Der Herr ist Rettung

1.4. Das sechsfache „Wehe“ (Kapitel 28–33)

Der Herr ist Rettung

Schon in Kapitel 5,8–23 hatte Jesaja ein sechsmaliges „Wehe“ über die Zügellosigkeit und Ungerechtigkeit der führenden Männer Israels ausrufen müssen. In diesem Abschnitt folgen nochmals sechs Wehe-Rufe: fünf über das irdische Volk Gottes und einer über Assyrien. Durch die darin angekündigten Strafgerichte und die Vernichtung aller Feinde erreicht Gott Sein herrliches Ziel, die Wiederherstellung Seiner Beziehungen zu Seinem irdischen Volk Israel.

„Wehe“ über Ephraim

Gottes Warnung (Kapitel 28,1–13)

Als Erstes wird den Angehörigen des Nordreiches (d. h. der zehn Stämme unter der Führung Ephraims; s. Kap. 11,13) der Angriff des Assyrers angekündigt. Da die Eroberung Samarias durch Sargon II. im Jahr 721 v. Chr. nach dreijähriger Belagerung stattfand, ist diese Prophezeiung Jesajas wohl kurz vorher ausgesprochen und niedergeschrieben worden. Doch wie aus verschiedenen Versen zu schließen ist, weist diese Prophezeiung über die unmittelbar bevorstehenden Ereignisse hinaus auf die Endzeit hin.

Das erste „Wehe“ gilt Samaria, der Hauptstadt des Zehnstämmereiches. Die Stadt wird mit einer „stolzen Krone“ (vgl. Hes 23,42) verglichen, deren sich die unverständigen, dem Wein ergebenen Führer Ephraims rühmten, aber auch mit einer „welkenden Blume“, d. h. einem nur noch schwachen Überbleibsel der einstigen „herrlichen Pracht“, von der das „Haupt des fruchtbaren Tals“, der Berg, auf dem die Stadt inmitten fruchtbarer Täler lag, einmal gekrönt war (Vers 1; vgl. Kap. 40,6–8).

Der „Starke und Mächtige“ ist der – wie in Kapitel 5,25ff. und 10,28ff. namentlich nicht genannte – Assyrer als Zuchtrute in der Hand des Herrn (hebr. Adonai), der wie ein furchtbares Unwetter alles überfluten wird (vgl. Verse 15 und 18; Kap. 8,7f.; 59,19). Wie eine Frühfeige voller Gier verschlungen wird, so wird es Israel ergehen: Das Zehnstämmereich wird vernichtet. Der Feigenbaum und seine Früchte werden wie der Weinstock oft als Bild des Volkes Israel gebraucht (Verse 2 bis 4; vgl. Hos 9,10).

Unvermittelt wechselt das Bild in Vers 5: „An jenem Tag“ (s. Kap. 2,11) wird Gott, der von Seinem Volk so lange Zeit missachtet wurde, für den gläubigen Überrest eine „prächtige Krone“ und ein „herrlicher Kranz“ sein, ein auffallender Gegensatz zu der in Vers 1 erwähnten „stolzen Krone“ menschlicher Eitelkeit. So wird auf das erneuerte Verhältnis Gottes zu den Übriggebliebenen Seines Volkes beim Beginn des Tausendjährigen Reiches hingewiesen. Er wird dann für Sein Volk alles sein, was es braucht, der „Geist des Rechts“ für die Richter und die „Heldenkraft“ für die Kämpfer (Vers 6).

Ab Vers 7 wendet sich der Blick des Propheten wieder zurück, aber jetzt richtet er sich nicht mehr auf Ephraim, sondern auf das Zweistämmereich Juda, wie aus den einleitenden Worten „Und auch diese“ und der Erwähnung Jerusalems in Vers 14 hervorgeht. Juda ist dem Weg Ephraims gefolgt und handelt nicht besser (vgl. Hes 23). Zwar gab es hier noch Priester Gottes und Propheten, aber ihr abscheuliches Betragen, durch das sie das Heilige entweihten, wird in noch drastischerer Weise geschildert als das der Führer Israels (Verse 7 und 8; vgl. Kap. 5,22; 29,9–14; Mich 3). Wenn die Priester, deren Lippen Erkenntnis bewahren sollen, und die Propheten, die Boten des HERRN sein sollen (Mal 2,7; Hag 1,13), so schmählich versagen, wem kann Gott dann noch Erkenntnis und Botschaft anvertrauen? Etwa kleinen Kindern (Vers 9)? Wenn es so weit gekommen ist – und die Priester und Propheten offenbarten einen niedrigeren geistlichen Zustand als unmündige Kinder –, dann wird das Wort aus dem Mund Gottes nicht mehr verstanden, sondern nur noch als ein drückendes Joch aufgefasst, als „Gebot auf Gebot, Gebot auf Gebot, Vorschrift auf Vorschrift, Vorschrift auf Vorschrift, hier ein wenig, da ein wenig“ (Vers 10).4

Da die Führer des Volkes – und mit ihnen das ganze Volk – Seine klare und einfache Botschaft nicht mehr hören wollten, würde Gott nun in einer völlig anderen Art und Weise „zu diesem Volk“ (vgl. Kap. 6,9) reden. Sie würden die ihnen fremde, unverständliche Sprache ihrer Feinde und Bedrücker zu hören bekommen (Vers 11). Der Krieg der Assyrer gegen Juda während der Regierungszeit Hiskias (2. Kön 18,13ff.), der ja durch Gottes gnädiges und zugleich mächtiges Eingreifen beendet wurde, kann höchstens als eine teilweise Erfüllung dieser Weissagung Jesajas, als Vorgeschmack endzeitlicher Ereignisse betrachtet werden.

In geistlicher Hinsicht fand diese Prophetie jedoch in der ersten Zeit des Christentums durch die Gabe des Redens in fremden Sprachen ihre Erfüllung. Da die Haltung der Juden gegenüber dem Herrn Jesus in mancher Hinsicht der einstigen Ablehnung der Botschaft Jesajas glich, setzte Gott als Antwort und Strafe nun Sein irdisches Volk beiseite und wandte sich den Nationen zu, in deren fremden Sprachen die Juden Sein Wirken durch das Evangelium der Gnade in Christus vernehmen mussten. So ist es zu verstehen, dass Paulus in 1. Korinther 14,21 diesen Vers teilweise zitiert, und zwar nach der griechischen Übersetzung der Septuaginta, deren Wortlaut etwas vom hebräischen Text abweicht.

Obwohl es das Ziel aller Bemühungen Gottes um Sein Volk war, dem Ermüdeten Ruhe und Erquickung zu schenken, wollte es nicht hören (Vers 12; vgl. Jer 6,16). Nun musste es die Folgen seines Starrsinns tragen. Das Wort des HERRN würde für sie weiterhin „Gebot auf Gebot, Gebot auf Gebot, Vorschrift auf Vorschrift, Vorschrift auf Vorschrift, hier ein wenig, da ein wenig“ sein. Es würde sie nicht mehr zu dem Licht führen, das sie immer wieder abgewiesen hatten, sondern machen, dass sie „rückwärts fallen und zerschmettert werden und verstrickt und gefangen werden“ (Vers 13). Dieses Urteil ist die Folge der Verwerfung Christi bei Seinem Kommen in Niedrigkeit und Gnade.

Ein Bund mit dem Tod (Kapitel 28,14–22)

Das Gericht über Juda in der Endzeit wird nun eingehender beschrieben. Das Wort des HERRN richtet sich direkt an die als Spötter (vgl. Ps 1,1) bezeichneten „Beherrscher dieses Volkes, das in Jerusalem ist“ (Vers 14). Es fällt schwer, diese Anrede auf die Zeit Hiskias anzuwenden, der ja ein gottesfürchtiger König war und nicht auf Menschen, sondern auf seinen Gott vertraute. Zwar gab es zu seiner Zeit eine Partei, die sich insgeheim auf Ägypten stützte (vgl. Kap. 20; 30,1–5; 2. Kön 18,21), aber dass diese als „Spötter, Beherrscher dieses Volkes“ bezeichnet werden, die einen „Bund mit dem Tod“ und einen „Vertrag mit dem Scheol2“ schließen, lässt sich nicht aus dem Wort Gottes entnehmen (Vers 15). Die gottlosen Juden der Endzeit jedoch werden den Antichristen als Herrscher annehmen, der sich mit dem Tier aus dem Abgrund, dem Haupt des römischen Reiches, dessen Macht satanischen Ursprungs ist, verbünden und damit im wahrsten Sinn einen „Bund mit dem Tod“ und einen „Vertrag mit dem Scheol“ schließen wird (Dan 9,27; vgl. Off 13; 17,8). Die Juden werden diesem Bund, durch den sie sich auch gegen die von Assyrien drohende Gefahr abzusichern hoffen, zustimmen, vielleicht ohne zu wissen, dass es ein Bund mit der Unterwelt ist. Offen würden sie dies wohl kaum zu sagen wagen. Das Gleiche gilt für ihre Behauptung: „Denn wir haben die Lüge zu unserer Zuflucht gemacht und in der Falschheit uns geborgen“ – Ausdrücke, die der Charakterisierung des Antichristen in 2. Thessalonicher 2,9 und 10 ähneln: „Wunder der Lüge … und Betrug der Ungerechtigkeit.“

Mit der „überflutenden Geißel“, vor der die Juden sich sicher wähnen, ist die assyrische Heeresmacht gemeint, die an anderer Stelle mit einem gewaltigen, alles überflutenden Strom verglichen und als Rute des Zornes Gottes bezeichnet wird (Vers 2; Kap. 8,7.8; 10,5). In dem Ausdruck „überflutende Geißel“ sind beide Bilder zusammengefasst. Der Assyrer wird das Land in der Zukunft noch zweimal heimsuchen (s. Einleitung zu Kap. 10). Darauf geht der Prophet im Folgenden weiter ein.

Doch zuvor ruft er dem Volk ein herrliches, trostreiches Wort des Herrn HERRN (hebr. Adonai Jahwe) zu. Immer wieder erstrahlt bei Jesaja das Licht der Gnade Gottes inmitten der Finsternis menschlicher Verirrung und Gottesferne. „Siehe, ich gründe einen Stein in Zion, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, aufs Festeste gegründet; wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“ (Vers 16). Dieser Eckstein – Christus, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt, kostbar – ist inzwischen gelegt. Schon die Versammlung – damals noch ein Geheimnis – ist auf Ihn gegründet (Mt 16,18; Eph 2,20; 1. Pet 2,4-7), doch in der Zukunft wird auch der jüdische Überrest in Ihm Ruhe und Sicherheit finden. Gott wird dann in den Herzen einzelner Juden die Erkenntnis bewirken, dass der Antichrist nicht ihr Messias sein kann. Das sind diejenigen, von denen es hier heißt: „Wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen.“ Christus, der Eckstein in Zion, ist die einzige Rettung. Wer auf Ihn vertraut, wird nicht zu Schanden (vgl. Ps 118,22; Röm 9,33; 10,11; 1. Pet 2,6). So ist es heute, und so wird es auch in der Zeit der großen Drangsal sein. Danach wird die herrliche Zeit des Tausendjährigen Reiches für den treuen Überrest der Juden anbrechen, in der das durchlittene Unrecht ein für alle Mal vorüber sein und Gott „das Recht zur Richtschnur“ und „die Gerechtigkeit zum Senkblei“ machen wird (Vers 17; vgl. Kap. 32,1).

Doch vorher wird die überflutende Geißel Land und Volk der Juden erreichen. Beim ersten Angriff des Assyrers gegen Jerusalem werden die Attacken wie aufeinander folgende Wellen über das Land und die Stadt dahinfegen, und es wird kein Entrinnen für die Gottlosen geben. Allein die Nachricht eines bevorstehenden Angriffs wird bereits Schrecken bei den Menschen auslösen, die trotz ihres vermeintlich so sicheren Bundes keine Ruhe und keinen Schutz finden werden, „denn das Bett ist zu kurz, um sich auszustrecken, und die Decke zu schmal, um sich einzuhüllen“ (Verse 17–20).

Wie der HERR einst die Philister beim Berg Perazim und im Tal Gibeon durch das Heer des Königs David schlug, so wird Er jetzt Sein eigenes Volk durch die Assyrer schlagen lassen (Vers 21; s. 1. Chr 14,8-17). Dieses Werk Gottes wird „befremdend“ und „außergewöhnlich“ genannt, womit weder die Bestrafung des Bösen an sich noch das Gericht gegenüber Seinem Volk, das Er doch so sehr liebt, gemeint sein kann. Er ist „der HERR, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit, der Güte bewahrt auf Tausende hin, der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt – aber keineswegs hält er für schuldlos den Schuldigen –, der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern und Kindeskindern, an der dritten und an der vierten Generation“ (2. Mo 34,6f.). Und immer wieder sehen wir, dass gerade die Bevorrechteten als Erste die Züchtigung zu spüren bekommen, wenn sie sündigen (Hes 9,6; 1. Pet 4,17). Das Befremdende und Außergewöhnliche dabei ist die Tatsache, dass Gott zur Ausführung Seines Gerichts Menschen als Werkzeuge benutzt, die noch größere Sünder sind als diejenigen, die bestraft werden. Doch Jesaja wusste bereits um die Vergeltung, die der Assyrer empfangen würde, während der Prophet Habakuk erst auf seine Warte treten musste, um zu erkennen, dass auch die Bosheit der Chaldäer, die Gott zur Ausführung Seiner Pläne benutzte, bestraft werden würde (Kap. 10,12; Hab 1-2).

Mit einer abschließenden Ermahnung endet die Beschreibung des Gerichts über Juda durch den Assyrer. An alle diejenigen, die meinen, das Wort Gottes nicht ernst nehmen zu müssen, richtet sich die Aufforderung Jesajas, nicht Spott zu treiben, um das drohende Gericht nicht noch zu verschlimmern (vgl. Kap. 5,18f.; 2. Pet 3,3-7). Dass das Gericht unabwendbar ist, hat der Prophet von Seiten des Herrn, des HERRN der Heerscharen (hebr. Adonai Jahwe Zebaoth; s. Vers 16) vernommen. Mehrmals wird gerade dieses Gericht über Juda das „Festbeschlossene“ genannt, wenn auch letztendlich die ganze Erde betroffen sein wird (s. Kap. 10,23; Dan 9,26.27; 11,36).

Ein Vergleich (Kapitel 28,23–29)

Die letzten Verse dieses Kapitels verdeutlichen und erklären in gleichnishafter Form die Weisheit Gottes in Seinen Gerichten. Zunächst wird an die volle Aufmerksamkeit appelliert (Vers 23). Wie oft haben Menschen in oberflächlicher und leichtfertiger Weise die Güte Gottes in Frage gestellt, nur weil sie Sein Wort nicht kennen und Seine Gedanken nicht verstehen. Doch schon die genaue Kenntnis der Arbeit eines Landmanns kann uns zeigen, dass erst eine Vielzahl von Tätigkeiten zum Ziel, der Gewinnung der ersehnten Frucht, führt. Dazu gehören manche zeitlich festgelegten, aber auch begrenzten Arbeiten, die eher zerstörerisch anmuten, wie das Pflügen und Eggen des Ackerbodens. Sie sind aber notwendig, damit der Same in den Boden gelegt werden kann (Vers 24). Die verschiedenen Formen des Säens müssen der Art des ausgestreuten Samens entsprechen, ob es sich nun um Dill, Kümmel, Weizen, Gerste oder Hartweizen (ein heute nicht mehr übliches Getreide) handelt (Vers 25). Gott, der den Menschen erschaffen hat, gab ihm auch den Verstand, das alles in der rechten Weise auszuführen (Vers 26).

Doch damit ist die Arbeit des Bauern noch längst nicht beendet. Auch die Ernte hat ihre genauen Gesetze. Die verschiedenen Früchte dürfen nicht alle gleich behandelt werden. Die kleinen Körnchen von Dill und Kümmel können nicht mit dem großen Dreschschlitten oder -wagen ausgedroschen werden, sondern müssen vorsichtig mit einem Stock ausgeschlagen werden (Vers 27). Auch das wertvolle Brotkorn darf nur eine bestimmte Zeit dem Dreschvorgang ausgesetzt sein, damit es nicht zerquetscht wird (Vers 28). Bei all diesen Vorgängen dürfen wir natürlich nicht an die moderne, voll mechanisierte Landwirtschaft denken, sondern an die Zeiten, in denen es die heutigen automatischen Maschinen noch nicht gab!

So mag auch das Handeln Gottes mit den Menschen, besonders aber mit den Seinen, bei oberflächlicher Betrachtung hart und deshalb unverständlich erscheinen. Doch vergessen wir nicht – und das ist die Lektion dieses kurzen Abschnitts –, dass Seine Absichten immer zum Ziel haben, dass durch alles letztendlich Sein Tun und Sein Name verherrlicht werden und Segen für die Menschen dabei herauskommt. Saat und Ernte sind in Gottes Wort oft gebrauchte Bilder für Sein Werk an und mit den Menschen, wobei immer die Frucht für Ihn im Vordergrund steht, auch wenn der Weg dahin mit Züchtigung verbunden ist. „Auch dies geht aus von dem HERRN der Heerscharen [hebr. Jahwe Zebaoth]; er ist wunderbar in seinem Rat, groß an Verstand“ (Vers 29; vgl. Jer 32,19; Röm 11,33-36)!

„Wehe“ über Jerusalem und über die Verächter Gottes

Letzter Angriff und Ende des Assyrers (Kapitel 29,1–8)

Das zweite „Wehe“ gilt Ariel, der „Stadt, wo David lagerte“. Beide Bezeichnungen weisen zweifellos auf Jerusalem hin, wo David einst seine Residenz aufschlug (vgl. Vers 7; 2. Sam 5,6-10). Der hebräische Name Ariel bedeutet sowohl „Gotteslöwe“, d. h. Held, als auch „Gottesherd“, wobei das letztere einerseits eine Bezeichnung für den Brandopferaltar, andererseits ein Hinweis auf Gericht ist, denn der HERR hat Sein Feuer in Zion und Seinen Ofen in Jerusalem (vgl. 2. Sam 23,20; Esra 8,16; Hes 43,15; Jes 31,9).

Schon in den ersten Kapiteln dieses Prophetenbuches wird der von Hochmut, Unmoral und Götzendienst gekennzeichnete damalige Zustand Judas beschrieben. Noch schlimmer wird es in Zukunft unter der Herrschaft des Antichristen sein. Das äußerliche Einhalten der in den Jahresablauf eingebetteten Feiertage, die Gott einst als Seine Feste eingesetzt hatte, kann das in dem Weheruf angekündigte Verhängnis nicht verhindern (vgl. Amos 5,21). Wenn nur Ungerechtigkeit zu sehen ist, dann muss Gericht von Seiten Gottes die unausweichliche Folge sein (Vers 1; vgl. 3. Mo 23; Jes 1,10-15; Amos 4,4f.).

Gott ist nicht nur der Redende, sondern auch der Handelnde. Er wird Ariel, den Gottesherd und die Heldenstadt, die Er so sehr liebt, bedrängen. Wodurch diese Bedrängnis hervorgerufen wird, wird noch nicht gesagt; nur die Folgen werden erwähnt: Seufzen und Stöhnen bei der Bevölkerung. Jerusalem wird für Gott ein Gottesherd sein, in dem das Feuer Seines Strafgerichts brennen wird – und doch schwingt der Gedanke an die Ihm wohlgefälligen Opfer, die auf dem „Gottesherd“ gebracht wurden und einst auch wieder gebracht werden, in diesem Gerichtsspruch mit (Vers 2; vgl. Hes 43,15.16).

Der namentlich nicht erwähnte Feind ist der Assyrer, dessen gewaltiges Heer Gott gegen Jerusalem heranführen und es zur Belagerung der Stadt ringsum Aufstellung nehmen lassen wird (Vers 3). Die Bewohner von Jerusalem werden angesichts der Bedrohung all ihren Hochmut ablegen und nicht mehr laut von oben herab, sondern aus dem Staub, in den sie hinabgedrückt sind, in tiefster Demütigung flüstern (Vers 4; vgl. Kap. 8,19; 28,14ff.).

Doch nun tritt eine Wende ein. Mit einem Schlag wird die Menge der Fremden und der Gewaltigen nichts anderes mehr sein als „feiner Staub“ und „dahinfahrende Spreu“. Könnte es ein eindringlicheres Bild der Wertlosigkeit und Vergänglichkeit weltlicher Macht geben (vgl. Kap. 17,13; 41,2; Dan 2,35)? Ausdrücklich wird hinzugefügt: „In einem Augenblick, plötzlich, wird es geschehen“ (Vers 5). Die Ursache dafür wird in Vers 6 genannt. Der HERR wird sich Seiner geliebten Stadt wieder zuwenden, und zwar begleitet von gewaltigen Naturerscheinungen, aber auch von einer „Flamme verzehrenden Feuers“, dem Bild Seines Handelns im Heiligkeit (vgl. 2. Mo 24,17; Heb 12,29).

Anders als in Kapitel 28,14–22, wo der erste Angriff des Assyrers beschrieben wird, schreitet der HERR jetzt, beim zweiten Angriff, ein. Christus wird in Seiner Herrlichkeit erscheinen und die Feinde vernichten (vgl. Kap. 14,25; 31,4–9). Es kann sich nur um den König des Nordens, den Assyrer, handeln, der in der Endzeit mit vielen Nationen vereint gegen Jerusalem heranziehen und bei seinem zweiten Angriff durch den erscheinenden Sohn des Menschen vernichtet werden wird (vgl. Kap. 8,9.10; Sach 12,2-4). Sanheribs Kriegszug im Jahr 702/701 v. Chr. konnte nur ein schwacher Vorgeschmack des endzeitlichen Angriffs des Assyrers sein. Weder wurden Belagerungswerke errichtet, noch war die Tötung von 185.000 Soldaten des assyrischen Heeres in einer Nacht durch einen Engel des HERRN von Naturereignissen begleitet (2. Kön 19,32-34). Auch die Zerstörungen Jerusalems durch Nebukadnezar, den König von Babel, im Jahr 586 v. Chr. und den römischen Feldherrn Titus im Jahr 70 n. Chr. können hier nicht gemeint sein. In diesen beiden Fällen ist von einem plötzlichen, wunderbaren Eingreifen Gottes zur Vernichtung der Feinde keine Rede. Jesaja spricht hier eindeutig von der Endzeit.

Wie die Gestalten eines nächtlichen Traumes, die soeben noch wie wirkliche Wesen vor der Seele standen, sich beim Aufwachen in Nichts auflösen, so ist „die Menge all der Nationen, die Krieg führen gegen Ariel“, vor den Augen des von Gott befreiten Volkes verschwunden. Gott wird sie wie ein Traumbild vernichten (Vers 7). Aber auch die Feinde selbst, die „Menge all der Nationen, die Krieg führen gegen den Berg Zion“, haben wie in einem Traum gelebt. Sie gleichen Hungrigen und Durstigen, die vom Essen und Trinken träumen, aber beim Erwachen bitter enttäuscht sind. Alle ihre Wunschvorstellungen in Verbindung mit der geplanten Eroberung Jerusalems sind nur Wahn- und Trugbilder gewesen.3

Geistliche Blindheit (Kapitel 29,9–14)

Unvermittelt wendet der Prophet sich nun wieder dem Zustand der Masse des jüdischen Volkes zu, der ja der Grund für das in den vorigen Versen beschriebene Gericht ist. Dieser Zustand kennzeichnete das Volk nicht nur zur Zeit Jesajas (vgl. Kap. 1; 3; 5,8–23), sondern auch seit den Tagen, als der Herr Jesus auf der Erde war. Es ist die schuldhafte Verhärtung des Herzens gegenüber Gott und Seinem Handeln, die Er seinerseits mit einer von Ihm gesandten Verhärtung beantwortet (vgl. Kap. 6,9f.).

Mit den Worten „Stutzt und staunt“ spielt Jesaja wohl auf die Reaktion seiner Zuhörer an, die seine ernsten Weissagungen angehört haben, ohne sie zu Herzen zu nehmen und danach zu handeln. Dieses bewusste Nichtverstehenwollen wird bildlich mit dem Blenden der Augen verglichen, das zur Blindheit führt. Sich gleichsam von ihnen abwendend fährt der Prophet dann mit der Feststellung fort: „Sie sind berauscht, doch nicht von Wein; sie schwanken, doch nicht von starkem Getränk“ (Vers 9). Auch dies ist im Unterschied zu Kapitel 28,7 bildliche Sprache, in der die selbstverschuldete geistliche Benebelung und Haltlosigkeit des Volkes zum Ausdruck kommt.

Wenn der Mensch das Reden und Handeln Gottes in Gnade ablehnt und sich gegen Ihn verhärtet, kann ein Augenblick kommen – den niemand kennt außer Gott –, wo Er das menschliche Herz verhärtet. So sehen wir es beim Pharao in Ägypten (2. Mo 7-11), und so geschah es auch bei denjenigen Juden, die den Herrn Jesus ablehnten und danach noch das Zeugnis des Heiligen Geistes durch Seine Boten verwarfen (Röm 11,25; 2. Kor 3,14-16; 1. Pet 2,7f.). Jesaja spricht schon in Kapitel 6,9 und 10 von solchem Handeln Gottes mit Seinem irdischen Volk. Nicht nur über die Führer, die Propheten und Seher, sondern über das ganze Volk hat der HERR einen Geist tiefen Schlafes ausgegossen und ihre Augen verschlossen (Vers 10).1 Sie, die Sein Wort nicht annehmen wollten, können es jetzt nicht mehr.

Das Ergebnis ist erschütternd. Das Wort Gottes wird nicht mehr verstanden. Für den einen – den Gelehrten – sind die prophetischen Aussprüche Gottes wie eine versiegelte Schrift, für den anderen – den Ungelehrten – unverständlich (Verse 11 und 12). Aber Gott hat Sein Wort nicht gegeben, damit es nicht verstanden wird. Ein aufrichtiger Gläubiger kann Seine Gedanken verstehen, weil er Seinen Heiligen Geist empfangen hat, der uns in die ganze Wahrheit leitet (Joh 16,13). Wenn wir uns aber weigern, Gottes Wort als solches anzuerkennen und anzunehmen – auch wenn es nur bestimmte Teile betrifft –, wird völliges Unverständnis die Folge sein. So war es damals, und so ist es heute noch.

Dieses Sich-Verweigern gegenüber Gott und Seinem Wort ist jedoch nicht immer leicht zu erkennen, weil oft eine äußerliche „Form der Gottseligkeit“ aufrechterhalten wird. Aber Er sieht es, und zwar mit Abscheu. Schonungslos deckt Er den formalen Gottesdienst Seines Volkes auf (vgl. Vers 1). Der gleiche Zustand herrschte im Volk der Juden zur Zeit des Herrn Jesus, der den Pharisäern und Schriftgelehrten, die ihre „Überlieferungen“ über das Wort Gottes stellten, anklagend klagend diese Worte des Propheten Jesaja entgegenhalten musste (Mt 15,1-9). Kann etwa die Christenheit sich heute von dieser Anklage freisprechen? Mund und Lippen mögen fromme Bekenntnisse formulieren, aber wie steht es um unser Herz, den Sitz unseres Willens und unserer Entscheidungen?

In der Wüste wurde Israel eingeschärft: „Höre, Israel: Der HERR, unser Gott, ist ein HERR! Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft“ (5. Mo 6,4f.). Berührt nicht der Jahrtausende alte göttliche Appell uns noch heute: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und lass deine Augen Gefallen haben an meinen Wegen“ (Spr 23,26)? Wie ernst und wichtig ist auch die Ermahnung, die Barnabas an die Gläubigen in Antiochien richtete, „mit Herzensentschluss bei dem Herrn zu verharren“ (Apg 11,23)! Hier muss Gott jedoch von Seinem Volk feststellen, dass es „sich mit seinem Mund naht und mich mit seinen Lippen ehrt und sein Herz fern von mir hält und ihre Furcht vor mir angelerntes Menschengebot ist“ (Vers 13).

Er sieht diese hohle Religiosität nicht nur mit Abscheu, sondern kündigt Sein Eingreifen an. Derselbe Gott, der in Seiner Liebe und Barmherzigkeit Wunder über Wunder für Sein Volk getan hat, wird Seine Wunderkraft jetzt im Gericht betätigen (vgl. 2. Mo 15,11; Jos 3,5). Wenn Er sich in dieser Weise gegenüber Seinem Volk offenbart, dann muss „die Weisheit seiner Weisen zunichte werden und der Verstand seiner Verständigen sich verbergen“ (Vers 14). Die ganze Hohlheit und Nichtigkeit menschlicher Weisheit, die auf Gott verzichten zu können glaubt, wird mit einem Schlag offenbar.

Wenn der Apostel Paulus später diesen Vers anführt, verweist er die vermeintliche Weisheit sowohl der jüdischen Schriftgelehrten als auch der griechischen Philosophen seiner Zeit auf den Platz, der ihr zukommt. Alle menschliche Weisheit muss weichen vor der Weisheit Gottes, die sich in anbetungswürdiger Weise in Christus am Kreuz offenbart hat (1. Kor 1,19)!

„Wehe“ über das Volk (Kapitel 29,15–16)

Nun folgt das dritte „Wehe“ in dieser Reihe, das sich ebenfalls gegen die Angehörigen des irdischen Volkes Gottes richtet (vgl. Kap. 28,1; 29,1). Mögen ihre Lippen auch fromme Worte reden, ihr Herz ist weit von Gott entfernt. Es werden Pläne geschmiedet, die vor dem HERRN verborgen werden, und Taten ausgeführt, die „im Finstern geschehen“ (Vers 15). Gewiss darf man hierin die „Geheimpolitik“ einer Partei in Jerusalem sehen, die auf ein Bündnis mit Ägypten zur Abwehr der assyrischen Bedrohung spekulierte (vgl. 2. Kön 18,20.21; Jes 20,5; 30,1-5); wie wir aus Daniel 11,42 wissen, wird Ägypten jedoch in der Endzeit nochmals eine Rolle in Verbindung mit den Feldzügen des Assyrers gegen Jerusalem spielen. Doch enthält dieser Weheruf darüber hinaus nicht eine grundsätzliche, allezeit gültige Belehrung? Jeremia und Hesekiel begegneten in ihren Tagen ja einer ganz ähnlichen Haltung des Volkes (Jer 23,24; Hes 8,12). Was für eine schreckliche Verirrung des Geistes ist es, zu meinen, Gott sähe nicht ins Herz hinein oder man könnte ohne Ihn auskommen!

Eine solche Haltung ist wirklich nichts anderes als „Verkehrtheit“, d. h. eine völlige Verdrehung der Tatsachen! Der Mensch, der so denkt, verkennt und missachtet den Abstand zwischen Geschöpf und Schöpfer, der doch unendlich viel größer ist als der Unterschied zwischen Ton und Töpfer. Niemand käme auf den Gedanken, den Töpfer mit dem Ton auf die gleiche Stufe zu stellen. Aber wie oft im Lauf der Geschichte haben sich Menschen auf eine Stufe mit Gott gestellt! Was für eine traurige Aktualität hat gerade heute, im Zeitalter der Urknall- und Evolutionstheorie, der Ausspruch über das Verhältnis von „Werk“ und „Meister“ – mit anderen Worten: von Geschöpf und Schöpfer, von Mensch und Gott –: „Er hat mich nicht gemacht“ (Vers 16)! So wenig ein Kunstwerk erklären kann, der Künstler, der es hergestellt hat, verstehe nichts von ihm, ebenso wenig darf ein Mensch seinen Schöpfer verachten, der ihn bis in die tiefsten Tiefen seines Herzens kennt und nur auf seine Umkehr zu Ihm hin wartet!

Verheißung der Umkehr (Kapitel 29,17–24)

Wieder lenkt der Heilige Geist den Blick des Propheten unvermittelt in die – damals noch ferne – Zukunft, in der nach allen Strafgerichten und nach aller Drangsal eine wunderbare Zeit der „Wiederherstellung aller Dinge“ eintreten wird. Fast drei Jahrtausende sind inzwischen vergangen, doch die Wahrheit der Eingangsworte dieses Abschnitts bleibt bestehen: „Noch eine ganz kurze Zeit.“ In dunkler Zeit schenkt Gott in Seiner Gnade den Ausblick auf Sein herrliches Ziel, denn Er ist der Gott der Hoffnung, wie uns das Neue Testament in unvergleichlich deutlicherer Weise zeigt (Röm 15,13; vgl. Lk 12,35-46; Heb 10,37). Vor Seinem Erlösungswerk am Kreuz und Seiner Rückkehr zum Vater hat der Herr Jesus den Seinen gesagt: „Ich komme wieder“, und Seine letzten Worte in der Heiligen Schrift sind: „Ich komme bald“ (Joh 14,3; Off 22,7.12.20). Kritiker reden zwar von einer „unerfüllten Naherwartung“ der ersten Christen, und Spötter ziehen das Kommen des Herrn überhaupt in Zweifel, doch wenn inzwischen auch fast zwei Jahrtausende vergangen sind, ist und bleibt dies die lebendige und glückselige Hoffnung der Christen, wie das Kommen des Messias die Hoffnung der Treuen in Israel war – und nach der Entrückung der Versammlung Gottes auch wieder sein wird. Der Faktor „Zeit“ spielt für uns Menschen zwar eine große Rolle, nicht aber für den ewigen, unwandelbaren Gott, bei dem „ein Tag … ist wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein Tag“ (2. Pet 3,8).

Schon in Kapitel 10,25 hatte Gott Sein Volk mit den Worten getröstet: „Denn noch eine ganz kurze Zeit, so wird der Grimm zu Ende sein und mein Zorn sich wenden zu ihrer Vernichtung.“ Dort ging es um die Vernichtung des Assyrers, hier dagegen um die segensreiche Zeit danach, das Tausendjährige Reich. Nicht von ungefähr bezeichnet der Herr Jesus diese Zeit als die „Wiedergeburt“, denn nicht nur die Menschen, die als Gesegnete des Vaters das ihnen von Grundlegung der Welt an bereitete Reich erben, werden dann von Neuem geboren sein, sondern auch die Natur wird eine nie gekannte Erneuerung erfahren (Mt 19,28; 25,34; Joh 3,5; Jes 11,6-9; 14,7; 41,18f.).

Der Libanon mit seinen hohen Zedern wird von Jesaja manchmal als Bild menschlicher Größe oder Selbsterhöhung gebraucht (Kap. 2,13; 10,34; 60,13), manchmal aber auch wie hier, um die Schönheit und Majestät der Natur zu beschreiben (Kap. 33,9; 35,2). Dieses schon lange seines herrlichen Baumschmucks beraubte Gebirge – denken wir nur an die gewaltigen Libanon-Zedern! – wird sich in einen Baumgarten (hebr. Karmel) verwandeln, und der Baumgarten wird dem Wald gleich geachtet werden. In Kapitel 32,15, wo gleichfalls ein Blick ins Tausendjährige Reich getan wird, finden wir fast dieselben Worte, nur wird dort „Libanon“ durch „Wüste“ ersetzt. In wenigen Worten wird hier also die Erneuerung und Wiederherstellung der Flora im Tausendjährigen Reich skizziert.

Die einleitenden Worte des folgenden Verses (Vers 18) „An jenem Tag“ bestätigen, dass tatsächlich diese Zeit gemeint ist (s. Kommentar zu Kap. 2,11). Die Ablehnung der Botschaft, die Gott damals an Sein Volk richtete, hatte eine Verstockung zur Folge, die im Grunde bis heute andauert (vgl. Kap. 6,9–13; 29,9–12). Doch durch schwere Züchtigungen und Strafgerichte wird ein Teil des jüdischen Volkes in der Zukunft zur Buße und zur Umkehr zu Gott kommen und so von seiner geistlichen Taubheit und Blindheit geheilt werden. Dieser gläubige Überrest der Juden wird dann das Wort Gottes wieder verstehen und erkennen, dass der so lange von ihnen missachtete Jesus ihr Messias ist, der auch für sie am Kreuz gestorben ist.

Die „Sanftmütigen“ werden dann eine immer zunehmende Freude an dem HERRN haben, und die „Armen unter den Menschen“ werden frohlocken in dem Heiligen Israels (Vers 19; vgl. Kap. 1,4). Es ist der gläubige Überrest der Juden, der uns schon in den „Geringen“ und den „Sanftmütigen des Landes“ von Kapitel 11,4 begegnet, und den auch der Herr Jesus vor Augen hat, wenn Er als der verheißene König Israels in der Bergpredigt die „Armen im Geist“ glückselig preist, weil ihnen das Reich der Himmel zuteil werden wird, und die „Sanftmütigen“, weil sie das Land erben werden (vgl. Kap. 10,21; 14,30; 26,6; 41,17; 61,1; Mt 5,3.5).

Der Gewalttätige und der Spötter werden dagegen ein Ende haben, ebenso alle, die die Gerechten schuldlos verurteilt haben (Vers 20).5 Da die beiden Erstgenannten im Singular stehen, können wir im „Gewalttätigen“ (hebr. ariz; dasselbe Wort wie „gewaltig“ in Vers 5) den Assyrer und im „Spötter“ den Antichristen sehen (vgl. „Verwüster“ und „Bedrücker“ in Kap. 16,4). Beide quälen – jeder auf seine Weise – das Volk Gottes und werden dafür bei der Wiederkunft des Herrn Jesus in Herrlichkeit ihre gerechte Strafe empfangen. Besonders die Anhänger des Antichristen haben es auf die Gläubigen im Volk der Juden abgesehen. Mit ungerechten Beschuldigungen bedrücken sie die Gerechten (Vers 21). In Seiner Endzeitrede hat der Herr Jesus Seinen Jüngern diese für den gläubigen Überrest so furchtbare Zeit zwischen der Entrückung und Seiner Erscheinung mit den Worten beschrieben: „Sie werden euch an Synedrien und an Synagogen überliefern; ihr werdet geschlagen und vor Statthalter und Könige gestellt werden um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis; und allen Nationen muss zuvor das Evangelium [d. h. das Evangelium des Reiches, vgl. Mt 24,14] gepredigt werden. Und wenn sie euch hinführen, um euch zu überliefern, so sorgt euch vorher nicht, was ihr reden sollt, sondern was irgend euch in jener Stunde gegeben wird, das redet. Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige Geist. Und der Bruder wird den Bruder zum Tode überliefern und der Vater das Kind; und Kinder werden sich erheben gegen die Eltern und sie zu Tode bringen. Und ihr werdet von allen gehasst werden um meines Namens willen. Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird errettet werden“ (Mk 13,9-13).

Wie wird sich das Bild jedoch bei der Erscheinung des Herrn wandeln! Als Derjenige, der Abraham erlöst hat, indem Er ihn aus einem Land voller Götzendienst berief und ihn auf Grund seines Glaubens rechtfertigte (vgl. 1. Mo 15,6; 48,15f; Jos 24,2f.), wird Er sich dann Seinem Volk vorstellen. Dies wird nun nicht Israel, sondern „Haus Jakob“ genannt (vgl. Kap. 46,3; 48,1), denn während der Name Israel („Gotteskämpfer“) uns die Höhe zeigt, zu der der HERR den Stammvater Seines Volkes im Segen erhoben hat, sehen wir im Namen Jakob („Überlister“) die Tiefe, zu der Er sich in Seiner Gnade herabgeneigt hat. Und welche Tiefen der Entfernung von seinem Gott hat das Volk auch im Lauf seiner langen Geschichte noch durchmessen, obwohl die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob so weitreichende, wunderbare Verheißungen empfangen haben! Wie Abraham aus den Völkern, die im Götzendienst verstrickt waren, erlöst wurde, um der Stammvater des Volkes Gottes zu werden, so wird der Überrest von der großen Masse des Volkes getrennt werden, die von dem HERRN abgefallen ist. Der erlöste Überrest wird dann keine Beschämung mehr kennen, weder wegen seiner eigenen Sünden noch durch fremde Bedrücker (Vers 22; vgl. Kap. 1,29; 29,4; Zeph 3,11).

Staunend und anbetend werden die Kinder Jakobs dann das Werk der Hände ihres Gottes sehen, das sich sowohl im Gericht über das Böse als auch in der geistlichen Erneuerung des irdischen Gottesvolkes manifestieren wird (vgl. Kap. 10,12; 28,21; 60,21). Sie werden den Namen des HERRN heiligen, d. h. ihren Gott so ehren, wie es Seiner Heiligkeit entspricht. In Hesekiel 36,17-23 sehen wir, wie sie das Gegenteil getan haben, indem sie den Namen ihres Gottes durch ihren Ungehorsam und ihre Sünden entweihten, und wie Er selbst in der Zukunft Seinen Namen durch das Gericht über alles Böse wieder heiligen wird. Hier geht es jedoch darum, dass Menschen dieses Handeln Gottes glaubend anerkennen und dadurch Seinen Namen heiligen (Vers 23; vgl. Kap. 8,13). Die gläubigen Juden werden ihren Gott in einer ganz neuen Weise als den „Heiligen Jakobs“ und den „Gott Israels“ erkennen und ehren, ja, vor Ihm beben. Dass Er sich hier nicht, wie so häufig im Buch Jesaja, der „Heilige Israels“, sondern der „Heilige Jakobs“ nennt, zeigt uns wieder die unendliche Gnade, in der Er sich Seinem armen, verirrten Volk zuwenden wird (s. Verse 22 und 23; Kap. 1,4).

Gottes Gnade ist jedoch, wie Sein Wort uns sagt, nicht auf das Volk Israel beschränkt. Jeder, der an den Herrn Jesus und das „Evangelium der Gnade Gottes“ glaubt, darf die Gnade schon heute in reichem Maß erfahren (Apg 20,24; Eph 1,7; 2,8)! Je mehr wir sie kennen lernen, desto größer wird in uns der Wunsch, auch Seiner Heiligkeit zu entsprechen und in der jetzigen Zeit Seinen Namen zu heiligen (vgl. 1. Pet 3,15).

Ein weiteres Ergebnis des Werkes der Hände des HERRN wird im letzten Vers des Kapitels beschrieben: „Und die, die verirrten Geistes sind, werden Verständnis erlangen, und Murrende werden Lehre annehmen“ (Vers 24). Das tiefe Bewusstsein der Güte und Gnade des heiligen Gottes wird in diesen früher so eigenwilligen und murrenden Menschen einen bußfertigen und empfänglichen Geist hervorbringen. Gottes Licht wird die lang andauernde geistliche Dunkelheit vertreiben, der schon der Prophet Jesaja gegenüberstand. Die Verhärtung des Volkes im Irrtum wird einem freudigen Verständnis der Gedanken Gottes Platz machen, und statt des früheren Murrens über Seine Wege mit ihnen wird ein demütiges Verlangen nach Belehrung da sein, das zur Erkenntnis führen wird, dass Gottes Wege mit Seinem irdischen Volk nur Segen zum Ziel haben. Alles dies ist heute noch zukünftig, wenn auch die Zeichen der Zeit auf die baldige Erfüllung hinzuweisen scheinen.

„Wehe“ über den Bund mit Ägypten

Das vierte „Wehe“ wird gegen diejenigen in Juda ausgesprochen, die (vielleicht während der Regierung Hiskias, der ca. 726–697 v. Chr. regierte) ein Bündnis mit Ägypten eingehen möchten, um sich gegen die Bedrohung durch die Assyrer zu schützen (vgl. Kap. 20; 31,8). Der endzeitliche Bezug auf die Flucht eines Teiles der Juden nach Ägypten ist bereits früher (Kap. 20,1–6; 29,15.16) angeklungen. Aber das Kapitel enthält auch kostbare Verheißungen für das Volk Gottes.

Widerspenstige Kinder (Kapitel 30,1–18)

Der HERR betrachtet Sein irdisches Volk, dem dieses „Wehe“ gilt, wie widerspenstige Kinder (oder: Söhne; hebr. ben), die jede Belehrung abweisen und kein Verständnis dafür haben, was gut und nützlich für sie ist. Ohne Ihn zu fragen oder auf Seine Weisung zu warten, machen sie im Verborgenen ihre Pläne, mit den Ägyptern Bündnisse zu schließen, wodurch sie sich gegen die Übermacht der Assyrer zu schützen hoffen (vgl. Kap. 29,15). Sie suchen Hilfe bei der Welt, um Schutz vor der Welt zu finden! Sie haben völlig vergessen, dass Gott sie von allen Völkern abgesondert und zu Seinem Eigentum gemacht hatte und dass sie weder nach Ägypten zurückkehren noch mit den heidnischen Nationen um sie her Bündnisse schließen sollten (2. Mo 13,17; 23,32; 3. Mo 20,26; 5. Mo 17,16). Hatte Er nicht einen heiligen Bund mit ihnen geschlossen, ihnen Seinen Segen und Seine Hilfe verheißen und oftmals bewiesen, wie Er gnädig für sie eintrat? Aber nein, sie wollen nach Ägypten „hinabziehen“, um dort „Zuflucht“ und „Schutz“ zu finden anstatt bei ihrem Gott (vgl. 1. Mo 12,10; Ps 57,2). Im Widerspruch zu Seinem Geist und Willen häufen sie dadurch Sünde auf Sünde, denn Seinen Mund befragen sie nicht. Eine ernste Warnung auch für uns heute, die wir ebenfalls immer wieder in Gefahr stehen, unsere eigenen Pläne ohne Gott zu machen und bei der Welt Hilfe und Unterstützung zu suchen (Verse 1 und 2)!

Das politisch geschwächte Ägypten kann den erwünschten Schutz nicht gewähren. Das Unternehmen wird für Juda in Schmach und Schande enden (Vers 3). Zwar gelangen die abgesandten Fürsten nach Zoan und Hanes in Unterägypten (vgl. Kap. 19,11), aber alle Verhandlungen sind vergeblich, denn Ägypten wird ihnen nichts nützen, „nicht zur Hilfe und nicht zum Nutzen, sondern zur Beschämung und auch zum Hohn“ sein (Verse 4 und 5).

Um dieses niederschmetternde Urteil Gottes über die Pläne Seines eigenwilligen Volkes noch zu unterstreichen, folgt nun der „Ausspruch (oder: „Last“; hebr. massa wie Kap. 13,1) über den Behemot6 des Südens“, der sich auf das südlich von Israel liegende Ägypten bezieht. Der Prophet Daniel nennt den Pharao denn auch „König des Südens“ (Dan 11,40). Da die Abgesandten Judas nicht mit leeren Händen vor den Ägyptern erscheinen wollen, machen sie sich mit einer reich beladenen Karawane auf den beschwerlichen und gefährlichen Weg durch die Wüste, wo Löwen und Schlangen auf sie lauern. Doch sie bemühen sich um ein „Volk, das nichts nützt“, wie der Prophet nochmals unterstreicht (Vers 6). Die Hilfe, die die Ägypter ihnen bieten können ist „umsonst und vergebens“ (wörtlich: „Hauch – oder Nichtigkeit – und Leere“). Gott kann dieses Volk nur als „Großtuer“ (hebr. Rahab) bezeichnen, die in Wirklichkeit nichts auszurichten vermögen (Vers 7).

Diese Weissagung soll Jesaja nun sowohl auf eine Tafel als auch in ein Buch schreiben, einerseits wohl, um sie seinen Zeitgenossen deutlich vor Augen zu stellen, andererseits aber auch, damit sie für die „zukünftige Zeit, auf ewig, bis in Ewigkeit“ bewahrt bleibt (Vers 8; vgl. Hab 2,2). Warum dies nötig ist, wird in den folgenden Versen erklärt.

Gott wiederholt hier Seine Anklage gegen das Volk von Juda (s. Vers 1), das Er „ein widerspenstiges Volk, betrügerische Kinder, Kinder, die das Gesetz des HERRN nicht hören wollen“, nennt. Sie wollen nichts von den Weissagungen und Visionen der Seher Gottes wissen, sondern fordern sie geradezu auf, ihnen Schmeichelhaftes und sogar Täuschendes zu sagen (Verse 9 und 10)! Ein Beispiel für diese Haltung liefern die Propheten zur Zeit der Könige Josaphat und Ahab, die bis auf Micha alle einen positiven Ausgang des geplanten Feldzuges gegen die Syrer weissagten, der doch in Wirklichkeit zum Tode Ahabs führen sollte (1. Kön 22,5-28)! Und was sagt das Neue Testament? „Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen werden, sondern nach ihren eigenen Begierden sich selbst Lehrer aufhäufen werden, indem es ihnen in den Ohren kitzelt: und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren, sich aber zu den Fabeln hinwenden“ (2. Tim 4,3f.). Ist es heute nicht so, dass auch wahre Kinder Gottes nicht mehr mit dem ganzen Ernst des heiligen Wortes Gottes konfrontiert werden möchten?

Schon zur Zeit Jesajas wollte das Volk Gottes von dem Weg, den Gott ihm durch Sein Wort und durch die Propheten zeigte, abweichen, ja, man wollte sogar Ihn selbst, den Heiligen Israels, nicht mehr vor Augen sehen (Vers 11; vgl. Kap. 1,4). So weit ist es mit dem Volk Gottes gekommen, dass der Heilige Israels für sie nur ein „Störfaktor“ ist!

Doch gerade dann, wenn das widerspenstige Volk von dem „Heiligen Israels“ nichts mehr wissen will, stellt Er sich ihnen unter diesem Namen vor (Vers 12; vgl. Vers 15). Mag der Mensch seine Maßstäbe auch ändern, Er bleibt sich selbst treu in unwandelbarer Heiligkeit. Wenn die Juden Seine in den Versen 6 und 7 gegebenen Warnungen vor einem Bündnis mit Ägypten verwerfen und stattdessen auf ihre eigenen bösen Pläne bauen, dann müssen sie die Folgen dieser Sünde (s. Vers 1) tragen. Ihr Vertrauen auf den begehrten Schutz der verbündeten Großmacht wird wie eine eingerissene oder ausbauchende Mauer sein, die plötzlich und unvermutet einstürzt (Vers 13). Ein Mächtigerer wird dreinschlagen und alle ihre ausgeklügelten Pläne so vollständig zunichte machen, wie wenn ein Tonkrug zertrümmert wird, von dem nicht einmal eine Scherbe übrig bleibt, die groß genug wäre, eine glühende Kohle oder einen Schluck Wasser zu fassen. So geschah es in der Vergangenheit bei den Zerstörungen Jerusalems durch Nebukadnezar im Jahr 586 v. Chr. und durch Titus im Jahr 70 n. Chr. (Vers 14; vgl. Jer 19,11; 2. Chr 36,19; Mt 24,2). Seine vollständige Erfüllung wird dieser Gerichtsspruch jedoch beim ersten Angriff des Assyrers in der Endzeit finden (vgl. Kap. 22,1–14; 28,18–22; Joel 2; Sach 14, lf.).

Nochmals wendet sich der Herr HERR (hebr. Adonai Jahwe), der Heilige Israels, mit einem Wort an Sein widerspenstiges Volk, das Ihn wieder und wieder abgewiesen hat. Er erinnert sie daran, wodurch sie gerettet werden könnten: durch „Umkehr“ und „Ruhe“, d. h. durch Buße und Abstehen vom eigenen rastlosen Bemühen. Dies würde aber auch zum „Stillsein“ und „Vertrauen“ führen müssen, zu demütigem Warten und einfachem Glauben an Sein mächtiges Eingreifen, das Er ja seit der Vernichtung der Ägypter am Schilfmeer mehr als einmal bewiesen hatte (Vers 15; vgl. Kap. 7,4; 2. Mo 14,14). Doch das Volk wollte und will nicht auf die Stimme Seines Gottes hören.

Statt auf den Mächtigen Jakobs vertraut es auf Kampfrosse7 (vgl. Kap. 31,1). Aber wenn sie sagen: „Auf Rossen wollen wir fliegen“, dann lautet Seine Antwort: „Darum werdet ihr fliehen“, und wenn sie auf schnellen Pferden reiten wollen, dann werden ihre Verfolger doch noch schneller sein. Ihre vermeintliche Schlauheit wird ihnen nichts nützen (Vers 16; vgl. 2. Kön 25,4.5)! Josua hatte dem Volk Israel sagen können: „Ein Mann von euch jagt tausend; denn der HERR, euer Gott, ist es, der für euch kämpft, so wie er zu euch geredet hat“ (Jos 23,10), und wie bewahrheitete sich dies zum Beispiel beim Kampf zwischen David und Goliath, dem Philister! Aber dem jetzt so ungehorsamen Volk wird das Gegenteil vorausgesagt: „Ein Tausend wird fliehen vor dem Drohen eines Einzigen; vor dem Drohen von Fünfen werdet ihr fliehen“ (Vers 17). Nur ein kleiner Rest des Volkes wird übrig bleiben, einsam wie eine vergessene Stange (vielleicht eine Fahnenstange) auf einem Berggipfel oder ein zurückgelassenes Feldzeichen auf einem Hügel. So trostlos dieses eindringliche Bild auch ist, wir dürfen darin doch bereits einen kleinen Hoffnungsschimmer, einen versteckten Hinweis auf den zukünftigen Überrest sehen, dem Gott sich wieder in Gnade zuwenden wird (vgl. Sach 14,2b).

Diese unergründliche Gnade Gottes leuchtet im letzten Vers des Abschnitts auf, und damit schließt die Weissagung an ein Volk, das sich weigert, auf seinen Gott zu hören. Die Verweigerung zieht ja nicht nur Gericht nach sich, sondern verzögert auch die Erweisung der Gnade Gottes. Gott erlaubt die Züchtigung Seines Volkes bis zum bitteren Ende, damit zum Schluss Seine Gnade triumphieren kann. Die Voraussetzung dazu ist jedoch ein geduldiges, gläubiges Warten auf Ihn (Vers 18). Siebzig Jahre dauerte die Zeit nach der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier, und seit der Verwerfung des Herrn Jesus durch Sein irdisches Volk „zögert“ Gott noch immer, Seinem Volk gnädig zu sein. Und doch wird Er sich in der Endzeit wieder über es erbarmen! Was für eine Glückseligkeit wird das für den gläubigen Überrest sein, wenn Gott sich nach Beendigung aller Gerichte ihm wieder in Gnade zuwenden wird!

Die Begnadigung Zions (Kapitel 30,19–26)

Unvermittelt, aber doch durch das einleitende „Denn“ mit dem vorigen Abschnitt verknüpft, beginnt die Beschreibung eines völlig neuen Zustandes. Andere Städte wie Babel und Ninive wurden zerstört und werden nie wieder bewohnt sein (Kap. 13,19–21; Nah 1,14; 2,14). Aber Zion, der Ort der Königsherrschaft Davids und der Gnade Gottes, wird nicht nur die „Stätte des Namens des HERRN der Heerscharen“ sein, die der Gott Israels zu Seiner Wohnung erkoren hat (Kap. 18,7; 24,23; Ps 87; 132,13f.), sondern auch der Mittelpunkt für das äußerlich und innerlich wiederhergestellte Volk Gottes. Wie so oft in der Heiligen Schrift werden die beiden Namen Zion und Jerusalem für ein und dieselbe Stadt gebraucht. Dort wird wieder ein Volk wohnen! Wer dieses Volk ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Nach fast zwei Jahrtausenden Fremdherrschaft ist die Stadt seit einiger Zeit wieder die Hauptstadt eines jüdischen Staates. Aber wie weit ist dieses Volk jetzt noch von dem Frieden entfernt, der ihm nach dem Wort Gottes verheißen ist!

Die Worte „Du wirst nie mehr weinen“ sind noch weit von ihrer Erfüllung entfernt (vgl. Kap. 25,8; 61,3). Wie viele Tränen sind im Lauf der Jahrtausende in dieser Stadt geweint worden, und wie viele mögen es heute noch täglich sein (vgl. Klgl 1,2)! Aber die größte Trauer steht noch bevor. Es ist die Klage des gläubigen Überrestes während der letzten Drangsal und seine Wehklage bei der Erscheinung Christi als Messias, den sie, d. h. das Volk der Juden, einst durchstochen haben (Sach 12,10ff; Mt 24,30; Off 1,7). Doch Gott verheißt ihnen schon jetzt, dass Er auf ihr tränenreiches Flehen unverzüglich antworten und ihnen Gnade erweisen wird (Vers 19; vgl. Kap. 65,24).8 Dann wird ewige Freude in ihre Herzen einziehen (vgl. Kap. 65,19).

Die gleiche göttliche Gnade gilt heute ebenso für jeden Menschen in dieser Welt, der wie die große Sünderin gebeugt unter der Last der Sünden zu dem Heiland kommt, wie für jedes Kind Gottes, das von einem bösen Weg zum Herrn umkehrt (Lk 7,37-48; 2. Kor 2,7; 7,10): „Die Betrübnis Gott gemäß bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil. „

Für das irdische Volk Gottes wird der Weg dahin durch schwere Prüfungen führen (Vers 20; vgl. 1. Kön 22,27). Doch wird Er ihnen „Brot [in] der Drangsal und Wasser [in] der Trübsal“ geben und ihnen dadurch auch in dieser schweren Zeit schon Seine Barmherzigkeit erweisen, wie Er es immer getan hat und tun wird, „denn nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschenkinder“ (Klgl 3,33). So führt Er sie Schritt für Schritt auf den rechten Weg zurück. Ihre von Ihm selbst hervorgerufene Verblendung hat jetzt ein Ende (s. Kap. 6,10; 29,10). Ihre Lehrer werden sich nicht mehr verbergen, weil man sie und ihre Botschaft nicht annimmt (vgl. Verse 10 und 11), sondern sie werden für alle sichtbar den rechten Weg weisen. Letztendlich wird der Herr Jesus selbst ihr vollkommener Lehrer sein, denn „wer ist ein Lehrer wie er?“ (Hiob 36,22; vgl. Mt 23,8; Joh 3,2). Wenn Gott in Psalm 32,8 sagt: „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten“, dann kann Sein „Rat“ nur erkannt werden, wenn auch unsere Augen auf Ihn gerichtet sind. Doch sobald der rechte Weg verlassen wird, dringt die Stimme des Lehrers von hinten an die Ohren derer, die nach rechts oder links abgewichen sind: „Dies ist der Weg, wandelt darauf“ (Vers 21)!

In diesem Prozess innerlicher, geistlicher Gesundung werden sie sich mit Entschiedenheit von allem trennen, was im Widerspruch zur Heiligkeit Gottes ist (Vers 22). Die an sich unreinen Götzenbilder (5. Mo 7,25f; Apg 15,20) sind in den Augen derer, die ihnen dienen, heilig. Wenn sie nun entweiht und zerstört werden, werden sie vom Standpunkt der Götzendiener aus gesehen „verunreinigt“ (vgl. 2. Kön 22,8.10). Mögen sie auch noch so wertvoll erscheinen, sie werden jetzt weggeworfen wie ein unflätiges Kleid. Wenn auch die Juden nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft nie wieder in die alten Formen des Götzendienstes zurückgefallen sind, die zu dem Gericht Gottes über Sein Volk geführt hatten, wird doch in der Endzeit unter der Herrschaft des Antichristen der Götzendienst in der Anbetung des Bildes und des Antichristen selbst eine nie da gewesene Dimension annehmen (Dan 9,27; 2. Thes 2,4; Off 13,14ff.). Davon wird der Überrest vollkommen frei sein.

In den Versen 23–26 zeigt Jesaja, wie es dem Überrest, der an anderer Stelle als „ganz Israel“ bezeichnet wird (s. Röm 9,27; 11,26), ergehen wird, wenn er zu Gott umgekehrt ist. Die Zeitangabe „an jenem Tag“, die uns so oft in diesem Buch begegnet, weist hier auf den Beginn des Tausendjährigen Reiches hin (s. Kap. 2,11). Zunächst werden einige irdische Segnungen des Volkes beschrieben, das dann den ganzen Reichtum der Fruchtbarkeit des Landes genießen wird (Vers 23). Dieser materielle Segen ist das genaue Gegenteil der Not und des Elends der vorherigen Drangsalszeit und zugleich die Erfüllung der Verheißungen Gottes an Sein irdisches Volk (s. 5. Mo 11,11-15; Joel 2,22ff.). Die Menschen werden reichlich und gut zu essen haben, und sogar die Tiere werden das beste Futter bekommen (Vers 24). Nicht nur der zum Aufgehen der Saat so notwendige Regen wird dann zur rechten Zeit fallen, sondern auch aus der Erde wird das Wasser in kleinen Bächen und großen Wasserströmen hervorquellen (Vers 25). Von diesen irdischen Segnungen sprechen viele Stellen in den prophetischen Büchern des Alten Testaments. Doch wird es auch geistliche Segnungen für Israel und die Nationen im Tausendjährigen Reich geben (vgl. Kap. 32,15–17).

Die Zeitangabe „an dem Tag des großen Gemetzels, wenn Türme fallen“ mag auf den ersten Blick überraschen, doch bestätigt sie nur, dass Gottes Plan für die Zukunft sowohl den reichen Segen für die Bußfertigen als auch das schreckliche Gericht über Seine Feinde beinhaltet.

Hier beginnt der zweite Teil dieses kurzen Abschnitts. Während die bisherigen Beschreibungen wörtlich und in konkretem Sinn zu verstehen sind, wechselt der Prophet hier mitten im Satz in eine bildliche Sprache hinüber. Die fallenden Türme (s. Kap. 2,15) sprechen von der Zerschlagung von Hochmut und militärischer Macht, wohl insbesondere des Assyrers (und vielleicht des römischen Reiches).

Doch gleichzeitig wird der HERR „den Schaden seines Volkes verbinden und die Wunde seines Schlages heilen“ (vgl. Hes 34,16; Hos 6,1). Auch diese Worte sind im übertragenen Sinn zu verstehen. Wie Er auf Grund Seiner Heiligkeit Sein eigenes Volk züchtigend schlagen muss, so wird Er es in Seiner Liebe verbinden und heilen. An jenem Tag wird das Licht des Mondes wie das der Sonne sein und das Licht der Sonne in siebenfacher Stärke, „wie das Licht von sieben Tagen“, scheinen (Vers 26). Zwar werden die einst von Gott gesetzten Lichter zur Beherrschung von Tag und Nacht dann sicherlich in ganz neuer Klarheit über eine Schöpfung leuchten, die gegenwärtig noch in Geburtswehen unter der Knechtschaft des Verderbens seufzt und ebenso wie wir, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auf die Offenbarung der Söhne Gottes wartet (Röm 8,19-23). Doch die bildliche Bedeutung auch dieses Ausspruchs wird durch einen Vergleich mit Kapitel 60,19.20 deutlich. Dort heißt es nämlich, dass im Friedensreich nicht Sonne und Mond, sondern der HERR selbst Seinem Volk zum ewigen Licht und zum Schmuck sein wird. Sowohl von diesem göttlichen Licht als auch von geistlicher Heilung lesen wir ebenfalls in Maleachi 3,20: „Aber euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln.“

Es ist der Herr Jesus selbst, der einst in Niedrigkeit bei Seinem Volk weilte, dessen Angesicht aber – gleichsam als Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit – schon damals einmal leuchtete wie die Sonne, als Er mit einigen Seiner Jünger auf dem heiligen Berg war (Mt 17,2; 2. Pet 1,16-19)! Er ist die wahre Sonne, die Sonne der Gerechtigkeit, unter deren schirmenden und beschützenden Flügeln Sein so schwer gezüchtigtes irdisches Volk einmal Heilung finden wird!

Der Untergang Assyriens (Kapitel 30,27–33)

Wie bereits in den Kapiteln 8,8; 10,12; 29,5–7 wird nun nochmals die endgültige Vernichtung der assyrischen Heeresmacht im Land Israel beschrieben. Ihre Zerschlagung vor Jerusalem durch die Tötung von 185.000 Soldaten in einer Nacht im Jahr 702/701 v. Chr. war nur eine kleine „Vorerfüllung“ dessen, was in der Endzeit stattfinden wird (s. Kap. 37,36–38 und die Einleitung zu Kap. 10,5–34).

Den mit Assur verbündeten Nationen, die fern von Gott leben und Ihn nicht kennen, wird Er sich dann plötzlich und unerwartet mit Seinem Namen Jahwe als der für Sein Volk eintretende Bundesgott Israels in furchtbarem Gericht offenbaren. Das ist wohl die Bedeutung der Worte: „Siehe, der Name des HERRN kommt von fernher“ (Vers 27). Sein gerechter Zorn über die Bosheit der Feinde Seines Volkes wird in vier verschiedenen Bildern geschildert.

  1. Er ist ein alles verzehrendes Feuer, das einen gewaltigen Rauch aufsteigen lässt (vgl. Heb 12,29). Darin kommt Seine Heiligkeit im Gericht zum Ausdruck (vgl. Kap. 33,14). Die Werkzeuge Seines Grimmes sind Seine Lippen und Seine Zunge, das heißt, die Feinde werden durch Sein Wort vernichtet.
  2. Sein Odem ist wie ein überflutender Bach, vor dessen Wassermassen es kein Entrinnen gibt (Nah 1,8). In ähnlicher Weise war der Assyrer früher selbst aufgetreten (Kap. 8,7.8; 28,15; 59,19), doch nun muss er einem Stärkeren begegnen.
  3. Eine Schwinge diente früher wie Sieb oder Worfschaufel zur Reinigung des gedroschenen Korns. Durch die Betätigung einer „Schwinge der Nichtigkeit“ wird offenbar, dass alle diese Nationen nur Spreu sind (vgl. Mt 3,12). Das Gericht Gottes ist also gerecht.
  4. Ein „irreführender Zaum“ spricht von Seiner machtvollen Regierung, die diese Völker ins Verderben führt. Über Sanherib ließ Gott durch Jesaja weissagen: „Wegen deines Tobens gegen mich, und weil dein Übermut in meine Ohren heraufgekommen ist, werde ich meinen Ring in deine Nase legen und mein Gebiss in deine Lippen, und werde dich zurückführen auf dem Weg, auf dem du gekommen bist“ (Jes 37,29). Doch am Ende wird Gott den mit dem assyrischen Heer verbündeten Völkern einen irreführenden Zaum an die Kinnbacken legen. Nicht sie, sondern Er wird das Geschehen bestimmen, das für sie nur noch aus Verderben bringendem Gericht besteht (Vers 28).

Wie nach dem Untergang des ägyptischen Heeres im Schilfmeer wird das befreite Volk Gottes in diesem Augenblick Loblieder singen (Vers 29; vgl. 2. Mo 15). Sein Gesang und die darin zum Ausdruck kommende Herzensfreude werden verglichen mit den nächtlichen Vorbereitungen zu einem Fest und dem von Flötenspiel begleiteten Hinaufziehen „auf den Berg des HERRN“, womit Zion gemeint ist (vgl. Kap. 27,13; 66,20). Aber das wiederhergestellte Volk kommt jetzt nicht mehr wie früher gewohnheitsmäßig und mit verhärtetem Herzen vor Gottes Angesicht (vgl. Kap. 1,11–15; 29,1). Sein Ziel ist jetzt der „Fels Israels“, ein Name des HERRN, den David in seinen letzten Worten zum ersten Mal gebraucht hat (2. Sam 23,3). Welch ein Bild wahrer Wiederherstellung und echter Vorfreude auf das bevorstehende Tausendjährige Reich!

Die Feinde dagegen werden die majestätische Stimme des HERRN hören und Seinen im Gericht auf sie herabfahrenden Arm sehen (Vers 30; vgl. 2. Mo 6,6; Ps 29; Lk 1,51). Nicht durch menschliche Werkzeuge wird die assyrische Militärmacht vernichtet, sondern von Gott selbst, und zwar unter Begleitung von gewaltigen Naturerscheinungen (vgl. Kap. 14,25; 31,8). Die Stimme des HERRN genügt, um Assur zu zerschmettern! Früher hatte dieses mächtige Volk Juda mit dem Stock geschlagen; jetzt geschieht ihm dasselbe durch die züchtigende Hand Gottes (Vers 31; vgl. Kap. 10,24). Jeder der von dem HERRN genau bemessenen Schläge wird von Tamburin- und Lautenspiel begleitet sein. Schon während die Assyrer für immer vernichtet werden, wird das Volk Gottes eine Freude erleben wie nie zuvor (Vers 32).

Der letzte Vers beschreibt bildlich die ewige Strafe für den assyrischen Herrscher: „Denn längst ist eine Gräuelstätte9 zugerichtet“ (Vers 33). Der „König“, für den sie ebenfalls bereitet ist, ist der Antichrist, der auch in Kapitel 57,9 und Daniel 11,36 mit diesem geheimnisvollen Namen bezeichnet wird (vgl. Kap. 8,21; 11,4). Der falsche Messias, den das abtrünnige Volk als seinen König annehmen wird und den der Herr Jesus bei Seinem Erscheinen mit dem Hauch Seines Mundes verzehrt, wird sein Ende gemeinsam mit dem Haupt des römischen Reiches finden. Beide werden lebendig in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt (2. Thes 2,8; Off 19,20). Ähnlich wird es auch Assur ergehen.

„Wehe“ über das Vertrauen auf Menschen

Keine Hilfe von Ägypten (Kapitel 31,1–3)

In Kapitel 31, das sich wie ein kurzes Echo des vorigen Kapitels liest, wird das fünfte „Wehe“ über diejenigen ausgesprochen, „die nach Ägypten hinabziehen um Hilfe“ (Vers 1). Während es am Anfang von Kapitel 30, wo das gleiche Thema behandelt wird, noch um „Pläne“ und „Bündnisse“ handelt, geht es hier um „Hilfe“, um „Pferde, Wagen und Reiter“, das heißt, um die Verwirklichung der Pläne (vgl. Kap. 30,16). Auf diese beeindruckende weltliche Macht sind die Augen der ungläubigen Juden hoffnungsvoll gerichtet, nicht aber auf den HERRN, den „Heiligen Israels“, der doch ihre einzige wirkliche Hilfe ist (s. Kap. 1,4). Welch ein Gegensatz zur Sprache des zukünftigen Überrestes, der in Psalm 20,8 prophetisch sagt: „Diese denken an Wagen und jene an Pferde, wir aber erinnern uns an den Namen des HERRN, unseres Gottes“!

Doch wie klug das irrende Volk sich auch dünken mag, „auch er ist weise und führt Unglück herbei und nimmt seine Worte nicht zurück“ (Vers 2; vgl. 5. Mo 17,16). Er wird all die scheinbar so weisen Pläne zunichte machen und statt des erhofften Guten Unglück (eig. Böses) für das Land Juda und seine Bewohner herbeiführen. Wie oft hat Er Sein Volk zu Buße und Umkehr aufgerufen und Strafe für dessen Ungehorsam angekündigt! Alle Seine Worte werden eintreffen; Er braucht keins davon zurückzunehmen. Sowohl die Juden, die Übeltäter, als auch die Ägypter, ihre Helfer, werden Seine Macht im Gericht zu spüren bekommen.

Die so hoch geschätzten Ägypter sind ja nur Menschen – nicht Gott (hebr. El „der Starke“) – und ihre gefürchteten Streitrosse nur Fleisch – nicht Geist (Vers 3; vgl. Kap. 30,1). Deutlicher könnte der Gegensatz zwischen der Armseligkeit aller menschlichen Hilfsmittel und der Allmacht Gottes nicht zum Ausdruck kommen! Und doch neigt der natürliche Mensch immer dazu, Fleisch zu seinem Arm zu machen. Aber der HERR braucht nur Seine Hand auszustrecken, um sowohl den Helfer als auch den Hilfesuchenden vollständig zunichte zu machen. Wahre Hilfe für Gottes Volk kann nicht von menschlichen Verbündeten kommen, sondern nur von Ihm selbst.

Der HERR und der Assyrer (Kapitel 31,4–9)

In einem besonderen Ausspruch des HERRN darf Jesaja nun seinem Volk diese Hilfe ankündigen. Der HERR der Heerscharen (hebr. Jahwe Zebaoth) selbst wird herabsteigen, um auf dem Berg Zion, Seinem von Ihm so geliebten Hügel, persönlich den Kampf gegen den Feind aufzunehmen.

In Vers 4 tritt Er wie ein Löwe auf. Der in Sprüche 30,30 als „Held unter den Tieren“ charakterisierte Löwe ist ein Bild der Kraft und des Mutes, mit dem Gott sich auch an anderen Stellen der Heiligen Schrift vergleicht (Hos 5,14; 11,10; 13,7). Juda, der Sohn Jakobs, ist der erste Mensch, der als Löwe bezeichnet wird (1. Mo 49,9). Im Neuen Testament ist der Herr Jesus „der Löwe aus dem Stamm Juda“ (Off 5,5). Er, der bei Seinem ersten Kommen wie ein Lamm zur Schlachtung gegangen ist, wird bei Seinem zweiten Kommen auf die Erde wie ein Löwe und ein junger Löwe alle Feinde besiegen. Diese – ob nun die abtrünnigen Juden (Vers 6) oder die heranmarschierenden Assyrer (Vers 8) – werden mit einer Gruppe von Hirten verglichen, die zwar großen Lärm machen, aber keinen Erfolg gegen den „Löwen“ haben werden.

Doch der von Ihm geliebten Stadt und dem treuen Überrest Seines Volkes wird Er nicht wie ein kämpfender Löwe, sondern „wie schwirrende Vögel“ erscheinen. Schon in 5. Mose 32,11 und 12 hat Er sich mit einem Adler verglichen, der seine Jungen auf seinen Schwingen trägt, und in Matthäus 23,37 klagt der Herr Jesus, dass Er sich wie eine Henne, die ihre Küken unter ihre Flügel nimmt, um die Kinder Jerusalems bemüht hat, aber vergeblich. Hier sehen wir, wie der HERR der Heerscharen in Seiner Liebe und in Seinem Erbarmen Jerusalem beschirmt, errettet, schont und befreit, so wie über ihrem Nest schwirrende Vögel ihre Jungen gegen jeden Angriff verteidigen.

Aber die Hilfe von Seiten Gottes wird nicht durch die Glaubenskraft Israels hervorgerufen, sondern einzig und allein durch Seine Liebe zu diesem Volk. Deshalb folgt hier so unvermittelt der Aufruf zur Umkehr zu Ihm, von dem sie schon damals so weit abgewichen waren (Vers 6). Der Ruf richtet sich zunächst an die Zeitgenossen Jesajas (Kap. 30,15), hat aber eine Bedeutung, die weit darüber hinausgeht.

Das geht einmal aus der Ankündigung der zukünftigen Bekehrung des jüdischen Überrestes in Römer 9,27 hervor, wo Paulus die Verse 22 und 23 aus Jesaja 10 anführt, in denen der Prophet von der Umkehr des Überrestes speziell in Verbindung mit der Bedrückung durch den Assyrer spricht. Bestätigt wird dies durch die Worte „an jenem Tag“ in Vers 7. Wie wir schon bei der Betrachtung von Kapitel 2,11 sahen, verwendet Jesaja die Bezeichnung „jener Tag“ häufig für die Zeit nach der Entrückung, in der Gott sich wieder mit Seinem irdischen Volk beschäftigen wird, und zwar sowohl im Gericht als auch in Gnade und Herrlichkeit (vgl. besonders Jes 2,17; 4,2; 11,10; 19,24; 27,13). Wir dürfen hier also nicht nur die Vernichtung des assyrischen Heeres vor Jerusalem um 702/701 v. Chr. sehen, als durch den Engel des HERRN 185.000 Mann in einer Nacht getötet wurden (2. Kön 19,35), sondern in erster Linie die endgültige Vernichtung des Assyrers in der Zukunft (s. „Der Assyrer“, Seite 70–78).

Dann wird der Überrest dem Aufruf seines Gottes zur Umkehr zu Ihm hin Folge leisten und seine Götzen von Gold und Silber verabscheuen (vgl. Kap. 30,22). Diese Weissagung ist in der Geschichte Israels und Judas bisher noch nicht in Erfüllung gegangen. Zwar versuchten die treuen Könige Hiskia und Josia, eine Umkehr des ganzen Volkes zustande zu bringen, aber es gelang ihnen nur zum Teil. Die Könige Manasse, Amon, Jojakim, Jojakin und Zedekia waren dagegen Götzendiener, die taten, „was böse war in den Augen des HERRN, … bis der Grimm des HERRN gegen sein Volk stieg, dass keine Heilung mehr war“ (2. Chr 33,2-7.22; 36,5.9.12.16). Die unausweichliche Folge war die Wegführung des Zweistämmereiches in die siebzigjährige babylonische Gefangenschaft. Nach der Rückkehr verfielen die Juden zwar nicht wieder dem früheren Götzendienst, aber in der Endzeit wird nach den prophetischen Worten des Herrn Jesus der „Gräuel der Verwüstung … an heiligem Ort“ stehen (Mt 24,15). Damit ist der Antichrist gemeint, der sich im Tempel in Jerusalem als Gott verherrlichen lassen wird, vielieicht auch das sprechende Bild des römischen Staatsoberhauptes, das dann von allen angebetet werden muss (Dan 9,27; 12,11; 2. Thes 2,4; Off 13,14.15). Davon wird der gläubige Überrest sich abwenden und zu seinem Gott umkehren.

Dann wird auch die gewaltige Heeresmacht Assyriens im Land Israel fallen, wenn sie zu ihrem zweiten Angriff auf Jerusalem heranzieht (Vers 8). Dieser mächtige Bedränger wird zwar „wie ein Strom“ kommen, aber vor dem Schwert Gottes fliehen, weil der Hauch des HERRN ihn in die Flucht schlagen wird (Kap. 59,19). Während hier nur hervorgehoben wird, dass nicht menschliche Einwirkung oder auch nur Mitwirkung zu diesem Fall führen wird, sagt Gott in Kapitel 14,25, dass Er selbst Assyrien in Seinem Land und auf Seinen Bergen, das heißt in Israel, zerschmettern und zertreten wird. Was für ein schreckliches Gericht wird dieses Heer vernichten! Nicht die Ägypter, die ja nur Menschen und nicht Gott sind (s. Vers 3), sondern Gott wird den Feind vernichtend schlagen.

Doch nicht ganz Assyrien, sondern nur seine Heeresmacht wird vollständig und endgültig vernichtet werden. So erklärt es sich, dass „seine Jünglinge fronpflichtig werden“, das heißt im Dienst anderer arbeiten müssen. Als Staat wird Assyrien auch während des Tausendjährigen Reiches als Bundesgenosse Israels weiter bestehen (Kap. 19,23–25). Doch jetzt wird der früher so starke Führer des Heeres, der hier wohl in dem „Felsen“ zu sehen ist, vor Angst und Schrecken fliehen, und seine Fürsten verzagen vor dem „Banner“, das hier wie in Kapitel 11,10 symbolisch den siegreichen Messias bezeichnet. Es wird ihm nichts nützen. Der HERR hat „sein Feuer in Zion und seinen Ofen in Jerusalem“ (vgl. Mal 3,19). Das Feuer bringt die unbestechliche Heiligkeit Gottes – hier im Gericht – zum Ausdruck (vgl. 2. Thes 1,8). Schon in Kapitel 29,1 haben wir Jerusalem als den „Ariel“, den Gottesherd, gesehen. Hier wird die Stadt durch das Gerichtsfeuer des heiligen Gottes von ihren Feinden befreit und für Sein Wohnen dort gereinigt.

Ausblick auf das Friedensreich

Die gerechte Regierung Christi (Kapitel 32,1–8)

Im vierten Buch der Psalmen, das die Segnungen des Tausendjährigen Reiches beschreibt, heißt es: „Denn zur Gerechtigkeit wird zurückkehren das Gericht, und alle von Herzen Aufrichtigen werden ihm folgen“ (Ps 94,15). Diese Worte sind eine passende Überschrift für den ersten Abschnitt dieses Kapitels, in dem die Reihe der sechs „Wehe“-Rufe (Kap. 28–33) durch einen Ausblick auf die Herrschaft des Messias im Tausendjährigen Reich unterbrochen wird!

Seit dem Sündenfall lebt die Menschheit schon jahrtausendelang in Sünde und Ungerechtigkeit. Zwar hatte Gott Seinem irdischen Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten ein Gesetz gegeben, dessen Beachtung nicht nur zu einem gerechten Zusammenleben des Volkes, sondern auch zur Gerechtigkeit vor Gott geführt hätte (5. Mo 6,25). Aber die Geschichte Israels zeigt nur eins, nämlich dass durch das Halten des Gesetzes niemand vor Gott gerechtfertigt werden kann (Röm 3,20).

Deshalb kam der Sohn Gottes als Mensch auf die Erde, um hier als der einzige Heilige und Gerechte zu leben (Apg 3,14). Aber durch Sein vollkommenes Leben konnte kein Mensch errettet werden. So musste Er, der Gerechte, für uns, die Ungerechten, sterben, damit Er uns zu Gott führe (1. Pet 3,18). Wer an Ihn glaubt, wird vor Gott gerechtfertigt, das heißt, gerecht gesprochen, ja, er ist jetzt Gottes Gerechtigkeit in Christus (2. Kor 5,21)!

In einer immer noch ungerechten Welt müssen diejenigen, die an den Herrn Jesus glauben, um der Gerechtigkeit willen leiden (Mt 5,6.10; 1. Pet 3,14). Aber wenn der Sohn des Menschen mit den Erlösten aus dem Himmel herabkommen und auf der Erde als „Sonne der Gerechtigkeit“ erscheinen wird, dann wird die Gerechtigkeit Gottes den Menschen nahe gebracht und in ganzer Herrlichkeit offenbart werden (Jes 46,13; 56,1; Mal 3,20). Er wird nicht nur „der Gerechtigkeit kundig“ sein, sondern auch in Gerechtigkeit richten, zunächst die versammelten Nationen vor Seinem Thron der Herrlichkeit, dann aber auch während Seiner ganzen Herrschaft, die tausend Jahre dauern wird (Jes 11,4; 16,5; 51,4-8; Off 20,4-6).

Die zukünftige Königsherrschaft eines Nachkommen des Königs Davids hat Jesaja schon in den Kapiteln 9,6 und 7; 11,1–10 und 16,5 angekündigt. Auch Jeremia spricht davon: „Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da ich David einen gerechten Spross erwecken werde; und er wird als König regieren und verständig handeln und Recht und Gerechtigkeit üben im Land“ (Jer 23,5). Dieser „Spross Davids“ ist der Herr Jesus, der Fleisch gewordene Sohn Gottes (Mt 1,1; Apg 2,22-36). Während Seiner Herrschaft wird Satan gebunden und seines Verderben bringenden Einflusses auf die Menschen beraubt sein (Off 20,1-3). Endlich werden die Menschen ungehindert in der Lage sein, das zu tun, wozu Gott sie geschaffen hat: Ihm zu dienen (Lk 1,74.75). Versuchung und Verführung von außen wird es nicht geben, weil der Verführer gebunden ist. Aber die sündige Natur des Menschen bleibt unveränderlich und wird sich auch während dieser herrlichen Zeit offenbaren. Doch jede öffentlich geschehene Sünde wird sofort und unwiderruflich bestraft (Ps 101; Jes 66,24). – Erst wenn nach den tausend Jahren Himmel und Erde vergehen und der ewige Zustand vollkommener Herrlichkeit beginnt, werden neue Himmel und eine neue Erde erstehen, in denen Gerechtigkeit wohnt (2. Pet 3,13).

Doch während der tausend Jahre wird der Herr Jesus als „König regieren in Gerechtigkeit“ (Vers 1). Bei den Fürsten, die Ihn begleiten und „nach Recht herrschen“, denken wir zunächst an die Jünger, denen der Herr Jesus das Gericht über die zwölf Stämme Israels zugedacht hat: „Ich bestimme euch, wie mein Vater mir bestimmt hat, ein Reich, damit ihr esst und trinkt an meinem Tisch in meinem Reich und auf Thronen sitzt, um die zwölf Stämme Israels zu richten“ (Lk 22,29.30; vgl. Mt 19,28). Aus dem Buch des Propheten Hesekiel wissen wir darüber hinaus, dass in Jerusalem ein „Fürst“ als irdischer Stellvertreter Christi das Volk Israel regieren wird (Hes 34,24; 37,24; 44,3; 45,16; 46,2-18). Auch die verherrlichten Gläubigen, die mit dem Herrn Jesus erscheinen, werden mit Ihm herrschen (2. Tim 2,12; Off 5,10; 20,6).

Der „Mann“ (Vers 2) ist derselbe wie der „König“, nämlich Christus, der Sohn des Menschen, den Gott aus den Toten auferweckt und zu Seiner Rechten gesetzt hat „über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles seinen Füßen unterworfen und ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben“ (Eph 1,20-22; vgl. Dan 7,13.14.26.27; Joh 5,27; Heb 2,5-9).10 Während uns im Neuen Testament in erster Linie die himmlische Herrlichkeit und unsere himmlische Hoffnung offenbart werden, ist das Thema der alttestamentlichen Prophetie die Herrschaft und Herrlichkeit Christi auf der Erde. Er wird nicht nur in Gerechtigkeit herrschen, sondern auch für alle Bedrängten sein „wie ein Bergungsort vor dem Wind und ein Schutz vor dem Unwetter, wie Wasserbäche in dürrer Gegend, wie der Schatten eines gewaltigen Felsen in lechzendem Land“ (vgl. Kap. 4,6; 25,4; 26,4).

Die Jesaja 6,9 und 10 angekündigte Verhärtung des Volkes Israel wird dann der Erleuchtung Platz machen (vgl. Jes 29,18; 30,21; Joh 12,37-41; Röm 11,25; 2. Kor 3,14-16). Augen und Ohren der Menschen werden dann wieder für das Handeln und die Botschaft Gottes geöffnet sein. Mit erneuerten Herzen werden sie Gott und Seinen Willen erkennen und in deutlicher Sprache Seine Gedanken verkündigen (Vers 3 und 4; vgl. Jer 31,33.34).

Dann werden auch Gemeine (hebr. nabal „Tor, gemeiner Mensch“) und Arglistige als solche erkannt und nicht mehr edel und vornehm genannt werden. Bosheit und Heuchelei werden ein Ende haben (Vers 5). Gemeinheit oder Torheit richtet sich zwar in erster Linie gegen die Mitmenschen, letztlich aber gegen Gott, den HERRN (Vers 6 und 7; vgl. Ps 14,1). Im Gegensatz dazu sind die Sanftmütigen und Armen diejenigen, denen das Reich Gottes verheißen wird, und ein Edler ist jemand, der nicht seine eigenen Interessen verfolgt, sondern diejenigen Gottes (Vers 8; vgl. Mt 5,3-11; Apg 17,11).

Eine Warnung (Kapitel 32,9–14)

Nun hat der Prophet wieder den moralischen Zustand des Volkes vor Augen, der demjenigen vor der Erscheinung Christi ähnelt. Besonders die leichtfertigen Frauen trugen in seiner Zeit sehr zum sittlichen Niedergang Judas bei (vgl. Kap. 3,16ff.). In ihrer sorglosen Sicherheit (die in den Versen 9–11 drei Mal erwähnt wird) dachten sie zwar, alles würde so bleiben, wie es ist, aber Jesaja mahnt sie mit heiligem Ernst, seine Voraussagen über eine gewaltige Veränderung ihrer Lebensumstände zu hören und zu Ohren zu nehmen (Vers 9).

Der Ausdruck „nach Jahr und Tag“ kann sich sowohl auf die Zeitspanne bis zum Angriff der Assyrer im Jahr 702/701 v. Chr. wie auf die damals noch weit entfernte Gerichtszeit der Zukunft beziehen (Vers 10). Die gleiche Haltung, die damals in Juda herrschte, wird auch die Menschen vor der Erscheinung des Herrn Jesus kennzeichnen: „Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit!, dann kommt ein plötzliches Verderben über sie, wie die Geburtswehen über die Schwangere; und sie werden nicht entfliehen“ (1. Thes 5,3). Ihre leichtfertige Sicherheit und Sorglosigkeit würde sich in Klagen verwandeln, und die fruchtbaren Felder würden zu Wildnissen mit Gestrüpp und Dornen werden. Der Königspalast und die belebte Stadt Jerusalem mit ihren Befestigungen würden zu Wohnstätten von Haus- und Wildtieren werden (Verse 11 bis 14).11 Alles dies wurde zwar während des assyrischen Angriffs um 702/701 v. Chr., während der siebzigjährigen Gefangenschaft Judas (606–537 v. Chr.) und nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. teilweise Wirklichkeit, aber die Beschreibung scheint doch über diese Ereignisse hinauszugehen und auf die Endzeit hinzudeuten.

Die Worte „in Ewigkeit“ in Vers 14 sind – wie der folgende Vers zeigt – wie öfter im Alten Testament nicht im absoluten Sinn gemeint, sondern bezeichnen einfach eine unabsehbar lange Zeit. Während die Ungläubigen meinen und hoffen, so würde es immer bleiben, und dem Land und Volk der Juden keine Zukunft geben, andere jedoch trotz banger Hoffnung kein Ende der Verwüstung absehen, sieht Gott doch in Seiner Allwissenheit und Gnade das Ende schon am Anfang. Dieser große Augenblick wird in Vers 15 beschrieben.

Der Segen des Millenniums (Kapitel 32,15–20)

„… bis der Geist über uns ausgegossen wird aus der Höhe“ (Vers 15). Wenn der Überrest des Volkes der Juden in Buße und Glauben zu Seinem Gott umkehren und den Herrn Jesus als seinen Messias annehmen wird, dann wird Gott Sein Angesicht nicht mehr vor ihnen verbergen, sondern Seinen Heiligen Geist über sie ausgießen (s. Kap. 44,3; Hes 36,27; 39,29). Dies wird das Zeichen und Siegel Seiner Anerkennung für Sein gläubiges Volk sein, darüber hinaus jedoch für die Gläubigen aus den Nationen, die in das Tausendjährige Reich eingehen, denn nach Joel 3,1-5 wird der Geist dann nicht nur auf den gläubigen Überrest, sondern „über alles Fleisch“ ausgegossen werden.

Als Petrus am Pfingsttag in Jerusalem die Worte des Propheten Joel zitierte, sprach er nicht von einer Erfüllung der alttestamentlichen Weissagung, sondern gebrauchte die allgemein gehaltenen Worte: „Dies ist es, was durch den Propheten Joel gesagt iss …“ (Apg 2,16), denn die wirkliche Erfüllung wird erst erfolgen, wenn Israel seinen Messias im Glauben angenommen haben wird. Das Kommen des Heiligen Geistes zur Bildung der Versammlung Gottes war nur eine teilweise Vorwegnahme der endgültigen Erfüllung – allerdings mit äußerst weit reichenden Folgen. Erstens wurde am Pfingsttag der Heilige Geist nicht „auf alles Fleisch“ ausgegossen, sondern nur auf die wenigen Gläubigen, die in Jerusalem beisammen waren. Zweitens enthält das Alte Testament keine Weissagungen über die Versammlung, denn sie ist das „Geheimnis des Christus“, das erst nach Seiner Himmelfahrt und dem Kommen des Heiligen Geistes offenbart worden ist (Eph 3,3-10). Die wirkliche Erfüllung der alttestamentlichen Weissagungen über die Ausgießung des Heiligen Geistes auf den gläubigen Überrest der Juden und auf alle Menschen steht also noch bevor.

Das Land der Juden, das bis dahin eine Wüste war, wird dann in einen Baumgarten (hebr. Karmel) verwandelt werden, und der Baumgarten dem Wald gleichgeachtet werden. Schon in Kapitel 29,17 hatte der Prophet mit ähnlichen Worten die Regeneration der Natur am Anfang des Tausendjährigen Reiches beschrieben (vgl. Kap. 35,1). Und doch scheint die Ausdrucksweise des Propheten in Vers 16 zu zeigen, dass es sich nicht nur um das Land, sondern auch um die Herzen der Menschen handelt: „Und das Recht wird sich niederlassen in der Wüste und die Gerechtigkeit im Baumgarten wohnen“.

Überall wird als Frucht der Gerechtigkeit Frieden, Ruhe und Sicherheit herrschen, und zwar „in Ewigkeit“ (Vers 17). Da das Tausendjährige Reich, wie sein Name besagt, ein Ende haben wird, haben die Worte „in Ewigkeit“ nicht die uns aus dem Neuen Testament geläufige Bedeutung. Wenn nach Daniel 7,14 „seine Herrschaft eine ewige Herrschaft [ist], die nicht vergehen wird, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird“, wird damit deutlicher ausgedrückt, was mit „ewig“ gemeint ist: Das Millennium wird die letzte Regierungsform auf der Erde sein und durch keine andere ersetzt werden. Darüber hinaus wissen wir aus Offenbarung 22,5, dass der Sohn des Menschen wirklich eine ewige Herrschaft ausüben wird.

Gott nennt Israel dann auch wieder „mein Volk“ (Vers 18; s. Kap. 6,9). Wenn es zu Ihm umgekehrt ist, wird Er es als solches anerkennen, obwohl es immer Sein Volk war und blieb (vgl. Hos 2,1; Röm 11,2). Die Wohnungen des Volkes werden dann von Frieden, Sicherheit und unbeschwerter Ruhe erfüllt sein (vgl. Mich 4,4; Sach 14,11).

In Vers 19 wird plötzlich die Betrachtung der fried- und segensvollen Szene ganz kurz für einen nochmaligen Rückblick auf das Ende des Assyrers unterbrochen. „Es wird hageln beim Sturz des Waldes.“ Der Wald ist uns aus Kapitel 10, Vers 18 und 34 als Bild des mächtigen Assyrerheeres bekannt, und in Kapitel 30,30 wird der Hagel als Bild des Gerichtes Gottes über diese Macht gebraucht. Auch „die Stadt wird in Niedrigkeit versinken“. Das schon mehrfach erwähnte stolze Bild menschlichen Organisationstalents und menschlicher Größe wird zerschlagen werden (vgl. Kap. 25,2; 26,5). Die ganze vermeintliche Weisheit und Macht der ungläubigen Menschen wird an jenem Tag völlig zunichte werden.

Doch dann wendet sich der Blick wieder dem gesegneten Zustand des irdischen Volkes Gottes im Tausendjährigen Reich zu. Zum zweiten Mal wird ihm das Wort „glückselig“ zugerufen. Das erste Mal geschah es, um den gläubigen Überrest in der Drangsal zu ermuntern (Kap. 30,18), hier auf Grund der kommenden, überreichen irdischen Segnungen; eine dritte Seligpreisung gilt denen, die das Wort Gottes beachten (Kap. 56,2). Ja, glückselig werden alle sein, „die das Land besitzen“ (Ps 37,9.11.22.29.34). Sie werden ohne viel Mühe und Arbeit säen können, wo immer ein genügend bewässerter und daher fruchtbarer Boden ist, und brauchen nicht mehr ängstlich über das Vieh zu wachen, um es daran zu hindern, die Ackerfrucht zu zerstören (vgl. Kap. 30,23–25).

„Wehe“ über Assyrien

Der Verwüster wird verwüstet (Kapitel 33,1–13)

Das sechste und letzte „Wehe“ in dieser Reihe richtet sich gegen einen Verwüster, der selbst nie verwüstet wurde, und gegen einen Räuber (oder: einen treulos und räuberisch Handelnden), der nie beraubt worden ist. Der „Verwüster“ ist der bereits in Kapitel 16,4 so bezeichnete Assyrer (vgl. Jer 6,22-26; Dan 9,27), während der „Räuber“ möglicherweise die hinter ihm stehende, nur bei Hesekiel erwähnte Macht von Gog ist (Hes 38 und 39). Die enge Verbindung des Assyrers, des Königs des Nordens, mit Gog, der Großmacht im äußersten Norden, zeigt die an den Letzteren gerichtete Frage Gottes in Hesekiel 38,17: „Bist du der, von dem ich in vergangenen Tagen geredet habe durch meine Knechte, die Propheten Israels, die in jenen Tagen jahrelang weissagten, dass ich dich gegen sie heranbringen würde?“ Diese Frage nimmt offenbar Bezug auf die Weissagungen früherer Propheten über Assyrien. Es ist daher nicht mit Sicherheit zu sagen, ob der „Verwüster“ und der „Räuber“ verschiedene Bezeichnungen für den Assyrer sind oder ob mit der zweiten Gog gemeint ist. Im weiteren Verlauf des Kapitels scheint der Feind jedenfalls der Assyrer zu sein, der in vielen Prophetien noch nicht deutlich von Gog unterschieden wird.12

Christus, der König, hat Seine Herrschaft in Gerechtigkeit angetreten (Kap. 32,1). Gott ist mit Seinem Volk zu Seinem Ziel gekommen, und jetzt wird auch das Werkzeug vernichtet, das Er vorher zu dessen Züchtigung benutzt hat (Vers 1; vgl. Kap. 10,5–19). Dieser große Feind Israels wird hier, abgesehen von dem historischen Einschub in Kapitel 36–39, zum letzten Mal im prophetischen Teil des Buches Jesaja erwähnt.

Dieser letzte Angriff bringt große Bedrängnis für den gläubigen Überrest mit sich, der wegen seiner Treue und seines Glaubens an den von ihm erwarteten Messias leidet und in seiner Not zu dem HERRN fleht (Vers 2; vgl. Kap. 25,9). Doch welch ein Segen ist es, in der Bedrängnis gläubig auf den HERRN schauen zu können! Seine gnädige Antwort auf das flehende Gebet kommt zur rechten Zeit, die Er allein kennt. Mag auch jeden Morgen die „überflutende Geißel“ hindurchfahren (s. Kap. 28,19), so dürfen sie sich doch auch im Glauben an jedem neuen Morgen auf Seinen starken Arm stützen! Er ist die einzige wahre Rettung (hebr. jeschua) für Sein Volk in der Bedrängnis.

Es fällt auf, dass am Anfang und am Ende dieses Verses der gläubige Überrest, dazwischen jedoch ein anderer spricht: „O HERR, sei uns gnädig! Auf dich harren wir; sei ihr Arm jeden Morgen, ja, unsere Rettung zur Zeit der Bedrängnis!“ Sicher ist zunächst an den Propheten zu denken, der sich als Fürsprecher seines schwer geprüften Volkes sieht, aber darüber hinaus dürfen wir hier einen Hinweis auf Christus sehen, wie Er sich für die Seinen verwendet, ja, sich mit dem bedrängten Überrest eins macht, und von dem Kapitel 63,9 sagt: „In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt, und der Engel seines Angesichts hat sie gerettet.“

Sogleich darf der Prophet die Antwort Gottes schauen und freudig bekunden: „Vor dem Brausen deines Getümmels fliehen die Völker, vor deiner Erhebung zerstreuen sich die Nationen“ (Vers 3). Die Zerschlagung des assyrischen Heeres und der verbündeten Nationen, die Gott allein, ohne menschliche Mitwirkung, vollziehen wird, wird von gewaltigen Naturerscheinungen begleitet sein (s. Kap. 14,25; 30,30.31; 31,8). Dadurch wird sich das Blatt völlig wenden! Der folgende Vers richtet sich an die Assyrer: Die bislang von ihnen Bedrückten werden wie ein gewaltiger Schwarm von Heuschrecken zum Beutemachen ausschwärmen (Vers 4).

Die Verse 5 und 6 richten unseren Blick auf den HERRN, der dann hoch erhaben sein wird (vgl. Kap. 12,4). Er wohnt in der Höhe und im Heiligtum, aber auch bei dem, der zerschlagenen und gebeugten Geistes ist (Kap. 57,15). Weil Sein Volk zu Ihm umgekehrt ist, kann Er Zion jetzt wieder mit Recht und Gerechtigkeit füllen. Nach all den Wechselfällen vergangener Jahrhunderte werden ihre Zeiten (oder: ihre Zeitverhältnisse, Geschicke; vgl. Ps 31,16) wieder von göttlicher Festigkeit gekennzeichnet sein. Die sittliche Veränderung, die stattgefunden hat, zeigt sich auch darin, dass die Juden nicht mehr den materiellen Wohlstand als Segen betrachten, denn ihr Teil wird dann Fülle von Rettung oder Heil (hebr. jeschua), von Weisheit und von Erkenntnis sein. Sie haben gelernt, dass die Furcht des HERRN ihr eigentlicher Schatz ist.

Wieder wendet sich der Blick des Sehers zurück zur Bedrückung durch die Feinde. Die geschichtliche Parallele kann dabei – wie so oft – nur als vordergründige Erfüllung betrachtet werden. Als Sanherib (702/701 v. Chr.) Juda eroberte, zahlte Hiskia ihm 300 Talente Silber und 30 Talente Gold dafür, dass er umkehren würde. Aber Sanherib brach das geschlossene Abkommen und sandte von Lachis aus ein großes Heer gegen Jerusalem (2. Kön 18,13 - 19,37). Dass „ihre Helden“13 und die „Friedensboten“, die Abgesandten Hiskias, angesichts dieser Wendung zum Negativen schreien und bitterlich weinen, ist verständlich, denn der König von Assyrien „hat den Bund gebrochen, die Städte verachtet, keinen Menschen geachtet“ (Verse 7 und 8).

Die prophetische Bedeutung für die Zukunft ist jedoch nicht einfach zu erkennen. Einige Auslegungen sehen hier das gottlose Handeln des römischen Staatsoberhauptes, der mit der Masse des jüdischen Volkes in der letzten Jahrwoche Daniels einen Bund schließen, aber nach dreieinhalb Jahren brechen wird (vgl. Kap. 28,14–18; Dan 9,27). Nach anderer Deutung wird der Assyrer unter dem jüdischen Volk verborgene Anhänger haben, die er mit List auf seine Seite gezogen hat und die bei seinem letzten Angriff bitter darüber enttäuscht sein werden, dass er den Bund mit ihnen gebrochen hat (vgl. Dan 8,23-25; Nah 1,11).

Der Angriff der Assyrer wird nicht nur große Enttäuschung, sondern auch gewaltige Zerstörungen mit sich bringen. Städte und Verbindungswege, aber auch die lieblichsten Landschaften werden zerstört werden (Vers 8 und 9). Der wegen seiner Zedern berühmte Libanon, die wasserreiche Ebene Saron, das für sein gutes Vieh bekannte Gebiet Basan und der bewaldete Karmel gehören zu den schönsten und fruchtbarsten Gegenden des ganzen Landes (vgl. Kap. 35,2). Kahl und wüstenähnlich werden sie dann daliegen.

Dann wird jedoch der Augenblick kommen, wo der HERR sagen wird: Genug! Wenn das Sündenmaß Assyriens voll sein wird, für Gottes Volk dagegen alles verloren zu sein scheint, wird die Stunde der Erlösung kommen. Er wird Sein dreimaliges göttliches „Nun“ aussprechen, um Sein Eingreifen anzukündigen. Er wird aufstehen, sich emporrichten und sich erheben (Vers 10; vgl. Ps 12,6; 68,2). Die Wertlosigkeit aller Pläne der Assyrer zur Zerstörung Jerusalems könnte nicht treffender ausgedrückt werden als mit den Worten: „Ihr geht schwanger mit Heu; Stoppeln werdet ihr gebären.“ Ihr für Menschen beängstigendes „Schnauben“ wird ihr eigenes Urteil sein, denn es ist wie ein Feuer, das nicht nur ihre Pläne, die nicht mehr wert sind als Heu und Stoppeln, sondern sie selbst verzehren wird (Vers 11)! Das assyrische Heer und die verbündeten Völker werden wie beim Kalkbrennen zu einer einzigen kochenden Masse werden und wie abgehauene, vertrocknete Dornen im Feuer verbrannt werden (vgl. Kap. 9,17). Wenn das Gericht vollzogen ist, sollen Ferne und Nahe hören, was Gott getan hat, und Seine Macht erkennen (Vers 13).

Ein Blick in das Millennium (Kapitel 33,14–24)

Das Gericht Gottes wird nicht nur die von außen gegen Sein Volk anstürmenden Feinde treffen, sondern auch die vielen gottlosen Juden werden jetzt den Lohn dafür erhalten, dass sie Ihn verachtet haben. Sie sind „die Sünder in Zion“ und „die Ruchlosen“, die bei der Erscheinung des Herrn Jesus aus dem Himmel erschrecken, beben und fragen werden: „Wer von uns kann weilen bei verzehrendem Feuer? Wer von uns kann weilen bei ewigen Gluten?“ (Vers 14; vgl. Ps 15; 24,3.4). Die Erscheinung des Herrn Jesus in Herrlichkeit ist ein Kommen „in flammendem Feuer“ (2. Thes 1,8; vgl. Mal 3,19). Feuer ist in der Bibel oft ein Bild der unveränderlichen, unbestechlichen Heiligkeit des ewigen Gottes, die sich im Gericht offenbart (vgl. 5. Mo 4,24; Heb 12,29). In panischem Schrecken werden die Gottlosen versuchen, vor dem Herrn zu fliehen, aber es wird ihnen nichts nützen (Sach 14,5). Sein schonungsloses Gericht wird sie genauso treffen wie alle Menschen aus den Nationen, die das Evangelium des Reiches in der Zeit der Drangsal nicht in Buße und Glauben angenommen haben (Kap. 5,25).

Wie die Antwort des Propheten auf die erschrockenen Fragen zeigt, werden nur diejenigen angesichts der göttlichen Heiligkeit bestehen können, die in Gerechtigkeit wandeln und aufrichtig reden, die unrechtmäßigen Gewinn hassen und unbestechlich sind, die nichts von Bluttaten hören und nichts Böses sehen wollen (Vers 15). Diese Kennzeichen charakterisieren Menschen, die von neuem geboren sind, und damit auch den gläubigen Überrest des jüdischen Volkes. Für sie wird es kein Feuer des Gerichts geben, sondern vollkommene Sicherheit. Sie werden in der nun anbrechenden Zeit des Friedens und des Segens im übertragenen Sinn auf Höhen wohnen, Felsenfestungen als ihre Burg besitzen und keinen Mangel haben (Vers 16).

Doch ihr höchstes Vorrecht wird es sein, ihren König in Seiner Schönheit zu sehen (Vers 17)! Er ist Derselbe, der schon in Kapitel 9,6 und 7, Kapitel 11,1–10 und Kapitel 16,5 als Nachkomme Davids auf dessen Thron gesehen wird, aber zugleich Derjenige, bei dessen Anblick Jesaja ausrief: „Wehe mir! Denn ich bin verloren; denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen, und inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen wohne ich; denn meine Augen haben den König, den HERRN der Heerscharen, gesehen“ (Kap. 6,5; vgl. Joh 12,41). Sowohl als ewiger Gott als auch als Sohn des Menschen ist Er der König der Könige und Herr der Herren (vgl. 1. Chr 29,11; 1. Tim 6,15; Off 19,16). Das wird durch den triumphierenden Ausruf der gläubigen Juden bestätigt, die so sehnsüchtig auf das kommende Reich Gottes gewartet haben: „Der HERR [ist] unser König“ (Vers 22)!

Wir dagegen dürfen im Glauben schon jetzt unseren auf der Erde verachteten Herrn als verherrlichten Menschen zur Rechten des Thrones der Majestät in der Höhe sehen und durch das Betrachten Seiner unaussprechlichen Herrlichkeit in Sein Bild verwandelt werden (2. Kor 3,18; Kol 3,1; Heb 1,3; 12,2). Wir sehen Ihn dort als unseren Erlöser und Herrn, als unseren Sachwalter und Hohenpriester, als Haupt Seiner Versammlung und Bräutigam Seiner Braut. Wie viel größer sind diese Herrlichkeiten als Seine Königsherrschaft im Tausendjährigen Reich! Doch auch daran werden wir teilhaben, denn wenn Er als Richter und Herrscher der Welt erscheinen wird, werden wir Ihn begleiten, so wie Mose und Elia mit Ihm zusammen während der Verherrlichung auf dem Berg den drei Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes erschienen, denen das Vorrecht zuteil wurde, in prophetischer Vorschau „den Sohn des Menschen kommen [zu] sehen in seinem Reich“ (Mt 16,28 bis 17,8; vgl. 2. Pet 1,16-19). Dann wird jedes Auge nur auf Ihn blicken und die Herzen derer, die Ihn kennen, werden nur von Ihm erfüllt sein (1. Thes 3,13; 2. Thes 1,10; Off 1,7; vgl. Mt 5,8).

Das „weithin offene Land“ ist das verheißene Land in seiner ganzen prophetischen Ausdehnung vom Euphrat bis an den Nil, wie das Volk Israel es in seiner bisherigen Geschichte nie in Besitz genommen hat (s. 1. Mo 15,18; vgl. Jes 26,15). Weder Abraham, dem Gott es zuerst verheißen hat, und der sich doch nur als Fremdling darin aufhalten durfte, noch Mose, der es vom Gipfel des Pisga aus betrachten durfte, haben es in dieser Ausdehnung gesehen (5. Mo 34,1-4).

In der Rückschau auf die verflossene Zeit der Drangsal wird der Überrest dann fragen: „Wo ist der Schreiber? Wo der Wäger? Wo der, der die Türme zählte?“ Wahrscheinlich sind darunter die Beamten der Feinde zu verstehen, für die die Zahl der Verteidigungstürme die Grundlage für die Berechnung der „Reparationszahlungen“ war, d. h. der den Besiegten auferlegten Abgaben, deren pünktliche und genaue Bezahlung von den Siegern streng kontrolliert wurde (Vers 18). Das freche Heer der Assyrer mit seiner unverständlichen Sprache ist durch Gottes Gericht für immer von der Bildfläche verschwunden (Vers 19).

Nun darf der gerettete Überrest des Volkes Gottes seine Augen auf Zion, den Ort der Gnade, und Jerusalem, die Stadt des großen Königs, richten (vgl. Kap. 2,2–4). Dort werden wieder Festversammlungen stattfinden, an denen Gott Wohlgefallen hat (vgl. Kap. 1,13). Das irdische Jerusalem wird dann ein ruhiger, sorgenfreier Wohnort sein. Es wird hier wie das aus dem Himmel herabkommende neue Jerusalem im Buch der Offenbarung (ein Bild der Versammlung Gottes in der Ewigkeit) mit einem Zelt oder einer Hütte verglichen (Vers 20; vgl. Off 21,2 und 3). Aber während ein Zelt gewöhnlich immer wieder abgebrochen und an anderer Stelle aufgerichtet wird, wird dieses Zelt nicht wandern, seine Pflöcke werden niemals herausgezogen und seine Seile nie losgerissen werden. Der Pflock ist an manchen Stellen der Heiligen Schrift ein Bild des Beistandes Gottes (Esra 9,8; Jes 22,23; Sach 10,4). Alle Unruhe, alles Wandern des Volkes wird für immer ein Ende haben.

Der Grund für die zukünftige Beständigkeit der Stadt ist Gott selbst: „Dort ist ein Mächtiger, der HERR, bei uns“ (Vers 21). Die Worte von Psalm 132,13 und 14 werden dann in Erfüllung gehen: „Denn der HERR hat Zion erwählt, hat es begehrt zu seiner Wohnstätte: Dies ist meine Ruhe auf ewig; hier will ich wohnen, denn ich habe es begehrt.“ Weder der Angriff von Gog kurz nach Beginn noch der letzte Ansturm des Satans am Ende des Tausendjährigen Reiches werden Jerusalems Frieden zerstören (Hes 38 und 39; Off 20,7-10). Jerusalem wird für immer das sein, was sein Name bedeutet: „Gründung des Friedens“.

Die Städte Babel und Ninive, aber auch die Ägypter stützten sich auf die großen Ströme, die in Zeiten des Friedens große Vorteile, aber im Krieg ihre Nachteile hatten (vgl. Kap. 19,5; 27,1; Nah 2,7; 3,7.8). Jerusalem wird in der Zeit des Tausendjährigen Reiches solch „ein Ort von Flüssen, von breiten Strömen“ sein, die nur Segen mit sich bringen, aber keine Angriffsmöglichkeiten für irgendwelche Feinde bieten, denn „kein Ruderschiff kommt hinein, und durch ihn zieht kein mächtiges Schiff“. Man kann diese Ausdrucksweise zwar als Bildersprache auffassen, doch vergessen wir nicht, dass während des Tausendjährigen Reiches „lebendige Wasser aus Jerusalem fließen [werden], zur Hälfte nach dem östlichen Meer [d. h. dem Toten Meer] und zur Hälfte nach dem hinteren Meer [d. h. dem Mittelmeer]“ (Sach 14,8; Hes 47; vgl. Ps 46,5). Alles spricht von reichem Segen für die Menschen, die in dieser gesegneten Zeit leben werden.

Alle Gefahr ist für immer gebannt durch die herrliche Gegenwart des HERRN, der zugleich Richter, Feldherr (oder: Führer, Gesetzgeber) und König Israels ist und Sein geliebtes Volk rettet (Vers 22). Dass der König zugleich der HERR, das heißt Gott, und Sohn Davids, das heißt Mensch, ist, haben wir schon in der Beschreibung von Kapitel 9,5 und 6 gesehen: „Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst. Die Mehrung der Herrschaft und der Frieden werden kein Ende haben auf dem Thron Davids und über sein Königreich, um es zu befestigen und zu stützen durch Gericht und durch Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit.“ Es gibt nur eine Person, die dieser Charakterisierung entspricht: der Sohn Gottes, der als Mensch am Kreuz von Golgatha gestorben ist, „nicht für die Nation [d. h. die Juden] allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte“ (Joh 11,52). Wenn Er Seine Versammlung zu sich heimgeholt hat ins Vaterhaus, wird Er wieder auf der Erde erscheinen, um in Israel Seinen Platz als König einzunehmen, der Ihm bei Seinem ersten Kommen vor zweitausend Jahren versagt wurde.

Angesichts dieses mächtigen Helfers kann dem letzten Versuch des Feindes, Jerusalem zu erobern, kein Erfolg beschieden sein.14 Im Gegenteil, er wird bildlich gesprochen „Schiffbruch erleiden“. Seine nicht von Menschenhand, sondern vom HERRN vernichtete Streitmacht wird mit einem Kriegsschiff verglichen, dessen Taue, die den Schiffsmast halten und die Segel spannen sollen, schlaff herabhängen. Es ist manövrierunfähig, ein Wrack. Die ganze reiche Beute wird dem Volk Gottes in die Hände fallen, so dass sogar für die Lahmen, die als Letzte kommen, noch etwas übrig bleibt (Vers 23; vgl. Hes 39,10). So erfüllt sich der letzte der sechs Wehe-Rufe. Der Verwüster ist verwüstet, der Räuber beraubt (s. Vers 1).

Das Kapitel endet mit einer kurzen Beschreibung des Segens der Bewohner Jerusalems und des ganzen Volkes Gottes im Tausendjährigen Reich. Krankheit und Schwachheit wird es nicht mehr geben, und alle Schuld des erlösten Überrestes wird für immer vergeben sein (Vers 24; vgl. Kap. 57,18f.; 58,8; Jer 50,20). Nicht durch eigene Gerechtigkeit oder durch die Hilfe mächtiger Nationen, sondern durch Gottes souveränes und gnädiges Eingreifen wird Israel Wohlergehen und Frieden empfangen.

Fußnoten

  • 1 Viele Ausleger fassen die Verse 9 und 10 unnötigerweise als spöttische Äußerungen der Priester und Propheten gegenüber Jesaja auf.
  • 2 Das hebr. Wort Scheol bezeichnet den Aufenthaltsort der Seelen aller Gestorbenen (s. Kap. 14,9).
  • 3 Vgl. zu den Versen 1–8 die Einleitung zu Kap. 10 („Der Assyrer“).
  • 4 Viele Übersetzungen und Auslegungen lesen den letzten Teil von Vers 10 folgendermaßen: „…hat eure Augen verschlossen – die Propheten –, und eure Häupter – die Seher – hat er verhüllt.“
  • 5 Es handelt sich nicht um die „Vernichtung“ von Sündern, sondern um das Ende ihrer Aktivität auf der Erde. Die ewige Verdammnis des Antichristen wird in Off 19,20 und 20,10 klar gezeigt.
  • 6 Die hebr. Bezeichnungen Behemot (s. Hiob 40,15) und Rahab (Vers 7; s. Hiob 9,13; 26,12; Ps 40,5 „Übermütige“; 87,4; 89,11; Jes 51,9) sind manchmal symbolische Namen für Ägypten. Behemot, womit an anderer Stelle ein großes Wassertier gemeint ist, ist der Plural von behema „Tier, Vieh“ und Rahab bedeutet „Ungestüm, Übermut, Prahlerei; Dränger, Feind“ (vgl. auch hebr. tannim „Seeungeheuer“ in Hes 29,3 als weitere Bezeichnung für Ägypten).
  • 7 Wenn Gott im Gesetz ausdrücklich verboten hatte, „die Pferde zu mehren“, die bezeichnenderweise wohl hauptsächlich aus Ägypten eingeführt wurden, dann doch deshalb, weil sein Volk seine Kraft nicht in irdischen Hilfsmitteln, sondern bei Ihm finden sollte (5. Mo 17,16; vgl. Ps 20,8; 33,17)
  • 8 Dadurch, dass im hebr. Text das Verb „Gnade erweisen“ hier zweimal hintereinander steht, wird der Gedanke besonders stark hervorgehoben; die Übersetzung kann daher ebenso gut „reichlich“ wie „gewiss Gnade erweisen“ lauten.
  • 9 Hebr. Tophteh, eine Ableitung von Tophet (die Bedeutung ist wahrscheinlich „Brandstätte“), das in 2. Kön 23,10; Jer 7,31ff.; 19,6.11-14 einen Ort im Tal Hinnom bezeichnet, wo der ammonitischen Gottheit Molech grausame und abscheuliche Opfer dargebracht wurden. Eine Identität oder Verwandtschaft mit dem gleichlautenden tophet „Anspeien“ in Hiob 17,6 ist ungewiss. Das in Jerusalem gelegene „Tal Hinnom“ (hebr. Ge-Hinnom) oder „Tal des Sohnes [oder: der Söhne] Hinnoms“ wird in Jer 7,32; 19,6 gleichbedeutend mit „Tophet“ verwendet und im Blick auf die Zukunft als „Würgetal“ bezeichnet. – Die von Ge-Hinnom abgeleitete griechische Bezeichnung Gehenna ist im Neuen Testament ein Name für die Stätte der ewigen Pein, die Hölle (z.B. in Mt 5,22.29).
  • 10 Obwohl auch die in Vers 1 erwähnten Fürsten „nach Recht herrschen“ werden (im Gegensatz zu den damaligen Führern des Volkes; vgl. Kap. 3,14), ist das hebräische Substantiv isch („ein Mann“) in Vers 2 wohl auf den König zu beziehen und nicht – wie viele Übersetzungen und Ausleger es tun – pronominal („ein jeder“) aufzufassen.
  • 11 Ophel (hebr. „Hügel“) war ein Stadtteil am südöstlichen Abhang des Tempelbergs (2. Chr 27,3; 33,14; Neh 3,26.27).
  • 12 Viele Ausleger sehen allerdings die Erfüllung dieser Weissagung nur im schon mehrmals von Jesaja erwähnten Angriff der Assyrer auf Jerusalem zur Zeit Hiskias (2. Kön 18,14ff.). Im Gesamtzusammenhang unseres Kapitels gesehen (s. vor allem Vers 5 und 6 sowie Vers 17–24), kann dieser jedoch nur als eine teilweise Erfüllung betrachtet werden.
  • 13 Das mit „Held“ wiedergegebene hebr. Substantiv er'el ist wohl eine Anspielung auf Ariel (die Bezeichnung für Jerusalem in Kap. 29,1 und für „Gotteslöwen, mächtige Helden“ in 2. Sam 23,20).
  • 14 Wie in Vers 1 ist auch hier nicht eindeutig zu sagen, ob es sich um den letzten Angriff Assyriens handelt oder um den der hinter Assyrien stehenden nördlichen Großmacht Gog (Hes 38 und 39)
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