Der Herr ist Rettung

1.5. Gericht und Segen (Kapitel 34–35)

Der Herr ist Rettung

Die Kapitel 34 und 35 bilden den Abschluss des ersten Teils des Buches Jesaja, besonders aber der Kapitel 28–33, die das sechsfache „Wehe“ enthalten. Sie nehmen damit eine ähnliche Stellung ein wie die Kapitel 24–27, die die zehn Aussprüche über die Nationen in den Kapiteln 13–23 abschließen.

Hier werden nun das letzte Gericht über die benachbarten Nationen und die Segnungen im Tausendjährigen Reich beschrieben. Die Worte Gottes im Buch des Propheten Maleachi finden hier ihre endgültige Bestätigung: „Ich habe Jakob geliebt; Esau aber habe ich gehasst“ (Mal 1,2.3).

Gericht über Edom und seine Verbündeten

Edom

Die Edomiter, die ihre Wohnsitze auf dem Gebirge Seir südöstlich des Toten Meeres hatten, waren die Nachkommen Esaus, des älteren Bruders von Jakob (1. Mo 36,1). Aber obwohl sie so eng mit Israel verwandt waren, gehörten sie zu seinen ärgsten Feinden (4. Mo 20,14-21; 1. Kön 11,14). Trotzdem sollte Israel sie nicht verabscheuen, denn sie waren ein Brudervolk (5. Mo 23,8). Aber Gottes Urteil lautete: „War nicht Esau der Bruder Jakobs?, spricht der HERR. Und ich habe Jakob geliebt, Esau aber habe ich gehasst, und ich habe seine Berge zur Wüste gemacht und sein Erbteil für die Schakale der Steppe“ (Mal 1,2.3). Trotz all seiner Schwächen war Jakob ein glaubender Mann, der sich durch Gottes Zucht unterweisen ließ, während Esau ein „Ungöttlicher“ genannt wird, der die Gnade Gottes verachtete (Heb 12,16). Obwohl Esau der Erstgeborene war, zeigte Gott an ihm beispielhaft, dass für Ihn nicht das Fleisch, sondern der Glaube zählt, dass Er nicht das Starke, sondern das Schwache auserwählt (vgl. 1. Kor 1,26-31; 15,46). Esau hasste seinen Bruder Jakob, und seine Nachkommen hassten das Volk Israel (1. Mo 27,41; Klgl 4,21f.; Amos 1,11; Obad 12-14). Dadurch zog Edom sich für die Endzeit die Strafe Gottes zu. Das Gericht über dieses gottlose Volk wird durch den Herrn Jesus als Messias vollzogen, wobei Sein Volk Israel Ihn begleiten und Ihm helfen wird (Jes 11,14; Hes 36,5; Amos 9,12; Obad 21). Danach wird Edom zu einer ewigen Wüste werden (Jer 49,13; Hes 25,13; 32,29; 35,9; Joel 4,19; Obad; Mal 1,3.4).

Das Gericht über Edom wird das letzte vor Beginn des Tausendjährigen Reiches sein. Zunächst wird der aus dem Himmel kommende Herr nämlich das Heer des römischen Reiches und den Antichristen vernichten, danach die assyrische Streitmacht und schließlich Edom und die Nachbarvölker, um nach siegreicher Rückkehr die Herrschaft des Friedens anzutreten.

Edom wird so oft in Verbindung mit den endzeitlichen Gerichten erwähnt, dass man es unmöglich als symbolischen Namen betrachten kann, der stellvertretend für andere Völker – ob nun die Assyrer oder das römische Reich – steht, wie viele Ausleger gemeint haben. Die Tatsache, dass ein ganzes – wenn auch kurzes – prophetisches Buch, nämlich das von Obadja, nur dem Gericht über Edom gewidmet ist, macht die Bedeutung dieses Nachbarvolkes bei den Endgerichten klar (vgl. außer den bereits angeführten Stellen Ps 83,7ff.; 137,7; Jes 63,1-4; Jer 49,7-22). Darüber hinaus lassen die verschiedenen Schriftstellen keinen Zweifel daran, dass dies Gericht nicht im Land Israel, sondern außerhalb davon stattfinden wird. Es kann sich daher weder um den Untergang des römischen Heeres in Harmaggedon noch des assyrischen auf den Bergen Israels handeln (Off 16,12-16; Jes 14,25; Dan 11,45).

Edom wird ausgelöscht (Kapitel 34,1–17)

Nicht nur Edom, sondern die Nationen, die Völkerschaften, die Erde und der Erdkreis mit allen Bewohnern (vgl. Ps 24,1) werden aufgerufen, ihre Aufmerksamkeit auf das kommende Gericht des HERRN – das letzte vor Beginn der Friedensherrschaft – zu richten (Vers 1). Er ist erzürnt über alle Nationen und ergrimmt über ihre Heeresmächte – das heißt, über diejenigen, die nach den vorangegangenen Gerichten noch übrig sind. Wie groß muss die Gottlosigkeit sein, dass Er sie der völligen Vertilgung weiht und zur Schlachtung hingibt (Vers 2)! „Vertilgung“ bedeutet eigentlich „Bann“, das heißt, etwas was Gott gehört und Ihm geheiligt ist. Nach dem Gesetz musste alles Lebendige, das „verbannt“ wurde, getötet werden (2. Mo 22,19; 3. Mo 27,28f.). Das bedeutet: Wer sich in seinem Leben Gott widersetzt, an dem erweist Er Seine Macht durch das Gericht des Todes. Gott betrachtet ganz Edom als „Volk meines Bannes“ (s. Vers 5).

Grausig muss der Anblick der Toten sein, deren Blut von den Bergen herabfließt (Vers 3). Gewaltige Umwälzungen werden die Folge sein, wenn auch die letzten Mächte dieser Erde in der unmittelbaren Umgebung Israels vernichtet werden (Vers 4). Ähnlich werden die Auswirkungen der Öffnung des sechsten Siegels durch das Lamm beschrieben (Off 6,12-14). Es sind bildliche Ausdrücke, die die vollständige Vernichtung aller Autoritäten und Ordnungen unter den Menschen beschreiben.

Dass das Gericht über Edom nicht von Menschen, sondern von Gott kommt, machen die Worte „Denn trunken ist im Himmel mein Schwert“ deutlich (Vers 5). Ein ähnliches Bild finden wir schon in 5. Mose 32,41-43, wo Mose am Ende seines Liedes im Blick auf das kommende Gericht sagt: „Wenn ich mein blitzendes Schwert geschärft habe und meine Hand zum Gericht greift, so werde ich Rache erstatten meinen Feinden und Vergeltung geben meinen Hassern. Meine Pfeile werde ich berauschen mit Blut, und mein Schwert wird Fleisch fressen – mit dem Blut der Erschlagenen und Gefangenen – vom Haupt der Fürsten des Feindes. Jubelt, ihr Nationen, mit seinem Volk! Denn er wird rächen das Blut seiner Knechte und wird Rache erstatten seinen Feinden, und seinem Land, seinem Volk, vergeben.“ Gottes Gerichtsschwert fällt gleichsam aus dem Himmel unmittelbar auf Edom, das Volk Seines Bannes, herab, das sich Ihm nicht unterwerfen wollte und nun auf diese Weise Seinen Machtanspruch erfahren muss (s. Vers 2).

In den Versen 6 und 7 werden die Bewohner von Edom wie Opfer- und Schlachttiere betrachtet. Lämmer, Böcke, Widder, Wildochsen und Stiere sind dabei Bezeichnungen für die Menschen, besonders die Führer, die durch das Schwert des HERRN hingeschlachtet werden. Aber es ist kein Freudenfest wie in Kapitel 25,6, sondern das Schlachtopfer des HERRN in Bozra, der Hauptstadt des Landes Edom, der Tag der Rache und das Jahr der Vergeltungen „für die Rechtssache Zions“ (Vers 8). Was für ein Licht werfen die letzten Worte auf das Geschehen! Sie zeigen, dass letztendlich alle Prophetie die zentrale Stellung des irdischen Volkes Gottes und seines Königs, des Herrn Jesus, im Tausendjährigen Reich zum Ziel hat. Gottes Ratschluss wird nicht nur in Bezug auf die Ewigkeit in Erfüllung gehen, sondern auch im Blick auf die Schöpfung. Alle Seine Verheißungen an Israel, die in Christus ihr Ja und ihr Amen finden, werden vollkommen erfüllt werden (Röm 11,29-36; 2. Kor 1,20).

Die Verse 9 und 10a beschreiben das Gericht über Edom in Worten, die an den Untergang von Sodom und Gomorra erinnern, ja, sogar an das ewige Feuer der Hölle, „wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt“ (Jer 49,18; 1. Mo 19,24-28; Mk 9,44; Off 14,10f.). Offensichtlich wird jedoch nicht das ewige Teil der gerichteten Edomiter dargestellt, sondern der Zustand des Landes Edom, der während des Tausendjährigen Reiches die Erinnerung an das Böse und dessen Gericht von Seiten Gottes wach halten wird. Werden wir dabei nicht an die Schlange erinnert, die auch nach der „Wiederherstellung aller Dinge“ (Apg 3,21) in jener Zeit weiterhin Staub fressen wird, und an die Sümpfe und Lachen am Toten Meer, die salzig bleiben werden (Jes 65,25; Hes 47,11)? Auch die Menschen, die in jener Zeit öffentlich sündigen, werden sofort ihre gerechte Strafe empfangen (Ps 101,8; Jes 66,24). Alles das weist darauf hin, dass die segensreiche Herrschaft des Herrn Jesus während der letzten tausend Jahre der gegenwärtigen Schöpfung noch nicht dem vollkommenen Zustand auf der neuen Erde und im neuen Himmel gleichkommt. Während im Millennium ein König in Gerechtigkeit herrscht, wird auf der neuen Erde und im neuen Himmel Gerechtigkeit wohnen (Jes 32,1; 2. Pet 3,13). In der gegenwärtigen Zeit gibt es für die Nachfolger Jesu jedoch weder das eine noch das andere, sondern im Gegenteil Leiden um der Gerechtigkeit willen (1. Pet 3,14).

In den Versen 10b bis 15 wird Edom als unbewohnbare und unwegsame Wüste gesehen, in der nur die Tiere der Wildnis eine Bleibe finden. Öde (hebr. tohu) und Leere (hebr. bohu) sind die durch Gottes Messschnur und Senkblei bemessenen Ergebnisse Seines Gerichtes (Vers 11). Der Anklang an den als „wüst und leer“ (hebr. tohu wa bohu) bezeichneten Zustand der Schöpfung, die doch nicht als Öde geschaffen wurde, ist offensichtlich (1. Mo 1,2; Jes 45,18; vgl. Jer 4,23). Doch was am Anfang der Weltgeschichte eine Folge des gegen den heiligen und gerechten Gott gerichteten Bösen war, ist jetzt das Ergebnis Seines genau bemessenen Gerichts!

Die stolzen Herrscher Edoms sind von der Bildfläche verschwunden; die Ruinen ihrer Schlösser und Burgen, in denen nur noch Gestrüpp emporschießt, sind zu Wohnstätten von allerlei Wüstentieren geworden – und von Dämonen oder bösen Geistern1, die in jeder Hinsicht das Chaos lieben (Vers 12–15; vgl. Mt 12,43; Mk 5,2-5). Schreckliches Ende von Menschen, die Gott und Seine Gnade verachtet haben!

Hörer und Leser werden nun aufgefordert, im „Buch des HERRN“ nachzuforschen und zu lesen (Vers 16). Unter diesem Buch ist wohl nicht nur die von Jesaja niedergeschriebene Botschaft, sondern das gesamte in der Heiligen Schrift enthaltene „prophetische Wort“ zu verstehen, das Petrus später als „Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet“, bezeichnet (2. Pet 1,19). Auch er fordert uns auf, auf dieses Wort zu achten, und zwar damit das helle Tageslicht der Erkenntnis der Gedanken Gottes und, was noch größer ist, das Licht des für uns als Morgenstern kommenden Herrn Jesus in unseren Herzen aufgehen und leuchten kann! Alle Prophetie, die der ewige Gott durch Seinen Heiligen Geist offenbart, hat letztendlich nur die Verherrlichung Seines Sohnes zum Ziel, „denn der Geist der Weissagung ist das Zeugnis Jesu“ (Off 19,10). Dass bei dem großen Raum, den die prophetischen Bücher im Wort Gottes einnehmen, auch viele irdische Einzelheiten zur Sprache kommen, mag manchen Leser erstaunen und sogar verwirren, aber nach Gottes Weisheit darf eben nichts fehlen, keins das andere vermissen!

Der Prophet Jesaja ist nur das Sprachrohr Gottes, dessen Mund all dies geboten und dessen Geist alles zusammengebracht hat. Alles wird in Erfüllung gehen. Die Frage, wie ein historisches Volk wie Edom, das längst von der Bühne der Geschichte abgetreten ist, in der Zukunft von Gott gerichtet werden kann, ist schon bei der Ankündigung des Gerichts über die Philister (Kap. 14,28–32) angeschnitten worden. Edom erfuhr in Verbindung mit der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar (586 v. Chr.) bereits einen Vorgeschmack der endgültigen Erfüllung dieser Weissagung, die noch bevorsteht (vgl. Mal 1,4).

Gott selbst hat das Los geworfen und den in den Versen 11 bis 15 genannten wilden Tieren und Dämonen das Land Edom mit der Messschnur zugeteilt. Sie werden bis zu dem Augenblick dort wohnen, wo weder für die Erde noch für den Himmel eine Stätte gefunden wird, das heißt, bis zum Ende der alten Schöpfung und damit bis zum Anbruch der Ewigkeit (Vers 17; vgl. Off 20,11).

Der Segen des Friedensreiches

Mit diesem Kapitel endet der erste Hauptteil des Buches Jesaja. Nach dem historischen „Zwischenspiel“ der Kapitel 36 bis 39 folgt mit den Kapiteln 40 bis 66 der zweite Hauptteil.

Das Land Israel im Tausendjährigen Reich (Kap. 35,1–7)

Die herrliche Zukunft des Landes Israel steht im krassen Gegensatz zur bleibenden Verwüstung der Landschaft Edoms, die im vorigen Kapitel beschrieben wurde. Nach lang andauernder Zucht und schweren Strafgerichten wird es im Tausendjährigen Reich nicht nur für das Volk Israel, sondern auch für sein Land ein herrliches Aufleben geben. Jahrhundertelang war das Gebiet, das einst von „Milch und Honig“ floss, eine armselige Gegend voller Sümpfe und Steppen. Wenn auch durch die Kultivierungsarbeiten der zurückgekehrten Juden in den letzten hundert Jahren gewaltige Verbesserungen eingetreten sind, besteht der Süden des Landes doch noch heute zum Teil aus Wüste und wüstenähnlichen Gegenden. Aber in der Zeit der „Wiederherstellung aller Dinge“ wird Gott klimatische und biologische Umwälzungen herbeiführen, durch die „die Wüste und das dürre Land sich freuen werden, und die Steppe frohlocken und aufblühen wird wie eine Narzisse“ (Vers 1; vgl. Apg 3,21).

Diese Vorhersage, die bereits in den Kapiteln 14,7 und 32,15 angeklungen ist, bezieht sich weder auf die Rückführung des Überrestes der zwei Stämme Juda und Benjamin nach der babylonischen Gefangenschaft noch auf die Bildung der Versammlung Gottes in der jetzigen Gnadenzeit (nach der so genannten „Vergeistlichungs-Theorie“, die alle alttestamentlichen Weissagungen über das Volk Israel auf die Kirche oder Versammlung bezieht), sondern wird sich im Tausendjährigen Reich buchstäblich erfüllen. Damit stimmt die Lehre des Neuen Testaments überein. Nach Römer 8,19-22 „wartet das sehnliche Harren der Schöpfung auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit [oder: Vergänglichkeit, Eitelkeit] unterworfen worden (nicht freiwillig, sondern dessentwegen, der sie unterworfen hat), auf Hoffnung, dass auch die Schöpfung selbst freigemacht werden wird von der Knechtschaft des Verderbens zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt und mit in Geburtswehen liegt bis jetzt.“ Dieses Sehnen wird nicht erst in der Ewigkeit seine Erfüllung finden, denn dann wird es die gegenwärtige Schöpfung nicht mehr geben! Himmel und Erde werden vergehen und einem neuen Himmel und einer neuen Erde Platz machen (2. Pet 3,10-13; Off 20,11; 21,1). Doch vorher, während der „Verwaltung der Fülle der Zeiten“, das heißt im Tausendjährigen Reich, wird Gott alles, was in den Himmeln und auf der Erde ist, unter ein Haupt zusammenbringen in dem Christus, dem Erben aller Dinge (Eph 1,10; Heb 1,2.6). Dass wir, die an Ihn glauben, auch mit Ihm verherrlicht werden, mit Ihm erben und mit Ihm herrschen werden, ist ein besonderes Vorrecht, das weit über die Segnungen des irdischen Volkes Israel unter Seiner Friedensherrschaft hinausgeht (Röm 8,17; 2. Tim 2,12). Doch wird auch Israel im Tausendjährigen Reich nicht nur in materieller, sondern auch in geistlicher Hinsicht reich gesegnet werden (Kap. 11,1–10; 29,17; 41,18–20; Hes 34,23-31; Joel 2,21 - 3,2).

Hier handelt es sich jedoch nicht um geistlichen, sondern um irdischen, materiellen Segen. Die Erde – und ganz besonders das Land Israel – wird nicht nur eine nie gekannte Zeit der Fruchtbarkeit erleben, sondern eine vollständige Änderung der bisherigen Naturgegebenheiten. Die gesegnetsten Teile des Landes, Libanon, Karmel und Saron, sind gleichsam der Maßstab für die zukünftige Herrlichkeit und Pracht, die die Wüste erfüllen werden (Vers 2; vgl. Kap. 33,9; 60,13).

Am Ende von Vers 2 wird der Blick auf die Quelle all dieser Herrlichkeit und Pracht der Natur gelenkt, die das irdische Volk Gottes, mit dem der Prophet sich vorausschauend eins macht, dann sehen wird: Es ist der HERR, der Gott Israels! Sein herrliches Erscheinen in der Person Seines Sohnes, des Herrn Jesus, bildet den Auftakt zum Tausendjährigen Reich, und auch während dieser Zeit wird die ganze Erde mit Seiner Herrlichkeit erfüllt sein (Mt 25,31; Ps 72,19; Jes 60,2). Was wird es für die gläubigen Juden sein, nach all den furchtbaren Drangsalen die Herrlichkeit Christi, ihres ersehnten Messias, zu sehen, den sie einst verworfen haben! Dann werden sie Ihn als den, der Er wirklich ist, nämlich als den HERRN, ihren Gott, erkennen.

Doch davor steht die furchtbare Zeit der endzeitlichen Drangsal für den gläubigen Überrest der Juden, die so sehnlich auf ihren Messias warten. Ihnen ruft der Prophet in Vers 3 die ermunternden Worte zu: „Stärkt die schlaffen Hände und macht fest die wankenden Knie!“, die auch der Schreiber des Hebräerbriefes an die Gläubigen richtet, die schon in der ersten Zeit des Christentums unter dem Druck der Verfolgung von Seiten der Feinde Christi zu verzagen drohten (Heb 12,12). Jesaja fährt fort: „Sagt zu denen, die zaghaften Herzens sind: Seid stark, fürchtet euch nicht! Siehe, euer Gott kommt, Rache kommt, die Vergeltung Gottes! Er selbst kommt und wird euch retten“ (Vers 4). Ob es sich um den Antichristen, den Assyrer oder Edom und seine Bundesgenossen handelt, sie alle werden ihre gerechte Strafe von der Hand des in Macht und Herrlichkeit erscheinenden Christus empfangen. Aber für Sein so schwer gezüchtigtes Volk wird Er der Retter sein!

In dieser Zeit wird nicht nur für Israel das Reich wiederhergestellt werden, sondern im „zukünftigen Zeitalter“ wird auf der Erde in jeder Hinsicht ein ganz neuer Zustand eintreten, wie die an anderen Stellen der Schrift gebrauchten Bezeichnungen „Zeiten der Erquickung“, „Wiederherstellung aller Dinge“ und „Wiedergeburt“ für die letzte, glorreiche Epoche der Weltgeschichte, das Tausendjährige Reich, zeigen (Mt 19,28; Apg 1,6; 3,20.21). Gewaltige Veränderungen werden die segensreiche Herrschaft Christi einleiten und begleiten. Krankheiten, die ja eine Folge der Sünde sind, werden nicht mehr existieren (Verse 5 und 6; vgl. Jes 33,24).

Die verschiedenen Krankenheilungen des Herrn Jesus bei Seinem ersten Kommen auf die Erde waren Beweise Seiner göttliche Sendung als König (vgl. Jes 53,4; Mt 8,17; Mt 11,2-5). Die Wunder, die Er und Seine Jünger taten und die auch in der ersten Zeit der Versammlung noch geschahen, werden im Hebräerbrief „Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“ genannt, weil sie eigentlich Kennzeichen des Tausendjährigen Reiches sind (Heb 6,5). Wenn Er zum zweiten Mal erscheinen wird, dann werden jedoch nicht nur einige, sondern alle Kranken geheilt werden! Es wird auf der ganzen Erde keine Blinden, Tauben, Lahmen und Stummen mehr geben. Der Herr wird sie alle gesund machen.

Ohne Zweifel kann man die Heilung körperlicher Gebrechen auch in übertragenem Sinn verstehen, denn es gibt auch geistliche Blindheit, Taubheit, Lahmheit und Stummheit (vgl. Kap. 6,10; 29,10.18). Doch das ist hier nicht die Bedeutung. Hier geht es um die äußerliche Wiederherstellung alles dessen, was durch die Sünde verdorben ist.

Das zeigen auch die Verse 6 und 7, in denen die Ursachen der in Vers 1 beschriebenen Fruchtbarkeit der Wüstengegenden angegeben werden. In den trockensten Gegenden werden dann Quellen und Bäche hervorbrechen. Statt vor Hitze glühender und dürrer Landstriche2 wird es Teiche und Wasserquellen geben, so dass da, wo früher Schakale hausten, nicht nur Gras, sondern sogar Sumpfpflanzen wie Schilfrohr und Papyrus wachsen können (vgl. Kap. 41,18; 43,19)!

Das Volk Israel im Tausendjährigen Reich (Kap. 35,8–10)

Gewiss wird es im heiligen Land dann viele Wege geben, auf denen das erlöste Volk in Freiheit und Freude gehen kann. Doch hier wird nur eine Straße mit dem Namen „heiliger Weg“ erwähnt, der für die von ihren Sünden und allen Beschwernissen erlösten Juden bestimmt ist (Verse 8 und 9). Die Bezeichnung „Straße“3 erinnert an die „gebahnten Wege“ der Herzen in Psalm 84,6 und an Jesaja 26,7: „Der Pfad des Gerechten ist gerade; du bahnst gerade den Weg des Gerechten.“ Statt der bisherigen eigenen krummen Pfade (Kap. 59,8) gibt es jetzt einen „heiligen Weg“, den Gott für Sein Volk bereitet hat. Kein in Seinen Augen unreiner Mensch wird auf diesem Weg ziehen, und sogar Einfältige4 werden auf ihm nicht mehr in die Irre gehen. Auch wird es keine Bedrohung irgendwelcher Art mehr geben.

Unter diesem „heiligen Weg“ ist daher wohl keine konkrete Straße zu verstehen, sondern der Weg, auf dem das einst so weit von seinem Gott entfernte Volk, das jetzt „das heilige Volk“ genannt wird, zu Ihm zurückkehrt (Vers 10; vgl. Kap. 43,19; 49,11; 62,10–12). „Und die Befreiten des HERRN werden zurückkehren und nach Zion kommen mit Jubel, und ewige Freude wird über ihrem Haupt sein.“ Nie wird ihre Freude enden, denn auch nach dem Ende des Tausendjährigen Reiches werden sie die Freude genießen, die „die Hütte Gottes bei den Menschen“ hervorrufen wird (vgl. Off 21,3).

Die lange Wanderschaft Israels ist nun zu Ende. Wie ihr Stammvater Jakob sind sie umhergeirrt, und auch ihre Tage waren „wenig und böse“, denn die Zeit, die ohne Gemeinschaft mit Gott verbracht wird, ist wertlos. Aber jetzt sind sie am Ziel aller Wege Gottes mit ihnen angekommen. „Kummer und Seufzen“, die sie während langer Jahrhunderte gekannt haben, und ganz besonders in der Zeit der „Drangsal für Jakob“, werden für immer entflohen sein (vgl. Kap. 51,11).

So gesegnet Israel und alle Menschen im Tausendjährigen Reich auch sein werden, wie viel größer ist das Teil derer, die in der jetzigen Gnadenzeit an den Herrn Jesus glauben! In Christus, dem Sohn des Vaters, haben wir den Weg, die Wahrheit und das Leben gefunden (Joh 14,6). Mit Ihm werden wir ins himmlische Vaterhaus eintreten, wo Er eine Stätte für jeden der Seinen bereitet hat, damit wir dort seien, wo Er ist, und ewig Seine Herrlichkeit anschauen (Joh 17,24)!

Fußnoten

  • 1 Die Böcke sind wahrscheinlich Dämonen in Bocksgestalt (vgl. Kap. 13,22; 3. Mo 17,7; 2. Chr 11,15). Die nur an dieser Stelle erwähnte Lilit wird wohl nicht als Nacht-, sondern als ursprünglich babylonische Windgottheit zu deuten sein (in der späteren rabbinischen Literatur jedoch als dämonische Frau dargestellt).
  • 2 Das nur hier und in Kap. 49,10 vor kommende, in der alten Elberfelder Übersetzung mit „Kimmung“ (Luftspiegelung, Fata Morgana) wiedergegebene hebr. scharav bedeutet eher „Sonnenglut“ bzw. „trockenes Land“.
  • 3 Das mit „Straße“ übersetzte hebr. maslul ist eine abgewandelte Form des bei Jesaja mehrmals vorkommenden Wortes mesillah (s. die Bemerkungen zu Kap. 19,23).
  • 4 Das hier mit „Einfältige“ wiedergegebene hebr. Substantiv ewilim wird sonst meistens mit „Narr“ übersetzt (vgl. Spr 1,7; 7,22; 10,8). Daher kann dieser Satzteil auch als Parallele zu „Kein Unreiner wird darüber hinziehen“ aufgefasst werden: „Auch (gottlose) Narren werden nicht (mehr darauf) umherirren.“
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