Glücklich leben als Christ?
Teilhaber der göttlichen Natur
Gott hat uns durch Herrlichkeit und Tugend berufen. In Verbindung damit ist uns noch etwas Großes geschenkt worden, wie uns der nächste Vers zeigt:
„durch die er uns die größten und kostbaren Verheißungengeschenkt hat, damit ihr durch diese Teilhaber der göttlichen Natur werdet“ (2. Pet 1,4).
Der Ausdruck >durch die< steht im Griechischen in der Mehrzahl. Der Schreiber knüpft daher an die Begriffe >Herrlichkeit und Tugend< an und sagt gleichsam: Gott hat uns in Verbindung mit >Herrlichkeit< und mit >Tugend< die größten und kostbaren Verheißungen geschenkt. Die Verheißungen selbst stellt er hier zwar nicht vor, aber er sagt doch, dass sie sehr groß und kostbar sind. Später in seinem Brief spricht er allerdings von der Verheißung der Ankunft des Herrn und von der Verheißung über neue Himmel und eine neue Erde (Kap. 3,4.13), doch scheint die Bedeutung hier allgemeiner, umfassender zu sein. In jedem Fall stehen diese Verheißungen im Gegensatz zu den irdischen Verheißungen und Hoffnungen des Volkes Israel, wie uns beispielsweise 1. Petrus 1, Verse 3-5, zeigt. Das zu beachten war besonders für die aus diesem Volk kommenden Heiligen wichtig. Aber wenn hier die uns in Christus geschenkten Verheißungen mit Herrlichkeit und Tugend in Verbindung gebracht werden, dann wohl deshalb, weil sie sich einerseits in der Herrlichkeit erfüllen werden, aber andererseits ihre Kraft schon jetzt auf dem Weg dorthin entfalten.
Das ist etwas sehr Beglückendes. Die eigentlichen Segnungen des Christen liegen jenseits dieser Erde, unantastbar, unverlierbar. In der Herrlichkeit werden sie ihre volle Erfüllung finden. Doch das Wissen darum bewirkt in uns – wenn >Tugend< bei uns vorhanden ist – sittliche Kraft. Gewiss, wir sind erst noch auf dem Weg dorthin, aber die Herrlichkeit wirft bereits ihr Licht auf unseren Weg. Gott ist mit den größten und kostbaren Verheißungen auf der Seite derer, die geistliche Entschiedenheit zeigen. Durch diese Verheißungen gestärkt und ermuntert, werden wir zu „Teilhabern der göttlichen Natur“.
Spätestens an dieser Stelle werden wir wohl gewahr, dass mit diesem Ausdruck etwas anderes gemeint ist, als wir ihn gewöhnlich gebrauchen. Wenn wir von der >göttlichen Natur in uns< reden, dann meinen wir damit das göttliche Leben, das wir in der neuen Geburt empfangen haben. Nun ist es unumstritten, dass wir bei unserer Bekehrung das neue, göttliche Leben geschenkt bekommen haben und in diesem Sinn Teilhaber der göttlichen Natur geworden sind. Denn: „Jeder, der da glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren“ (i. Joh 5,1). Aber das ist offensichtlich nicht das, wovon Petrus hier redet. Andernfalls hätte er sagen müssen, dass sie durch die Verheißungen Teilhaber der göttlichen Natur geworden seien. Er sagt jedoch: „damit ihr ... werdet.“ Er spricht also von einer Absicht, nicht von einer vollzogenen Tatsache. Wieder ist er, wie wir es schon öfter gesehen haben, mit den erwünschten sittlichen Ergebnissen beschäftigt, nicht mit der Sache selbst.
Nun, wenn wir geschmeckt haben, dass der Herr gütig ist; wenn wir in Gemeinschaft mit Ihm unser Leben führen, dann werden wir in einem sittlichen Sinn zu Teilhabern der göttlichen Natur. Das ist es, was uns hier vorgestellt wird. Wir sind – wenn wir so sagen dürfen – in eine Atmosphäre gekommen, die Gott entspricht; wir atmen in derselben Atmosphäre, in der Gott ist. Und was ist das Ergebnis? Unser Herz wird geweitet in der Freude darüber, was Er ist; wir haben teil an Seinen Gedanken und Empfindungen. Ja, wir werden im wahrsten Sinn des Wortes „geistlich“ und offenbaren selbst die Wesenszüge Gottes.
Das ist bei Weitem nicht eine geringe Sache, es ist vielmehr der eigentliche Schluss- oder Gipfelpunkt alles dessen, was in diesen Versen gesagt wurde. Zuerst wird uns die Fähigkeit geschenkt, uns an Gott zu erfreuen. Und in dem Maß, wie wir diese Fähigkeit nutzen und in Gemeinschaft mit Ihm vorangehen, wird die Freude an Gott vertieft. Auf diese Weise werden wir befähigt, in praktischer Weise an den Wesenszügen Gottes teilzuhaben und sie im täglichen Leben zu offenbaren. Dieser Gegenstand ist dem Heiligen Geist so wichtig, dass Er im Folgenden in einer ganzen Kette von geistlichen Tugenden zeigt, in welcher Weise sich die göttliche Natur in uns entfalten soll (Verse 5–7). Wir werden uns damit nächstens beschäftigen dürfen.
Dem Verderben entflohen
Doch zuvor wird in der zweiten Hälfte des vierten Verses ein weiteres Ergebnis der göttlichen Kraft vorgestellt:
„die ihr dem Verderben entflohen seid, das in der Welt ist durch die Begierde“ (Vers 4).
Wenn das Herz mit Christus und der Herrlichkeit erfüllt ist, zu der wir berufen sind, wirkt der Heilige Geist in uns und führt uns zum Sieg über die Sünde. Das ist die einzige Art und Weise, wie wir den Sieg über die sündigen Begierden davontragen können: Wir sind mit etwas anderem, etwas Besserem beschäftigt!
Die Menschen dieser Welt werden unaufhörlich durch ihre Begierden und Lüste getrieben und gehetzt, aber ihr Weg endet im Verderben. Ja, schon jetzt ist das Verderben in der Welt – durch die Begierde. Haben wir uns schon einmal klargemacht, was dem Grundsatz nach hinter der Begierde, hinter der fleischlichen Lust steckt? Nichts anderes als der Wille des gefallenen Menschen. Die Lust des Fleisches und die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens sind „nicht von dem Vater“ (1. Joh 2,16). Sie sind vielmehr das Zeichen der gefallenen Schöpfung. Da der Mensch seine Befriedigung nicht in Gott sucht und findet, sucht er sie überall und findet sie nirgends – mit der Folge, dass die Seele immer tiefer herabgewürdigt und in die Sünde verstrickt wird. Und so wird der Mensch zum Spielball seiner eigenen Begierden und befindet sich bereits in dieser Zeit im Verderben.
Einst waren auch wir in der Welt und taten unseren eigenen Willen. Doch welch eine Gnade: Jetzt sind wir von unserem eigenen Willen befreit und sind in einem gewissen Sinn Herr geworden über uns selbst und unsere Wünsche! Denn wir atmen die heilige, reine Atmosphäre der Gegenwart Gottes – eine Atmosphäre, in der das Herz seine Freude daran findet, den Willen Gottes zu tun. Es ist zwar ein überaus beglückender Gedanke, dass, wenn wir einmal heimkommen in die himmlische Herrlichkeit, jede unreine Begierde, jeder Flecken, jede Beschmutzung durch Sünde für immer vorüber sein wird. Doch es ist so, als wollte Petrus uns hier sagen: „Wartet darin doch nicht erst auf den Himmel: Ein Großteil davon könnt ihr schon hier auf der Erde haben. Ihr besitzt die neue Natur, die sich an Gott freut; und wenn diese neue Natur Raum findet, sich zu entfalten, wachsen Gnade und Friede, und ihr entflieht dem Verderben, das in der Welt ist durch die Begierde.“ Paulus lehrt dasselbe: „Wenn wir durch den Geist leben, so lasst uns auch durch den Geist wandeln“ (Gal 5,25).
Teilhaber der göttlichen Natur zu sein – es ist ein unermessliches Vorrecht. Wie bewunderungswürdig ist das Handeln Gottes! Aus staubgeborenen Sündern hat Er solche gemacht, die zur Gemeinschaft mit Ihm befähigt sind, die Seine Gedanken teilen und Ihm Anbetung darbringen dürfen. Und wenn auch – heute unübersehbarer denn je – das Verderben in der Welt ist, oder, wie Johannes es ausdrückt, die Welt „in dem Bösen liegt“ (1. Joh 5,19), so sind wir dieser schmutzigen Szene doch bereits entflohen, sofern wir die Gemeinschaft mit Gott verwirklichen. Wir nehmen dann tatsächlich ein Stück vom Himmel vorweg, und das ist es, wozu Gott uns durch diese Worte ermuntern möchte.