Aus dem Wort der Wahrheit (Band 3)
gesammelte Vorträge
Bethlehem – das Brothaus
(Ruth 1)
Wir finden in diesem Kapitel eine Familie, und gleich zu Anfang werden uns schon die Namen der einzelnen Glieder genannt. Den Namen nach zu urteilen, handelt es sich um eine prächtige Familie, und das um so mehr, wenn wir den Hintergrund bedenken, vor dem sich die hier in Kapitel 1 berichteten Ereignisse in den Tagen der Richter abgespielt haben. Das Buch der Richter endet mit den Worten: „In jenen Tagen war kein König in Israel; ein jeder tat was recht war in seinen Augen.“ Ähnelt unsere Zeit nicht auch sehr dieser damaligen Zeit? Ein jeder tat, was recht war in seinen Augen. In dieser Zeit wohnte in einem Ort namens Bethlehem-Juda Elimelech mit seiner Frau Noomi. Bethlehem bedeutet „Brothaus“; Juda „Gegenstand des Preises“; Elimelech „mein Gott ist König“ und Noomi „Huldvolle, Liebliche, Geliebte, an der jemand sein Wohlgefallen, seine Freude findet“.
Welch ein wunderbarer Ort muss das sein, der in Gottes Wort „Brothaus“ genannt wird und der bekannt ist als der Ort, wo Gott gelobt wird. Dort wohnt dieser Mann mit Namen „mein Gott ist König“. Dazu ruhte die Gunst Gottes auf dieser Familie, Gott hatte Seine Freude an ihr (Noomi). Welch eine Szene! Doch dann geschehen an diesem Ort merkwürdige Dinge. Im Land entsteht eine Hungersnot, und Elimelech zieht mit seiner Familie aus Bethlehem-Juda fort, um sich als Fremdling in den Gefilden Moabs niederzulassen.
Lässt uns Bethlehem (Brothaus) nicht an Johannes 6 denken, wo der Herr Jesus den Juden sagt, daß Sein Vater ihnen das wahrhaftige Brot aus dem Himmel gebe, und wo Er von Sich sagt, dass Er das Brot Gottes sei, Er, der aus dem Himmel herniedergekommen war und der Welt Leben gibt (V. 32.33)? Ist es Zufall, dass dieser himmlische Mensch in Bethlehem geboren wurde? Bethlehem erinnert uns an Seine Person, wie Er auf diese Erde kam und dass Er die Nahrung für unsere Herzen ist. Er ist und bleibt auch die Nahrung für uns als Gläubige. Bethlehem ist geistlicherweise der einzige Ort, wo Nahrung zu finden ist. Es ist auch der Ort, wo die Rechte Gottes als König anerkannt werden (mein Gott ist König), wo also Gehorsam gefunden wird und Gott mit Wohlgefallen auf die Seinen herabschauen kann und wo Er durch Lob und Anbetung verherrlicht wird
(Juda). Doch nun ist dort Hungersnot. Elimelech zieht weg von diesem Ort der Segnungen nach Moab (ein Bild der Welt).
Gott hat Lust an der Wahrheit im Innern (Ps 51,6). Und wenn wir am Ort der Segnung sind und uns an dem erfreuen, was Gott gibt, und Sein Lob besingen, so stellt Er auch unsere Herzen wohl einmal auf die Probe. Dann lässt Er dort eine Hungersnot entstehen, so dass sogar im Brothaus die Herzen nicht erquickt werden. Kennen wir es nicht auch aus Erfahrung, dass wir an dem Ort, den Gott hier auf Erden als Brothaus gegeben hat, dem Ort, wo der Herr Jesus die Seinen um Sich versammelt, wo Er in ihrer Mitte ist und ihren Bedürfnissen entspricht, doch keine Nahrung für unsere Herzen bekommen? Gott entzieht uns in Seiner Regierung dann und wann diese Nahrung. Die ernste Frage ist dann, was wir nun tun. Bleiben wir an dem Platz, bleiben wir in Juda, machen wir unserem Namen Ehre: mein Gott ist König? Zeigt sich dann bei uns, dass unsere Herzen genug haben an der Person des Herrn?
Wenn solche Prüfungen kommen, können wir darin die Hand Gottes erkennen. Doch Elimelech fragt nicht, was Gott ihm mit diesen Umständen zu sagen hat. Sein Verhalten macht seinen Herzenszustand offenbar, den Gott auch schon vorher kannte. Er verlässt das Brothaus und begibt sich nach Moab. Er glaubt, in den Gefilden Moabs Nahrung zu finden, als es durch Gottes Zucht im Brothaus nichts gibt.
Gottes Wort gibt uns in 1. Mose 19,30-38 Aufschluss über den Ursprung Moabs. Der betrübliche Bericht zeigt uns, dass Moab ein Sohn Lots ist. Was dort geschah, ist für Gott so schrecklich, dass Er im Gesetz ausdrücklich anordnete, dass kein Moabiter in die Versammlung Jehovas kommen sollte, nicht einmal das zehnte Geschlecht (5. Mo 23,3). Moab schien der äußeren Form nach zum Volk Gottes zu gehören. War Lot nicht ein Verwandter Abrahams? Doch Gott hatte vor diesem Volk einen Abscheu. Er kann keine Verbindung Moabs zu Seinem Volk dulden. Wir können sicher eine Parallele zwischen den Moabitern und den Menschen ziehen, die Judas in seinem Brief wie folgt beschreibt: „Denn gewisse Menschen haben sich nebeneingeschlichen... Gottlose, welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen
Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen“ (V. 4). Der Geist Gottes spricht sehr scharf über diese Menschen, schärfer als über Ungläubige, da sie dem Schein nach zu dem Volk Gottes gehören, aber in Wirklichkeit keinerlei Verbindung mit diesem haben.
Elimelech verlässt Bethlehem und zieht in die Gefilde Moabs, um dort zu wohnen. Was bleibt von seinem Bekenntnis übrig, dass Gott sein König ist? Wo wird in seinem Leben praktisch erkennbar, dass er die Autorität des Herrn über sich anerkennt? Die Folgen bleiben nicht aus: „Und Elimelech, der Mann Noomis, starb“. Möglicherweise bekennen auch wir die Autorität des Herrn über uns, doch wenn wir einen Weg gehen, der von den Gedanken des Herrn abweicht, wenn wir auch nur in einem kleinen Punkt dem Herrn den Rücken zuwenden, wo wird unser Weg enden? Vielleicht gibt es nur eine Kleinigkeit in unserem Leben, wo wir die Autorität des Herrn Jesus nicht mehr anerkennen. Gibt es Bereiche, wenn auch noch so klein, wo du nicht nach dem Willen des Herrn, sondern nach deinem eigenen Willen handelst? Wo wird dein Weg enden, wenn du Ihm nicht auch diesen Bereich auslieferst? Judas schreibt von solchen, die den Herrn Jesus nicht als alleinigen Gebieter anerkannten: Sie sind vorlängst zu dem Gericht aufgezeichnet (V. 4).
Elimelech ist in diesem Kapitel ein Beispiel dafür. Er verließ Bethlehem und glaubte, in den Gefilden Moabs, die äußerlich so viel Ähnlichkeit mit Israel hatten, Nahrung zu finden. Doch er starb dort. Das Zeugnis, dass Gott König ist, erlischt. Und nicht nur das; seine beiden Söhne nehmen sich moabitische Frauen, wodurch sie ihr Erbteil in Israel verlieren. Kein Moabit sollte in die Versammlung Jehovas kommen. Gott in Seiner Gnade hat es nicht zugelassen, dass aus diesen Ehen Kinder hervorkamen, da diese keinerlei Anspruch auf das Erbteil gehabt hätten.
Haben wir es nicht hin und wieder beobachtet, dass jemand wegging, weil er keine Nahrung bekam, als Gott in Seiner Zucht eine Hungersnot in unserer Mitte entstehen ließ? Ja, warum tat Gott das? Geschah es nicht, damit wir zur Einkehr kamen und uns in Seinem Licht die Frage stellten: Herr, warum gibst Du im Brothaus kein Brot? Stattdessen hielten manche nach anderen Plätzen Ausschau, wo sie glaubten, Brot zu finden. Wie viele sind schon zu einem anderen Platz gegangen, wo sie Brot zu finden meinten. Konnten wir nicht oft dieselben Folgen feststellen, wie wir sie hier bei Elimelech finden? Ich erinnere mich eines alten Bruders, bei dem mein Freund logierte. Er kannte ihn nicht und fragte ihn, ob seine Kinder ebenfalls zur Zusammenkunft kämen? Nein, sagte er, von meinen Kindern geht niemand mit. Kurz darauf sagte er: Es ist meine eigene Schuld. Ich habe selbst einige Jahre die Zusammenkünfte nicht besucht, sondern bin woanders hingegangen und habe meine Kinder dorthin mitgenommen. Gott hat mich in Seiner Gnade zurückgebracht, doch meine Kinder sind nie zurückgekommen. – Hier sehen wir die Folgen des Abweichens vom Herrn, wenn wir den Ort verlassen, den der Herr uns gegeben hat. In der Folge sterben hier auch die beiden Söhne, und Noomi bleibt allein zurück.
Doch dann sehen wir ein Werk der Gnade Gottes. Noomi sagt: „Voll bin ich gegangen, und leer hat mich Jehova zurückkehren lassen“ (V. 21). Wir wissen oft nicht, was wir besitzen, solange wir uns in „Bethlehem“ aufhalten. Ich erinnere mich eines jungen Mannes, der vor Jahren mein Liederbuch auslieh, um die Lieder zu Hause auf der Orgel zu spielen. Später kam er wieder und sagte: Mein Vater (er war Ältester in der Kirche) hat gesagt: Welch glückliche Menschen müssen das sein, die immer solche Lieder singen können. – Sind wir uns des Vorrechtes bewusst, dass Gott uns solche Lieder gegeben hat? Dass Gott unseren Vätern Licht gegeben hat, durch das sie Sein Wort verstehen durften, die kostbaren Wahrheiten und auch Gottes Gedanken über das Versammeln kennengelernt haben? Wir haben all das geerbt. Schätzen wir die Vorrechte, solche wunderbaren Lieder von Gott bekommen zu haben, mit denen wir solche herrlichen Dinge besingen? Schätzen wir noch den Ort, wo wir um den Herrn Jesus versammelt sein dürfen? Dort ist der Herr Jesus persönlich anwesend. Sind wir uns bewusst, welche Vorrechte wir gegenüber Tausenden, ja, Millionen Gläubigen haben, die diesen Ort nicht kennen und nicht wissen, was es bedeutet, zu Seinem Namen hin versammelt zu sein und Seine Gegenwart in ihrer Mitte zu genießen, um allein von Ihm zu empfangen? Schätzen wir es, noch in „Juda“ zu wohnen, wo wir an Seinen Tod zurückdenken dürfen, um Ihn dafür anzubeten, zu loben und zu preisen?
Hier sehen wir Elimelech. Dieser Mann und seine Frau waren in Bethlehem aufgewachsen. Sie hatten die Segnungen empfangen, die es dort gab. Hier hatten sie ihr Erbteil. Sie waren sich der Gunst Gottes bewusst, solange sie Seine Autorität anerkannten und sich vor Seinem Worte beugten. Doch nun wurde durch die Hungersnot offenbar, was in ihren Herzen war. Sie verließen diesen Ort, und am Ende musste Noomi bekennen: „Voll bin ich gegangen, und leer hat Jehova mich zurückkehren lassen.“ Was bleibt übrig, wenn wir den Pfad des Gehorsams und der Abhängigkeit vom Herrn verlassen? Noomi war ebenfalls nach Moab gezogen, um dort Nahrung zu finden. Sie hatte ihren Mann verloren, ihre Söhne, ihr Erbteil und die lieblichen Kontakte inmitten des Volkes Gottes. Die Verbindung zu Gott war unterbrochen, und sie war nicht mehr in Bethlehem, dem Brothaus. Zehn Jahre hielt sie sich in Moab auf (zehn: die Zeitspanne völliger Verantwortlichkeit). Doch dann sehen wir die Gnade Gottes, der wieder Brot in Bethlehem gibt. Gott hatte Sein Volk heimgesucht. Noomi hatte davon gehört, und das weckte in ihr das Verlangen zurückzukehren. So bewirkte Gott in Seiner Gnade durch diese Nachricht ihre Wiederherstellung. Noomi erinnert sich an ihre früheren Segnungen und wünscht zurückzukehren.
Dann sehen wir etwas Ergreifendes: die Kraft, die davon ausgeht, wenn Fremde in unseren Herzen die Wirklichkeit dessen sehen, den wir bezeugen. Wir könnten sagen: Welch ein Zeugnis kann schon von dieser Frau ausgehen, die alles im Stich gelassen hat und sich in diesem fremden Land befindet? Wie kann ein Kind Gottes, das zur Welt zurückgekehrt ist und in dessen Wandel sichtbar wird, dass es sich nicht vor dem Worte Gottes beugt, ein Zeugnis sein? Was für ein Zeugnis ist das für die Welt? Doch als die Gnade Gottes in ihrem Herzen wirkt und sie sich nach Bethlehem zurücksehnt, spricht sie zu ihren Schwiegertöchtern darüber. Und die Erinnerung an die Vorrechte, die sie einmal besessen hat, lässt sie nach diesem Platz zurückverlangen und auch aufbrechen. Dieses Zeugnis zieht ihre Schwiegertöchter, diese fremden moabitischen Frauen, an und macht sie verlangend, mit ihr zu ziehen. Das ist ein wirkliches Zeugnis, wenn andere sehen, was in unseren Herzen lebt. Meinen wir, dass Ungläubige lediglich durch unsere Worte überzeugt werden? Glauben wir, dass Kinder meistens dadurch bekehrt werden, dass Vater oder Mutter ihnen sagen, dass sie sich bekehren müssen? Oh nein, sie werden nur dann überzeugt, wenn sie sehen, dass unser Bekenntnis mit unserem praktischen Leben übereinstimmt. Ich kannte zwei Familien, wo die Väter leibliche Brüder waren. Beide und auch ihre Frauen kannten den Herrn, und alle vier nahmen am Brotbrechen teil. Sie hatten große Familien, doch von ihren Kindern hat auch nicht eines den Weg gefunden, alle sind in die Welt gegangen. Woran lag das? Die Ursache war, dass die Eltern sonntags etwas anderes sagten als in der Woche. Die Kinder hörten, was ihre Eltern sonntags sangen und sagten. Sie sahen jedoch, dass es keine Wahrheit in ihrem Leben war. Die Eltern bekannten sonntags, welche Ehre es sei, Sklaven Christi zu sein, doch in der Woche hielten sie es nicht für wichtig, nach dem Willen des Herrn zu fragen. Wenn unser Bekenntnis nur eine Form ist, wenn es nur Worte sind, und die Kinder nicht sehen, dass es Wirklichkeit in unseren eigenen Herzen und in unserem praktischen Leben ist, wie sollen sie jemals überzeugt werden? Wenn ich sonntags meinen Kindern erzähle, dass es so herrlich ist, den Herrn Jesus zu kennen und mit Ihm den Weg zu gehen, wie wunderbar es ist, ein Kind Gottes zu sein und sich um den Herrn Jesus versammeln zu dürfen, und sie sehen montags, dass wir nicht mehr daran denken, und sehen dienstags, dass ich den Herrn Jesus nicht nötig habe, um meine Arbeit zu tun, und sie sehen mittwochs, dass ich nicht nach dem Worte Gottes frage, sondern meine eigenen Pläne mache, was sollen meine Kinder davon denken? Werden sie meinen Worten glauben, dass es so wichtig ist, sich dem Herrn zu unterwerfen und zu tun, was Er sagt? Werden sie glauben, wenn ich ihnen sage, dass die Sünde schrecklich ist und sie sich deshalb bekehren müssen?
Hier sehen wir, wie Gott in dem Herzen dieser Frau wirkt und ihr Gewissen wachgerüttelt wird. Sie erinnert sich an ihre früheren Segnungen, und dieses Zeugnis berührt auch die Herzen der beiden Schwiegertöchter.
Auf Bitten hin sprach ich 1943 im Konzentrationslager Vught am Silvesterabend über Hebräer 13,8: „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.“ Ich warf einen Rückblick auf die Geschehnisse in Vught und berichtete, was der Herr Jesus mir in all diesen Umständen bedeutet hatte. Im Anschluss daran kamen zwei überzeugte Kommunisten zu mir und sagten: Ja, wir sehen doch, dass du etwas hast, was wir nicht haben. – Wie kam das? Hatte ich ihnen eine Lehre verkündigt? Nein, ich hatte ihnen nur erzählt, was der Herr Jesus für mich bedeutete.
Wenn wir Johannes 1,29 lesen, finden wir, dass Johannes der Täufer seine Jünger unterweist und sie auf etwas aufmerksam macht. Er weist auf den Herrn Jesus hin und sagt: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt.“ Welch eine Offenbarung der Wahrheit über die Person und das Werk des Herrn Jesus! Und was war das Ergebnis? Oh, der Apostel Johannes hatte diese Worte nach 60 Jahren noch sehr lebendig vor Augen und schreibt sie, durch den Heiligen Geist inspiriert, nieder. Als er sie damals gehört hatte, blieb er still bei Johannes dem Täufer stehen. Am folgenden Tag steht Johannes wieder dort, und er sieht den Herrn Jesus und muss voller Bewunderung ausrufen: „Siehe, das Lamm Gottes!“ Das war nichts Neues. Das hatte er an dem vorhergehenden Tag bereits gesagt. Doch er fügt hier nichts mehr als Erklärung hinzu. Er sagt nur noch, was die Person ihm bedeutet. Aus seinem Herzen klingt empor, was diese Person für ihn wirklich ist. Und was war das Ergebnis? Seine zwei Jünger verließen ihn und folgten dem Herrn Jesus nach. Durch das Zeugnis seines Herzens, dadurch, dass die Jünger merkten, was der Herr Jesus für Johannes den Täufer bedeutete, folgten sie nun selbst dem Herrn nach und blieben an jenem Tag bei Ihm. Das ist die Kraft des Zeugnisses. Nicht die Form, nicht die Worte, sondern der Wert, den die Person des Herrn Jesus für uns selbst hat, wird von andern nachempfunden.
Hier sehen wir die Wirkung eines solchen Zeugnisses im besonderen auf Ruth, die Moabitin. Versetzen wir uns einmal in ihre Lage. Sie war im Lande Moab aufgewachsen. Ihre Eltern lebten hier. Hier hatte sie ihre Freundinnen. Und nun sollte sie in ein fremdes Land ziehen? Was sollte sie dort anfangen? Die einzige Verbindung zu diesem fremden Land war ihre Schwiegermutter. Doch was würde sie dafür aufgeben! Sie musste ihre Mutter verlassen, ihr Land, ihre Umgebung und alle ihre Freundinnen. Noomi weist sie ausdrücklich darauf hin, dass sie, menschlich gesehen, nicht mehr heiraten könnte und auch keine Kinder bekommen würde (V. 11–13). Sie würde in dem Lande ein Fremdling sein, da kein Israelit sie heiraten durfte. Wir wissen aus den Büchern Esra und Nehemia, wie später die Juden, die fremde Frauen geheiratet hatten, diese wegschicken mussten, sogar mit den Kindern.
Das ist die Wahl, vor der Ruth hier steht und vor die eigentlich der Herr auch jeden von uns stellt. Es geht hier nicht um die Gnade, die Gott denen gibt, die mit Ihm den Weg gehen. Gott bleibt niemals ein Schuldner dessen, der sich Ihm übergibt. Es geht hier um die Erprobung, damit offenbar wird, was in unseren Herzen lebt. Er weiß, was in unseren Herzen ist, doch Er will es offenbar machen, damit wir und andere es ebenfalls wissen. Hier wird offenbar, was im Herzen der Ruth lebt. Sie sagt in Vers 16 zu Noomi: „Denn wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott; wo du stirbst, will ich sterben, und daselbst will ich begraben werden.“ Bei den Worten „Wohin du gehst, will ich gehen“, denken wir unmittelbar an Offenbarung 14,4, wo es von dem Überrest aus den beiden Stämmen Juda und Benjamin (symbolisch mit 144.000 angedeutet) heißt: „Diese sind es, die dem Lamme folgen, wohin irgend es geht.“
Ist diese Nachfolge Wirklichkeit auch in unseren Herzen? Ich zweifle nicht daran, dass jeder unter uns, der den Herrn Jesus kennt, danach verlangt, Ihm zu folgen. Doch sind wir bereit, dem Herrn Jesus zu folgen, wohin Er irgend geht? In Matthäus 14 lesen wir von den 12 Jüngern, wie sie dort in dem Schiff sind und der Herr Jesus auf den Wellen wandelnd zu ihnen kommt. Was tun sie? Sie können in dem Schiff bleiben, doch dann sind sie nicht in der Nähe des Herrn Jesus. Sie können zu Ihm gehen, doch dann bleiben sie nicht in dem Schiff. Und was sehen wir dann? Hatte Johannes den Herrn Jesus nicht lieb? Hatte Jakobus den Herrn Jesus nicht lieb? Meinen wir, dass Matthäus kein Verlangen hatte, in der Nähe des Herrn Jesus zu sein? Doch die Überwindung war für sie in diesem Augenblick zu groß. Es gab von den Jüngern nur einen, der bereit war, über Bord zu gehen, und durch sein Handeln gleichsam zu erkennen gab: Ich hab genug an Dir, o Herr. Er sagt: „Herr... befiehl mir, zu dir zu kommen auf den Wassern“ (V. 28). Daraufhin sagt der Herr: „Komm!“ Petrus steigt aus dem Schiff, sicherlich nicht ohne Anstrengung. Es kostet wirklich Anstrengung, die Geborgenheit und Sicherheit des irdischen Lebens zu verlassen und sich völlig dem Herrn zu übergeben. Auf den Wellen zu wandeln, ist in den Augen der Menschen Torheit. Ist jemals ein Mensch auf dem Wasser gewandelt? Ist das nicht in völligem Widerspruch zu dem gesunden Menschenverstand? Doch sagt der Herr Jesus gleichsam auch zu jedem von uns: Wer zu Mir kommen möchte und mit Mir seinen Weg gehen will, muss aus dem Schiff kommen und auf dem Wasser wandeln. Wenn wir singend bitten mit Lied 104, Vers 3: „Oh Herr, dies Eine bleibe mir, dass stets ich wandle treu mit dir“, dann sagt der Herr zu uns: Verlass deine Umstände und folge Mir, wohin irgend Ich gehe. Das ist nicht einfach. Wir sehen hier die Wahl, vor der Ruth steht. Ich erinnere mich an zwei Schwestern – seitdem sind Jahre vergangen – die klar den Platz der Absonderung nach Gottes Gedanken erkannt und auch eingenommen hatten. Doch weißt du, was das für diese beiden Schwestern bedeutete? Erstens wurden sie von ihren Familien getrennt, und zweitens hatten sie, menschlich gesprochen, keinerlei Aussicht zu heiraten, denn an dem Ort, wo sie zusammenkamen, gab es keine jungen Brüder, sondern nur einige ältere. Doch der Preis für diesen Platz war ihnen nicht zu hoch. Sie wollten lieber den Willen des Herrn tun.
Diesen Preis ist Ruth bereit zu zahlen. Sie sagt: „Denn wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen.“ Und das nicht nur, wenn die Sonne scheint, sondern auch, wenn es Schwierigkeiten gibt. Nicht nur, wenn die Brüder einträchtig beieinander sind und gemeinsam herrliche Lieder über den Herrn Jesus und über Seine Gnade singen, sondern auch, wenn die Brüder ihr Fleisch hervorkommen lassen. (Das Fleisch von Brüdern ist nicht besser als das Fleisch von Ungläubigen. Frommes Fleisch ist sogar noch abstoßender.) Sprechen wir diese Worte auch dann noch mit Ruth, wenn an dem Ort des Brothauses Sünde bei Gläubigen sichtbar wird und Gott in Seiner Zucht eine Hungersnot kommen lassen muss? Auch dann, wenn es Nacht wird und der Ort, wo der Herr Jesus ist, dunkel wird? Ruth sagt: „Wo du weilst, will ich weilen.“ Paulus wollte dort, wo der Herr Jesus litt und Seinen Platz der Verwerfung einnahm, bei Ihm sein. Er wünschte, ein Märtyrer zu werden, um dem Herrn Jesus auch in dieser Hinsicht gleichförmig zu sein (Phil 3).
Was würde bei uns offenbar, wenn der Herr Jesus uns heute auf die Probe stellte? Was würden wir antworten, wenn Er zu uns sagte: Willst du an Meiner Seite mit Mir in die Finsternis gehen, mit durchs Tränental, mit an einen Ort, wo es Nacht ist, wo wir verweilen müssen? Willst du dann bei Mir sein? Fragen wir uns einmal ganz persönlich, was unsere Antwort ist. Ruth sagte mit vollem Bewusstsein: „Wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen.“ Sie hatte die Kosten überschlagen. Sie fährt fort: „... dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Das schließt in sich, dass sie auch die als ihre Brüder anerkennt, die zum Volk Gottes gehören. Auch wir können uns nicht aussuchen, wen wir wollen. Der Maßstab ist nicht, wen wir nett finden oder wer solch einen schönen Charakter hat, sondern wer dem Herrn Jesus angehört, die Seinen; es sind diejenigen, die der Herr Jesus liebt und für die Er gestorben ist. Deshalb sind sie auch meine Brüder. Das ist hier die Sprache des Herzens der Ruth. Sprechen wir auch so? Haben wir die Brüder und Schwestern lieb, weil sie die Geliebten des Herrn Jesus sind, für die Er gestorben ist? Haben wir sie lieb, weil sie Kinder Gottes sind? Das können wir im Vorbild von Ruth lernen.
„Wo du stirbst, will ich sterben, und daselbst will ich begraben werden“ (V. 17). Wo ist der Herr Jesus gestorben? Am Kreuz von Golgatha in dieser Welt. Er kam auf diese Erde als das Brot aus dem Himmel, und was tat die Welt mit Ihm? Das einzige, was sie für Ihn übrig hatte, war ein Kreuz und ein Grab. Sie brachten Ihn zu Tode. Diese Welt ist der Ort, wo der Herr Jesus gekreuzigt worden ist. Bin ich bereit, mit Ihm zu sterben? Wir wissen aus den Briefen, dass jeder, der an den Herrn Jesus glaubt, auch mit Ihm am Kreuz gestorben ist. Was bedeutet es praktisch für uns, dass wir mit Ihm gekreuzigt sind? Wenn Paulus in seinem Brief an die Galater hierüber spricht, sagt er nicht: Wir sind mit Christo gekreuzigt, sondern: „Ich bin mit Christo gekreuzigt“ (2, 20) – „durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt“ (6,14). Wir können nicht für den anderen sagen, dass er gekreuzigt ist und dass ihm die Welt gekreuzigt ist. Das muss persönlich in meinem Herzen und in meinem Leben verwirklicht werden! Sind wir bereit, dort zu sterben, wo der Herr gestorben ist? Sind wir bereit, diese Welt mit all ihren Verbindungen zu verlassen? Er hat keine einzige Verbindung mehr mit dieser Welt. Er betet nicht mehr für diese Welt, sondern für die, die der Vater Ihm aus dieser Welt gegeben hat (Joh 17,9). Die Welt hat Ihn gekreuzigt und dadurch bewiesen, dass sie keinen Platz für Ihn hat. Sind wir bereit, sie in all ihren Schattierungen zu verlassen? Nicht nur in den großen Dingen, sondern auch in all den kleinen Fragen des Lebens? Ich spreche nicht über die groben, augenfälligen Sünden, sondern über die Welt als System, deren Oberster Satan ist. Ihr jungen Brüder, ihr jungen Schwestern, ich möchte euch die Frage vorlegen: Seid ihr bereit, dieses Wort nachzusprechen: „Wo du stirbst, will ich sterben, und daselbst will ich begraben werden?“
Was bedeutet der Ausdruck „begraben werden“? Jemanden, den die Welt begräbt, entfernt sie aus ihrem Gesichtskreis und aus ihren Gedanken. Das Begräbnis ist die letzte Ehre, die die Welt einem Gestorbenen erweist. Bin ich bereit, diesen Platz außerhalb des Gesichtskreises dieser Welt einzunehmen? Ich bin der Welt gekreuzigt, und die Welt ist mir gekreuzigt, sagt Paulus. „Die Welt ist mir gekreuzigt“ – das geht viel weiter, als zufrieden zu sein, dass ich der Welt gekreuzigt bin. Ich kann mich auf einen hohen Standpunkt stellen und sagen: Ich habe die Welt nicht nötig! Ich habe nichts mehr mit ihr zu tun, mag sie ihren Weg gehen. Damit stelle ich mich über diese Welt. Doch bin ich auch damit zufrieden, dass die Welt nicht mehr an mich denkt? Dass ich Luft bin für sie? Paulus war damit zufrieden. Ruth war ebenfalls damit zufrieden. Wo Noomi begraben würde, wollte sie begraben sein. Dort wollte sie aus dem Gesichtsfeld dieser Welt verschwinden. Sind wir damit zufrieden? Das ist die Frage, die der Herr Jesus uns jetzt vorstellt: Wenn ihr mit Mir gehen wollt, müsst ihr diesen Platz einnehmen, denn diesen Platz habe auch Ich eingenommen. Wenn ihr Mir folgen wollt, wohin Ich gehe, ist das euer Weg. Es ist ein Weg, auf dem die Welt keine Kenntnis von Mir genommen hat, sondern wo sie Mir allein ein Grab zuwies. Ich bin außerhalb des Gesichtskreises dieser Welt, außerhalb ihrer Gedanken, außerhalb ihrer Pläne.
„Und so gingen beide, bis sie nach Bethlehem kamen“ (V. 19). Nachdem Noomi diese Entschiedenheit gesehen hat, versucht sie nicht mehr, Ruth zurückzuhalten. Wie dankbar wird Noomi diese Gesinnung zur Kenntnis genommen haben, die der Geist Gottes in Ruth gewirkt hatte. Weiter lesen wir in Vers 22: „Und so kehrte Noomi zurück, und Ruth, die Moabitin, ihre Schwiegertochter, mit ihr, welche aus den Gefilden Moabs zurückkehrte; und sie kamen nach Bethlehem beim Beginn der Gerstenernte“ (V. 22). Nun kommen sie in Bethlehem an, und zwar zu Beginn der Gerstenernte. Dieser Zeitpunkt zeigt uns die ganze Fülle der Güte Gottes. Die Gerstenernte ist der Beginn aller Ernten, im Anschluss daran findet die Weizenernte statt, danach die Weinernte. Alle Ernten dürfen Noomi und Ruth miterleben. Denken wir, dass der Herr Jesus uns nicht reichlich segnen wird, wenn wir etwas für Ihn aufgeben und Ihm unser ganzes Leben weihen? Wenn wir Ihm folgen, wohin Er geht, wird Er uns niemals hungrig lassen. Er führt uns in die Fülle des Brothauses, wo allein es wahre Nahrung für unsere Herzen gibt.
Die Gerstenernte hat noch eine tiefere geistliche Belehrung für uns. Aus 3. Mose 23,9-14 wissen wir, dass zu Beginn der Gerstenernte eine Garbe der Erstlinge (das war Gerste) am Tage nach dem Sabbath in Verbindung mit dem Passah dargebracht wurde. Der Tag nach dem Sabbath ist der Auferstehungstag des Herrn Jesus. Die Garbe der Erstlinge ist deshalb ein Bild des auferstandenen Herrn. Daher spricht die Gerste im Vorbild von dem Auferstehungsleben des Herrn Jesus, das wir mit Ihm teilen. Die Gerstenernte weist uns auf den Anfang unserer Laufbahn als Christen hin. Es ist ergreifend zu sehen, wie hier in Ruth 1 am Ende des Kapitels Bethlehem, das Brothaus, der Ort der Segnungen, verbunden wird mit dem Beginn der Gerstenernte. So sind auch wir durch die Auferstehung grundsätzlich an den Ort Seiner Auferstehung versetzt worden. Wir befinden uns gleichsam hier zu Beginn des Epheserbriefes, wo wir in Kapitel 1,3 lesen, dass wir gesegnet sind „mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo“. Hier öffnet sich uns ein Weltall voller Segnungen und Reichtümer. Und das schon bei der Ankunft in Bethlehem. Ruth wusste noch nichts davon, dass eine Weizen- und Weinernte folgen würde. Ruth kannte Boas („in ihm ist Stärke“) noch nicht, geschweige denn, dass sie wusste, dass er ihr Mann werden würde. Ruth kannte auch noch nicht das Erbteil, das Elimelech einmal besessen hatte und das ihr Erbteil werden sollte. Wie war das möglich für sie, die sie eine Moabitin war?
Gottes Gnade wird all das zustande bringen. Ruth hatte keine Ahnung davon, dass einer ihrer Enkel der König nach den Gedanken Gottes sein würde und dass aus ihrer Linie schließlich der Messias, der Herr Jesus, geboren werden sollte. Gott zeigt es uns am Ende dieses kostbaren Buches. Wir erahnen etwas von den Reichtümern, die der Herr auch uns geschenkt hat und die wir jetzt schon genießen sollten. Doch der Genuss dieser Reichtümer ist abhängig von unserem Gehorsam. All diese Herrlichkeiten, die uns grundsätzlich schon gehören, werden auch praktisch unser Besitz werden, wenn wir im Gehorsam dem Herrn Jesus nachfolgen. Dann öffnet Gott Sein Herz und überschüttet uns mit Segnungen. Wird Ruth nicht, wenn sie am Ende ihres Lebens an Moab zurückdachte, in ihrem Herz gejubelt haben, dass sie nun in der Mitte des Volkes Gottes verkehren durfte? Was mag sie empfunden haben, wenn sie an Orpa zurückdachte, die zurückging, weil für sie der Preis zu hoch war? Sicher wird sie Gott gedankt haben, dass Er sie diesen Weg gehen ließ und in ihrem Herzen das Verlangen weckte, mit Noomi zu gehen.
Ich möchte die Jüngeren fragen: Glaubt ihr, dass ihr es jemals bedauern werdet, wenn ihr euer Leben dem Herrn Jesus übergebt, wenn ihr euch Ihm völlig hingebt, wenn ihr Ihm, dem Lamm, folgt, wohin irgend es geht, das heißt, alles aufgebt, um euch Ihm völlig hinzugeben, mit welchen Opfern es auch verbunden ist?
Das kann möglicherweise für junge Menschen bedeuten, dass der Herr zum Beispiel nicht will, dass sie heiraten oder dass sie einen bestimmten Beruf ausüben, den sie gerne ausüben möchten, sondern sich Seinem Werk völlig widmen oder etwas anderes tun, das Er ihnen aufträgt. Es kann bedeuten, dass der Herr sie in Schwierigkeiten bringt, durch Kampf und Leiden führt. Sie müssen alles aufgeben, um sich Ihm hinzugeben und sich von Ihm leiten zu lassen. Meint ihr, dass ihr es am Ende eures Lebens bedauern werdet, wenn ihr das tut? Meint ihr, dass einer der Älteren, soweit wir es in aller Schwachheit getan haben, ein Bedauern darüber hat? Wer das noch denkt, kennt den Herrn Jesus noch nicht. Dann weißt du noch nicht, wer unser wahrer Boas ist.
Wir sehen am Ende dieses Buches die glückliche Vereinigung von Ruth und Boas. Sie blieb dort im Brothaus. Mächtig ist ihr Mann, in ihm ist Stärke. Überfluss ist ihr Teil. Sie hat nicht alles auf einmal bekommen. Sie empfing eine Segnung nach der anderen. Zuerst Überfluss an Nahrung. Dann bekam sie diesen mächtigen Mann Boas zu ihrem Mann. Welch eine Verbindung zwischen dieser armen Moabitin und diesem mächtigen Mann! Boas erwarb das Erbteil Elimelechs (mein Gott ist König) zurück. So gelangt sie in den Besitz dieses Erbteils. Danach wird ihr Sohn geboren, einer der Vorfahren des großen Königs David. Welche Freude wird ihr Herz erfüllt haben. Niemals mehr wird sie mit Heimweh an ihr früheres Leben in Moab zurückgedacht haben. Oh nein. Wenn wir uns dem Herrn Jesus völlig übergeben, werden wir das niemals bedauern.