Anmerkungen zum Brief an die Hebräer

Teil 2 (Hebräer 2,5-4,13)

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Der zweite Teil des Briefes zeigt, wie Christus zum Löser wurde, zum „Urheber des Heils“ für seine Brüder. Er ist unterteilt in vier Abschnitt. Der letzte Abschnitt ist eine Ergänzung und behandelt die Notwendigkeit des Glaubens. Diese Ermahnung findet sich im Hebräerbrief häufiger.

Abschnitt 1 (Heb 2,5-9): Der erste Abschnitt stellt uns Christus als den Menschen vor, der dazu bestimmt ist, über den zukünftigen Erdkreis zu herrschen. Heute sehen wir ihm nicht noch nicht alles unterworfen. Was wir sehen, ist Jesus, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Der Schreiber des Psalms richtet seinen Blick jedoch bereits auf den zukünftigen Erdkreis, der nicht Engeln unterworfen sein wird, sondern dem Sohn des Menschen. Der Sohn des Menschen ist der Mensch, der Gott repräsentiert – nicht der erste, sondern zweite Mensch. Der erste Mensch ist gefallen, und sein ganzes Geschlecht mit ihm. Nicht nur, weil er angesichts des großen Sternenhimmels so unbedeutend ist, sondern auch wegen des Verderbens, in das ihn die Sünde gestürzt hat, wird die Frage gestellt: Wie kann Gott eines solchen Menschen gedenken oder auf ihn sehen? Die Antwort Gottes auf diese Frage ist eine Person: Christus. In ihm ist das Wohlgefallen Gottes am Menschen gerechtfertigt. Niemals hätte ein Engel den Platz des Sohnes des Menschen einnehmen können, obwohl er „ein wenig unter die Engel erniedrigt“ wurde. Doch er kam in Gnade herab, um den Tod zu erdulden. Der Tod ist der Ausdruck des Zustandes, in dem der Mensch sich befindet. Der erste Mensch kam durch Ungehorsam unter die Herrschaft des Todes. Der zweite Menschen schmeckte den Tod, indem er Gottes Regierungswege anerkannte, und zwar „durch Gnade Gottes“. Gemeint ist einerseits die Gnade Gottes uns gegenüber, denn die Gnade ist nun frei, zu handeln. Andererseits hat er durch die Gnade Gottes „für alles“ den Tod geschmeckt. Ich denke, das bedeutet, dass sein Tod das Lösegeld der ganzen Schöpfung ist, wo immer die Sünde sie verdorben hat. Der erste Mensch stand stellvertretend für die ganze Atmosphäre, mit der verbunden war. Bei dem zweiten Menschen verhält es sich ebenso. Doch er hat nichts verdorben, denn er ist der Erlöser und derjenige, der Wiederherstellung bringt.

Der „zukünftige Erdkreis“ ist der Bereich des ersten Menschen, der sich dann in der Hand des zweiten Menschen befindet. Gemeint ist die Erde, nicht der Himmel. Deshalb steht es nur mit einem Teil von Kapitel 12 in Verbindung. Zion beispielsweise befindet sich in dem zukünftigen Erdkreis, nicht jedoch das neue Jerusalem. Der achte Psalm gibt bereits Hinweise auf eine umfassendere Herrschaft, doch seine direkten Aussagen gehen nicht über die Erde hinaus.

Abschnitt 2 (Heb 2,10-18): Der zweite Abschnitt bringt uns zum Kern der zweiten Teils. Hier wird das Werk des Herrn als Erlöser näher beleuchtet.

Es ist nötig, dass derjenige, der von Sünden erlöst, zunächst leidet. Macht allein reicht nicht aus, um zu erlösen. Es gibt Voraussetzungen auf Seiten Gottes, die erfüllt sein müssen, damit göttliche Macht hervorkommen kann. Deshalb heißt es hier: „Es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind“, der also der Ursprung und das Ziel aller Dinge ist, „indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Urheber (o. Fürst, Anführer) ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen“. Der moralische Zustand der Söhne, die er zur Herrlichkeit brachte, erforderte eine Bestrafung. Die göttliche Liebe hatte das Ziel, Söhne zur Herrlichkeit zu bringen, doch die Heiligkeit Gottes musste ebenfalls gerechtfertigt werden. Deshalb musste er nicht, was seine herrliche Person betrifft, vollkommen gemacht werden. Doch er musste die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, um der Retter anderer zu sein.

Nun tritt der Löser in den Vordergrund. „Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“. Hier steht der Herr als der „Erstgeborene unter vielen Brüdern“ vor uns. Der Zusammenhang zeigt, dass „von einem“ oder „aus einem“ hier „aus dem Vater“ bedeutet. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen Ihm und uns. Wer diesen Unterschied beachtet, erkennt, dass es wirklich göttliche Liebe in ihm ist, die Ihn „Brüder“ wie diese erkennen und auch so anreden lässt. Er ist der Sohn Gottes, sie sind nur Menschen. Er ist derjenige, der heiligt, sie sind geheiligt. Dennnoch schämt er sich ihrer nicht. Nach und nach wird er sie in sein Bild Bild verwandeln, sodass sie für immmer die passenden Genossen seines Herzens sein werden.

Diese Gedanken sind so neu und ungewöhnlich, dass der Apostel zum Beweis drei verschiedene Schrifstellen des Alten Testaments anführt. Zuerst zitiert er aus Psalm 22. Nachdem das Sündopfer vollbracht und der Leidende von den Hörnern der Büffel erhört worden war, sagt er: „Ich will deinen Namen meinen Brüdern kundtun; inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen.“ Das Evangelium von Johannes zeigt uns die Erfüllung dieser Ankündigung. Die beiden anderen Zitate stehen im Propheten Jesaja direkt nebeneinander (Jes 8,17-18). In diesen Versen personifiziert Jesaja den, der kommen würde. Die Übersetzung: „Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen“ stammt aus der Septuaginta, während im Propheten Jesaja übersetzt wird: „Ich will auf ihn hoffen.“ In beiden Fällen zeugt diese Aussage von dem Vertrauen auf Gott, das in vollkommener Weise in Christus war und das ihn zum „Anführer und Vollender des Glaubens“ machte. Er gab in seiner eigenen Person des vollkommene Beispiel für Glauben. Dies führte in praktischer Weise dazu, dass diejenigen aus der Familie des Glaubens seine „Brüder“ wurden.

Das dritte Zitat formuliert dieselbe Wahrheit auf andere Weise. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob nicht dasselbe gemeint wäre. Die Aussage: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat“ scheint sich auf das Verhältnis eines Vaters zu seinen Kindern zu beziehen. In Jesaja ist das auch tatsächlich der Fall. Doch hier bezieht sie sich auf Christus als den letzten Adam und liefert ein wichtiges Glied in der Beweiskette. Als der letzte Adam ist er das Haupt derjenigen, für die er sein Leben hingegeben hat. Der erste Adam war aufgrund des Lebens, das er seinen Nachkommen weitergab, der Erstgeborene unter seinen Brüdern. Ebenso ist Christus der Erstgeborene unter den Brüdern, denen er als lebendig machender Geist das göttliche Leben geschenkt hat.

Der Brief berührt hier thematisch des Johannesevangelium. Dort betet der Herr zu seinem Vater: „...so wie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, damit er denen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe.“ Doch zuvor musste das Weizenkorn in die Erde fallen und sterben, damit es viel Frucht bringt. Im vorliegenden Abschnitt zeigt Paulus sogar, dass Er Fleisch angenommen hat, um zu sterben: „Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen, damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren.“

In dieser Stelle geht es nicht um die Vergebung der Sünden, obwohl sie vorausgesetzt wird. Hier wird der Todesschatten vertrieben, indem das Licht des Lebens in ihn hinabsteigt. In dieser Weise hatte der Herr im Johannesevangelium von der Wirkung seines Kommens als Auferstehung und Leben gesagt: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ – das betrifft die Vergangenheit –, „und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit.“ Der Tod war – in der Vergangenheit. Für den Glauben hat er ihn „zunichtegemacht, aber Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht durch das Evangelium“ (2. Tim 1,10).

„Denn er nimmt sich fürwahr nicht der Engel an, sondern der Nachkommen Abrahams nimmt er sich an. Daher musste er in allem den Brüdern gleichwerden, damit er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werden, um die Sünden des Volkes zu sühnen.“

Das ist eine Sprache, die ein Israelit gut verstehen würde. Doch die „Nachkommen Abrahams“ und „das Volk“ werden im Licht des Christentums aus den Gläubigen gebildet. Wenn Israel als Volk dieser Beschreibung entspräche, dann könnte es als solches die Verheißungen beanspruchen. Doch der Brief ermahnt ja gerade dazu, das Lager aufgrund der Verwerfung Christi durch Israel zu verlassen, und diejenigen, an die er sich richtet, werden als „heilige Brüder, Genossen der himmlischen Berufung“ bezeichnet. Auf Israel trifft diese Bezeichnung nicht zu. Vor diesem Hintergrund müssen die Begriffe „Volk“ und „Nachkommen Abrahams“ hier verstanden werden.

Die Aussage ist eine Anspielung auf den Sühnungstag, an dem die Sünden Israels auf den Kopf des Bockes gelegt und weggenommen wurden. Der Tag gehörte zu den Festen des siebten Monats, die im Gegensatz zu den Festen zu Beginn des Jahres (das Passah und der ungesäuerten Brote, der Erstlingsgarbe und Pfingsten) nationale Feste sind und von der Erfüllung des Verheißungen an das Volk Israel zu dem Zeitpunkt sprechen, den Gott für angemessen befindet. Beim Fest des Posaunen-Halls zu Beginn des siebten Monats, dem Neumond (wenn das Licht der Gunst Gottes wieder auf Israel zu scheinen beginnt), hören wir die Stimme des Gedächtnisses an das Volk. Am zehnten Tag des siebten Monats, dem Sühnungstag, wird es unter den Wert des Werkes Christi gestellt. Das Laubhüttenfest, das mit dem fünfzehnten Tag beginnt, zeigt die Freude über die Wiederherstellung Israels im Land. Die erste Serie von Festen dagegen hat Israel verloren, weil es Christus ablehnte, als er kam. Die vorausschauende Weisheit Gottes ist der Grund dafür, dass das Passah ein Familienfest war: „Du wirst gerettet werden, du und ein Haus“. Diese Botschaft wird im Christentum verkündigt. Das Fest der ungesäuerten Brote ist untrennbar mit dem Passah verbunden, und die Garbe der Erstlinge (Christus ist auferstanden) sowie Pfingsten sind typisch christlich. Der Unglaube Israels hat den Segen für das Volk aufgeschoben.

So ist auch zu erklären, warum es am großen Sühnungstag zwei Böcke gab. Darüber ist schon viel gesagt worden. Für Israel die Vergebung der Sünden durch einen zeitlichen Abstand von dem Werk des Herrn getrennt, das die Grundlage dieser Vergebung ist. Israel hat den Segen abgelehnt, der ihm angeboten wurden. Genau das wird in den beiden Böcken vorgebildet. Wenn ihre Sünden auf den lebenden Bock gelebt werden, wird kein buchstäbliches Opfer dargebracht. In diesem Moment geschieht keine Sühnung. Der Ziegenbock ist ein Sündenbock, der nicht geopfert, sondern weggeschickt wird. Die Schrift spricht nirgends von einem Opfern dieses Ziegenbocks. Das ist wichtig, weil durch Unverständnis über diesen Punkt bereits viel Unheil angerichtet wurde. Es wird nicht mit (engl. with) ihn Sühnung bewirkt, sondern auf (engl. for) ihm (3. Mo 16,10). So wird der Begriff kapher al an anderen Stellen zurecht verstanden (s. 2. Mo 29,26; 30,10.15.16; 3. Mo 1,4; 4. Mo 4,20.26.31.35 etc.). Es wird nicht mit (engl. with) ihn Sühnung bewirkt, sondern auf (engl. for) ihm (3. Mo 16,10). So wird der Begriff kapher al an anderen Stellen zurecht verstanden (s. 2. Mo 29,26; 30,10.15.16; 3. Mo 1,4; 4. Mo 4,20.26.31.35 etc.). Dadurch entsteht die Frage, wie Sühnung geschehen kann beziehungsweise warum sie für den Bock geleistet wurde? Die Antwort darauf lautet: Sühnung ist deshalb nötig, weil beide Böcke als Sündopfer bestimmt sind (3. Mo 16,5), während in Wirklichkeit nur einer geopfert wurde. Das Los für den HERRN fiel auf den Bock, der geopfert werden sollte, der andere entging einer Opferung. Die Sühnung, die er bewirken sollte, wurde in Wirklichkeit durch den geopferten Bock für ihn bewirkt.

Die Anwendung auf Israel ist einfach. Der erste Bock wird geopfert und das Blut dieses Bockes wird ins Allerheiligste getragen, wenn der Hohepriester hineingeht. Erst dann, wenn er wieder herauskommt, werden die Sünden Israels auf den lebenden Bock gelegt und weggetragen. Die Zeit zwischen dem Eintreten unseres Hohenpriesters ins Heiligtum und seinem Hinauskommen umfasst die ganze christliche Zeitperiode. Sühnung – und zwar in vollem Umfang – ist ein für allemal geschehen, bevor Christus als der Hohepriester in den Himmel hineinging. Doch Israels Sünden werden erst dann weggetan, wenn er wieder herausgekommen ist. Natürlich wird dann kein neues Opfer mehr dargebracht. Der lebende Bock ist ein einfach ein Hinweis auf den Zeitpunkt, an dem tatsächlich Sühnung geschehen ist. Die beiden Böcke sind also nötig, um diese Verbindung aufzuzeigen. Sie sind ein Hinweis auf den Aufschub des Segens aufgrund des nationalen Unglaubens des Volkes.

Ein anderer Punkt darf nicht übersehen werden. Wenn der Hohepriester ins Heiligtum hineingeht, nimmt er nicht nur das Blut des Bockes für Israel mit sich, sondern auch das des Stieres für sein Haus. Das Haus Aarons symbolisiert uns Christen. Wie Petrus sagt, sind sie „ein geistliches Haus, eine heilige Priesterschaft“ (1. Pet 2,5). In ihnen sehen finden wir also die „Geheiligten“, die „Genossen Christi“ (“Teilhaber“, s. Heb 3,1), für die der große Hohepriester ein Opfer darbringt.

Es ist zu beachten, dass am großen Sühnungstag der Hohepriester allein das ganze Werk vollbringt. Keine andere Person aus der priesterlichen Familie tritt in Erscheinung. Sie werden lediglich in Verbindung mit dem für sie dargebrachten Opfer erwähnt. Für einige Ausleger erschien das so außergewöhnlich, dass sie infrage stellten, ob das Darbringen von Opfertieren eindeutig ein priesterlicher Dienst ist. Sogar die Tatsache, dass der Hohepriester das Heiligtum nicht in seinen Kleidern zur Herrlichkeit und zum Schmuck, sondern in einfachen weißen Leinen betrat, wird als Argument angeführt. Wir können das an dieser Stelle nicht weiter untersuchen. Es genügt, dass schon die Worte einen solchen Gedankengang nicht zulassen. Er ist „ein barmherziger und treuer Hoherpriester ..., um die Sünden des Volkes zu sühnen.“ Könnte man den priesterlichen Charakter davon, Sühnung zu bewirken, stärker betonen, als zu sagen, dass Er Hoherpriester war, um sie zu bewirken?

Der große Sühnungstag war insofern etwas Besonderes, als dass er „der Versöhnungstag“ (o. Sühnungstag) war. Deshalb wird alles das, was zu ihm gehört, in besonderer Weise hervorgehoben. Aus diesem Grund werden die gewöhnlichen Priester nicht erwähnt, auch wenn sie sicherlich dabei geholfen haben, die vielen Opfer darzubringen. Doch „der gesalbte Priester“ ist nur der Hohepriester, und an dem großen Sühnungstag steht nur er vor unseren Augen. Im weiteren Verlauf wird das noch deutlicher werden.

„Das Volk“, für as unser Hoherpriester Sühnung bewirkt, umfasst mehr Menschen als nur die Christen oder das priesterliche Haus. Es beinhaltet die wahren „Nachkommen Abrahams“, die ganze Familie des Glaubens. Gleichzeitig ist das Werk und damit die Sühnung groß genug, dass alle Menschen an ihrem Wert teilhaben können. Die „Sühnung für die ganze Welt“, von der Johannes spricht (1. Joh 2,2), ist leicht übereinzubringen mit dem „Sühnmittel durch den Glauben an sein Blut“ (Röm 3,25), denn alle Menschen sind dazu eingeladen, zu glauben. Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, darf er eine absolut wirksame Sühnung kennenlernen, die einer göttlichen Kenntnis seiner Not entspricht und der Gnade Gottes, die dieser Not begegnet. So hat der einmal gereinigte Anbeter kein Gewissen mehr von Sünden.

Im letzten Vers dieses Abschnitts wird uns die Hilfe des großen Hohenpriesters auf der Grundlage seiner menschlichen Erfahrungen zugesichert: „Denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden.“

Abschnitt 3 (Heb 3,1-6): Der dritte Abschnitt des zweiten Teils führt uns von der Erniedrigung des Herrn Jesus zu seiner Herrlichkeit. Als Sohn Gottes ist er über das Haus Gottes. Dass er Sohn Gottes ist, bildet die Grundlage seines Priestertums. Darin liegt hier auch die direkte Verbindung. Das Vorbild auch für diese Stelle ist noch immer der Sühnungstag, obwohl die Wirklichkeit über die Schatten hinausgeht. Der Hohepriester in Israel stand – mit gewissen Einschränkungen – über dem Haus Gottes. Im zehnten Kapitel wird das bestätigt: „Und einen großen Priester haben über das Haus Gottes“ (Heb 10,21). Dieser Gedanke wird also nicht nur an der vorliegenden Stelle vorgestellt. Wenn man das aus dem Auge verliert, ist es schwierig, zu verstehen, was hier gemeint ist. Wenn man das nicht bedenkt, ist es schwierig, zu verstehen, was hier gemeint ist. Mose ist der „Apostel“, während Aaron der Hohepriester ist. Wir werden dazu aufgefordert, beide als „Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses“ zu betrachten. Mose und Aaron erscheinen in der Geschichte Israels an vielen Stellen zusammen als ein Doppelbild des Herrn. Und so wie Mose (in gewissem Sinn) der Erbauer des Zeltes der Zusammenkunft war, so übertrug er nach ihrem Bau die Verantwortung für das Zelt an Aaron.

Das Haus, in dem Mose als Diener treu war, war nur ein „Gegenbild des wahrhaftigen“, über das Christus ist. Wie angedeutet wird und leicht zu erkennen ist, ist das Zelt der Zusammenkunft ein Abbild des Universums, von „allen Dingen“, die Gott geschaffen hat. Mose war selbst in „dem Abbild und Schatten der himmlischen Dinge“ nur ein Diener, der Anweisungen ausführte. Wie unendlich groß ist daher der Gegensatz zwischen Mose und Christus, dem Schöpfer all dessen, was durch das Zelt der Zusammenkunft vorgebildet wird – dem Schöpfer des Universums, das die Wohnung Gottes ist. Und nachdem Christus es geschaffen hat, gibt er es nicht in die Obhut eines anderen, sondern ist als Sohn über sein Haus gesetzt.

Es ist klar, dass der Brief hier von Mose spricht. Doch Aaron hier nicht namentlich erwähnt wird, spielt der Schreiber doch auf ihn an. Wenn der Sohn die Oberhoheit im Universum Gottes trägt und die Sünde als Störung in die herrliche Ordnung eintritt, führt das nicht dazu, dass er auf seine Position verzichtet. Es dient dazu, dass noch deutlicher wird, wie sehr diese Position zu ihm passt. Angesichts der Sünde wird der Sohn zum Priester, Mittler und Versöhner. Und in dem Moment, wo hinzugefügt wird: „Dessen Haus wir sind“, steht Aaron vor uns, und der Priester ist über uns, weil wir sein Haus sind.

Die Bretter des Zeltes der Zusammenkunft sind die bildliche Erklärung dafür, wo hier die Erlösten zu finden sind. Es ist dabei wunderbar, den Zusammenhang mit der Sichtweise auf das Zelt der Zusammenkunft zu erkennen. Wir erinnern uns: Das Zelt ist ein Abbild des gesamten Universums. Im Inneren dieser Hütte finden wir ein „geistliches Haus“, das von Sündern gebildet wird, die durch das Blut des Lammes erlöst und geheiligt sind. Dass es sie gibt, ist das Ergebnis eines Werkes, das noch größer ist als das Schöpfungswerk. So können wir verstehen, dass sie das Heiligtum Gottes bilden. Hier wird seine Heiligkeit, seine Gnade und seine mannigfaltige Weisheit wie nirgends sonst sichtbar. Und hier hören die Fürstentümer und Gewalten des Himmels das schönste Loblied.

Das priesterliche „Haus“ kann nicht von dem Gedanken des Universums als Haus Gottes getrennt werden. Dieses „Haus“ ist ein lebendiges Haus, ein Haus, das aus Menschen besteht. So wird es nicht nur als bloßes Haus gezeigt, sondern als ein Haus, in dem es lebendige Aktivität gibt. Psalm 22 beantwortet die Frage, warum Christus das Kreuz erdulden musste, damit, dass der „Heilige“ „bei den Lobgesängen Israels“ wohnt. Die Verbindung zu dem großen Sühnungstag ist offensichtlich, denn sein Hauptzweck bestand darin, dass der Herr weiterhin in der Mitte Israels wohnen konnte. Das vorliegende Kapitel steht in direktem Zusammenhang damit, obwohl es darüber hinausgeht wie die Wirklichkeit über den Schatten. Das Haus ist ein geistliches, ein priesterliches Haus, und darin erklingt das Lob eines Volkes, das ihm nahe gebracht ist. Für dieses Volk wird das größe Opfer des Versöhnungstages gebracht. Und da unser Hoherpriester nicht für sich selbst opfern musste, wurde der Ochse ausschließlich für das priesterliche Haus geopfert.

Es ist also nicht verwunderlich, dass die priesterliche Familie hier genannt wird. Es wäre indes seltsam, wenn sie nicht in Erscheinung treten würde. Petrus verbindet diese beiden Gedanken, die auf den ersten Blick zu unterschiedlich sind, um verbunden zu werden: „Ein geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um darzubringen geistliche Schlachtopfer, Gott wohlangenehm durch Jesus Christus“ (1. Pet 2,5). Die Aussage „dessen Haus wir sind“ zeigt, dass der Sohn, der über das Haus ist, jetzt der „große Priester über das Haus Gottes“ ist. Außerdem identifiziert diese Aussage das Zelt der Zusammenkunft mit denen, die priesterlich anbeten. Der Ausdruck „wen wir ... festhalten“ leitet den vierten Abschnitt ein und wird daher dort betrachtet.

Abschnitt 4 (Heb 3,7 - 4,13): Dieser vierte Abschnitt hat einen ganz anderen Charakter. Sein Inhalt gleicht einem Schatten, der auf das Licht folgt. Im Hebräerbrief sehen wir, wie gerade die hellsten Lichter die tiefsten Schatten werfen können. Dennoch können wir sicher sein, dass wir hier – wie überall im Wort Gottes – Unterweisungen finden, die für uns von größtem Nutzen sind.

Der Abschnitt beschäftigt sich mit der Wüste, durch die der Herr Israel in seine Ruhe führte. Er erinnert uns daran, dass es auch für uns eine Wüste gibt. Diese Wüste ist für uns der Ort, in dem wir geprüft werden und durch den hindurch wir zu der zukünftigen Ruhe gehen. Daher werden wir dazu aufgerufen, unseren Weg beharrlich fortzusetzen – „den Anfang der Zuversicht bis zum Ende standhaft“ festzuhalten. Das ist der Prüfstein dafür, dass die Aussage echt ist: „Dessen Haus wir sind, wenn wir ... festhalten“. Hier ist also Beständigkeit der Beweis für ein göttliches Wirken.

Der vierte Abschnitt enthält vier Unterabschnitte. Der erste Unterabschnitt (Heb 3,7-13) zeigt, dass ein Geist des Gehorsams Voraussetzung für den Segen ist. Die Gnade ändert daran nichts, sondern sie ruft in uns einen solchen Geist hervor. Dazu ist der Glaube, der durch die Liebe wirkt, das eigentliche Prinzip der Fruchtbarkeit.

Die Ermahnung an Israel, das frühere Volk Gottes auf dieser Erde, gilt heutefür uns genauso wie für sie damals: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht“. ahrheit spricht immer mit einer Autorität, die von denjenigen, die wahrhaftig sind, anerkannt wird. Und je kostbarer die Wahrheit ist, desto trauriger sind die Folgen, wenn sie abgelehnt wird. Mit der Wahrheit zu spielen – welche es auch ist –, ist gefährlich, denn die Folge davon ist die Verhärtung des Herzens. Wie viele Menschen haben ein Gewissen, das in bestimmten Bereich erlahmt ist (wenn man das so sagen will), weil sie sich weigern, auf die Stimme Gottes zu hören, die sie erkannt haben – und vielleicht auch deshalb, weil das Gewissen sich weigert, auf das zu hören, worin es befürchtet, die Stimme Gottes zu erkennen. Es ist ein falscher Gedanke, dass man nur dann verantwortlich ist, wenn man die Überzeugung hat, dass Gott gesprochen hat. ereits die Fragestellung: „Warst du wirklich bereit, ihn sprechen zu lassen?“ beinhaltet den Gedanken der Verantwortung. Was für Herzen haben wir, dass ihnen eine solche Frage gestellt werden muss! Und wie traurig ist es, dass der Unglaube auch in den Gläubigen zur Missachtung dieser einzigartigen, höchsten und unvergleichlichen Stimme führt.

Für die Absicht, die wir verfolgen, ist es nicht nötig, die Bedeutung der Sätze zu erklären, die mit „Wenn“ beginnen. Diese Warnungen dienen als Prüfung derjenigen, die ein Bekenntnis haben. Diejenigen, deren Bekenntnis echt ist, kommen ebenso unter diese Prüfung wie die, deren Bekenntnis nicht echt ist. Diese Prüfungen sind nötig, um zu unterscheiden, und Gott benutzt sie auch, um die Seinen zu üben. Wir alle haben noch das Fleisch in uns und neigen daher ständig zur Abkehr von Gott. Deshalb sind wir ständig auf seine Gnade angewiesen. Doch wie bereits oft gesagt wurde: Diese Aussagen sind keine Warnung vor zu viel Glauben oder vor zu wenig Glauben. Das Gegenteil ist der Fall: Sie dienen als Ermunterung, in freudiger Zuversicht bis zum Ende auszuharren. Durch den ganzen Brief hindurch wird der Glaube als etwas unbedingt Notwendiges dargestellt, denn die Wirklichkeit, die anstelle der Schatten tritt, ist noch unsichtbar. Der Glaube wird für das christliche Leben in der Weise betont wie Römer- und im Galaterbrief als Grund für unsere Annahme.

Das ist das Thema des zweiten Unterabschnitts (Heb 3,14 - 4,2). Hier wird gezeigt, dass das Wort mit Glauben vermischt sein muss, denn der Unglaube ist die eigentliche Wurzel und das Prinzip des Ungehorsams. Wir dagegen sind zu „Genossen Christi“ geworden (nicht zu „Teilhabern“, denn darin liegt eine andere Bedeutung). Er ist das vollkommene Beispiel des Glaubens, und zwar vom Anfang bis zum Ende. Wir dagegen müssen den Anfang der Zuversicht noch bis zum Ende standhaft festhalten. Dabei wird vorausgesetzt, dass es Schwierigkeiten gibt. Wie könnte sich der Glaube auch zeigen, wenn es keine Schwierigkeiten gäbe? Solche Schwierigkeiten sind kein Hindernis für den Glauben, sondern das Gegenteil. Sie dienen dazu, dass der Glaube tätig wird und sich offenbaren kann, und führen so zum Wachstum des Glaubens.

Diejenigen, „deren Leiber in der Wüste fielen“, sind keine Vorbilder von Gläubigen, sondern von denjenigen, die nicht in die Ruhe Gottes eingehen werden, die hier durch den Einzug in das Land Kanaan vorgebildet wird. Es ist wichtig, zwischen diesem endgültigen Einzug in das Land und dem Einzug in das Land unter der Führung Josuas zu unterscheiden. In der typologischen Bedeutung ist Josua keine Fortsetzung desvierten und fünften Buches Mose, sondern eine Parallele. Wir können durch den Glauben bereits in unser himmlisches Erbteil eingehen, während wir noch in der Wüste sind. In einem gewissen Sinn wird unsere derzeitige Situation durch die Kundschafter vorgebildet (4. Mo 13): Das Volk befand sich noch in der Wüste, während die Kundschafter bereits das Land erkundeten. Das fünfte Buch Mose beinhaltet aber nicht die Einnahme des Landes, sondern einen Rückblick auf die ganze Wüstenreise. Für uns erfüllt sich das erst am Richterstuhl des Christus. Wenn man Josua zu den Büchern Mose hinzufügt, werden sie zu einem „Hexateuch“, wie einige Kritiker meinen. Doch das ist nicht richtig. Das Buch Josua bidlet einen neuen Anfang und ist sozusagen das Buch Genesis eines neuen Pentateuch – dem Pentateuch der historischen Bücher. Wir müssen die Wahrheit Gottes unter Berücksichtigung der Ordnung betrachten, die Gott ebenfalls gegeben hat, denn sonst verstehen wir die Wahrheit nicht.

Der dritte Unterabschnitt (Heb 4,3-10) zeigt uns, was die Ruhe ist. Wir, die wir geglaubt haben, sind es, die eintreten werden, obwohl wir noch nicht eingetreten sind. In die Ruhe, wie sie hier beschrieben wird, kann in diesem Leben niemand eingehen. Sie liegt noch in der Zukunft. Gott hat von Anfang an immer von ihr gesprochen und sie den Menschen vor Augen gestellt. Es ist wahr, dass Gott am siebten Tag von allen seinen Werken ruhte. Doch der Mensch störte diese Ruhe.  So blieb sie nur ein Schatten dessen, was noch kommen wird. Auch die Worte Davids in dem zitierten Psalm, die er lange nach der Lebenszeit Josuas niedergeschrieben hat, zeigen, dass die Ankunft Israels im Land nicht bedeutete, dass Israel in die Ruhe eingegangen war. Daher bleibt eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig – eine Ruhe, die auch Gottes Ruhe sein wird. Für diejenigen, die in diese Ruhe eingehe, ist jede Mühe, die mit der Sünde in Verbindung steht, vorüber. Eine solche Ruhe ist für uns noch nicht gekommen.

Im vierten Unterabschnitt (Heb 4,11-13) ermahnt der Apostel daher seine Leser, sich zu bemühen, in die vor uns liegende Ruhe einzugehen, und führt erneut den Unglauben Israels in der Wüste als Warnung an. Sie hatten die gute Botschaft über das Land gehört, in das Gott sie bringen wollte, aber ihnen fehlte der Glaube, diese Botschaft auch zu ergreifen. Das Wort deckte nur ihren Unglauben auf, der mit ihrem rebellischen Geist einherging. Bei ihnen brachte die gute Botschaft nur Böses zum Vorschein. Es ist immer so, dass Gottes Wort uns erforscht und offenbart, was wir sind. Wenn wir uns dieser Prüfung unterziehen, wird uns das zu großem Segen sein. Wir stehen dann im Licht Gottes. So wird der Schleier von unseren Augen entfernt, der die Wahrnehmung behindert. „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Überlegungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.“

So wirkt das Wort Gottes mit Kraft. Das angerührte Gewissen bringt alles zur Beurteilung vor Gott. Die Nebel verziehen sich vor der Sonne. Und wenn das Licht scheint, wie es auf Gottes Geheiß zum ersten Mal aus der Finsternis auf die Wogen eines uferlosen und unfruchtbaren Meeres schien, entsinnen wir uns an das Wort: „Gott sah das Licht, das es gut war.“ Der Beginn jeder Gemeinschaft mit Gott ist der Empfang der Wahrheit.

Wenn „Seele und Geist“ gemeinsam genannt werden, dann können mit diesem Begriffen nur die beiden Teile der immateriellen Natur des Menschen sein, die die Heilige Schrift deutlich voneinander unterscheidet. Die Seele ist der niedrigere Teil des Menschen, der es mit Empfindungen, Instinkten und Gefühlen zu tun hat, und der, wenn er nicht wie beim Menschen vom Licht des Geistes durchdrungen ist, tierisch ist. Der Geist ist intelligent und kennt die Dinge im Menschen (1. Kor 2,11). Im natürlichen Menschen – eigentlich ein seelischer oder durch die Seele geleiteter Mensch (1. Kor 2,14) – ist allerdings keine Gotteserkenntnis vorhanden und der Verstand ist irdisch. Es ist daher wichtig, zwischen Seele und Geist zu unterscheiden.

Die Begriffe „Gelenke“ und „Mark“ weisen hin auf den Unterschied zwischen dem Äußeren und dem Inneren, zwischen der äußeren Form und dem dahinter verborgenen Wesen. Die Form ist nicht unwichtig. Aber ihre Schönheit und Wirksamkeit hängt davon ab, ob sie mit der eigentlichen Absicht übereinstimmt.

So ist das Wort Gottes im höchsten Sinne das Buch der Wissenschaft. In ihm ist das Wissen von Dingen enthalten, die dem Menschen von Natur aus unzuänglich sind. Alles steht in rechter Beziehung zueinander, nichts wird falsch gewichtet. Das Wort Gottes ist weder pendatisch noch technisch wie die Texte, in denen die Wissenschaft ihre Weisheit niederschreibt. Es hat eine schöne Einfachheit, womit es diejenigen täuscht, die sich für weise halten und nicht verstehen können, wie Gottes Wort sowohl für ein Kind als auch für einen Philosophen Licht ist.

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