter dir sind ewige Arme“ (V. 27)? Vierzig Jahre hatte Gott das Volk sicher durch die Wüste geführt. Es war sich dessen sicherlich überhaupt nicht bewusst. Viele haben es jedenfalls nicht geglaubt. Wenn wir das 4. Buch Mose lesen, sehen wir, wie das Volk immer wieder, wenn etwas nicht nach seinem Sinn war, murrte. Stets aufs neue griff Gott in Seiner Regierung mit Gericht ein. Dennoch sagt Er durch Mose: „Wie der Adler sein Nest aufstört, über seinen Jungen schwebt, seine Flügel ausbreitet, sie aufnimmt, sie trägt auf seinen Schwingen, so leitete ihn der HERR allein“ (5. Mo 32,11). Und an anderer Stelle: „Dein Kleid ist nicht an dir zerfallen, und dein Fuß ist nicht geschwollen diese vierzig Jahre“ (5. Mo 8,4). Gott hat das Volk mit allem versorgt, bis sie im Land ankamen. So wird der Herr jeden der Seinen schließlich in den Himmel bringen.
Einmal werden wir vor dem Richterstuhl Christi sehen, wie der Herr uns während unseres ganzen Lebens geführt hat. Dann werden wir Seine Wege mit uns verstehen und wissen, warum Er bestimmte Dinge in unserem Leben zuließ. Es ist durchaus nicht der Wille des Herrn, dass wir, nachdem wir einmal auf Seine Schultern gelegt sind, dann wieder versuchen, eigene Wege zu gehen. Das Schaf konnte auf den Schultern keinen eigenen Weg mehr gehen. Wie sollte das auch möglich sein? Es blieb still auf den Schultern des Hirten liegen. So ging es den Weg des Hirten. Auf diesem Weg gibt es keine traurigen Erfahrungen, sondern trotz aller Schwierigkeiten nur Erfahrungen der Bewahrung und der Kraft. Dort gibt es nur ein Ruhen in der Sicherheit des Getragenwerdens durch den Hirten. Es ist eine ewige Kraft, die das Schaf zum richtigen Ort führt. Und dort herrscht Freude und wird ein Fest gefeiert. Leider gehen wir dennoch häufig eigene Wege. Wir wissen es nur zu gut.
Die Gläubigen werden wiederholt in der Bibel Schafe genannt. So wird auch das Volk Israel im Alten Testament mit einer Schafherde verglichen. In Johannes 10 spricht der Herr Jesus von sich ausdrücklich als dem guten Hirten: „Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“ (V. 11). Und es ist nicht von ungefähr, dass die Gläubigen mit Schafen verglichen werden. Im Blick auf seine eigene Sicherheit ist das Schaf eines der dümmsten Tiere, die es gibt. Wenn ein Pferd oder eine Kuh sich verirren, finden sie in aller Regel wieder den Weg nach Hause. Ein Schaf jedoch niemals. Wenn es sich von der Weide verirrt und an einen fremden Ort gelangt, ist es verloren. Es findet niemals von sich aus wieder zurück. Es ist auch nicht in der Lage, sich gegen seine Feinde zu verteidigen. Ich habe gelesen, dass Kühe sich, wenn sie von Löwen oder Bären angegriffen werden, in einen Kreis stellen und mit ihren Hörnern gegen die feindlichen Tiere aufstellen. Wenn wilde Pferde angegriffen werden, stellen sie sich ebenfalls in einen Kreis mit ihren Hinterfüßen nach außen, so dass sie damit ausschlagen können. Wenn Schafe von feindlichen Tieren angegriffen werden, laufen sie verängstigt durcheinander und verirren sich. Sie sind wehrlose Opfer ihrer Feinde.
Ein Schaf kann sich weder selbst verteidigen noch den Weg nach Hause finden. Ist das nicht genau der Zustand des Menschen? Kennst Du einen Gläubigen, der zu sagen wagt: „Ich habe Ihn gesucht, ich wollte von Anfang an zu Ihm kommen; es ist mein Werk, dass ich zur Bekehrung gekommen bin“? Gibt es einen Gläubigen, der abgeirrt ist und zu sagen wagt: „Ich bin von mir aus zurückgekommen; der Herr brauchte mir nicht zu helfen; es war nicht der Geist Gottes, der mich zubereitet hat; ich habe selbst den Weg zurück gesucht und gefunden, weil ich zurückkehren wollte“? Wer sich selbst ein wenig kennt, weiß, dass das nicht wahr ist. Er weiß, dass das ausschließlich die Gnade und Treue des Hirten ist, der ein verirrtes Schaf zurückbringt.
Denken wir nicht manchmal, dass wir einen besseren Weg kennen als den, den der Herr für uns ausgesucht hat? Wie kommt es, dass wir in bestimmten Augenblicken nicht den Herrn fragen, was wir tun sollen? Weiß Er nicht den besten Weg für uns? Außerdem hat Er doch ein Recht auf uns erworben, indem Er uns mit Leib und Seele durch Sein Blut erkauft hat (vgl. 1. Kor 6,20). Wenn wir den Weg gehen, den der Herr für uns bestimmt hat, brauchen wir uns nicht zu fürchten. Dazu gibt es keinen Grund, denn wir liegen auf den starken Schultern unseres guten Hirten. In Seiner Allmacht wird Er uns durch diese Welt führen. Ob wir uns auf den Bergen befinden oder in der Wüste, das macht dann nichts aus. Er wird uns durch alle Schwierigkeiten hindurchführen. Er ist der Ewige, den wir in Matthäus 28 sagen hören: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden ... Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (V. 18.20).
Ich denke da an Petrus, wie er dem Herrn auf dem Wasser entgegenging. Der Herr war es, der dem Petrus zurief: „Komm!“ Petrus stieg aus dem Schiff und wandelte auf dem Wasser, während die Wogen hochgingen und ein starker Wind blies. Solange seine Augen auf den Herrn gerichtet waren, konnte er ruhig auf dem Wasser wandeln. Als er nicht mehr auf Ihn sah, sondern auf den starken Wind, fing er an zu sinken. „Bleibt mein Aug' auf Dich gericht', wanke und verzag' ich nicht“, singen wir in einem Lied. Es ist schön, dieses Lied zu singen. Doch die Frage ist, ob wir es wirklich heute und morgen tun.
Ist der Herr Jesus der Steuermann unseres Lebensschiffes? Geben wir alle Dinge wirklich in Seine Hand? Wo das nicht der Fall war, musste der Herr uns zurückführen. Dann erkannten wir unsere Torheit, einen eigenen Weg gehen zu wollen. Und noch eins: Machen wir uns eigentlich klar, was es für den Herrn bedeutet, wenn wir einen eigenen Weg gehen? Dann verleugnen wir Ihn und Seine Liebe, mit der Er uns erkauft hat.
Und wenn ein Schaf gefunden wird und wieder nach Hause kommt, so ist die Freude groß. Ja, es gibt Freude im Himmel, wenn ein Sünder sich bekehrt, denn das bedeutet, dass er in Reue und Buße zu Gott zurückkehrt. Darum geht es in erster Linie. Ist es nicht Gott, der uns geschaffen hat? Sind wir nicht Seine Geschöpfe? Hat Gott nicht ein Recht auf unsere Liebe, wie es in 5. Mose 6 heißt: „Höre Israel: der HERR, unser Gott, ist ein einiger HERR! Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft“ (V. 4.5). Glauben wir, dass es kein Schmerz für Gott ist, wenn Er sieht, wie ein Mensch sich von Ihm abwendet und Ihn nicht liebt? Gott hat dem Menschen einen solch hohen Platz in der Schöpfung gegeben. Der Mensch ist das Haupt der gesamten irdischen Schöpfung. Er brauchte allein die Souveränität Gottes anzuerkennen, ansonsten nahm der Mensch die höchste Stellung hier auf der Erde ein. Es gab niemand über ihm als allein Gott im Himmel. Alles war ihm unterworfen. Welche Fähigkeiten hat Gott dem Menschen gegeben! Und was war die Antwort des Menschen? Eva unterwarf sich lieber Satan. Sie übertrat damit nicht nur das einzige Gebot und wurde dadurch ungehorsam, sondern sie glaubte den Lügen Satans, Gott liebe den Menschen nicht, Gott sei ungerecht, Er sei ein Lügner und Sein Wort sei nicht wahr. So beraubte der Mensch Gott Seiner Ehre.
In Hiob 38,7 lesen wir, dass die Söhne Gottes, die Engel, jauchzten, als Gott die Erde und den Menschen darauf schuf. Sie bewunderten in der Schöpfung die Weisheit und Güte Gottes. Auch sahen sie den Platz, den Gott dem Menschen gegeben hatte. Was werden die Engel wohl gedacht haben, als sie sahen, wie der Mensch, der so hoch bevorrechtigt war, von Gott abfiel und sich gegen Ihn auflehnte? Auch riss er die gesamte wunderbare Schöpfung mit unter die Macht des Feindes und damit unter das Gericht. Verstummte ihr Jauchzen nicht? Wie war es möglich, dass solche kleinen Geschöpfe – viel geringer als sie – es wagten, Gott Seiner Ehre zu berauben und Ihn zu beleidigen? Deshalb können wir gut verstehen, dass es in Lukas 15 heißt, dass Freude im Himmel ist über einen Sünder, der Buße tut und zu Gott zurückkehrt. Die Engel haben gesehen, wie wir Gott entehrt haben, nun sehen sie, wie ein Mensch zur Einkehr kommt und seine Schuld bekennt. So wird Gott verherrlicht in Seiner Liebe und Gnade. Ist das nicht der wichtigste Punkt im Blick auf die Bekehrung eines Sünders?
Und insoweit wir Kinder Gottes geworden sind, kennen wir den Herrn Jesus nicht nur als unseren Schöpfer, sondern auch als unseren Heiland. Als solcher ist Er als Mensch auf die Erde gekommen, um auf dem Kreuz zu sterben. Nur so konnten gefallene Geschöpfe, die Gott entehrt hatten, gerettet werden. Nur so konnten sie den Ruf hören: „Und wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“ (Off 22,17). Gott fordert seit dem Kreuz durch Menschen Seine Feinde auf: „So sind wir nun Gesandte für Christum, als ob Gott durch uns ermahnte; wir bitten an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Kor 5,20). Gott fleht die Menschen an, sich retten zu lassen, weil der Schöpfer selbst ihr Gericht getragen hat.
Was muss es für den Herrn Jesus sein, der der Mittler zwischen Gott und Menschen geworden ist und sich selbst zum Lösegeld für alle gegeben hat (1. Tim 2,5.6), dass die Menschen sich weigern, das anzunehmen? Es ist noch nicht lange her, dass ein Theologieprofessor öffentlich die Geburt des Herrn Jesus durch die Jungfrau Maria leugnete und damit das aussprach, was viele denken, die sich als Christen ausgeben. Wir können uns vorstellen, wie die Engel jubeln, wenn sie erleben, wie ein Sünder Buße tut und der Liebe und Gnade Gottes Glauben schenkt, der Seinen Sohn gerichtet hat, weil es keinen anderen Weg zur Rettung gab. Sie jubeln, weil sie sehen, welch ein Ergebnis das Werk des Herrn Jesus auf dem Kreuz hat. Und dabei waren es doch die Menschen, die den Sohn Gottes – was ihre Verantwortung betrifft – ermordet haben. Sie haben Ihm alles erdenkliche Böse angetan. Wenn solche Menschen zur Einkehr kommen, ihre Sünden bekennen und anerkennen, dass sie das ewige Gericht verdient haben, löst das Freude bei den Engeln aus.
Wenn wir sonntagsmorgens versammelt sind, um des Todes des Herrn Jesus zu gedenken, und jedesmal sehen, was Er bezahlt hat, damit Sünder erlöst werden konnten, ist es dann nicht ein Schmerz für uns, zu sehen, dass Menschen sich weigern, sich zu bekehren? Auch wir empfinden eine tiefe Freude, wenn ein Sünder zur Bekehrung kommt und dadurch vor dem ewigen Gericht in der Hölle gerettet wird. Und was ist es vor allem für den Herrn Jesus, wenn Er sieht, dass jemand eine Antwort gibt auf Seine Liebe! Er ist es ja, von dem es heißt: „Welcher selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat ..., durch dessen Striemen ihr heil geworden seid“ (1. Pet 2,24). Ja, Er hat nur unsere Sünden getragen, die Sünden derer, die an Ihn glauben würden. Er kannte alle diese Menschen, denn Er ist der ewige Gott.
Es ist bedauerlich, dass bei der Evangeliumsverkündigung häufig nicht der Herr Jesus im Mittelpunkt der Botschaft steht, sondern die Bedürfnisse des Menschen. Dabei wird das Herz des Herrn Jesus und das Herz des Vaters und das Herz des Heiligen Geistes vergessen. Es geht doch in erster Linie um den dreieinen Gott. Der gute Hirte freut sich, wenn Er ein Schaf nach Hause bringt, der Vater und der Heilige Geist freuen sich, die Engel freuen sich, und auch wir, soweit wir von der Bekehrung eines Sünders erfahren.
Und so trägt der Hirte sein Schaf nach Hause. Ich komme noch einmal zurück auf Petrus in Matthäus 14. Es ist so, dass der Herr Jesus die Jünger genötigt hatte, in das Schiff zu steigen: „Und sogleich nötigte er die Jünger, in das Schiff zu steigen und ihm an das jenseitige Ufer vorauszufahren, bis er die Volksmengen entlassen habe“ (V. 22). Als erfahrene Fischer sahen sie sicher die drohende Gefahr. Auch unser Verstand ist häufig töricht; wir meinen, den Weg besser zu kennen als der Herr.
Wir wissen nicht, warum der Herr bestimmte Wege mit uns geht. Wir kennen nicht immer Seine Absichten. Doch kennen wir nicht Seine Liebe? Niemals wird Er uns auf einen Weg bringen, der zu unserem Schaden ist. Meinen wir, Seine Weisheit würde nicht ausreichen? Er ist selbst nach Sprüche 8 die Weisheit. Er weiß, was Er tut, und irrt sich niemals. Er führt uns nur Wege zu unserem Segen und zu Seiner Verherrlichung. Er weiß uns in Seiner Allmacht auf Seinen Schultern zu tragen und wird uns niemals fallen lassen. Keine Macht der Welt kann uns je schaden und uns von Seinen Schultern abziehen.
Warum gehen wir dann trotzdem oft unsere eigenen Wege und fragen den Herrn nicht, was Er will, dass wir tun sollen? Wollen wir uns Ihm völlig übergeben und uns in Seinen Dienst stellen? Auch dann werden die Engel sich freuen, wenn sie in unserem Leben das Ergebnis des Werkes des Herrn Jesus beobachten können. Dann fragen wir nicht mehr nach der Stimme des Versuchers (1. Mo 3) und auch nicht nach unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen.
Der Weg, den die Jünger gingen, war offensichtlich im Gegensatz zum gesunden Menschenverstand. Die Jünger sind mitten auf dem See, Wellen und Wind sind ihnen entgegen. Zwölf kräftige Männer, die den See sehr gut kennen, kommen nicht dagegen an. Ob sie bedauert haben, dass sie diese Fahrt gemacht haben? Zwölf Männer waren da zusammen. Elf Jünger blieben im Schiff. Allein Petrus hörte auf die Stimme des Herrn. Er erfasste die Lage richtig. Es war nicht einfach für ihn, die normale irdische Sicherheit aufzugeben. Das Schiff ist das einzige Hilfsmittel, mit dem man sich auf einem See oder Fluss fortbewegen kann. Kein Mensch kann aus eigener Kraft auf dem Wasser wandeln. Das ist unmöglich. Das kann nur der Schöpfer und der, dem der Schöpfer die Macht dazu gibt. Da waren elf Jünger, die von neuem geboren waren und die den Herrn aufrichtig liebten. Zehn wagten es nicht. Für sie gab es nur das, was der natürliche Mensch sieht: das Schiff als einziges Mittel, sich auf dem Wasser fortzubewegen.
Petrus war der einzige, der auf den Herrn blickte und zu Ihm sagte: „Herr, wenn du es bist, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf den Wassern“ (V. 28). Die Antwort des Herrn ist: „Komm!“ Nun verlässt Petrus das Schiff und wandelt auf dem Wasser, um zu dem Herrn zu kommen. Petrus fiel nicht ins Wasser. Er „stieg aus dem Schiff“. Dazu ist Kraft erforderlich. In diesem Augenblick gab er alles preis und übergab sich völlig dem Herrn. Petrus brauchte nicht weiter nachzudenken, sondern allein den Herrn zu fragen. „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl.“ Das ist die Schwierigkeit, das kostet Kampf. Das kostet uns unseren eigenen Willen. Das ist der Weg des völligen Gehorsams. Doch dieser Weg befriedigt das Herz des Herrn Jesus. Das ist der Weg der Weisheit. Das ist der wirklich verständige Weg, nämlich der eines geistlichen Verständnisses, wobei man sich bewusst ist, dass der Herr Jesus den Weg am besten kennt. Es ist vor allem ein Weg, der in unseren Herzen eine Antwort auf die Liebe des Herrn Jesus gibt.
Ja, welch eine Freude ist es für den Herrn, wenn Er diese Antwort in unseren Herzen findet. Er hat alles getan, um uns zu erretten; Er hat Sein Leben hingegeben. Sind auch wir bereit, das zu tun, was der Apostel in Römer 12 schreibt: „Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, welches euer vernünftiger Dienst ist“ (V. 1)? Dadurch wird der Herr verherrlicht. Der Herr führt uns nur Wege, die zu unserem Besten sind und auf denen wir Seine Gemeinschaft erfahren können.
Vielleicht haben die anderen zehn im Blick auf Petrus gedacht: „Welch eine Torheit. Du weißt doch, Petrus, dass man nicht auf dem Wasser gehen kann. Das steht im Gegensatz zu der Erfahrung von Millionen von Menschen. Niemals hast du gehört, dass jemand auf dem Wasser gehen konnte. Das steht im Gegensatz zu allen Naturgesetzen. Außerdem sitzen wir hier sicher im Schiff.“ Wie sicher das Schiff war, das stand auf einem anderen Blatt. Es wurde mächtig von den Wellen umspült. Die Wellen und der Wind waren stärker als Petrus, dennoch wandelte er ruhig auf dem Wasser. Der Herr hatte zu ihm gesagt: „Komm!“ Warum sollte er sich fürchten? Wenn wir etwas auf das Wort des Herrn hin tun, übernimmt Er die Verantwortung. Das tut Er nicht, wenn wir unserem eigenen Willen folgen.
Welch eine Gnade ist es, dass der Herr uns trotzdem nicht auf eigenen Wegen weitergehen lässt. Er lässt uns nicht im Stich. Die Reise wird schwieriger. Und wenn Er auch mehr Mühe mit uns hat, wird Er uns doch schließlich zu Gott führen. Dafür ist Er auf diese Erde gekommen und hat der Vater Ihm alles in die Hände gegeben. Wir werden dort im Haus des Vaters ankommen, wo es viele Wohnungen gibt. Er ist uns vorausgegangen, um uns dort eine Stätte zu bereiten. Der Herr hat verheißen, wiederzukommen, um uns dorthin zu holen (Joh 14,2.3).
Dabei wollen wir nicht vergessen, dass es so viele verlorene Schafe gibt. Wir denken dabei zuerst einmal an die Ungläubigen. Beseelt auch uns das Verlangen – so wie den guten Hirten –, dass die Menschen sich bekehren, also in Reue und Buße zu Gott gehen und ihre Sünden bekennen? Gott wird dadurch geehrt, dass Menschen anerkennen, dass Er gerecht ist, wenn Er diese Menschen ewig verdammen würde. Verlangen wir nach ihrer Errettung? Gehen auch wir – wie der gute Hirte es tut – einem verlorenen Schaf nach? Auch wenn es sehr mühsam ist und lange dauert? Der Hirte sucht das Schaf. „Und wenn es geschieht, dass er es findet“ heißt es in Matthäus 18,13, und „wenn er es gefunden hat“ in Lukas 15,5. Er geht ihm nach. Doch bei wie vielen Menschen hat der Geist Gottes das Gewissen angesprochen, und diese Personen haben dennoch nicht gewollt und sich schließlich verschlossen. Dennoch sucht der Herr und klopft an (vgl. Off 3,20). Ja, der Mensch muss wollen. Das sind die beiden Seiten: Einerseits klopft der Herr an, und andererseits müssen die Menschen Ihm öffnen.
Lasst uns im Blick auf Ungläubige immer zuerst an diese beiden Dinge denken: Es geht in erster Linie um die Ehre Gottes und die Ehre des Herrn Jesus, denn die Menschen haben Gott Seiner Ehre beraubt. Diese Ehre wird wiederhergestellt, wenn ein Mensch in Reue zu Gott zurückkehrt und bekennt, dass er ein Sünder ist. Dadurch wird Gott gerechtfertigt. Und die andere Seite ist die, dass der Sünder unendliche Segnungen empfängt. Ich fürchte, dass wir uns als Gläubige dessen oft viel zu wenig bewusst sind. Welch ein Vorrecht ist es allein, den Herrn Jesus als Heiland zu kennen! Welch ein Glück ist es, mit Ihm den Weg zu gehen!
Und was tun wir andererseits, wenn Gläubige sich verirrt haben? In Galater 6 werden wir aufgefordert: „Brüder! wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut, indem du auf dich selbst siehst, dass nicht auch du versucht werdest. Einer trage des anderen Lasten, und also erfüllt das Gesetz des Christus“ (V. 1.2). Das ist eine der vielen Stellen, die uns unsere Verantwortung vor Augen stellen, wie wir Gläubigen helfen sollen, die abgewichen sind. Wir haben zwar oft für solche gebetet, die einmal ihren Platz am Tisch des Herrn eingenommen haben, dann aber andere Wege gegangen sind. Doch was haben wir eingesetzt, um sie zurückzugewinnen? In Epheser 4 heißt es dazu: „Seid aber gegeneinander gütig, mitleidig, einander vergebend, gleichwie auch Gott in Christo euch vergeben hat. Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 4,32 – 5,2).
Wenn uns der Herr Jesus so in Seiner Hingabe vorgestellt wird und wir auch an die Liebe Gottes, des Vaters, und des Heiligen Geistes denken, wie sie alles tun, um uns zurückzubringen, damit wir schließlich sicher zu Hause ankommen, sollte dann diese Gesinnung nicht auch bei uns vorhanden sein? Johannes spricht in seinem 1. Brief davon, dass wir bereit sein müssen, das Leben für die Brüder zu geben, weil Er Sein Leben für uns hingegeben hat! Wenn wir Ihm nachfolgen wollen, bedeutet das, dass diese Gesinnung auch bei uns sein muss (vgl. Phil 2). Wenn ich daran denke, fühle ich mich sehr beschämt und verurteilt. Was habe ich getan, um solche, die abgewichen waren, zurückzubringen? Wie oft habe ich für sie gebetet? Habe ich ihnen Liebe erwiesen? Habe ich sie aufgesucht und sie darauf hingewiesen, dem Herrn Jesus zu folgen? Habe ich danach getrachtet, sie zu dem guten Hirten zurückzubringen? Mit anderen Worten: Hat der Herr Jesus mich gebrauchen können, um das verlorene Schaf zu suchen, damit Er es auf Seine Schultern legen und es nach Hause bringen konnte? Habe ich mich dem Heiligen Geist zur Verfügung gestellt, wie wir das in dem zweiten Gleichnis in Lukas 15,8–10 finden, wo die Frau eine Drachme verloren hat? Da geht es um das, was in dem Haus geschieht. Die Drachme ist ein Silbergeldstück, das uns an den Preis der Versöhnung erinnert, durch den ein Gläubiger erkauft ist (vgl. 2. Mo 30 und 38). Konnte der Heilige Geist mich gebrauchen, wie das Licht der angezündeten Lampe schien, um die Drachme zu finden? Die Frau kehrte das Haus und suchte sorgfältig, bis sie das Geldstück fand. Ich hoffe, dass andere nicht so beschämt zu sein brauchen wie ich, der ich darin zu kurz gekommen bin.
Ja, wie wenig versuchen wir, solche zurechtzubringen, die abgewichen sind. Der Herr lässt im Bild die neunundneuzig auf den Bergen (Mt 18,12). Das sind verirrte Gläubige. In Lukas 15,4 lässt der Hirte die neunundneunzig in der Wüste. Da handelt es sich um Ungläubige. Es ist nicht von ungefähr, dass der Herr weiter in Matthäus 18 über den Platz des Zusammenkommens spricht, wo zwei oder drei zu Seinem Namen versammelt sind. Da lädt Er die Seinen ein, zu Ihm zu kommen. Es gab viele, die eingeladen waren und gekommen sind, doch nun nicht mehr kommen. Er ist es, der sie zurückbringt. Er lässt die neunundneunzig auf den Bergen, denn Er will das eine Schaf zu dem Platz auf den Bergen zurückbringen, zu dem erhabenen Platz, wo Er in der Mitte ist. Jerusalem, der Platz der Wohnung Gottes im Alten Testament, war ebenfalls auf Bergen erbaut. Diesen Ort hat Gott auserwählt: „Sondern er erwählte den Stamm Juda, den Berg Zion, den er geliebt hat“ (Ps 78,68; vgl. Ps 132). Das war kein unzugänglicher Berg. Jerusalem liegt nicht auf einem steilen Abhang, aber auch nicht in der Ebene. An diesen erhabenen Platz will der Herr die Seinen zurückbringen, die abgewichen sind. Ist es der Wunsch unserer Herzen, dass der Herr uns zu solch einem Dienst gebrauchen kann?
Vor nun gut vierzig Jahren, also noch vor dem zweiten Weltkrieg, kam Bruder M. Behnam aus Ägypten nach Europa zu Besuch. Er berichtete davon, wie die Brüder in Ägypten jedesmal jemand aufsuchten, der die Zusammenkünfte nicht besucht hatte. Zwei oder drei Brüder gingen gleich nach der Zusammenkunft zu der Person und berichteten: „Wir haben den Herrn gesehen. Wir waren in Seiner Gegenwart, und unsere Herzen waren sehr glücklich.“ Dann erzählten sie, was sie in der Zusammenkunft erlebt hatten. Wenn die Person das nächste Mal wieder fehlte, suchten sie sie wieder auf und erzählten ihr wieder, was sie erlebt hatten. Das hatte zum Ergebnis, dass die Herzen der fehlenden Geschwister wieder warm wurden und dass sie schließlich, und wenn es nach dem vierten oder fünften oder zehnten Besuch erst geschah, doch wieder zurückkamen. Sie konnten auf Länge der Zeit nicht widerstehen.
Was haben wir getan, wenn Geschwister wegblieben? Haben wir in diesem Punkt Treue bewiesen? Wir wollen uns jeder für sich persönlich diese Fragen vorlegen. Der gute Hirte sucht sowohl das verlorene als auch das verirrte Schaf, bis Er es findet.