Betrachtung über Hebräer (Synopsis)
Kapitel 7
Der Brief betrachtet jetzt, indem er auf Melchisedek zurückkommt, die Würde seiner Person und die Wichtigkeit seines Priestertums, denn von einem Priestertum als Mittel, Gott zu nahen, hängt das ganze damit verbundene System ab.
Melchisedek nun, eine vorbildliche und charakteristische Persönlichkeit, wie der Gebrauch seines Namens in Psalm 110 beweist, war König von Salem, d. h. König des Friedens, und, durch seinen Namen, König der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit und Frieden kennzeichneten seine Regierung; aber vor allem war er Priester Gottes, des Höchsten. „Gott, der Höchste“, das ist der Name Gottes als des obersten Herrschers über alle Dinge, „der Himmel und Erde besitzt“, wie in 1. Mo 14 hinzugefügt wird. So erkannte Nebukadnezar, der gedemütigte irdische Machthaber, ihn an, und so offenbarte Er sich dem Abraham, als Melchisedek den Patriarchen segnete, nachdem dieser den Sieg über seine Feinde davongetragen hatte. In Verbindung mit seinem Wandel im Glauben war für Abraham der Name Gottes: „Der Allmächtige“. Hier aber wird Abraham, nachdem er die Könige der Erde überwunden hat, gesegnet durch Melchisedek, den König der Gerechtigkeit, in Verbindung mit Gott, als dem Besitzer von Himmel und Erde, dem höchsten Gott. Diese ganze Begebenheit richtet unsere Blicke vorwärts auf das Königtum Christi, auf einen Priester auf seinem Thron, wenn dieser durch den Willen und die Macht Gottes triumphiert haben wird über alle seine Feinde – auf eine noch nicht gekommene Zeit, die zunächst im 1000-jährigen Reiche, wie es gewöhnlich genannt wird, ihre Erfüllung finden wird, obwohl sich dieses mehr auf den irdischen Teil bezieht. Abraham gab Melchisedek den Zehnten. Melchisedek war jedoch nicht nur König. Der 110. Psalm bezeichnet ihn sehr deutlich als Priester, und zwar als einen Priester, der ein bleibendes und ununterbrochenes Priestertum besitzt. Melchisedek hatte keine priesterliche Verwandtschaft, von der er sein Priestertum ableitete. Als Priester hatte er weder Vater noch Mutter. Er hatte kein Geschlechtsregister wie die Söhne Aarons (vgl. Esra 2,62 oder Neh 7,39). Seinem priesterlichen Dienst waren keine Grenzen angewiesen, wie es bei den Söhnen Aarons der Fall war (4. Mo 4,3). Er wurde zum Priester gemacht gleich dem Sohn Gottes, was seinen priesterlichen Charakter betrifft; doch bis jetzt ist der Sohn Gottes im Himmel.
Die Tatsache, dass er von Abraham den Zehnten empfing und dass er ihn segnete, zeigt die hohe und hervorragende Würde dieser anders unbekannten und geheimnisvollen Person. Das einzige, was von ihm bezeugt wird, ist, dass er lebte. Weder Vater noch Mutter wird genannt, weder von einem Beginn des Lebens noch von dem Eintritt des Todes wird im Blick auf ihn geredet. Die Würde seiner Person stand über derjenigen Abrahams, dem die Verheißungen anvertraut waren. Die Würde seines Priestertums überragte diejenige Aarons, der in Abraham den Zehnten bezahlte, den Levi selbst von seinen Brüdern empfing. Das Priestertum ist also geändert und mit ihm das ganze System, das von ihm abhing.
Der 110. Psalm, ausgelegt durch den Glauben an Christus – denn wir haben nicht nötig, daran zu erinnern, dass der Brief stets zu Christen spricht –, ist immer der Punkt, der der Beweisführung Gottes zugrunde gelegt ist. Der erste Beweis für die Änderung des ganzen Systems ist, dass der Herr Jesus, der Messias, (ein Priester nach der Ordnung Melchisedeks) augenscheinlich nicht dem priesterlichen Stamme, sondern einem anderen, dem Stamme Juda, entsprossen war; denn dass Jesus der Messias war, glaubten die Empfänger des Briefes. Aber nach den jüdischen Schriften war der Messias so, wie Er hier dargestellt wird, und in diesem Fall war das Priestertum geändert und mit ihm das ganze System. Diese Folgerung musste nicht nur aus der Tatsache gezogen werden, dass der Messias, obwohl ein Priester, aus dem Stamme Juda gekommen war, sondern nach Psalm 110 war es auch notwendig, dass ein anderer Priester, als der aus der Familie Aarons, aufstand – ein Priester nach der Gleichheit Melchisedeks, der das nicht war nach dem Gesetz eines Gebotes, das nicht mehr Kraft besaß als das Fleisch, an das es sich richtete, sondern nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens. Das Zeugnis des Psalms hierüber lautete klar und bestimmt: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.“ Denn da ist in der Tat eine Abschaffung des früher vorhandenen Gebotes, weil es nutzlos war (denn das Gesetz hat nichts zur Vollendung gebracht), und die Einführung einer besseren Hoffnung, durch die wir Gott nahen (V. 13–19).
Welch ein köstlicher Unterschied! Ein Gebot an einen sündigen, von Gott entfernten Menschen wird ersetzt durch eine Hoffnung, durch ein Vertrauen, das auf die Gnade und auf die göttlich Verheißung gegründet ist, durch die wir sogar in die Gegenwart Gottes kommen können.
Das Gesetz war ohne Zweifel gut, aber die Trennung zwischen Gott und den Menschen blieb bestehen. Das Gesetz brachte nichts zur Vollkommenheit. Gott war immer vollkommen, und menschliche Vollkommenheit wurde gefordert. Alles musste dem entsprechen, was die göttliche Vollkommenheit von dem Menschen verlangte. Aber die Sünde war da, und das Gesetz war infolgedessen ohne Kraft (ausgenommen zu verdammen). Seine Zeremonien und Satzungen waren nur Bilder und ein schweres Joch. Selbst das, was dem Gewissen für eine Zeit Erleichterung gab, die Opfer, erinnerte nur an die Sünde und machte nie das Gewissen vollkommen vor Gott. Man blieb immer in einer gewissen Entfernung von Ihm. Die Gnade dagegen bringt die Seele zu Gott, der gekannt ist in Liebe und in einer Gerechtigkeit, die für uns ist.
Der Charakter des neuen Priestertums trug in allen seinen Zügen den Stempel der Überlegenheit über dasjenige, das unter der Verwaltung des Gesetzes bestanden hatte und womit das ganze System des Gesetzes stand oder fiel. Der Bund, der mit dem neuen Priestertum in Verbindung stand, entsprach ebenfalls der Überlegenheit dieses letzteren über das erste Priestertum.
Das Priestertum Jesu wurde mit einem Eidschwur errichtet, das des Aaron nicht. Das Priestertum Aarons ging von einer Person zur anderen über, weil der Tod seiner Ausübung von Seiten derer, die mit ihm betraut waren, ein Ende setzte, aber Jesus bleibt für immer Derselbe. Er hat ein Priestertum, das nicht an andere übertragen werden kann. Daher errettet Er völlig und bis zum Ende hin alle, die durch Ihn Gott nahen, indem Er immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden (V. 20–25).
Darum: „Ein solcher Hohepriester geziemte uns.“ Ein herrlicher Gedanke! Berufen, in der Gegenwart Gottes zu sein, mit Ihm in der himmlischen Herrlichkeit in Verbindung zu stehen, Ihm in der Höhe zu nahen, wo nichts Unreines eingehen kann, bedurften wir eines Hohenpriesters an dem Ort, wo uns (wie den Juden im irdischen Tempel) der Zutritt gewährt ist, und zwar eines Priesters, wie die Herrlichkeit und Reinheit des Himmels ihn erforderten. Welch ein Beweis davon, dass wir dem Himmel angehören, sowie von der erhabenen Natur unserer Verbindung mit Gott! Ein solcher Priester geziemte uns: „Heilig, unschuldig, unbefleckt abgesondert von den Sündern und höher als die Himmel geworden“ – denn das sind wir, was unsere Stellung betrifft, indem wir es mit Gott droben zu tun haben – ein Priester, der nicht nötig hat, immer wieder neue Opfer darzubringen, als ob noch irgendetwas zu tun übrig geblieben wäre, um die Sünde hinweg zu nehmen, oder als ob den Gläubigen ihre Sünden noch zugerechnet werden könnten; denn wenn das noch der Fall wäre, würde Christus unmöglich in dem himmlischen Heiligtum weilen können. Nein, als Einer, der ein für allemal sein Werk zur Abschaffung der Sünde vollendet hat, brachte unser Priester sein Opfer ein für allemal dar, als Er Sich selbst opferte.
Das Gesetz bestellte solche zu Hohenpriestern, die menschliche Schwachheiten hatten, denn sie waren selbst Menschen. Der Eidschwur Gottes aber, der nach dem Gesetz gekommen ist, setzte den Sohn ein, und zwar als Er für immer vollendet war, Gott geweiht im Himmel (V. 26- 28).
Wir sehen hier, dass, obwohl es eine Ähnlichkeit zwischen Himmlischem und Irdischem und Bilder der himmlischen Dinge gab, in diesem Brief doch mehr Gegensatz als Vergleich vorhanden ist. Die Priester unter dem Gesetz hatten dieselben Schwachheiten wie andere Menschen. Jesus besitzt ein verherrlichtes Priestertum nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens.
Die Einführung dieses neuen, im Himmel ausgeübten Priestertums schließt eine Änderung in den Opfern und in dem Bund ein, und das ist es, was der inspirierte Schreiber hier entwickelt, indem er den Wert des Opfers Christi und den schon lange verheißenen neuen Bund vorstellt. Die unmittelbare Verbindung ist mit den Opfern, allein er schweift für einen Augenblick ab zu den beiden Bündnissen, zu einer umfassenden und überaus wichtigen Betrachtung für die christlichen Juden, die unter dem ersten Bund gewesen waren.