König – Priester – Richter
Messianische Herrlichkeiten in Psalm 110

Teil 3: Christus als Priester (Vers 4)

Vers 4: Geschworen hat der Herr, und es wird ihn nicht reuen: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks!“

Nachdem der Messias als der vorgestellt wurde, der regiert und herrscht, wird jetzt eine zweite große Herrlichkeit seiner Person gezeigt. Er ist nicht nur König, sondern zugleich Priester. Mit Recht ist gesagt worden, dass dieser mittlere Vers das Zentrum des ganzen Psalms ist. Es lohnt sich, über die Einzelheiten nachzudenken. Dabei hilft uns der Hebräerbrief, dieses Priestertum zu verstehen und vor allem seinen Vorrang gegenüber dem Priestertum Aarons und seiner Söhne zu erkennen.

Das Priestertum nach der Weise Melchisedeks ist durch fünf Dinge geprägt:

  1. Es ist durch einen Eid (einen Schwur) bestätigt.
  2. Es ist unwiderruflich.
  3. Es ist persönlich.
  4. Es ist ewig.
  5. Es ist nach der Weise (Ordnung, Rang) Melchisedeks.

Geschworen hat der Herr (1)

Dem Priestertum des Messias nach der Weise Melchisedeks liegt ein Schwur Gottes zugrunde (vgl. Heb 7,20.21). Es ist damit fest bestätigt. Das war in dieser Form beim levitischen Priestertum Aarons nicht der Fall.

Ein Schwur ist eine Bekräftigung. Wenn Gott selbst schwört, ist eine Sache unumstößlich, denn bei Ihm gibt es keinen falschen Schwur. In Psalm 109 – als es um die Leiden des Messias ging – hat der Herrgeschwiegen. In Psalm 110 redet Er. Der Psalm beginnt mit einem Orakel (Spruch) Gottes. Hier ist von einem Eidschwur die Rede.

Es wird Ihn nicht reuen (2)

Von diesem Schwur tritt Gott nicht zurück. Es wird Ihn nicht reuen1. Die Sache steht fest und ist unwiderruflich. „Nicht ein Mensch ist Gott, dass er lüge, noch ein Menschensohn, dass er bereue. Sollte ersprechen und es nicht tun, und reden und es nicht aufrechterhalten?“ (4. Mo 23,19; vgl. 1. Sam 15,29). Gott kann nicht lügen (Heb 6,18). Gottes Eidschwur garantiert, dass der Messias diesen Dienst als Priester ausüben wird, solange die Erde besteht (im Sinn des Alten Testamentes bedeutet das „ewig“). Er wirddieses Amt nie an jemand anderen abtreten oder übergeben. Gott hat sich verpflichtet, und diese Verpflichtung wird Er nie aufkündigen. Das Priestertum des Messias ist ebenso ewig wie seine Herrschaft ewig ist.

Du bist Priester (3)

Das Priestertum ist persönlich und ausschließlich. Gott sagt: „Du bist Priester.“ Dieses Priestertum nach der Weise Melchisedeks kann unmöglich jemand anderes ausüben. Es kann nur einer – Christus. Wieder steht Er einzigartig und unvergleichlich vor uns. Er hat in allem den Vorrang (Kol 1,18).

Du bist Priester in Ewigkeit (4)

Das Priestertum ist ewig. Das Alte Testament bestätigt mehrfach, dass die Herrschaft des Messias eine ewige Herrschaft sein wird (z. B. Dan 4,31; 7,14). Was für das Königtum gilt, gilt für das Priestertum. Es ist ebenfalls ewig. Königtum und Priestertum sind in Ihm untrennbar miteinander verbunden (Melchisedek war König und Priester in einer Person). Das wird im Hebräerbrief bestätigt (Heb 5,6; 6,20; 7,17.21) und begründet: „… dieser aber, weil er in Ewigkeit bleibt, hat ein unveränderliches Priestertum“ (Heb 7,24). Solange Er als König herrscht, wird Er zugleich dieses Priestertum ausüben.

Nun wissen wir aus Offenbarung 20,2-7, dass das Reich des Messias 1000 Jahre andauern wird und dann zu einem Ende kommt. Am Ende wird Er das Reich „dem Gott und Vater“ übergeben (1. Kor 15,24). Im Alten Testament war diese zeitliche Begrenzung unbekannt. Dort wusste man nur um ein „ewiges Reich“. Das zeigt, dass wir die Bedeutung von „ewig“ im Alten Testament nicht immer zwingend in einen zeitlichen Kontext setzen dürfen. Im Sinn des Alten Testamentes kann „ewig“ durchaus bedeuten „solange die Erde besteht“, oder dass danach nichts mehr kommt. Das trifft für das Königtum ebenso zu wie für das Priestertum. In der „Ewigkeit nach der Zeit“ (dem ewigen Zustand) wird es kein Königtum und Priestertum nach heutigen Vorstellungen mehr geben.2 Solange die gegenwärtige Erde jedoch existiert, ist dieses Priestertum ewig, weil der Priester ewig ist.

Damit steht Christus als Priester im Gegensatz zu Aaron. In 2. Mose 40,15 lesen wir zwar auch von einem „ewigen Priestertum“ Aarons, aber dieses Priestertum ist verbunden mit seinen Söhnen (und Nachkommen). Es heißt „… bei ihren Geschlechtern“. Aaron war nicht ewig, und seine Söhne waren es auch nicht. Dieses Priestertum wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Und genau das ist bei Christus nicht der Fall. Er hat ein unveränderliches Priestertum, weil Er selbst in Ewigkeit bleibt (Heb 7,24).

Du bist Priester nach der Weise Melchisedeks (5)

Über den fünften Punkt müssen wir ausführlicher nachdenken. Christus wird im kommenden Reich auf der Erde Priester nach der Weise Melchisedeks sein. Dieses Priestertum ist offensichtlich von dem Priestertum Aarons zu unterscheiden.

I. Melchisedek in der Bibel

Zunächst muss uns überraschen, dass David hier plötzlich einen Namen nennt, von dem vorher nur einmal im Alten Testament die Rede war, nämlich Melchisedek (1. Mo 14). Wir müssen davon ausgehen, dass diese außergewöhnliche Person in Israel dennoch bekannt war, sonst hätte David nicht einfach über ihn geschrieben. Auch der Schreiber des Hebräerbriefes setzt offenbar voraus, dass seine Briefempfänger wussten, wer Melchisedek war, denn er schreibt wie selbstverständlich über ihn.

Melchisedek wird nur in den drei genannten Bibelbüchern erwähnt. In der ersten Stelle (1. Mose 14) wird er historisch vorgestellt. In der zweiten Stelle (Psalm 110) finden wir ihn – bzw. sein Priestertum – prophetischangekündigt. In der dritten Stelle (Hebräer 5-7) wird uns der Lehre nach erklärt, was sein Priestertum ausmacht.

  1. Geschichtliche Sichtweise: In 1. Mose 14 wird von ihm gesagt: „Und Melchisedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein heraus; und er war Priester Gottes, des Höchsten. Und er segnete ihn und sprach: Gesegnet sei Abram von Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt! Und gepriesen sei Gott, der Höchste, der deine Feinde in deine Hand geliefert hat! Und Abram gab ihm den Zehnten von allem“ (1. Mo 14,18-20). Melchisedek ist damit der erste, der in der Bibel Priester genannt wird.

Das ist der historische Bericht über Melchisedek. Abraham kehrt von der Schlacht der Könige zurück, und Melchisedek kommt und bringt ihm Brot und Wasser. Sechs Dinge werden von ihm gesagt:

  • Er ist König von Salem (ein Hinweis auf Jerusalem).
  • Er ist Priester Gottes, des Höchsten, der Himmel und Erde besitzt.
  • Er stärkt Abraham nach der Schlacht der Könige mit Brot und Wein.
  • Er segnet Abraham.
  • Er preist Gott.
  • Er empfängt den Zehnten von Abraham.3

Mehr erfahren wir über ihn nicht. Es wird nicht gesagt, woher er kommt und wohin er geht. Er scheint keinen Anfang und kein Ende zu haben. Sein Vorrang vor dem Patriarchen Abraham – den Abraham ohne weiteres anerkannte – wird darin deutlich, dass Abraham ihm freiwillig den Zehnten von allem gibt.

  1. Prophetische Sichtweise: In Psalm 110 wird aus dem Zusammenhang deutlich, dass dieses Priestertum mit Israel im kommenden Reich zu tun hat, in dem der Messias König und Priester in einer Person sein wird.
  1. Lehrmäßige Sichtweise: Im Hebräerbrief (Kapitel 5, 6 und 7) wird mehrfach Bezug auf das Priestertum nach der Ordnung Melchisedeks genommen. Hier wird uns erklärt, dass Christus der wahre Melchisedek ist, der das Volk von Gott aus segnet und der Gott anstelle des Volkes preist. Wir lernen, was dieses Priestertum bedeutet und wie der Herr es ausübt. Heute schon ist Er Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks, denn so hat Gott Ihn im Himmel „begrüßt“ (Heb 5,10) und zu seiner Rechten gesetzt. Allerdings übt Er dieses Priestertum jetzt noch nicht faktisch aus. Das wird Er im kommenden Reich tun.
  1. B. Hole schreibt: „Der Hebräerbrief macht deutlich, dass das Priestertum unseres Herrn nach der Ordnung Melchisedeks heute bereits eine bestehende Tatsache ist. Es ist nicht etwas, das erst am Tag seiner Macht verwirklicht wird. Daher könnte man sich fragen, warum dieses Priestertum in diesem Psalm im Zusammenhang mit dem Tag seiner Macht und nicht mit dem Tag seiner Geduld genannt wird. Es scheint, dass dies daran liegt, dass Er heute zwar Priester nach der Ordnung Melchisedeks ist, aber noch keine Tätigkeit nach dem Muster Melchisedeks ausübt.“4

II. König und Priester

Melchisedek ist König und Priester in einer Person. Israel wird im 1000-jährigen Reich nicht nur einen König brauchen, sondern ebenfalls einen Priester. Ein Priester aus der Linie Aarons wäre nicht ausreichend, denn alle Priester in der Linie Aarons sind gestorben. Deshalb hat Gott es so vorgesehen, dass der Messias ein anderes Priestertum ausübt. Vor allem Hebräer 7 gibt uns gute Erklärungen dazu. Das, was uns bereits in 1. Mose 14 von Ihm gesagt wird, weist uns die Richtung:

  • Sein Name ist Melchisedek. Das bedeutet „König der Gerechtigkeit“ (Heb 7,2). Bei diesem Titel denken wir besonders an Psalm 45. Das große Thema dieses Psalms ist die Gerechtigkeit des Königs – und das in dreifacher Hinsicht:
  • Erstens ist Gerechtigkeit seine persönliche Eigenschaft. Er hat sie in seinem Leben als Mensch auf der Erde gezeigt.
  • Zweitens ist Gerechtigkeit ein Ergebnis seiner Leiden für die Glaubenden.
  • Drittens – und das ist im Zusammenhang mit Psalm 110 der Hauptpunkt – ist Gerechtigkeit eines der wesentlichen Kennzeichen seiner Herrschaft im kommenden Reich (vgl. Jes 32,1).5 Die Welt heute ist von Ungerechtigkeit geprägt. Das wird sich einmal ändern.6
  • Er ist König von Salem (Jerusalem = Gründung des Friedens): Das bedeutet „König des Friedens“ (Heb 7,2). Auf Gerechtigkeit folgt Frieden. Man beachte die Reihenfolge. Es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben. Frieden ist ein zweites prägendes Merkmal seiner Regierung (Jes 9,6). In der Welt gibt es keinen Frieden für den Gottlosen (vgl. Jes 48,22; 57,21). Doch das kommende Reich wird nicht ohne Grund „Friedensreich“ genannt. „Die Mehrung der Herrschaft und der Frieden werden kein Ende haben auf dem Thron Davids“ (Jes 9,6). Eine der ältesten Weissagungen bezüglich der Herrschaft des Messias ist in Jakobs Segen über Juda enthalten. Dort spricht er von „Schilo“ (dem Friedenschaffenden), der als der wahre Salomo als Friedefürst regieren wird (1. Mo 49,10; Jes 9,5).7
  • Er ist Priester Gottes, „des Höchsten“ (1. Mo 14,18). Dieser Titel Gottes bezieht sich häufig auf das kommende Reich. In mehreren Psalmen finden wir diesen Titel Gottes wieder. Psalm 97,9 beschreibt die Regierung des Herrn als dem Höchsten. Eine weitere Bestätigung finden wir in Psalm 83,19. Asaph schließt seine Überlegungen dort mit den Worten ab: „ ... und erkennen, dass du allein, dessen Name Herr ist, der Höchste bist über die ganze Erde!“ (vgl. Ps 89,28; Lk 1,32).
  • Er wird mit „dem Sohn Gottes verglichen“ (Heb 7,3). Melchisedek war nicht Christus in Person (wie manche Ausleger denken), sondern wird mit Ihm verglichen. Es wird nicht berichtet, von wem er abstammte, noch wie er sein Ende fand. Im Gegenteil. Es wird gesagt: „ … ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlechtsregister8, weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens habend“. Darin wird er mit dem Sohn Gottes verglichen.9
  • Melchisedek brachte Brot und Wein zu Abraham, um ihn nach dem Kampf zu erquicken und ihn zu segnen. Jeder Segen für Israel gründet sich auf die Person und das Werk des Herrn Jesus. Brot und Wein erinnern einmal an seinen Tod (es sind Symbole der Hingabe seines Lebens in den Tod). Gleichzeitig sprechen sie von Stärkung und Freude. Der Dienst dieses Priestertums besteht also gerade darin, das Volk im kommenden Reich zu segnen und zu stärken.
  • Melchisedek preist Gott, den Höchsten. Das Priestertum des Herrn hat nicht nur Segensfolgen für die Menschen, sondern sorgt dafür, dass Gott im kommenden Reich gepriesen wird.10

Der Hauptpunkt ist, dass Melchisedek König und Priester zugleich war. Das traf auf keinen der Könige und Priester in Israel zu. Im Alten Testament waren Königtum und Priestertum immer voneinander getrennt (eine Art Gewaltenteilung). Der Grund ist, dass das Königtum mit Autorität zu tun hat, das Priestertum hingegen mit Gnade und Barmherzigkeit. Die Trennung dieser beiden Ämter war in Israel unter anderem dadurch definiert, dass Priester nur aus der Familie Aarons (also aus dem Stamm Levi) sein sollten, während Könige aus dem Stamm Juda kamen (4. Mo 3,10; 18,1.2.5.7; Heb 7,13.14; 1. Mo 49,10). Es war also immer ein „entweder/oder“. Als König Ussija in seinem Hochmut nach dem Priestertum griff, wurde er unmittelbar schwer bestraft (2. Chr 26,16-21).

Im kommenden Reich wird das anders sein. Der König wird zugleich Priester sein. Beide Ämter sind in seiner Person vereinigt. Die Trennung ist nicht mehr notwendig, denn in dem Messias vereinen sich Gerechtigkeit und Autorität (König) mit Gnade und Barmherzigkeit (Priester). Sacharja hat das vorausgesagt: „… er wird auf seinem Thron sitzen und herrschen, und er wird Priester sein auf seinem Thron“ (Sach 6,13).11 So wird Er von seinem Volk anerkannt werden.

Die Vereinigung von Ämtern in den Händen menschlicher Regenten ist immer gefährlich. Deshalb ist es gut, wenn Kirche und Staat voneinander getrennt werden. Wenn Christus jedoch König und Priester in einer Person ist, ist diese Vereinigung perfekt.

Auch wenn es in Psalm 110 nicht um uns geht, so hat das alles doch seine Bedeutung für uns. Zum einen freuen wir uns darüber, dass der Herr Jesus einmal für Israel König und Priester in einer Person sein wird. Zum anderen wissen wir – und das war im Alten Testament verborgen –, dass wir darin mit Ihm verbunden sein werden. Er hat uns heute schon zu einem Königtum gemacht, zu Priestern seinem Gott und Vater (Off 1,5.6). Und wenn die erste Auferstehung erfolgt ist, werden wir auf Thronen sitzen und mit Ihm herrschen und dabei gleichzeitig Priester sein (vgl. Off 20,4.6). Christus wird der wahre Melchisedek sein, der aus dem Himmel heraustritt und den Menschen den Segen Gottes bringt. Aber wir werden mit Ihm verbunden und selbst königliche Priester sein. Das ist reine Gnade.

III. Aaron und Melchisedek

Der Ausdruck „nach der Weise (Ordnung) Melchisedeks“ scheint besonders auf den Unterschied zu der „Ordnung Aarons“ hinzuweisen. Diesen Unterschied erklärt vor allem der Hebräerbrief. In Kapitel 7,11 werden beide Ordnungen direkt einander gegenübergestellt. Wir lernen dort, wie weitaus vortrefflicher das Priestertum nach der Ordnung Melchisedeks ist.

  • Der Hauptpunkt ist, dass das Priestertum Melchisedeks mit einer besseren Person verbunden ist. In der historischen Begebenheit wird anhand von mehreren Punkten deutlich, dass Melchisedek, verglichen mit Abraham und seinen Nachkommen, nämlich Aaron und seinen Söhnen, „der Bessere“ ist (Heb 7,1-10). Außerdem musste Aaron für die eigenen Sünden Schlachtopfer bringen, Christus hingegen ist heilig und unbefleckt. Er starb nicht für seine eigenen Sünden, sondern wurde selbst das Opfer für die Sünden des Volkes (Heb 7,27). Christus hat sich, nachdem Er das getan hat und in den Himmel zurückgekehrt ist, zur Rechten Gottes Aaron und alle Priester nach ihm standen täglich da, um den Priesterdienst auszuüben (Heb 10,11). Sie hätten es nicht gewagt, sich zu setzen. Die Würde Aarons leitet sich aus seinem Priestertum ab. Bei unserem Herrn ist es umgekehrt. Seine Person verleiht seinem Amt als Priester seine Würde (Heb 5,5-10).
  • Das Priestertum Melchisedeks hat eine bessere Hoffnung (Heb 7,18.19). Das Priestertum Aarons war mit dem Gesetz verbunden und besaß keine Kraft. Es konnte keinen Menschen so reinigen, dass er Gott nahen konnte, wie wir es heute tun (Heb 7,11-19; vgl. 9,13.14).
  • Das Priestertum Melchisedeks gründet sich darüber hinaus auf einen besseren Bund und einen Eidschwur (Heb 7,20-22). Das Priestertum Aarons war endlich. Seine Eltern waren bekannt (Amram und Jokebed), und über seinen Tod wird ausdrücklich berichtet (4. Mo 20,28; 33,39). Das Priestertum Melchisedeks ist ewig.
  • Hinzu kommt, dass Gott unter dem Gesetz verfügt hatte, dass nur Männer aus dem Stamm Levi und der Familie Aarons Priester sein durften. Ihr Priestertum war erblich und endete mit dem Tod. Das Priestertum nach der Ordnung Melchisedeks hingegen beruhte auf der souveränen Berufung Gottes. Es war nicht vererbt, hatte keinen Anfang und kein Ende.

In jeder Hinsicht überragt das Priestertum Melchisedeks das von Aaron deutlich. Christus hat das Priestertum nicht geerbt. Er war nicht einmal aus dem Stamm Levi, sondern aus dem Stamm Juda. Sein Priestertum wurde durch den souveränen und ewigen Beschluss Gottes etabliert. Weil Er in der Kraft eines unauflöslichen Lebens existiert, wird sein Priestertum nicht enden, solange die Erde existiert.

Christus konnte also gar nicht Priester nach der Ordnung Aarons sein. Allerdings – und das zeigt uns auch der Hebräerbrief – übt Er dieses Priestertum heute für uns in der Art Aarons aus. Es ist an dieser Stelle wichtig, zwischen der Ordnung eines Priestertums und der Art der Ausübung zu unterscheiden. Bei der Ordnung des Priestertums geht es um den Rang oder die Stellung. Das hat vor allem damit zu tun, wer der Priester ist. Bei der Art geht es darum, was getan wird. Deshalb kann man sagen, dass der Herr jetzt schon Priester nach der Ordnung Melchisedeks ist (als solcher wurde Er von Gott begrüßt), den Priesterdienst aber noch nicht ausübt. Das wird Er im kommenden Reich tun.

Was Er jetzt tut, entspricht dem Dienst nach der Art Aarons (man könnte auch sagen: nach dem Vorbild oder dem Muster Aarons). So wie Aaron im Alten Testament einerseits das Volk vor Gott vertrat und andererseits der Vertreter Gottes vor den Menschen war, so ist der Herr Jesus als der große Hohepriester heute für uns tätig. Er gibt uns alles, was wir nötig haben, wie z. B. Gottes Barmherzigkeit, Gnade und rechtzeitige Hilfe (Heb 4,16). Wir haben „nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde“ (Heb 4,15). Seinem Dienst als Hoherpriester verdanken wir es, dass wir auf dem Weg zum Ziel nicht umkommen, sondern es sicher erreichen werden.

Zugleich bringt Er uns auch zu Gott. Er hat das einmal getan, als Er für uns im Gericht vor Gott stand und unsere Sünden gesühnt hat. Und jetzt haben wir aufgrund seines priesterlichen Dienstes freien Zugang zu Gott, um Ihm alles zu sagen, was uns auf dem Herzen liegt (Heb 4,16), aber eben auch die Anbetung unserer Herzen zu bringen (Heb 10,19.22).12

Es ist klar, dass der Dienst nach dem Vorbild (der Art) Aarons mit der Entrückung der Gläubigen endet, denn nach der Entrückung (im Himmel) gibt es keine Schwachheiten mehr. Das Priestertum nach der Ordnung Melchisedeks hingegen wird nicht enden. Es ist ewig. Christus ist heute schon Priester nach der Ordnung Melchisedeks und wird dieses Priestertum im 1000-jährigen Reich im Blick auf Israel ausüben – selbst, wenn wir heute schon von Ihm Erquickung und Freude empfangen, Er uns segnet und das Lob Gottes in unserer Mitte anstimmt.

IV. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

Christus hat also das Vorbild des Priesterdienstes Aarons mehr als erfüllt, als Er sich selbst zum Opfer gegeben hat (Vergangenheit). Jetzt vertritt Er uns als Hoherpriester bei Gott (Gegenwart). Doch einmal wird Er wiederkommen, um die Herrlichkeit Gottes auf der Erde bekannt zu machen und Ihn inmitten der Versammlung Israels zu loben (Zukunft). Damit wird Er das Vorbild des Priesterdienstes Melchisedeks ebenfalls mehr als erfüllen.

Dabei fällt auf, dass Melchisedek Abraham nicht vor der Schlacht gegen die Könige entgegenkommt, sondern danach. Wir würden denken, dass er die Stärkung vor dem Kampf nötiger gehabt hätte. Doch Gott wollte es anders. Daran wird deutlich, wie verschieden der Priesterdienst Melchisedeks und der Priesterdienst Aarons sind. Aaron zeigt uns, was der Herr jetzt vom Himmel aus für sein himmlisches Volk ist, das die Wüste durchquert, im Kampf steht und Mitleid und Fürsprache nötig hat. Melchisedek zeigt uns, dass Er sein irdisches Volk nach der Zeit der Drangsal segnen und erquicken wird.

Dabei gibt es eine bemerkenswerte Parallele. Im Gesetz existiert eine Vorschrift, die den Totschläger betrifft: Wenn in Israel jemand einen anderen aus Versehen getötet hatte (also kein Mord), durfte er in eine der von Gott verordneten Zufluchtsstädte fliehen. Dort war er sicher vor dem Bluträcher, der ihn berechtigterweise töten wollte. Der Totschläger durfte die Stadt erst wieder verlassen, wenn der im Amt befindliche Hohepriester gestorben war. Dann durfte er unbehelligt in das Land seines Eigentums zurückkehren (4. Mo 35,22-28).

Der Totschläger ist ein Bild der Juden. Sie wurden zu Recht aus ihrem Erbteil vertrieben, weil sie Christus getötet hatten.13 In der Fremde (der Zerstreuung) werden sie dennoch von Gott bewahrt. Wenn der Herr einmal seinen derzeitigen Priesterdienst nach der Art und Weise Aarons beendet haben wird – wie es in dem Tod des Hohenpriesters dargestellt wird –, wird Israel sein Land neu besitzen und die Segnungen genießen, die der Messias als der wahre Melchisedek (König und Priester in einer Person) bringen wird.

V. Praktische Anwendung

Obwohl der Dienst des Herrn Jesus als Hoherpriester für uns entsprechend des Dienstes Aarons und nicht entsprechend des Dienstes Melchisedeks ist, können wir das, was Er in der Zukunft für Israel tun wird, auf uns anwenden:

Melchisedek kommt aus der Stadt des Friedens (Salem), um Abraham nach dem Kampf zu stärken und zu ermutigen. Dadurch wurde dieser vor einer falschen Verbindung mit der Welt bewahrt (1. Mo 14,17-24). So stärkt der Herr uns heute vom Himmel her, damit wir den Versuchungen der Welt nicht erliegen. Er bringt himmlische Erquickung (Brot) und himmlische Freude (Wein) mit. Brot und Wein erinnern uns zugleich an die Tatsache, dass wir aufgrund seines Werkes vom Kreuz Gemeinschaft mit Gott haben. Was konnte der König von Sodom Abraham Besseres bieten? Und was hat die Welt uns zu bieten? Wir sollten die Geschenke Sodoms niemals den Gaben Gottes und der Gemeinschaft mit Ihm vorziehen.

Doch Melchisedek bringt nicht nur den Segen Gottes, sondern er sagt auch: „Gepriesen sei Gott, der Höchste.“ Sein Ziel ist es, in Abrahams Herzen Dank, Lob und Anbetung für Gott hervorzurufen. So bemüht sich der Herr, uns die Gnade und Herrlichkeit Gottes zu offenbaren, damit wir Ihm Anbetung bringen. Einmal wird die Erde voll Erkenntnis des Herrn und seines Ruhmes sein (Jes 11,9; Hab 3,3). In unserem Leben soll das heute schon wahr werden.

Fußnoten

  • 1 Wenn wir an anderen Stellen lesen, dass es den Herrn „gereute“ (z. B. 1. Mo 6,6; 2. Mo 32,14), dann bedeutet das nicht, dass Er seine Gedanken oder Pläne ändert oder dass Er eine frühere Absicht als falsch betrachtet – was undenkbar ist –, sondern dass Er in bestimmten Situationen mit inneren Empfindungen anders handelt als Er es angekündigt hat.
  • 2 Die Herrschaft ist zwar etwas, das ewig ist (Off 22,5), aber sie wird in der Ewigkeit nach der Zeit einen völlig anderen Charakter haben, weil es – im Unterschied zum 1000-jährigen Reich – keine Sünde mehr gibt. Sie ist abgeschafft. Deshalb muss nichts Böses mehr bestraft werden. Das Herrschen wird dann wahrscheinlich mehr eine Art Verwaltung sein.
  • 3 In Hebräer 7,4-10 wird gerade über diesen Punkt ausführlich gesprochen und gezeigt, wie darin deutlich wird, wie groß Melchisedek ist. Letztlich erkennen wir darin die überragende Größe dessen, von dem Melchisedek ein Bild ist, nämlich von Christus.
  • 4 F. B. Hole: Psalm 110
  • 5 In Römer 14,17 sagt Paulus: „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist.“ Das gilt heute ebenso wie in der Zukunft. Das erste Merkmal ist Gerechtigkeit.
  • 6 Leider gilt das nicht nur für die Welt, sondern selbst unter Gläubigen in der Versammlung Gottes findet sich heute Ungerechtigkeit.
  • 7 Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass der Herr Jesus nicht der König der Christen ist, sondern der König der Juden bzw. der König Israels. Wäre Er unser König, könnten wir denken, dass wir primär auf das Königreich des Herrn auf der Erde warten müssten, oder dass das Evangelium der Gnade die Erde auf das Kommen des Königs vorbereite. Das lehrt die Bibel jedoch nicht. Er ist nicht unser König, und wir erwarten Ihn auch nicht in erster Linie in diesem Charakter. „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten.“ Und doch freuen wir uns an dem Gedanken, dass Er der „König der Könige“ ist. Wir freuen uns darüber, dass Er ein Reich hat – heute verborgen und einmal in Herrlichkeit. Wir freuen uns an dem Gedanken, dass Ihm heute schon alle Gewalt gegeben ist, im Himmel und auf der Erde (Mt 28,18), und dass dies einmal sichtbar werden wird. Die Herrlichkeit unseres Herrn als König ist groß – das sollten wir jedenfalls nie vergessen.
  • 8 Das ist umso bemerkenswerter, weil gerade bei den Priestern nach der Ordnung Aarons großer Wert darauf gelegt wurde, dass sie ihre Abstammung nachweisen konnten. Wer dazu nicht in der Lage war, konnte den Priesterdienst nicht ausüben (vgl. z. B. Esra 2,62).
  • 9 Melchisedek war ohne jede Frage eine historische Persönlichkeit, ein König-Priester aus Salem. Er kannte Gott und diente Ihm. Er ist – wie alle anderen Menschen – geboren worden und gestorben. Er hatte einen Vater und eine Mutter. Dennoch benutzt der Schreiber des Hebräerbriefes ihn als einen deutlichen Hinweis auf Christus, der von sich sagen konnte: „Ehe Abraham wurde, bin ich“ (Joh 8,58). Seine Herkunft, seine Geburt und sein Tod werden deshalb bewusst nicht erwähnt.
  • 10 Segnen und preisen ist im Hebräischen – wie im Griechischen – dasselbe Wort (vgl. im Englischen „to bless“ oder „benedicte“ auf Lateinisch). Es bedeutet „gut sprechen“. Wenn die Richtung von Gott zu uns geht, übersetzen wir es mit „segnen“. Wenn die Richtung von uns zu Gott geht, übersetzen wir es mit „preisen“ (oder loben).
  • 11 In Sacharja sitzt Christus auf seinem Thron. Das tut Er heute noch nicht. Er sitzt jetzt zur Rechten Gottes (vgl. Vers 1) auf dem Thron des Vaters (Off 3,21; 12,5). Wenn sich Psalm 110 und Sacharja 6 erfüllen, wird der Herr auf seinem eigenen Thron sitzen.
  • 12 Es fällt auf, dass sich in Hebräer 7,25 beide Seiten (Ordnung und Art) berühren „Er vermag zu erretten“ und „sich für sie zu verwenden“ bezieht sich auf den Dienst nach der Art (dem Muster) Aarons. „Allezeit leben“ bezieht sich auf die Ordnung Melchisedeks.
  • 13 Juristisch gesehen war das kein Totschlag, sondern Mord (Apg 7,52). Doch das Gebet des Herrn: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34) versetzte die Juden sozusagen in den Status eines Totschlägers.
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