Was sagen uns die Psalmen?
Psalm 119
Psalm 119
Vers 1
Der 119. Psalm nimmt eine einzigartige Stellung ein in dem Buche, das wir betrachten. Schon seine Struktur ist verschieden von den andern Psalmen, ohne zu reden von seinen 176 Versen. Er besteht aus 22 Einteilungen, deren Anfangsbuchstaben den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets entsprechen; siehe übrigens Fußnote, Elb. Bibel. Des weiteren werden wir im Laufe der Betrachtung wahrnehmen, dass der Psalmist sieben verschiedene Ausdrücke verwendet, um das Wort Gottes zu bezeichnen, nämlich Gesetz, Zeugnisse, Vorschriften, Satzungen, Gebote, Rechte, das Wort. Nach H. R. ist die Bedeutung dieser Ausdrücke folgende: Gesetz: göttliche, vollkommene Regeln für den Wandel; Zeugnisse: Ausdruck des Willens Gottes; Vorschriften: Ausdruck der göttlichen Autorität, welcher sich der Mensch zu unterziehen hat; Satzungen: Grundsätze und Unterweisungen, welche Gott dem Menschen empfiehlt; Gebote: feststehende Forderungen; Rechte: von Gott, als dem Souveränen, aufgestellte Grundsätze, nach welchen Er unfehlbar handelt; das Wort: Offenbarung der göttlichen Gedanken in Bezug auf alle Dinge. – Nun werden in erster Linie diejenigen glückselig gepriesen, „die im Wege untadelig sind, die da wandeln im Gesetze Jehovas!“
Vers 2–8
Das Bewahren der Zeugnisse Gottes und „von ganzem Herzen ihn suchen“, sind grundlegend im Leben der Gläubigen. Wenn wir aber Seine Zeugnisse bewahren wollen, so müssen wir sie kennen, und das ist nur dann möglich, wenn wir Sein Wort lesen und darüber nachsinnen.
„Du hast deine Vorschriften geboten, um sie fleißig zu beobachten“; zu diesem Zweck sind sie uns gegeben. Müssen wir uns aber nicht manchmal dabei ertappen, dass wir das Wort Gottes lesen, ohne wirklich an diesen Zusammenhang zu denken? Der ernstgesinnte Gläubige sieht die Notwendigkeit ein, die Belehrungen der Heiligen Schrift festzuhalten; mit dem Psalmisten ruft er aus: „0 dass meine Wege gerichtet wären, um deine Satzungen zu beobachten!“ Er hat gelernt, dass die Gemeinschaft mit dem Herrn nur unter dieser Bedingung genossen werden kann. Wie könnte man einig gehen mit Ihm, wenn man nicht auf die Belehrungen Seines Wortes achtgibt?
Auch das Preisen in Aufrichtigkeit des Herzens ist eine logische Folge der fleissigen Beobachtung Seiner Vorschriften. Die Freude, welche den Gehorsam zu Seinem Wort begleitet, erfüllt dann das Herz und wir preisen Gott.
Vers 9–16
Im 9. Vers wird der Mensch am Anfang seiner Laufbahn gesehen. Es ist sehr wichtig, welchen Weg er einschlägt. Unzählige Menschen, auch viele Kinder gläubiger Eltern, haben diese Tatsache nicht beachtet; sie ließen sich nicht bewahren durch das Wort Gottes, verfehlten den Eingang in die von Gott gewollte Bahn und entfernten sich mehr und mehr von Ihm. Wer könnte den Schaden ermessen, der aus einem solchen Irrtum entstanden ist? Verdruss, Enttäuschungen, vielleicht gar bittere Tränen waren das Ergebnis der verkehrten Wahl beim Beginn des Weges.
Und doch, wieviel Mühe gibt sich der Herr, um den Jüngling zu warnen und zu leiten! „Höre, mein Sohn, und nimm meine Reden an! und des Lebens Jahre werden sich dir mehren. Ich unterweise dich in dem Wege der Weisheit, leite dich auf Bahnen der Geradheit“ (Spr 4,10-11).
Die Verse 10 und 11 unseres Abschnittes zeigen uns, worauf es von unserer Seite aus ankommt: „Mit meinem ganzen Herzen habe ich dich gesucht“; und „In meinem Herzen habe ich dein Wort verwahrt, auf dass ich nicht wider dich sündige“.
Vers 17–24
„Öffne meine Augen, damit ich Wunder schaue in deinem Gesetz!“ Wenn ungläubige Menschen die Heilige Schrift lesen, so sehen sie keine Wunder darin, sie sind blind und können nicht unterscheiden, was der Herr in Seiner Güte uns offenbaren will. Als ein gottesfürchtiger Mann hatte der Psalmist aber bereits etwas geahnt von den Wundern im Worte Gottes, und er begehrte, sich vermehrt daran zu erfreuen.
Die moralischen Ergebnisse dieses Wortes im Herzen der Gläubigen sind in der Tat Wunder. Was bewirkt Gottesfurcht, Lauterkeit und Geradheit im Leben eines Menschen, wenn nicht das Wort Gottes? Er lebte vordem in der Finsternis, fand Befriedigung in Sünde, Lüge und Betrug; jetzt aber ist sein Leben wie verwandelt. Er darf Wunder erleben in Verbindung mit den göttlichen Grundsätzen.
Der Psalmist sagt weiter: „Deine Zeugnisse sind auch meine Wonne, meine Ratgeber.“ Ist das Wort Gottes auch unser Ratgeber? Wenn wir uns von ihm leiten lassen, werden wir niemals irren. Der Gläubige kann sich manchen Schmerz und viele Enttäuschungen ersparen, indem er sich Rat aus der Heiligen Schrift holt.
Vers 25–32
Der 26. Vers zeugt von Aufrichtigkeit der Seele Gott gegenüber. Gott erwartet Lauterkeit von seiten der Seinigen. Er kennt alle unsere Wege, auch ohne dass wir sie vor Ihm kundtun; aber wie leicht sind wir geneigt, etwas vor Ihm verbergen zu wollen! Ein offenes Bekenntnis - nicht nur das Zugeben einer Verfehlung – öffnet den Weg für den Segen von oben. Auch werden die Augen aufgetan für ein besseres Verständnis der Vorschriften Gottes. Man bleibt nicht an der Oberfläche stehen, sondern dringt tiefer hinein, so dass der Wandel des Gläubigen immer mehr dem Willen des Herrn entspricht.
Im 30. Vers vernehmen wir den Vorsatz des Psalmisten, den Weg der Treue zu gehen. Ein solcher Entschluss ist von entscheidender Wichtigkeit im Leben eines Menschen; das sehen wir auch bei Daniel. „Er nahm sich in seinem Herzen vor ... sich nicht zu verunreinigen“, und er führte sein Vorhaben auch aus. Wieviel Segen und Nutzen war die Folge davon! Möchten wir alle mit dem Psalmisten sagen können: „Ich hange an deinen Zeugnissen“!
Vers 33–40
Hier haben wir einen Menschen vor uns, der zur Einsicht gekommen ist, dass er nichts vermag ohne den Herrn. In allen Versen dieses Abschnittes vernehmen wir eine Bitte aus seinem Munde. Ein solcher Herzenszustand ist dem Herrn wohlgefällig, ist doch der Eigenwille, d. h. die Unabhängigkeit vom Herrn, wie Abgötterei und Götzendienst (1. Sam 15,23).
„Neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zum Gewinn!“ Wer das Wort Gottes fleissig liest, entdeckt bald, dass Segen, wahre Befriedigung und Freude im Bewahren desselben liegt, und nicht im Trachten nach Gewinn. Manche Kinder Gottes haben die Bedeutung dieses Verses übersehen; sie sind abgeirrt und haben sich mit vielen Schmerzen durchbohrt; vergl. 1. Tim 6,10.
Wie wichtig ist auch die Bitte im 37. Vers! Der Ausdruck „Eitles“ bezieht sich auf alles Verlockende in der Welt, wonach die Menschen im allgemeinen trachten. Das „Eitle“ ist eines der wirksamsten Mittel in der Hand des Feindes, um Herz und Sinn von den wahren Gütern, die Gott uns geben will, abzulenken.
Vers 41–48
Es ist ermunternd, wahrzunehmen, wie der Psalmist von nirgends her Hilfe erwartet als nur von Gott. Wir sehen hier das Vertrauen des Glaubens, ein Vertrauen, das im Leben Davids stark ausgeprägt war. Oft war er von solchen umgeben, die ihn höhnten, aber er stützte sich nicht auf eigene Weisheit. Wenn er jenen Menschen Antwort geben musste, so erbat er sich dieselbe von Gott, der ihn mittelst Seines Wortes unterwies. David durfte schon damals erfahren, was die Jünger später erleben sollten: „... sorget nicht zuvor, was ihr reden sollt... denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige Geist“ (Mk 13,11).
Wir lesen weiter: „Und ich werde wandeln in weitem Raume; denn nach deinen Vorschriften habe ich getrachtet.“ Durch die Gnade dürfen auch wir solche Erfahrungen machen. Wir bekommen einen Begriff von diesem „weiten Raum“ in Joh 14,23, wo Jesus sagt: „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Das ist der weite Raum der Liebe, in welchem wir uns bewegen dürfen.
Vers 49–56
In diesen Versen sehen wir, wie der Gottesfürchtige vom Worte Gottes belebt wird, sich auf dasselbe stützt, und jede Segnung davon erwartet. Ein solches Vertrauen ist eine grosse Hilfe in widerwärtigen Umständen. Was bedeutet der Spott der Übermütigen, wenn man Gottes Wort auf seiner Seite hat? Spott und Hohn sind von kurzer Dauer, Gottes Verheißungen aber bleiben ewiglich. Sie sind hienieden schon ein Genuss für jeden, der sich daran hält, und reichen ihm zugleich Kraft dar auf dem Weg. „Ich gedachte, Jehova, deiner Rechte von alters her, und ich tröstete mich.“
Wahrlich, die Wundertaten Gottes in der Vergangenheit in Bezug auf Israel sind schon vielen geprüften Kindern Gottes zum Trost und zur Ermunterung gewesen. Sie wurden gestärkt beim Betrachten Seiner Güte, Seiner Macht und Seines Erbarmens einem Volke gegenüber, das Ihm viel zu schaffen gegeben hat.
Der Psalmist beendet diesen Abschnitt mit den Worten: „Dies ist mir geschehen, weit ich deine Vorschriften bewahrt habe.“ Das Bewahren der Unterweisungen unseres Gottes zieht stets Segen und Freude nach sich.
Vers 57–64
Wir kennen zwar den Verfasser dieses Psalmes nicht; wenn wir aber an David denken und an die Psalmen, die er geschrieben hat, so sehen wir einen Mann vor uns, der sich befleißigte, das Wort Gottes zu befolgen. Seine Aufmerksamkeit, sein ganzes Wesen waren darauf gerichtet. Er hatte das tiefe Verlangen, die Vorschriften Jehovas zu bewahren. Das war sein Teil, sein höchstes Gut.
In dem gelesenen Abschnitt liegt eine tiefe Belehrung für uns alle, sind wir doch, vor lauter Gewöhnung an das Wort Gottes, manchmal so oberflächlich. Der Psalmist überdachte seine Wege, damit sie in Übereinstimmung seien mit den Geboten Gottes. Er fügt hinzu: „Ich bin der Gefährte aller, die dich fürchten, und derer, die deine Vorschriften beobachten.“ Möchten alle Gläubigen, besonders aber die jüngeren, welche ohne Bedenken mit Menschen verkehren, die weltlich gesinnt sind, über diese Worte nachsinnen! „Mein Sohn, merke auf meine Worte, neige dein Ohr zu meinen Reden ... bewahre sie im Innern deines Herzens“ (Spr 4,20-21).
Vers 65–72
Wenn wir diesem Abschnitt einen Titel geben müssten, so würden wir wohl schreiben: Der Segen der Demütigung. Wir merken es dem Psalmisten an, dass er diesen Segen erfahren hat; darum kann er sagen: „Du hast Gutes getan an deinem Knechte, Jehova, nach deinem Worte.“ Vorher hatte er einen falschen Weg eingeschlagen, aber Gott in Seiner Gnade ging ihm nach und brachte ihn wieder zurecht. Wahrlich, das war Güte von seiten Jehovas. Wir lernen daraus, dass Gottes Güte nicht nur in jenen Dingen wahrgenommen werden kann, welche der Mensch gewöhnlich schätzt, z. B. Gesundheit, guter Verdienst, schönes Familienleben usw. Das schätzbarste Gut ist ohne Zweifel das Wohlergehen der Seele, und der Herr ist beständig um uns bemüht in dieser Richtung. Ein oft verwendetes Mittel in Seiner Hand ist die Demütigung. Wir müssen immer wieder daran erinnert werden, dass wir in uns selbst nichts sind und von uns aus nichts vermögen. „Was aber hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber auch empfangen hast, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ (1. Kor 4,7).
Der Mensch ist von Natur aus eingebildet und hochmütig. Wie steht es damit bei den Gläubigen? Zu unserer Beschämung müssen wir bekennen, dass diese nachteiligen Eigenschaften eine größere Rolle in unserm Leben spielen als wir ahnen. Wir brauchen nur an das oft verletzte „Ich“ zu denken, um zu beweisen, dass wir manchmal sehr hochmütig und stolz sind. Hochmut und Stolz gehören aber zu den schlimmsten Hindernissen in der Entwicklung des geistlichen Lebens im Gläubigen. Wenn wir diese Dinge nicht gründlich verurteilen und uns immer wieder richten, wenn wir darin gefehlt haben, so nehmen wir selbst einen wichtigen Platz ein, und zwar einen Platz, der dem Herrn Jesus allein gehört. Er nimmt diese Hindernisse wahr; Er trachtet danach, uns davon zu befreien, und gebraucht dafür die Demütigung. Viele Kinder Gottes sind einen solchen Weg geführt worden, und nachdem sie den Segen, der damit verbunden ist, erfahren haben, rühmen sie mit dem Psalmisten: „Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt ward, damit ich deine Satzungen lernte.“
Vers 73–80
„Ich weiß, Jehova, dass deine Gerichte Gerechtigkeit sind, und dass du mich gedemütigt hast in Treue.“ Diese Worte bilden eine logische Folge zu den bereits betrachteten Versen 67 und 71. Nachdem der Psalmist bekannt hat: „Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt ward“, kommt er zu der Einsicht, dass die Gerichte Jehovas Gerechtigkeit sind. Es bedeutet einen Gewinn für den Gläubigen, wenn er die Prüfungen nicht als etwas Zufälliges über sich ergehen lässt; und falls Demütigungen sein Teil sind, so wird keine Bitterkeit in seinem Herzen aufsteigen, wenn er sie aus der Hand seines himmlischen Vaters annimmt.
Manche Kinder Gottes sind gerade durch Demütigungen herangereift. Wohl haben Menschen dieselben verursacht, aber sie waren nur Werkzeuge in der Hand des Herrn, um sie herbeizuführen. Es mögen Weltmenschen oder Mitgläubige gewesen sein, aber das Mittel selbst tut nichts zur Sache. Wir wissen, dass der Herr uns durch dasselbe formen, segnen und im Glauben und in der Abhängigkeit von Ihm weiterführen will.
Vers 81–88
Die gelesenen Verse lassen vermuten, dass der Psalmist durch eine tiefe, schmerzliche Prüfung ging. Der Ausdruck „schmachten“ in Vers 81 und 82 und der Vergleich mit einem „Schlauch im Rauche“ deuten auf tiefe Übungen der Seele hin. Steht der Schreiber dieses Psalmes unter einer Strafe von seiten Gottes, oder hat seine Prüfung einen anderen Charakter? Wir wissen es nicht, aber eines ist gewiß: er sucht die Hilfe nicht bei sich selbst, auch nicht bei den Menschen, sondern er vertraut allein auf seinen Gott, dessen Wort sein einziger Trost ist. Wir sehen an dem vor uns liegenden Beispiel, wie kostbar das Teil des Gläubigen ist. In der schmerzlichsten Lage, selbst wenn Finsternis ihn zu umgeben scheint, darf er emporschauen und wahrnehmen, dass die Sonne der Liebe, Güte und Gnade Gottes nicht aufgehört hat zu scheinen.
Die Verse 85–87 finden eine wertvolle Illustration in der Geschichte Daniels. Seine Feinde hatten ihm eine Grube gegraben und glaubten schon, ihr Ziel erreicht zu haben (Dan 6). Aber dieser fromme Mann vertraute auf Gott und wurde befreit.
Vers 89–96
Das Leben des Gläubigen ist wechselvoll; er erlebt gewisse Phasen, wodurch sein inneres Wachstum gefördert werden soll. Der Herr, als ein weiser Erzieher, weiß, dass es nicht gut ist für uns, wenn wir lauter sogenannte gute Tage haben. Er versetzt sich aber auch in unsere Lage, wenn Trübsal über uns gekommen ist; vergl. Jes 63,9. Der Psalmist hat Ähnliches erfahren. Im vorherigen Abschnitt sahen wir ihn in großer Bedrängnis, hier aber atmet er erleichtert auf, denn die ihn umgebende Dunkelheit ist gewichen. Trefflich drückt er dieses im 92. Vers aus: „Wäre nicht dein Gesetz meine Wonne gewesen, darin würde ich umgekommen sein in meinem Elende.“ Wie sehen wir hier doch so deutlich den Wert und die Wirkung des Wortes Gottes in Zeiten der Prüfung!
Der 93. Vers zeigt uns ein weiteres Ergebnis der Wirksamkeit des Wortes bei dem, der es schätzen gelernt hat: „Nimmermehr werde ich deine Vorschriften vergessen, denn durch sie hast du mich belebt.“ Solche Aussprüche in der Heiligen Schrift beweisen aufs deutlichste, welchen Vorteil derjenige hat, der seine Freude am Worte Gottes findet.
Vers 97–104
Diese Verse zeigen uns erneut den Wert des Wortes Gottes für den Gläubigen und den Einfluss, den dasselbe auf denjenigen ausübt, der es mit Aufmerksamkeit und Ehrfurcht liest. Dieser Einfluss ist nicht vorübergehend oder oberflächlich, sondern er wirkt sich praktisch aus im täglichen Leben. In erster Linie wird hier die Weisheit hervorgehoben. Ist diese Tugend nicht eine natürliche Folge des Sinnens über das Wort Gottes? Diese Weisheit ist vorzüglicher als jede menschliche Wissenschaft, denn sie kommt von Gott.
Im 101. Vers finden wir Zusammenhänge von großer Wichtigkeit. Es ist nicht gleichgültig, in welchem geistlichen Zustand wir uns mit Gottes Wort beschäftigen. Wohl ist anzunehmen, dass alle Kinder Gottes es lesen; wie verschieden ist aber die Auswirkung desselben im Leben der Einzelnen! Bei den einen kann es Frucht bringen; ihr Licht leuchtet vor den Menschen (Mt 5,14-16) und der Herr wird durch sie verherrlicht. Den übrigen hingegen muss Er zurufen: „Wache auf, der du schläfst“ (Eph 5,14). Lasst uns deshalb diesen 101. Vers besonders beachten!
Vers 105
Wir haben gesehen, dass wir unsere Füße von jedem bösen Pfad zurückhalten, wenn wir das Wort Gottes bewahren und uns unter seinen gesegneten Einfluss stellen. Hier nun steht der wohlbekannte Vers vor uns: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und meines Pfades Licht.“ Glücklich der Mensch, bei welchem diese Worte Wirklichkeit sind! Wir finden eine Gegenüberstellung zu diesem Vers in Joh 11,9-10: „ ... Wenn jemand in der Nacht wandelt, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist.“ Wer jedoch das Wort Gottes liest und es in sich aufnimmt, geht sicheren Schrittes voran und sein Pfad ist lauter Licht. Wohl wird er nicht verstanden von solchen, welche ihre eigenen Wege gehen, aber er hat es mit seinem Herrn zu tun, Dem er wohlgefallen will. Wie überaus wertvoll ist die Zusicherung, dass der Herr unsern Pfad erleuchtet und wir somit nicht Gefahr laufen, zu straucheln oder gar zu fallen! Wir weisen nochmals darauf hin: das Mittel dazu ist Sein Wort, das wir in Händen haben und von welchem wir jeden Tag Kenntnis nehmen dürfen.
Vers 106–112
Der Schreiber dieses Psalmes hat das Wort Gottes schätzen gelernt. Es ist ihm überaus wichtig geworden und er hat geschworen, es zu beobachten. Wir finden eine schöne Darstellung des hier ausgedrückten Gedankens in Dan 1,8. „Und Daniel nahm sich in seinem Herzen vor, sich nicht mit der Tafelkost des Königs ... zu verunreinigen.“ Jener heidnische König und auch die Menschen seiner Umgebung konnten kein Verständnis aufbringen für die Bedenken eines frommen Israeliten; so stand Daniel mit seinen drei Freunden ganz allein. Aber er war fest entschlossen, sein Vorhaben durchzuführen, koste es was es wolle. Wie der Psalmist hätte auch Daniel sagen können: „Deine Zeugnisse habe ich mir als Erbteil genommen auf ewig, denn meines Herzens Freude sind sie.“
Wir sehen hier, dass Gehorsam und Freude miteinander verbunden sind, eine Tatsache, die wir im Philipperbrief bestätigt finden: „Seid zusammen meine Nachahmer“ und „Freuet euch in dem Herrn allezeit“ (Kap. 3, 17; 4, 4). Ein gottesfürchtiger Christ verwirklicht beides: Gehorsam dem Willen Gottes gegenüber, und als Folge davon: Freude im Herrn.
Vers 113–120
Der Psalmist war ein aufrichtiger Mann; auch fand er seine Freude daran, über Gottes Wort zu sinnen. Je mehr er aber in Gottesfurcht lebte, desto mehr bildete sich eine Kluft zwischen ihm und den Doppelherzigen.
Der 114. Vers ist uns wie aus dem Herzen gesprochen. In einer Welt voller Gefahren und Feinde besitzen wir einen Bergungsort: es ist der Herr. Am Tage des Übels wird Er uns in Seiner Hütte bergen und uns verbergen in dem Verborgenen Seines Zeltes; siehe Ps 27,5. Und wenn der Feind seine feurigen Pfeile auf uns schießen sollte, so ist der Herr selber unser Schild und unser Schutz. Die Voraussetzung dafür besteht darin, dass wir uns in Seiner Nähe aufhalten.
Der 115.Vers lässt das Verlangen des Psalmisten erkennen, die Gebote seines Gottes zu bewahren; doch ist ihm der Einfluss der Übeltäter ein Hindernis, er will sie nicht in seiner Nähe haben. Das erinnert uns an die Worte des Apostels Paulus in 1. Kor 15,33: „Böser Verkehr verdirbt gute Sitten“, eine Tatsache, die wir besonders der Jugend vor Augen stellen möchten.
Vers 121–128
In diesem Abschnitt nennt sich der Psalmist „Knecht Jehovas“, siehe Verse 122. 124. 125, und als solcher übte er Recht und Gerechtigkeit. Obwohl diese beiden Dinge für ihn in Verbindung mit der Regierung Gottes auf Erden standen, so verstehen wir doch ohne weiteres, dass diese Tugenden sich auch geziemen für jeden Gläubigen. Sie stehen in scharfem Gegensatz zu dem, was sich in der Welt abspielt; aber sie sind in Übereinstimmung mit dem Wesen Dessen, Dem wir angehören.
Nachdem der Psalmist mit gutem Gewissen sagen konnte: „Ich habe Recht und Gerechtigkeit geübt“, durfte er mit Freimütigkeit die nachfolgenden Bitten an Gott richten: „Sei Bürge für deinen Knecht zum Guten ... Handle mit deinem Knechte nach deiner Güte ... Dein Knecht bin ich, gib mir Einsicht.“ Wir haben hier einen Grundsatz, den wir nicht außer acht lassen sollten, nämlich dass der Zustand des Bittenden sowohl in geistlicher als auch in praktischer Hinsicht in Übereinstimmung sein soll mit dem Worte Gottes, vergleiche Joh 15,7. Bleiben nicht manche Gebete ohne Erhörung gerade wegen Mangel an Aufrichtigkeit dem Herrn gegenüber?
Vers 129–136
„Wunderbar sind deine Zeugnisse, darum bewahrt sie meine Seele.“ Dieser Gedanke des Psalmisten wirkt als eine Ermunterung für uns, das Wort Gottes mit Aufmerksamkeit zu lesen und darüber nachzusinnen. Dabei wollen wir uns die Frage stellen: Ist dieses Wort in Wahrheit wunderbar für uns? Können wir aus Erfahrung sagen: „Die Eröffnung deines Wortes erleuchtet, gibt Einsicht“? Wenn schon der Eingang in die Offenbarung des Wortes Gottes ein solches Ergebnis zeitigt, wieviel mehr die Erkenntnis des Wortes als Ganzes!
Der 133. Vers zeigt uns ferner, dass die Schritte des Gerechten durch das Wort Gottes befestigt werden. Der Gläubige, der sich durch dasselbe unterweisen lässt, wird nicht irren; er geht einen geraden Weg, denn dieses Wort ist seines Fußes Leuchte und seines Pfades Licht; siehe auch Spr 3,23. Wir können hieraus lernen, dass wir es gewissermaßen selber in der Hand haben, mit sicheren Schritten durch diese Welt zu gehen und bewahrt zu bleiben vor Wegen, die den Namen des Herrn verunehren und uns nur Enttäuschung bringen würden.
Vers 137–144
Die Gerechtigkeit Gottes bildet den Hauptgegenstand dieses Abschnittes. Sie ist ein Teil des Wesens Gottes: (4 Gerecht bist du, Jehova,), und „Deine Gerechtigkeit ist eine ewige Gerechtigkeit.“ Der Psalmist empfand keine Furcht im Gedanken an die Gegenwart eines gerechten Gottes, denn er übte sich im Beobachten Seiner Vorschriften. Ein solcher Herzenszustand ist immer das Teil dessen, der in wahrer Gottesfurcht lebt. Die Gerechtigkeit Gottes wirkt nicht mehr beängstigend für ihn, denn sein Trachten geht dahin, Gott wohlzugefallen. Er lebt im Licht, und zwar in jenem Licht, das alles offenbar macht. Ist es nicht groß und wunderbar, dass Menschen, in Sünde geboren und von einer sündigen Welt umgeben, Freude daran finden, sich mit der Gerechtigkeit Gottes zu beschäftigen? Das kann aber nur geschehen, weil Gott gleichzeitig gnädig und barmherzig ist, siehe 2. Mose 34,6. Er erwartete aber auch von allen, die Ihm nahen wollten, das Beobachten Seiner Gebote. Der Israelit, der im Alten Bunde nach dem Gesetz lebte, hatte die Verheißung des Lebens, siehe auch Lk 10,28.
Vers 145–152
In diesen Versen sehen wir einen Gerechten, der ganz auf Gott vertraut. Im Bewusstsein seines Unvermögens schreit er zu Ihm und gebraucht dabei Ausdrücke, welche von der Aufrichtigkeit und Lauterkeit seines Herzens zeugen. Ein solches Gefühl der Abhängigkeit ist überaus wichtig für den Gläubigen. Wir sind gern geneigt, vielleicht mehr als wir es ahnen, von uns aus zu reden und zu handeln. Manches törichte Wort wurde dabei gesprochen und mancher Brief geschrieben, der besser nicht hätte abgeschickt werden sollen. Aus uns selbst, aus unsern verkehrten Herzen, kann nichts Gutes hervorkommen. Glücklich der Gläubige, der das eingesehen hat und sich vor sich selber fürchtet! Er spricht mit dem Psalmisten: „Zu dir habe ich gerufen, rette mich! und ich will deine Zeugnisse bewahren.“ Bei dieser Rettung brauchen wir nicht unbedingt an eine physische Gefahr zu denken; der Bittende verlangt vielmehr, davor bewahrt zu werden, die Unterweisungen des Wortes Gottes gering zu achten und daher gegen Gott zu sündigen. Möchten wir ihm darin ähnlich sein!
Vers 153–160
Bei der Betrachtung dieses Psalmes dürfen wir nie aus dem Auge verlieren, dass der Gerechte, der die Vorschriften Jehovas beobachten will und sich auf Sein Wort stützt, den jüdischen Überrest des Endes darstellt. Gleichzeitig sehen wir in den Verfolgern und Bedrängern den Antichrist und dessen Gefolgschaft. Wir wollen auch nicht vergessen, dass Christus sich im Geiste eins macht mit Seinen Getreuen. Er war der wahre Überrest inmitten Seines Volkes, und als solcher hat Er viel gelitten seitens Seiner Bedränger. Er konnte im wahren Sinne des Wortes sagen: „Sieh an mein Elend, und befreie mich! denn dein Gesetz habe ich nicht vergessen.“ Was aber die Gesetzlosen anbelangt, so ist die Rettung fern von ihnen, denn sie kümmern sich nicht um die Gebote Gottes. Die Gerechten jedoch lieben Sein Wort und stehen abseits von den Treulosen, was den Segen Gottes über sie bringen wird.
Wir wollen noch den 160. Vers beachten. Das Wort Gottes besteht nicht aus verschiedenen Wahrheiten, sondern es steht oder fällt als Ganzes: (“dein Wort ist Wahrheit“ (Joh 17,17).
Vers 161–163
„Ich freue mich über dein Wort wie einer, der große Beute findet.“ Möchten wir doch alle von Herzen dasselbe sagen können! Der Psalmist hatte das Wort nicht nur gelesen und darüber nachgedacht, sondern die gesegnete Erfahrung gemacht, dass derjenige, der sein Leben darnach einrichtet, „große Wohlfahrt“ hat. Reichtümer und Schätze sind darin verborgen, aber nur wer das Wort Gottes zur Richtschnur seines Lebens macht, entdeckt sie. Das Wort „Wohlfahrt“ kann auch mit „Frieden“ übersetzt werden; siehe Fußnote.
Wir finden einen ähnlichen Gedanken in Jes 48,18: „0 dass du gemerkt hättest auf meine Gebote! Dann würde dein Friede gewesen sein wie ein Strom, und deine Gerechtigkeit wie des Meeres Wogen.“ Dieser kostbare Friede ist in den Schätzen inbegriffen, die mit dem Beobachten der Gebote des Herrn verbunden sind. Genießen wir ihn, selbst inmitten der Unruhe dieses Zeitlaufs und der Schwierigkeiten des Weges? Wenn nicht, dann laßt uns einen Blick in die Vergangenheit und in unsere Herzen werfen! Vielleicht werden wir dort die Ursache unseres Zukurzkommens finden.
Vers 164–176
Beim letzten Abschnitt dieses langen und wichtigen Psalmes angelangt, wollen wir versuchen, die Absicht des Geistes Gottes zu überblicken, der dem Psalmisten diese Worte eingab. Wenn auch Israel sich verirrt hat, so bleibt sein Herz doch dem Gesetz seines Gottes zugeneigt. Die endgültige Befreiung von seiten Jehovas hat noch nicht stattgefunden, aber das Volk wird innerlich durch die schwere Trübsal, die es durchkosten muss, wiederhergestellt.
Der Weg für Gott ist somit offen, sich weiter mit demselben zu beschäftigen und es den Segen unter der Herrschaft des Christus genießen zu lassen.
Diese Dinge sind insoweit lehrreich für uns, als wir hier grundsätzlich die Mittel sehen, deren Gott sich bedient, um abgeirrte Gläubige zur Wiederherstellung zu führen. Nebst Prüfungen verschiedener Art gebraucht Er nicht selten die Demütigung; siehe die früher betrachteten Verse 67. 71. 75. Die Schlussverse des Psalmes geben Zeugnis von einem anhaltenden, unerschütterlichen Vertrauen zu Gott. Das verheißene Friedensreich ist noch nicht angebrochen, aber jener Überrest hofft unbeirrbar auf Gottes Hilfe.