Da bin ich in ihrer Mitte
14. Die Einheit des Geistes bewahren
Wir haben nun viel über die wahre Kirche, die Versammlung des lebendigen Gottes, gehört, haben uns mit ihrem Charakter, ihrer Berufung und Bestimmung beschäftigt und haben auch gesehen, auf welche Weise sie in den einzelnen Zusammenkünften ihren praktischen, sichtbaren Ausdruck finden soll. Dabei haben wir als Grundlage das Wort Gottes gehabt, nicht das Wort von Menschen, das der Kirchenväter zum Beispiel. Menschen haben stets viele Meinungen und Lehren (vgl. Mt 15,9; 1. Tim 1. 3; 4, 1. Kol 2,22; Heb 13,9), Gott aber hat und anerkennt nur eine Lehre (vgl. Joh 7, 1617; Apg 2,42; 13,12; Röm 6,17; 1. Tim 1. 10; 4, 6; Tit 1. 9; 2, 1.10; 2. Joh 9). Und Er hat uns in Seinem untrüglichen Wort vorausgesagt, dass es eine Zeit geben würde, „da sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern nach ihren eigenen Lüsten sich selbst Lehrer aufhäufen werden, indem es ihnen in den Ohren kitzelt; und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren und zu den Fabeln sich hinwenden“ (2. Tim 4,3-4). Verhängnisvolle Entwicklung: die Ohren von der Wahrheit abkehren! In diesen schweren Zeiten (2. Tim 3, l), den letzten Tagen der Gnadenzeit, leben wir heute.
Die Frage erhebt sich nun für uns: Wollen wir der gesunden Lehre des Wortes Gottes folgen? „Kann man das überhaupt noch?“, mag jemand entgegenhalten. Diese Frage ist tatsächlich nicht unberechtigt. Denn vergleicht man das, was uns Gottes Wort über die Kirche sagt, mit dem, wie sich die Christenheit heute darstellt, so tut sich eine abgrundtiefe Kluft auf, die unüberbrückbar scheint. Auf der einen Seite die klaren Gedanken Gottes, die jedes aufrichtige Kind Gottes anerkennen wird; auf der anderen Seite ein Zustand, der diesen Gedanken vollständig widerspricht. Auf der einen Seite die Lehre der Schrift über den einen Leib, auf der anderen Seite eine fast unüberschaubare Anzahl verschiedenartigster Gemeinschaften mit christlichem Bekenntnis. Welch eine Verwirrung, welch ein Scherbenhaufen dessen, so möchte man sagen, was einst so vollkommen aus der Hand Gottes hervorgegangen ist!
Was ist zu tun? Resignieren? Die Dinge laufen lassen? Einfach so weitermachen wie bisher? Sich in die Einsamkeit zurückziehen? Nein, tausendmal nein! Gott hat ein „Du aber“ (2. Tim 3,10.14; 4,5), hat einen Weg für den, der treu sein möchte – einen Weg, auf dem die Einheit der Kinder Gottes, die zu bewirken der Herr Jesus gestorben ist (Joh 11,52), verwirklicht werden kann, selbst in Tagen größten Verfalls und weitestgehender Zersplitterung. Mit diesem Gegenstand möchten wir uns in dem vorliegenden Kapitel beschäftigen. Es ist ein Kapitel, in dem praktische Schlussfolgerungen aus dem gezogen werden, was wir in den vorhergehenden Kapiteln gelernt haben. Diese Schlussfolgerungen mögen manchem meiner geschätzten Leser auf den ersten Blick hart oder undurchführbar erscheinen – und sie sind der menschlichen Natur tatsächlich entgegengesetzt –, aber es sind Schlussfolgerungen, die der Glaube zieht und die zu reichem Segen führen. Die Kosten mögen hoch sein; doch seien wir versichert: Gott lässt Sich nichts schenken! Denen, die Ihn suchen, ist Er stets ein Belohner (Heb 10,6).
Würdig wandeln
Wenn Gott uns Seine Gedanken vorstellt, wenn Er uns zeigt, in welche Beziehungen Er uns durch Seine Gnade gebracht hat, dann ermahnt Er uns auch, dementsprechend unser persönliches Betragen einzurichten. Das ist immer die Reihenfolge, und das ist immer die praktische Konsequenz. Zuerst die Lehre, dann der Wandel. So zeigen uns auch die beiden ersten Kapitel des Epheserbriefes, die wiederholt vor uns gewesen sind, die göttlichen Belehrungen über die Versammlung. Mit Kapitel vier jedoch – Kapitel 3 ist eine Einschaltung – beginnen die Ermahnungen, die an die Lehre der beiden ersten Kapitel anknüpfen.
„Ich ermahne euch nun, ich, der Gefangene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit welcher ihr berufen worden seid, mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe, euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens. Da ist ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in uns allen“ (Eph 4,1-6).
Dreimal ermahnt uns Gott in Seinem Wort, „würdig ... zu wandeln“. Wenn ich dabei die Stelle in Philipper 1. Vers 27, auslasse, dann deswegen, weil sie ein anderes Wort für wandeln enthält (nämlich politeuomai = Bürger sein, wandeln). Das Wort, das in den folgenden Stellen vorkommt, ist jedoch peripatéo = wandeln, umhergehen, leben.
In 1. Thessalonicher 2, Vers 12, heißt es: „dass ihr wandeln solltet würdig des Gottes, der euch zu seinem eigenen Reiche und seiner eigenen Herrlichkeit beruft.“
In Kolosser 1. Vers 10, werden wir ermahnt, „würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen“.
Hier aber lautet die Ermahnung, würdig der Berufung zu wandeln, mit welcher wir berufen worden sind. Sie knüpft an die Belehrungen des zweiten Kapitels an, wo uns die Versammlung als der eine neue Mensch, als der eine Leib, als der heilige Tempel im Herrn, als die Behausung Gottes im Geiste vorgestellt worden war. Alle wahren Kinder Gottes bilden diese wunderbare Versammlung, sie sind Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes – das ist ihre Berufung, mit (oder: gemäß) der sie berufen worden sind. Dieser Berufung nun sollen wir würdig wandeln, und das schließt das Bewahren der Einheit des Geistes ein.
Wie ernst ist der Hinweis des Heiligen Geistes, dass, wenn es um das Bewahren dieser Einheit des Geistes geht, alle Demut und Sanftmut mit Langmut vonnöten sind, und Er fügt hinzu: „einander ertragend in Liebe.“ „Im Bande des Friedens“ soll die Einheit des Geistes bewahrt werden. Wie sehr haben wir gegen dieses Wort verstoßen! Welch erbitterte Kämpfe haben sich selbst wahre Kinder Gottes geliefert, gerade wenn es um das Einnehmen des „richtigen Platzes“ und um damit verbundene kirchliche Fragen ging! „Einander ertragend in Liebe“ -„im Bande des Friedens“. Möge uns der Herr helfen, diese Gesinnung zu offenbaren!
Ehe ich nun auf die Einheit des Geistes zu sprechen komme, was sie bedeutet und wie man sie bewahren kann, möchte ich auf drei verschiedene Bereiche von Einheiten hinweisen, die uns diese Verse vorstellen. Im Ganzen sind es sieben Einheiten, aber sie gliedern sich in drei Bereiche, die zu erfassen für unseren Gegenstand wichtig ist.
Drei Bereiche der Einheit
In den Versen 4 bis 6 werden uns drei geistliche Bereiche der Einheit gezeigt, die sich in ihrem Charakter voneinander unterscheiden. Der erste Bereich ist durch den Geist, der zweite durch den Herrn, der dritte durch Gott, den Vater, als Ausgangspunkt der Einheit gekennzeichnet.
- „Ein Leib und ein Geist“ – dies ist der Bereich wirklicher, göttlicher Gemeinschaft. Es gibt nur einen Leib, der, wie wir gesehen haben, durch den Heiligen Geist gebildet wird. Jedes Kind Gottes, das in dem gegenwärtigen Augenblick auf der Erde ist, gehört zu diesem Leibe, dem Leib in seinem zeitlichen Aspekt. Diese Einheit wird auch Einheit des Geistes genannt, weil der Heilige Geist die formende Kraft und das Band derselben ist. Er ist es auch, der in uns die „eine Hoffnung“ lebendig erhält, das ist, Christus zu sehen und bei Ihm zu weilen in Herrlichkeit.
- „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ – dies ist der Bereich (oder die Einheit) des öffentlichen Bekenntnisses, des Bekenntnisses zum Christentum. Während der erste Bereich durch wahre Gemeinschaft in der Kraft des Heiligen Geistes gekennzeichnet ist, umfasst dieser zweite Bereich das ganze christliche Bekenntnis. Es ist der Herrschaftsbereich Christi auf Erden. Deswegen wird gesagt: „Ein Herr.“ Dass dieser Bereich auch alle jene miteinschließt, die sich auf irgendeine Weise, und sei es auch nur der äußeren Form nach, zum Beispiel durch ein christliches Glaubensbekenntnis, zu Christus als Herrn bekennen – dass er also auch tote Bekenner umfasst, ist wahr, aber nicht Gegenstand dieses Briefes. Um das zu sehen, müssen wir uns anderen Teilen des Neuen Testaments zuwenden, beispielsweise dem zweiten Brief an Timotheus. Wir wer–den das auch tun. Stellen wie Matthäus 7, Verse 21-23, und Kapitel 25, Verse 11–12, zeigen jedoch, dass man Christus als Herrn bekennen und trotzdem verlorengehen kann. Im allgemeinen aber geht Gottes Wort zunächst einmal davon aus, dass das Bekenntnis echt ist. So auch im Epheserbrief. Die weitere Entwicklung des christlichen Bekenntnisses wird hier nicht erörtert.
Der Ausdruck „ein Glaube“ weist als Gegensatz zum Judentum oder Heidentum auf den christlichen Glauben hin, zu dem sich alle die bekennen, die dessen äußeres Zeichen, das ist die Taufe mit Wasser, an sich tragen. - „Ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in [uns] allen“ – dies ist der Bereich universaler Einheit. Er trägt einen noch allgemeineren Charakter als der zweite und umfasst nicht nur Christen, sondern alle Geschöpfe des einen Gottes und Vaters. Gott ist der „Vater“, das heißt der Ursprung „aller“, denn Er erschuf sie alle. Er ist es, der „selbst allen Leben und Odem und alles gibt“; „denn wir sind auch sein Geschlecht“ (Apg 17,25.28). „Wir sind auch sein Geschlecht“ bedeutet nicht, dass alle Menschen Seine Kinder, das heißt von neuem geboren wären, sondern dass sie alle Seine Geschöpfe und aus Seiner Hand hervorgegangen sind und dass Er Sich um sie kümmert und Sich ihrer annimmt. Er ist auch der „Gott“ aller Menschen, „der Gott der Geister alles Fleisches“ (4. Mose 27,16). Das ist Sein Anspruch. Wie weit das Geschöpf ihm nachkommt, ist eine andere Frage, die ebenfalls hier nicht erörtert wird. „Über allen“ weist auf die Souveränität, „durch alle“ auf die Vorsehung Gottes hin. Statt „in uns allen“ muss es wohl nur „in allen“ heißen, denn die ältesten und besten Handschriften lassen unsaus. So scheint der Ausdruck „in allen“ zu bedeuten, dass der Odem Gottes in allen und dass Gott allgegenwärtig ist. Es ist der Kreis der Schöpfung.
Schon in Kapitel 3, Vers 9, war auf den Schöpfer-Gott hingewiesen worden, „der alle Dinge geschaffen hat“; und Paulus beginnt sein Gebet an den „Vater unseres Herrn Jesus Christus“ in Vers 14 mit der bemerkenswerten Beifügung „von welchem jede Familie in den Himmeln und au/Erden benannt wird“. Auch hier haben wir den universalen Bereich der Schöpfung, der intelligenten Schöpfung, der jede Familie in den Himmeln und auf Erden umfasst. Das griechische Wort für „Familie“ [stpatria und bedeutet eigentlich „Vaterschaft“. Das zeigt uns erneut den Gedanken, dass jede Gruppe von erschaffenen Wesen, die mit Verständnis begabt sind, ihre Vaterschaft, ihren Ursprung in Gott hat.
Als Jehova stand Gott nur mit einem Volk in Beziehung, aber in Verbindung mit dem „Vater unseres Herrn Jesus Christus“ kommen alle intelligenten Wesen in den Himmeln und auf Erden in Betracht, weil sie alle zur Verherrlichung Jesu Christi, durch Ihn und für Ihn geschaffen sind (Kol 1. 16). Gewiss hat die Versammlung einen ganz besonderen Platz der Vorrechte und Nähe zu Gott erhalten, aber der Anspruch des „Vaters unseres Herrn Jesus Christus“ erstreckt sich auf jede Klasse von Geschöpfen, die Er gemacht hat. Ob es sich um die Fürstentümer und Gewalten in den Himmeln handelt, um die verschiedenen Engel also, oder um Juden oder Heiden oder die Versammlung Gottes – ihnen allen weist Er nach Seinem Ratschluss einen bestimmten Platz zu. Christus aber hat Er als den verherrlichten Sohn des Menschen zu Seiner Rechten gesetzt „in den himmlischen Örtern, über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird,nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen“ (Eph 1. 21). Dass im Epheserbrief derart auf die Universalität der Vaterschaft Gottes hingewiesen wird, ist im höchsten Maß bemerkenswert. Ich denke, es geschieht deswegen, damit um so deutlicher der ganze Bereich sichtbar werde, über den Christus Haupt sein wird. Das ganze Universum wird Ihm als verherrlichtem Menschen unterworfen sein, „das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist“ (Eph 1. 10).
Drei Bereiche der Einheit also haben wir gesehen – den Bereich göttlicher Gemeinschaft, den Bereich des christlichen Bekenntnisses und den Bereich der Schöpfung. Wie traurig jedoch, dass jeder dieser drei Bereiche heute in der Christenheit praktisch geleugnet wird! Der eine Geist, der den einen Leib bildet, wird durch die vielen Geister und Meinungen von Menschen ersetzt, was in der Errichtung unüberschaubar vieler Gemeinschaften und Kreise gipfelt. Der eine Herr wird durch die Anordnungen einer sogenannten Geistlichkeit verdrängt, und der eine Gott, der Schöpfer-Gott, durch Entwicklungstheorien der Wissenschaft überflüssig gemacht. Um so beachtenswerter ist, dass sich die Ermahnungen der letzten drei Kapitel des Epheserbriefes gerade in diese drei Bereiche gliedern:
Die Ermahnungen, die uns in Kapitel 4, Verse 1–16, gegeben werden, stehen mit dem einen Leib, dem Bereich wahrer, christlicher Gemeinschaft in Beziehung. Hiermit wollen wir uns im Nachfolgenden beschäftigen.
Der Abschnitt von Kapitel 4, Vers 17, bis Kapitel 5, Vers 21, gibt uns Ermahnungen in Verbindung mit dem zweiten Bereich, dem Bereich der Regierung des Herrn. Wenn wir uns zu Ihm als Herrn bekennen, ist jeder einzelne von uns gehalten, in Übereinstimmung mit diesem Namen nach wahrhaftiger Gottseligkeit zu streben.
Von Kapitel 5, Vers 22, bis Kapitel 6, Vers 9, finden sich Ermahnungen, die in Verbindung mit dem dritten Bereich, dem Bereich der Schöpfung Gottes, stehen. Ob Frauen oder Männer, ob Kinder oder Väter, ob Knechte oder Herren – die Kinder Gottes werden ermahnt, ihren jeweiligen Platz oder ihre natürlichen Beziehungen entsprechend der Ordnung Gottes in der Schöpfung auszufüllen.
Doch wenden wir uns nach diesem Überblick zuerst dem ersten dieser drei Bereiche zu, der Einheit des Geistes, die im Bande des Friedens zu bewahren wir ermahnt werden.
Eine sichtbare Einheit
In den Tagen der Apostel bildeten die Gläubigen eine sichtbare Einheit hier auf der Erde. Noch gab es keine Spaltungen, sondern alle Christen an einem Orte kamen nach einem Grundsatz zusammen und waren in glücklicher Einheit und Gemeinschaft (vgl. Apg 2,42) mit allen Christen und christlichen Versammlungen in anderen Teilen des Landes oder in anderen Ländern, wie die Apostelgeschichte und die Briefe des Neuen Testaments bezeugen. Es war somit offenbar, dass alle diese Christen zusammen einen Leib in Christo bildeten, einen lebendigen Organismus, der unter der Leitung und Kraft des Heiligen Geistes seine Funktion erfüllte. Keine Frage, dass dies gerade das war, was Gott gewollt und bestimmt hatte, und so hätte es bleiben sollen.
Aber ach! dieser sichtbare Ausdruck der Einheit wurde bald zerstört: Unbekehrte Bekenner und gottlose Menschen schlichen sich ein (Jud 4), die Jesus Christus als alleinigen Gebieter (despótes) und Herrn (kyrios) verleugneten. Männer standen auf, die verkehrte Dinge redeten und so die Jünger abzogen hinter sich her (Apg 20,30). Das Aufkommen von Irrlehren und Spaltungen war nur der traurige Beweis dafür, dass man bereits in großem Maße das Wort Gottes als Autorität aufgegeben hatte. Der Ruin und die Verwirrung, die heute die Christenheit charakterisieren, zeigen, wie weit wir von den Gedanken Gottes bezüglich des einen Leibes abgewichen sind.
Aber welch ein Trost für die, denen auch in dunklen Tagen die Gedanken Gottes etwas – ja, alles bedeuten: Diese Einheit wird wieder sichtbar werden, wenn der Herr Jesus in Macht und Herrlichkeit wiederkommen und vor der ganzen Welt mit den Seinigen erscheinen wird, um hier zu herrschen. Es ist wie mit einer über einen Fluss gespannten Kette, deren Anfang und Ende an den Ufern wohl sichtbar sind, die in der Mitte des Stromes aber zerrissen zu sein scheint. So sehen die Augen Gottes und die Augen des Glaubens auch heute noch die Versammlung als eins, aber für natürliche Augen ist die Einheit der Kinder Gottes nicht mehr sichtbar.
Doch was ist angesichts dieser traurigen, für uns so beschämenden Sachlage zu tun? Die Antwort Gottes, mit der wir uns nun etwas näher beschäftigen wollen, ist klar und einfach: „Die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens. „ Hier drängt sich uns zunächst die Frage auf:
Was bedeutet „Einheit des Geistes“?
Nun, eines bedeutet dieser Ausdruck mit Sicherheit nicht – die Einheit unserer Geister. Nicht Zusammenschlüsse aufgrund gemeinsamer Ansichten, Meinungen oder Glaubensbekenntnisse sind der Weg Gottes für uns. Vielmehr stellt Er jene kostbare Einheit vor unsere Blicke, die durch den Heiligen Geist bewirkt wird und ihrem Grundsatz nach alle Glieder des Leibes Christi umfasst. Eine andere Einheit kennt und anerkennt Gottes Wort nicht. Was ist der Wert jeder anderen Einheit? Sie wird sich nie über ihren menschlichen Ursprung erheben.
Die Einheit des Geistes bewahren heißt nicht, sie zu machen, sondern sie zu beobachten oder aufrechtzuerhalten. Es ist die praktische Verwirklichung der Wahrheit, dass da ist „ein Leib und ein Geist“ und in der Praxis unseres Lebens keine andere Gliedschaft anzuerkennen als nur die, die durch den Geist Gottes ist; das heißt, die Einheit des Geistes zu bewahren.
„Die Einheit des Geistes“ ist also jene Kraft und jener Grundsatz, mittels derer die wahren Kinder Gottes in die Lage versetzt werden, entsprechend ihren eigentlichen Beziehungen in der Einheit des Leibes Christi gemeinsam den Weg zu gehen. Sie zu bewahren ist die sittliche Verwirklichung dieser Einheit, oder anders ausgedrückt, ist die Aufrechterhaltung unserer Beziehungen zu allen Heiligen gemäß dem Geist Gottes.
Nicht „Einheit des Leibes“
Es ist bedeutsam, dass wir nicht ermahnt werden, die Einheit des Leibes zu bewahren. Das würde bedeuten, dass wir mit jedem Glied des Leibes Christi zusammenzugehen hätten, unabhängig davon, in welchen Verbindungen es sich befindet oder wie seine Wege im praktischen Leben aussehen. Selbst nicht das schlimmste Böse in einem Mitbruder dürfte uns dann Veranlassung sein, uns von ihm zu trennen. Wir werden noch finden, dass dies nicht die Lehre der Schrift ist; denn das Bewahren der Einheit des Geistes schließt notwendigerweise die Gemeinschaft und Verbindung mit einer göttlichen Person ein. Würde jedoch die Versammlung Gottes noch in ihrem gottgemäßen und gesunden Zustand sein, so würde praktischerweise kein Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken „Einheit des Leibes“ und „Einheit des Geistes“ bestehen.
Was jedoch das Bewahren der Einheit angeht: Die Einheit des Leibes können wir weder bewahren noch brechen; sie wird aufrechterhalten durch den Heiligen Geist selbst, der in der Versammlung wohnt und alle Glieder des Leibes Christi miteinander und mit dem Haupt im Himmel verbindet. Trotz des schmerzlichen Versagens der Menschen – diese Einheit bleibt, weil der Heilige Geist bleibt.
Nicht praktikabel?
Unabhängig davon, wie groß der Ruin, wie verderbt der Zustand der verantwortlichen Kirche ist, gibt die Heilige Schrift nie dem Gedanken Raum, dass die Wahrheit Gottes nicht mehr verwirklicht und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Gottes Ermahnungen, Gottes Gedanken und Worte sind immer anwendbar und anzuwenden. Gott sah, wie wir uns schon erinnert haben, den Verfall und die gefährlichen Tage voraus; dennoch ermahnt Er uns, uns zu befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens. Gott ermahnt uns nicht zu etwas, was nicht mehr praktikabel wäre.
Gerade die Endzeitbriefe, der Brief des Judas und die späten Briefe von Paulus, Petrus und Johannes, die die gefahrvollen Zeiten der „letzten Tage“ (2. Tim 3, l) und das Vorhandensein vieler Antichristen in der „letzten Stunde“ (1. Joh 2,18) beschreiben, setzen nicht, auch nicht für einen Augenblick, voraus, dass die Wahrheit nicht mehr verwirklicht werden könne. Ganz im Gegenteil! So hat zum Beispiel der Apostel Johannes in seinem zweiten und dritten Brief viel über Wandel der Gläubigen zu sagen. Er spricht von einem Wandel in der Wahrheit, einem Wandel nach Seinen Geboten und von dem Festhalten an der Wahrheit.
Trotz der Verwirrung und Zersplitterung im christlichen Bekenntnis macht uns Gott verantwortlich, der gesegneten Wahrheit von dem einen Leibe Christi praktischen Ausdruck zu geben. Dabei sollen wir nicht nur die Wahrheit als eine Theorie festhalten, sondern sollen durch unsere Wege und Verbindungen ein praktisches Zeugnis von dem einen Leibe sein, ein Zeugnis gegen alles, was diesen verleugnet.
Der erste Schritt – Absonderung
Der erste Schritt in dem Bewahren der Einheit des Geistes ist die Absonderung von aller Art des Bösen, das viele Erscheinungsformen aufweist und sich als sittlich, praktisch oder lehrhaft Böses offenbaren kann. Unsere erste Aufgabe und Pflicht ist es, uns nach 2. Timotheus 2,Vers 19, von allem zu trennen, was Christus entgegen ist:
„Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit.“
So abgesondert, ist die Gemeinschaft des Heiligen Geistes unser Teil; denn der Heilige Geist verherrlicht Christus (Joh 16,14). Weil aber die Verherrlichung Christi Sein Ziel ist, muss Er uns notwendigerweise von allem, was Christus entgegensteht und Ihn verunehrt, lösen und uns mit dem verbinden, was Ihm entspricht. Dass sich doch jeder Leser diesen Grundsatz ernstlich zu Herzen nähme! Er macht den Weg klar und schließlich auch leicht.
Es ist also nicht länger eine Frage der Glieder des Leibes, denn diese sind praktischerweise mit tiefer Beschämung und Beugung sei es gesagt – mit allerlei Bösem vermischt und verbunden; es wird ganz zu einer Frage von Christus, von dem Geist Gottes, der Ihn verherrlicht und uns in Gemeinschaft mit Christus, dem Haupt, erhält. Es geht nicht darum, ein gutes Gefühl für meinen christlichen Bruder zu haben. Das könnte schließlich in tausend Gemeinschaften sein. Wollte Gott denn tausend Gemeinschaften haben? Oder ist es nicht vielmehr wahr, dass es nur einen Leib gibt? Ohne Frage! Gott sagt es: Da ist ein Leib. Nun, dann sind alle Parteiungen und Sekten klar gegen Seinen Willen. Was ist zu tun? Verlasse sie!
Das klingt hart, ist aber der Weg Gottes – der einzige Weg, den Er weist. Niemand versteht es besser als der allwissende Gott, der das menschliche Herz selbst gemacht hat, wie bitter und schmerzlich es in der Regel ist, wertgeschätzte, gewachsene Bindungen um des Herrn willen aufzugeben. Zuweilen geht dann der Riss mitten durch die eigene Familie. Dennoch, wenn die kirchlichen Bindungen nicht mit Seinen Gedanken im Einklang sind, wenn du in ihnen nicht die Einheit des Geistes verwirklichen kannst: gib sie auf!
Gib sie auf, auch wenn du meinen solltest, an einem als falsch erkannten Platz bleiben zu müssen, um dem Falschen das Richtige entgegensetzen, um deinen guten Einfluss zur Besserung der Dinge dort geltend machen zu können! Gott reformiert nicht, was von Ihm abgefallen ist. „Stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ ist die Antwort des Herrn. Ungerechtigkeit ist alles, was nicht mit dem offenbarten Willen Gottes in Übereinstimmung ist – ist alles, was des Menschen Willen zum Ursprung hat. Wieviel Ungerechtigkeit gibt es dann in der Christenheit!
Ich sehe es nicht als meine gegenwärtige Aufgabe an, die mannigfachen Formen des Bösen in dem christlichen Bekenntnis mit Namen zu nennen und anzuprangern. Die hier und da in dieser Verbindung angeführten Schriftabschnitte und -stellen mögen für sich selbst reden. Auch habe ich in einem früheren Kapitel1 bereits darauf hingewiesen, wie der Herr den Zustand der Christenheit heute beurteilt. Aber das eine ist bereits jetzt klar: Es ist die Pflicht ja, ich möchte sagen: das Vorrecht – eines jeden gläubigen Kindes Gottes, sich von all den schriftwidrigen Grundsätzen und Systemen auf christlichem Gebiet zu trennen. Die Christenheit als solche geht den Weg der Ökumene, aber es ist der Weg nach „Babylon“ (Off 17 und 18). Die Einheit des Geistes wird nicht durch ungöttliche Zusammenschlüsse erreicht, sondern – als erstem Schritt- durch Absonderung von dem, was falsch und dem Willen des Herrn zuwider ist.
„Und ich hörte eine andere Stimme aus dem Himmel sagen: Gehet aus ihr hinaus, mein Volk, auf dass ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet und auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen; denn ihre Sünden sind aufgehäuft bis zum Himmel, und Gott hat ihrer Ungerechtigkeit gedacht“ (Off 18,4-5).
Es ist unmöglich, ein glaubwürdiges Zeugnis von der Einheit der Kinder Gottes zu sein und mit dem verbunden zu bleiben, was diese Einheit praktisch leugnet.
Manchmal verharren Gläubige in kirchlichen Verbindungen, in denen sie wissentlich wichtigen Grundsätzen der Schrift nicht Ausdruck geben können. Ihren Ungehorsam -denn etwas anderes ist es nicht – suchen sie mit dem Hinweis zu rechtfertigen, sie fänden dort größere Möglichkeiten zum Dienst und einen weiteren Bereich für ihre Aktivitäten. Sie argumentieren, dass, würden sie sich von dem trennen, was sie als falsch erkannt haben, ihr Dienst für den Herrn sehr eingeschränkt werden würde.
Doch das sind falsche, schriftwidrige Gedankengänge. Wir sollten als erstes darauf bedacht sein, dass unser persönlicher Zustand und unsere persönlichen Verbindungen solcherart sind, dass der Herr sie billigen kann. Erst dann werden wir -wie wir sogleich sehen werden – reine Gefäße sein, die der Herr auf Seine Weise in Seinem Dienst verwenden kann. Wenn wir im Gehorsam Seinem Wort, Seinem offenbarten Willen gegenüber vorangehen, wird uns der Herr Türen öffnen und mehr Möglichkeiten zum Dienst geben, als wir zu benutzen in der Lage sind. Der treue Überrest hört die tröstlichen Worte des Herrn: „Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand zu schließen vermag“ (Off 3,8). Nicht offene Türen zum Zeugnis und Möglichkeiten zum Dienst sollten also unsere erste Sorge sein, sondern die Absonderung von allem, was dem Herrn missfällt. Wir können uns nicht selbst Türen öffnen, Menschen und ihre Institutionen können es nicht. Wenn Er aber Türen auftut, dann vermag niemand, sie zu schließen. Wir können getrost hindurchgehen.
Den Grundsatz der Absonderung finden wir auch in 2. Korinther 6, Vers 17:
„Darum gehet aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen.“
Alle Verbindungen, die Christus entehren, müssen aufgegeben werden. Die Vorstellung übrigens, man könne wissentlich in Verbindung mit einem schriftwidrigen Grundsatz, mit einer bösen Lehre oder Praxis stehen und doch persönlich unbefleckt sein, ist ungöttlich: Ich mag persönlich frei von dieser bösen Sache sein, doch durch meine praktische Verbindung damit habe ich die Gemeinschaft des Heiligen Geistes bereits verlassen. Deswegen ist dies das Wort Gottes an uns: „Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“
Es ist erstaunlich, wie oft im zweiten Timotheusbrief, der uns ja den Verfall der Christenheit in den letzten Tagen beschreibt, die Aufforderung zur Absonderung vom Bösen gegeben wird. Sechsmal wird davon gesprochen, jeweils in anderer Beziehung und mit anderen Worten:
„Die ungöttlichen eitlen Geschwätze aber vermeide“ (Kapitel 2, 16).
„Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von [der] Ungerechtigkeit“ (Kapitel 2, 19).
„In einem großen Hause aber sind nicht allein goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene, und die einen zur Ehre, die anderen aber zur Unehre. Wenn nun jemand sich von diesen reinigt, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein“ (Kapitel 2, 20–21).
„Die jugendlichen Lüste aber fliehe“ (Kapitel 2, 22).
„Aber die törichten und ungereimten Streitfragen weise ab“ (Kapitel 2, 23).
„Die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen; und von diesen wende dich weg“ (Kapitel 3, 5).
Wenn der Apostel die Christenheit in den letzten Tagen mit einem großen Haus vergleicht, in dem Geräte verschiedenster Art sind, Gefäße aus edlen und unedlen Stoffen und Gefäße zur Ehre und zur Unehre des Hausherrn, so verbindet er damit sogleich die Aufforderung, sich von den Gefäßen zur Unehre wegzureinigen, das heißt, sich von ihnen abzusondern, um dadurch selbst zu einem Gefäß zur Ehre zu werden. Dieses Sich-Absondern ist gewiss, wie bereits bemerkt, ein schmerzhafter Vorgang, aber es ist der erste Schritt zur Einheit des Geistes.
Man hat gesagt, man könne sich wohl von bösen Dingen trennen, nicht aber von wahren Kindern Gottes. Nun, das ist nicht ganz richtig. Sicherlich wird durch ein Gefäß aus edlem Metall ein Gläubiger vorgebildet; aber es ist nicht zwangsläufig dadurch ein Gefäß zur Ehre des Hausherrn, dass es aus Gold oder Silber besteht. Wenn zum Beispiel ein goldenes Gefäß, mit Spinnweben überzogen, im Kohlenkeller gestanden hat, so würde es dem Hausherrn gewiss nicht zur Ehre gereichen, wenn es auf die festlich geschmückte Tafel mit blendendweißen Tüchern gestellt würde. Auch ein gläubiges Kind Gottes kann durch seine Verbindungen unrein und damit ein Gefäß zur Unehre sein. Von solchen müssen wir uns, was die praktische Gemeinschaft angeht, trennen, wie schmerzlich und demütigend es für uns auch ist. Aber gerade durch diese Absonderung wird man selbst ein Gefäß zur Ehre: „Wenn nun jemand sich von diesen reinigt (wörtlich: sich von diesen wegreinigt), so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet“ (2. Tim 2,21). Wie tröstlich jedoch: Die Beziehungen der Glieder am Leibe Christi bleiben von alledem unberührt – Gott sei Dank!
Beachten wir auch die Ausdrücke „Jeder, der“ und „Wenn nun jemand“ in Vers 19 und 2l! Sie zeigen, dass die Absonderung, die von uns erwartet wird, eine rein persönliche Sache ist. „Jeder, der den Namen des Herrn nennt“, sich also zu Ihm als Herrn bekennt, ist persönlich verantwortlich, von aller Art von Ungerechtigkeit abzustehen. Wir werden unsere persönliche Untreue vor dem Herrn nie damit rechtfertigen können, dass auch andere untreu waren. Deswegen ist dieses „Du aber“ im zweiten Timotheusbrief so wichtig, aber auch so kostbar.
„Weg-Reinigung“ in dreierlei Hinsicht
Nun scheint mir, dass dieses Sich-Weg-Reinigen mindestens in dreierlei Hinsicht oder anders ausgedrückt – in drei Bereichen erfolgen kann. Es richtet sich ganz nach den Umständen des einzelnen, auf welche Weise das Gebot des Herrn in 2. Timotheus 2, Verse 19 b und 21, verwirklicht werden mag.
Der erste Fall kann am leichtesten verstanden – ich sage jetzt nicht: verwirklicht – werden. Wenn sich ein gläubiger Christ in einem etablierten christlichen System befindet, in dem er weder die Einheit des Geistes verwirklichen noch eine Änderung der herrschenden Grundsätze bewirken kann, dann ist er unbedingt gehalten, sich von diesem System zu trennen. Nur so kann er selbst ein Gefäß zur Ehre werden.
Der zweite Fall ist komplizierter und vielleicht nicht für jeden Leser von Belang. Nehmen wir an, ein Kind Gottes ist in praktischer Gemeinschaft mit solchen, die bekennen, sich allein zum Namen des Herrn Jesus hin zu versammeln. Obwohl sie also in kirchlicher Hinsicht einen gottgemäßen Platz einnehmen, kann es geschehen, dass sich in ihrer Mitte offenbar Böses im praktischen Verhalten oder in der Lehre breitmacht. Zunächst ist dann der einzelne genötigt, in aller Liebe und Langmut der örtlichen Versammlung das Böse vorzustellen und das Gewissen der Geschwister aufzuwecken. Sollten jedoch alle Bemühungen auf die Dauer erfolglos bleiben – Bemühungen, mit denen sich auch umliegende Versammlungen einsmachen werden –, dann wird schließlich der einzelne gemäß 2. Timotheus 2, Verse 19 b und 21, handeln und jene Gruppe verlassen müssen.
Zur Warnung vor einer voreiligen und ungeistlichen Anwendung des eben Gesagten sei jedoch noch einmal dieses hervorgehoben:
- Das Böse muss offenkundig und von solchem Charakter sein, dass es einen Ausschluss rechtfertigen würde.
- Das Sich-Wegwenden kann nur der allerletzte Schritt sein, nachdem jede erdenkliche Mühe und Langmut verwandt worden ist. Insofern liegen die Dinge hier anders, komplizierter als im ersten Fall.
- Der zweite Timotheus-Brief zeigt zwar diese Seite nicht, aber sie ist nicht minder zu beachten: Die Frage, ob eine örtliche Versammlung schließlich noch als in Gemeinschaft befindlich betrachtet werden kann, kann nicht durch den einzelnen, sondern nur durch die nächstliegende Versammlung, besser noch die nächstliegenden Versammlungen entschieden werden.
Aber das Wort aus 2. Timotheus 2 kann seine Anwendung auch im rein persönlichen Bereich finden. Ein Gläubiger mag mit anderen Kindern Gottes praktische Gemeinschaft pflegen (ich meine jetzt nicht Gemeinschaft am Tisch des Herrn) und sich ihrer erfreuen. Aber eines Tages muss er zu seinem Leidwesen feststellen, dass diese Kinder Gottes nicht in der Wahrheit wandeln (2. Joh 4), weil sie zum Beispiel fremde Lehren festhalten oder weil von ihnen in sittlicher Hinsicht Gefahren für ihn und sein Haus ausgehen. Ach, wie schmerzlich ist es, so etwas feststellen zu müssen bei solchen, die mit demselben Preis Seines Blutes erkauft und erlöst worden sind wie wir selbst! Aber soll man, kann man dann weiter mit ihnen Gemeinschaft haben? 2. Timotheus 2 gibt uns auch in diesem Fall die Antwort.
Recht auf ein privates Urteil
Das alles sind ernste Dinge, und so tiefgreifend sind die Aussprüche Gottes, dass sich der Mensch – und oft auch der gläubige – den weitreichenden, praktischen Konsequenzen zu entwinden sucht. Er beginnt zu argumentieren. Gott argumentiert nicht, Er gebietet. Der Glaube argumentiert nicht, er gehorcht. Der Unglaube aber argumentiert, dass jeder Mensch schließlich ein Recht auf ein privates Urteil habe. Doch solche Gedanken müssen wir vollkommen ablehnen. Kein Mensch hat ein Recht, in göttlichen Dingen eine eigene Meinung zu haben. Gott allein ist dazu berechtigt, und Er teilt uns Seinen Willen und Seine Absichten mit. An uns ist es, diesem Willen Gottes zu folgen, und das führt zur Einheit des Geistes; ihn aufzugeben – zur Zerrissenheit, zum Sektentum.
Bedenken wir, dass Christus im Himmel das Haupt des Leibes ist und dass der Leib nur für das Haupt da ist! Dann ist kein Platz mehr für das, was den Menschen verherrlicht, für seinen Ehrgeiz, für Stolz und Selbstzufriedenheit. Das alles ist für den Gläubigen im Kreuze Christi zu Ende gekommen, dem Kreuz, das den völligen Ruin des Menschen offenbarte.
„Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an“
Stolz und Selbstzufriedenheit - waren das nicht Kennzeichen von Laodizea, dem christlichen Bekenntnis in seiner Endphase? Ich möchte den Leser noch einmal auf den zweiten Teil von Kapitel 4 dieses Buches hinweisen, wo wir über das Sendschreiben an Laodizea nachsannen und das Urteil des Herrn über diese Versammlung hörten: „Also, weil du lau bist und weder kalt noch warm, so werde ich dich ausspeien aus meinem Munde“ (Off 3,16).
So ernst und demütigend die Dinge an sich auch sind, so ist es doch ein großer Segen, dass Gott uns Sein Urteil über die Zustände in der Christenheit um uns her wissen lässt. Wir sollen alles mit Seinen Augen sehen lernen, damit wir alles so beurteilen, wie Er es beurteilt. Mit Ihm und Seinen Gedanken in Übereinstimmung zu sein ist immer eine beglückende Sache. Aber wie kann ich mich von etwas Falschem wegwenden, wenn ich es gar nicht als falsch erkenne?
Deswegen müssen wir uns mit dem wahren Charakter der Christenheit heute im Licht des Wortes Gottes auseinandersetzen; deswegen auch an dieser Stelle meine Bitte, noch einmal die Ausführungen in Kapitel 4 zu überdenken. Denn jetzt stehen wir bei den praktischen Schlussfolgerungen, die wir aus alledem, was wir gelernt haben, ziehen sollen. Und da bietet das Sendschreiben an Laodizea (Off 3,14-22)noch einige wichtige Belehrungen aus dem Mund des Herrn, die weiteres Licht auf unseren Gegenstand werfen. Dabei denke ich jetzt an die Verse 19–21 aus dem zweiten Teil dieses Sendschreibens, die vorzustellen ich mir absichtlich bis zu diesem Zeitpunkt aufgehoben habe.
Züchtigung
Nachdem der Herr in den Versen 14–18 den Engel der Versammlung, das heißt das verantwortliche Element in der Versammlung, angesprochen und damit zu der Versammlung als solcher geredet hatte, wendet Er Sich ab Vers 19 an den einzelnen, und zwar an den einzelnen Gläubigen, der sich noch in Verbindung mit dem toten christlichen System Laodizea befinden mag. Ihm sagt Er:
„Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe. Sei nun eifrig und tue Buße“ (Vers 19).
Beachten wir: Der Herr züchtigt nicht die Welt; Er züchtigt nur die, die Er liebt - die Söhne (vgl. Spr 3,11-12; Heb 12,5-6). Sie will Er zur Buße über ihren Zustand und ihre Verbindungen führen und benutzt dazu in Seiner Vorsehung nicht selten schmerzvolle Wege der Erziehung. Nicht die verantwortliche Kirche, nicht die Christenheit als solche ruft Er zur Buße – Er steht im Begriff, sie aus Seinem Mund auszuspeien! –,aber in Seiner Gnade und Liebe beschäftigt Er Sich noch immer mit den Seinen, um sie zurechtzubringen. Er sucht die Gewissen derer zu erwecken, die Er liebt.
Welch ein Trost liegt in diesem Gedanken, geliebte Freunde, wenn wir an all das Leid, an ernste Krankheit und anderes Ungemach denken, durch das die Seinen in unseren Tagen in besonderem Maße, so scheint mir, zu gehen haben! Ist es nicht so, als verdopple der Herr in diesen Tagen des Endes Seine liebevollen Anstrengungen, um uns – wenn nötig – auch durch Züchtigung zu unterweisen und uns von dem Bösen Laodizeas, das uns überall wie die Luft umgibt, zu bewahren oder zu befreien? Die Welt mag hämisch auf die mannigfachen Leiden des Volkes Gottes deuten; wir aber wissen, warum der Herr sie uns schickt. Er hat ein gesegnetes Ziel im Auge – unsere Heiligung.
Ein Appell an den einzelnen
„Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür auftut, zu dem werde ich eingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“ (Vers 20).
In welch einer ernsten Stellung sehen wir hier den Herrn! Er steht an der Tür. Er hat Seinen Platz außerhalb des christlichen Systems eingenommen, weil Er Sich mit dessen verderbtem sittlichen Zustand nicht einsmachen kann. Doch auch die andere Seite ist in gleichem Maße wahr: Die Christenheit im Zustand von Laodizea hat Ihm die Tür verschlossen. Sie lässt Ihn draußen stehen, sie begehrt Ihn nicht. Ist das nicht eine Lage der Dinge, die uns zutiefst demütigen muss?
Aber dann tut der Herr etwas überaus Tröstliches, etwas, was ein lieblicher Ausdruck der Zuneigung Seines Herzens zu den Seinen ist – Er klopft an, nicht an die Tür Laodizeas, sondern an die Herzenstür des einzelnen der Seinen2. Sieh', lieber Leser, Er hat dich nicht aufgegeben, Er klopft auch an deine Tür. Er hat es Gewiss schon oft getan. Hast du noch nie vernommen, wie der teure Herr, an deiner Herzenstür stehend, Einlass begehrte? Ob vielleicht auch dieses Buch, das du jetzt in der Hand hältst, zu diesem Klopfen gehört? Er ist voller Langmut und Gnade und will dich und mich nicht nur von den Fesseln, sondern auch von dem einschläfernden Geist Laodizeas befreien.
Die Stimme des Herrn Jesus hören ist eine Sache, Ihm die Tür auftun eine andere. Beides ist nötig. Viele bleiben beim ersten stehen. Sie haben schon oft die Stimme des Herrn vernommen, haben schon viele gute Vorträge gehört, schon manche nützliche Unterhaltung gehabt und manches wohl auch eingesehen; aber dabei blieb es dann. Die Tür ihres Herzens taten sie dem Meister nicht auf. Es ist in der Tat nicht genug, die Stimme des Herrn zu hören. Wonach Er Ausschau hält ist Gehorsam, ist das Befolgen Seines Wortes aus Liebe zu Ihm. Das ist die Tür auftun. „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm machen „ (Joh 14,23).
Vielleicht gehörst auch du zu denen, die sich noch in Laodizea befinden und durch die Verbindungen, die sie unterhalten, den Herrn verunehren. Es gibt viele Gründe, in diesen Verbindungen zu bleiben, manche Stimme wird dir das raten.
Aber es ist nicht die Stimme des Herrn, des guten Hirten, der nicht nur zu Seinen Schafen kommt, sondern sie auch stets aus dem herausführt, was nicht mehr Seine Billigung findet (Joh 10,3). Willst du nicht Dem, der für dich gestorben ist und so liebend um dich wirbt, die Tür auftun? Wie schade, wenn wir wie die Braut im Hohenlied nicht in der Verfassung sind, dem Geliebten aufzutun, wenn Er anklopft! „Horch! mein Geliebter! er klopft: Tue mir auf, meine Schwester...!“ (Hld 5,2 ff.).
Das Abendbrot essen
Zu dem, der Seine Stimme hört und die Tür auftut, will der Herr eingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er würde es umgekehrt auch mit Ihm essen. Der Herr lässt Sich nie etwas schenken, und wenn wir Ihm noch kurz vor dem Abschluss der Gnadenzeit (davon redet das Abendbrot) die Tür auftun, wird Er uns reich belohnen.
Zwei Segnungen stellt Er hier vor uns. Er würde mit uns das Abendbrot essen. Das ist die erste Segnung. Wunderbar ist sie in der Tat! Wenn Er zu uns hereinkommt, dann offenbart Er uns Seine ganze Gnade. Ja, Er tritt in unsere Umstände ein und teilt sie mit uns. Hast du Sorge darüber, was deine Freunde denken werden, wenn du diesen Schritt des Glaubens tust und dich von dem wegwendest, was du in Gottes Licht als falsch erkannt hast? Fürchtest du dich vor den Folgen, die dir die Absonderung zu Ihm hin einbringen mag? Er kennt das alles. Sei getrost! Er wird zu dir hereinkommen, Er wird Sich in Barmherzigkeit zu dir herabneigen und dich Seine ganze Gnade schmecken lassen – wenn du Ihm die Tür auftust.
Die zweite Segnung übersteigt noch die erste. Er will es uns schenken, mit Ihm das Abendbrot zu essen. Es liegt Ihm am Herzen, uns zu Sich selbst und Seinen Gedanken zu erheben, über die Umstände hinaus, die uns hier beschweren. Er möchte, dass wir mit Seiner hochgelobten Person in der Herrlichkeit, mit Seinen Interessen, ja, mit Seinem Herzen Gemeinschaft haben. Das kann nur tiefste Freude bedeuten. „Und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus. Und dies schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei“ (1. Joh 1. 3–4).
Wenn der Herr von dem Essen des Abendbrotes spricht, muss ich unwillkürlich an die liebliche Szene mit den Emmaus-Jüngern in Lukas 24denken. Sie waren auf dem Heimweg von Jerusalem, wo vor drei Tagen ihr Herr gekreuzigt worden war. Eins mit dem Verachteten und Gekreuzigten, den sie noch tot glaubten, wandern sie niedergeschlagen nach Hause. Doch plötzlich gesellt sich ein Unbekannter zu ihnen, der zu ihnen auf dem Weg in unnachahmlicher Weise von den Leiden des Christus und von den Herrlichkeiten danach redet (vgl. 1. Pet 1. 11).Später müssen sie bekennen: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Wege zu uns redete, und als er uns die Schriften öffnete?“ (Lk 24,32).
Schon ist ihr Dorf zu sehen. Der Fremde stellt sich, als wolle Er weitergehen. Würden sie diese geheimnisvolle Person weiterziehen lassen? Da kommt das über ihre Lippen, was Sein Herz begehrte, weshalb Er auf dem Weg an ihre Herzenstür geklopft hatte: „Bleibe bei uns, denn es ist gegen Abend, und der Tag hat sich schon geneigt“ (Vers 29). So kehrt Er bei ihnen ein und wird ihr Gast, bereit, mit ihnen das Abendbrot zu essen. Doch unversehens ändert sich die Situation: Der Gast wird zum Gastgeber. „Und es geschah, als er mit ihnen zu Tische lag, nahm er das Brot und segnete es; und als er es gebrochen hatte, reichte er es ihnen. „ Jetzt isst Er mit ihnen das Abendbrot. Und am Brechen des Brotes erkennen sie Ihn. Ob sie wohl in Seinen Händen die Nägelmale gesehen haben?
Geliebte, wir werden auch heute noch dasselbe erfahren. Wenn wir Ihm die Tür auftun, wird Er in unsere Umstände eintreten. Mehr noch, Er wird Sich uns zu erkennen geben, und damit ist nichts zu vergleichen. Wenn wir Ihm persönlich Einlass gewähren, und es geht bis jetzt um eine rein persönliche Sache, dann wird Er uns Gewiss auch das kostbar machen können, was in Seinem Herzen für die Seinen in korporativem Sinne ist, und wird uns zur Wertschätzung der Beziehungen führen, die Er selbst zwischen den Heiligen geknüpft hat.
Eine weite Grundlage – ein schmaler Weg
Wenn wir bisher den ersten Schritt im Bewahren der Einheit des Geistes betrachtet und gefunden haben, dass er in der Absonderung von allem Bösen besteht, von alledem, was Christus und der Wahrheit Gottes entgegen ist, so mag nun jemand fragen: Soll ich dann den Weg alleingehen? Ist der Weg Gottes für mich die Isolation?
Das vollkommene Wort Gottes gibt auch auf diese Frage eine klare, beglückende Antwort:
„Wenn nun jemand sich von diesen reinigt, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet. Die jugendlichen Lüste aber fliehe; strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen“ (2. Tim 2,21-22).
Zunächst sei an einen Grundsatz Gottes erinnert, dass Er nicht Kraft und Licht für den zweiten Schritt gibt, ehe nicht der erste getan ist. Sodann werden solche, die ihn im Glaubensgehorsam getan haben, eine tröstliche und kostbare Erfahrung machen: Sie werden, in dieser Weise zur Gemeinschaft des Heiligen Geistes abgesondert, andere finden, die vor ihnen dasselbe getan haben; und so können sie mit glücklichem Herzen Zusammensein in der Einheit des Geistes Gottes. Diejenigen, die sich von den Gefäßen zur Unehre wegreinigen, lässt Gott die Gemeinschaft solcher finden, „die den Herrn anrufen aus reinem Herzen“ (Vers 22). „Mit denen“ - das ist Gemeinschaft.
So ist es durchaus kein einsamer Weg, keine Isolation; aber da es ein böser Tag ist, an dem wir leben, ist es der praktischen Gemeinschaftund der Einheit des Geistes nach ein schmaler Weg, eben abgesondert von allem Bösen durch den Geist Gottes. In der Weite seiner Grundsätzeaber umfasst er die ganze Versammlung Gottes. Er ist dem Boden oder dem Grundsatz nach weit genug, um jedes Glied des Leibes Christi aufzunehmen; aber er ist auch schmal genug, um das den Herrn verunehrende Böse sorgfältig aus der Mitte der Gläubigen wegzutun. Denn jene, die in der Einheit des Geistes versammelt sind, werden eifersüchtig darüber wachen, dass nichts Böses in Praxis und Lehre sie der Gemeinschaft des Geistes beraubt.
Welch ein Vorrecht, aber auch welche Verantwortung, in diesen Tagen der Zerrissenheit alle Glieder Christi im Auge und im Herzen zu haben – auch jene, die nicht in gleicher Weise in der Gemeinschaft des Geistes versammelt sind! Da gibt es kein Kind Gottes auf der Erde, das nicht Anrecht auf meine Liebe, auf die Liebe aller Heiligen hätte. Aber diese göttliche Liebe, die sich in der Kraft ihrer Natur nicht ändern soll, die sich jedoch in ihrer Ausdrucksweise entsprechend den Zuständen, die sie vorfindet, vielfach ändern muss, – diese Liebe zu den Brüdern ist nie von dem Gehorsam den Geboten Gottes gegenüber zu trennen. „Hieran wissen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten“ (1. Joh 5,2). Die wahre Liebe wird nie den Weg der Wahrheit und des Lichts aufgeben können, nur weil andere Brüder ihn nicht gehen. Aber sie wird „im Bande des Friedens“ suchen, die Brüder in dieses Licht zu führen, um gemeinsam mit so vielen wie irgend möglich den Weg zur Verherrlichung des Herrn zu gehen. Bedenken wir: Wir können nie das Böse dadurch gut machen, dass wir es mit dem Guten vermengen!
„Da bin ich in ihrer Mitte“
Wenn wir die Einheit des Geistes bewahren wollen, so lasst uns also nicht auf der Suche danach sein, wo wohl Kinder Gottes sein könnten! Wo werden wir sie nicht finden? Sie mögen hier mit sittlich Bösem, dort mit falscher Lehre in Verbindung stehen. Lasst uns auch nicht danach suchen, wo am meisten praktische Liebe und Hilfsbereitschaft gefunden werden. Wird die Liebe nämlich nicht von der Wahrheit begleitet, ist es nicht die göttliche Liebe. Die Liebe „freut sich mit der Wahrheit“ (1. Kor 13,6). Nein, das ist nicht der Weg zum Ziel.
Die Einheit des Geistes ist eben nicht eine bloße Gemeinschaft von Christen, die viele unter verschiedenen Vorzeichen zu erreichen versucht haben. Menschen haben schon viele Einheiten gemacht und verbinden Christi Namen damit, nennen sie eine oder gar die Kirche. Doch der Weg des Gläubigen ist ein einfacher und demütiger: Er muss nur anhand des Wortes Gottes prüfen, wo die Einheit des Geistes verwirklicht wird. Der Heilige Geist ist es, der die Kinder Gottes in eins versammelt und sie um die Person Christi selbst schart. Nur dort, wo man so um Ihn als Mittelpunkt versammelt ist, da, sagt der Herr Jesus selbst, „bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20).
Keine Unabhängigkeit
Das Bewahren der Einheit des Geistes ist mit einem Geist der Unabhängigkeit unvereinbar. Das sei an einem kleinen Beispiel erläutert.
Nehmen wir einmal an – und schon oft ist es dem Heiligen Geist gelungen, dies zu bewirken –, eine Gruppe schlichter Christen trennt sich von den christlichen Systemen und versammelt sich einfach zum Herrn Jesus hin. Sie mögen darüber, dass die Anerkennung des einen Leibes die gottgemäße Grundlage des Zusammenkommens ist, noch keinerlei Verständnis haben. Sie mögen noch nie etwas über die Einheit des Geistes gehört haben. Dennoch sind sie durch ihre Absonderung von dem, was sie durch den Geist als falsch erkannt haben, notwendigerweise mit allen denen verbunden, die als Gegenstände des gleichen Handelns des Geistes Gottes schon vor ihnen diesen Weg gegangen sind und schon mehr Einsicht über die gottgemäße Grundlage des Versammeltseins erlangt haben. Wie leicht aber mögen sie nun davon abgleiten und mit dem Bösen in irgendeiner Form in Verbindung kommen!
Doch selbst wenn dies dem Feind nicht oder nicht sogleich gelingt, ist es eine Unmöglichkeit anzunehmen, dass sie mit einem durch den Geist erleuchteten Verständnis nach den Gedanken Gottes zusammenkommen und zugleich das ignorieren könnten, was derselbe Geist in anderen vor ihnen gewirkt hat.
Eine solche Unabhängigkeit kennt und gestattet Gottes Wort nicht. Würden jedoch diese Christen, die anfangs in der Kraft des Geistes Gottes in aller Einfachheit zum Namen des Herrn hin versammelt waren, eine unabhängige Stellung aufrechterhalten, so würden sie sich dadurch praktisch außerhalb der Einheit des Geistes stellen. Wie traurig, wenn das, was im Geist begann, im Fleische – in einer neuen Sekte endet!
Ein Überrest
Nun mögen diejenigen, die sich nach Matthäus 18, Vers 20, allein zum Namen des Herrn Jesus hin versammeln, nur ein Überrest sein – der Herr Jesus spricht von Zweien oder Dreien –, so lasst uns doch beachten, dass es drei Dinge sind, die seit jeher und zu jeder Zeit einen treuen Überrest ausgezeichnet haben:
- Hingabe an den Herrn;
- strikte Beachtung fundamentaler Grundsätze;
- aufrichtiger Schmerz und tiefe Beugung über den den Herrn verunehrenden Zustand des Volkes Gottes.
Nein, der Geist Gottes sagt nicht voraus, dass dieses Zeitalter mit der allgemeinen Annahme der Wahrheit Gottes und mit allgemeiner Gerechtigkeit und mit Frieden enden würde, sondern Er sagt einen allgemeinen Abfall voraus. Wir haben das gesehen. Aber selbst dann hat Er einen Überrest, der wahr für Ihn ist. Dieser Überrest wird prophetisch im Sendschreiben an Philadelphia gesehen (Off 3,7-13).
Überrest ist ein lieblicher Ausdruck, stellt er uns doch etwas vom Ursprünglichen vor die Herzen. Aber es ist auch ein demütigender Ausdruck. Wären nämlich alle treu geblieben, gäbe es keinen Überrest. Das Ganze wäre geblieben. Aber weil die Masse abgewichen ist, ist es überaus tröstlich, einen Überrest davon zu finden, was das Ganze hätte sein und bleiben sollen. Und wenn sich ein treuer Überrest von dem Bösen der Christenheit absondert, dann gibt ihm der Herr das Vorrecht, in dem Lichte der Versammlung Gottes und in der Einheit des Geistes voranzugehen, wie groß das Verderben ringsumher auch sein mag.
Sie sind nicht die Versammlung. Sie werden nie vorgeben, es zu sein. Sie werden nicht einmal den Anspruch erheben, der Überrest zu sein. Aber sie werden in Bezug auf ihre Anbetung und ihre Zusammenkünfte zur Auferbauung und zum Gebet durch die Grundsätze geleitet, die Gott zur Ordnung aller Einzelheiten Seiner Versammlung gegeben hat, als die Dinge noch gut standen. Denn die Grundsätze Gottes werden durch keinen noch so ernsten Verfall beiseitegesetzt. Der Überrest weiß das und handelt danach. Als Ergebnis besitzt der Überrest alle Vorrechte der Versammlung Gottes, ja die persönliche Gegenwart des Herrn Jesus selbst. Mit Ihm in der Mitte sind sie gewürdigt, Seine Versammlung auf der Erde darzustellen.
Dem treuen Überrest lässt der Herr Jesus auch Seine Billigung und Zustimmung zuteilwerden: „Denn du hast eine kleine Kraft, und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet“ (Off 3,8).
„Du hast eine kleine Kraft.“ – Der Überrest in den letzten Tagen der Christenheit erhebt keinen Anspruch darauf, große Kraft und Macht zu besitzen, wie sie die Kirche in ihren Anfangstagen zu und nach Pfingsten charakterisierten. Er anerkennt vielmehr den Verfall im christlichen Zeugnis, von dem er selbst ein Teil ist. Der Anspruch auf große Kraft zur Vollführung von spektakulären Wundern dagegen ist nichts anderes als eine Leugnung des eingetretenen Verfalls und Verderbens in der Christenheit. Glückliche Menschen, die nicht etwas vortäuschen müssen, was sie nicht haben!
„Du hast mein Wort bewahrt.“ – Der Überrest wertschätzt das Wort des Herrn über alles und lässt sich in seinen Zuneigungen und in seinem ganzen Weg, ob individuell oder korporativ gesehen, dadurch lenken und kontrollieren. Er begehrt für alles, was er glaubt und tut, ein „So spricht der Herr“. Was immer keine Grundlage im Wort Gottes findet, wird als bloße Tradition und Lehren von Menschen aufgegeben. Glückliche Menschen, die Sein Wort zum Führer und zur alleinigen Autorität haben! Sie bleiben in Ewigkeit geradeso, wie das Wort des Herrn selbst in Ewigkeit bleibt (1. Joh 2,17; 1. Pet 1. 25).
„Du hast meinen Namen nicht verleugnet.“ – Der Überrest gibt nichts von dem auf, was der Herr Jesus von Sich in Seinem Wort offenbart hat. Der kostbare Name des Herrn Jesus Christus – Jakobus nennt ihn den guten Namen (Jak 2,7) -umfasst die ganze Wahrheit über Seine Person, Sein Werk und Seine Autorität. Der Überrest hält daran fest, gibt angesichts einer Welt, die Ihn verwirft, nichts davon preis. Er bekennt diesen Namen vor den Menschen, das heißt, er anerkennt Seine absolute Gottheit, Seine vollkommene Menschheit, er anerkennt Ihn als den Erretter, den Lehrer, den Herrn, den Sachwalter und Hohenpriester der Seinen. Er anerkennt keinen anderen Namen als Mittel- und Sammelpunkt als nur den Seinen. Glückliche Menschen! Sie haben schon hier Den in ihrer Mitte, der in Ewigkeit der Mittelpunkt des Himmels sein wird.
Wollen nicht auch wir zu diesem Überrest gehören, der einmal aus dem Munde unseres teuren Herrn die Worte der Billigung hört? Dann lasst uns zu Ihm hinausgehen (Heb 13,13) und inmitten der wild aufschäumenden Wogen unserer Tage das Auge auf Ihn gerichtet halten, bis wir in Sicherheit den ersehnten Hafen erreichen zu ewiger Ruhe und Glückseligkeit!
„Er verwandelt den Sturm in Stille,
und es legen sich die Wellen.
Und sie freuen sich, dass sie sich beruhigen,
und erführt sie in den ersehnten Hafen.“
Ps 107,29-30
Fußnoten