Das Lebensziel bestimmt den Lebensstil
Der Brief an die Philipper – Vers für Vers erklärt
Einleitung
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Der Brief von Paulus an die Philipper beeindruckt durch seine persönliche und zu Herzen gehende Art, vor allem jedoch dadurch, dass er in einer besonderen Weise auf unseren Herrn und Erlöser hinweist. Er ist an die erste Versammlung in Europa gerichtet, die durch den Dienst des Apostels Paulus entstanden ist. Dieser Brief zeigt den Gläubigen auf seinem Weg zum Ziel – und wie das Lebensziel seinen Lebensstil prägt.
Der Philipperbrief ist von besonderem praktischen Wert. Er macht uns – abgesehen von einigen wenigen Versen – nicht so sehr mit den Grundzügen christlicher Lehre, den Grundlagen unseres Heils oder dem Ratschluss Gottes in Bezug auf Christus und seine Versammlung vertraut. Er spricht vielmehr in erster Linie über die Praxis des christlichen Lebens. Paulus öffnet den Philippern weniger den Ratschluss, sondern mehr das Herz Gottes. Andere Briefe, wie z. B. der Römerbrief, der Kolosserbrief und der Epheserbrief beschäftigen sich vornehmlich mit unserer Stellung in Christus. Doch Gott lässt es dabei nicht bewenden. Er gibt uns einen Brief wie den Philipperbrief, damit wir sehen, wie wir unsere Stellung praktisch im täglichen Leben umsetzen und verwirklichen können. Das geschieht nicht auf eine „theoretische“ oder gar „theologische“ Art und Weise. Gott stellt uns einen Mann vor, der es vorgelebt hat. Der Apostel Paulus hat nicht nur gepredigt, dass „Christus unser Leben“ ist. Er hat in seinem Leben den Beweis erbracht, dass das Leben für ihn tatsächlich Christus war. Davon ist sein Brief an die Philipper ein lebendiges Zeugnis.
Paulus befand sich in schwierigen Umständen, als er den Philippern schrieb. Gerade aus diesen Umständen heraus zeigt er, dass alles, was außerhalb von Christus zu finden ist, keinen Wert für ihn hatte. Alles – selbst seine natürlichen Vorzüge – hatte er für Schaden und Dreck geachtet. Er kannte fortan nur ein Ziel: Er wollte Christus gewinnen und in Ihm gefunden werden (Phil 3,8.9). Dieses Lebensziel bestimmte seinen Lebensstil. Darin ist er uns ein Vorbild.
Die Bibel belehrt uns, dass Christus – was unsere Stellung vor Gott betrifft – unser Leben ist (Kol 3,4). Die Frage, die uns der Philipperbrief bis heute stellt, lautet anders: Ist unser tägliches Leben wirklich von Ihm durchdrungen? Nimmt Er den zentralen Platz in unserem Leben ein? Ist unser Leben auf dieses eine Ziel hin ausgerichtet? Bestimmt unser Lebensziel den Lebensstil? Paulus schreibt: „… eins aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ (Phil 3,13.14).
Dieses Buch soll dazu beitragen, den Brief von Paulus an die Philipper besser zu verstehen. Es ist zum einen eine Vers-für Vers-Erklärung und Auslegung des Textes. Zum anderen soll der erbauliche Bezug zur Praxis des christlichen Lebens nicht fehlen.
Die Stadt Philippi
Das uns heute bekannte Griechenland teilte sich zur Zeit des Neuen Testaments in zwei große Regionen auf. Der südliche Teil war Achaja mit den Städten Athen und Korinth, der nördliche Teil war Mazedonien mit den Städten Thessalonich, Beröa und Philippi. Philippi war zu der Zeit, als Paulus seinen Brief schrieb, eine römische Kolonie. Die Stadt lag im Osten Mazedoniens an der Via Egnatia, einer großen Heerstraße, die Rom mit dem Orient verband. Gegründet wurde Philippi aus militärischen Gründen – und zwar von König Philipp von Mazedonien, dem Vater von Alexander dem Großen. Ursprünglich bestand dort eine Siedlung mit Namen Crenides. Um ca. 300 v. Chr. entriss König Philipp diese Siedlung den Thraziern. Er baute sie zu einer militärischen Festung aus, um vor weiteren Angriffen der Thrazier besser geschützt zu sein. Nach diesem König Philipp wurde die Stadt dann benannt.
Um ca. 168 v. Chr. wurde Philippi von den Römern annektiert. Als Mazedonien später in vierTeile aufgeteilt wurde, war Philippi die erste Stadt eines dieser vier Bezirke. Im Jahr 42 v. Chr. erhielt Philippi durch Kaiser Augustus das römische Stadtrecht mit den damit verbundenen Vorzügen und Rechten. Aus diesem Grund lesen wir beispielsweise in Apostelgeschichte 16,35 von Hauptleuten und Rutenträgern. Hauptleute waren gemeinsam mit den Vorstehern für die öffentliche Ordnung verantwortlich. Rutenträger führten die vom Rat verhängten Strafen aus. Trotz des römischen Stadtrechts war Philippi allerdings keine so bedeutende Stadt wie etwa Thessalonich, Korinth oder Athen.
Die Einwohner Philippis waren überwiegend Römer. Im Gegensatz zu anderen Städten im Römischen Reich hatten sich dort nur verhältnismäßig wenig Juden angesiedelt. Deshalb gab es in Philippi keine Synagoge. Wir lesen in Apostelgeschichte 16,13 lediglich von einem Ort des Gebets, wo sich die wenigen Juden (überwiegend wohl Frauen) trafen.
Paulus in Philippi
Der göttlich inspirierten Bericht über den Besuch von Paulus und seinen Mitarbeitern in Philippi steht in Apostelgeschichte 16. Paulus befindet sich auf seiner zweiten Missionsreise (ca. 51–54), die ihn zunächst nach Derbe, Lystra, Phrygien und Galatien führt. Vom Heiligen Geist werden die Missionare gehindert, das Wort in Asien zu reden, und auch der Weg nach Bithynien wird ihnen durch den Geist Jesu versperrt (Apg 16,6.7). Dann erscheint Paulus in der Nacht ein Gesicht. Dieses Gesicht markiert einen wichtigen Augenblick in der Geschichte des christlichen Zeugnisses auf der Erde. Lesen wir den Bericht des Schreibers Lukas:
„Und es erschien Paulus in der Nacht ein Gesicht: Ein gewisser mazedonischer Mann stand da und bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! Als er aber das Gesicht gesehen hatte, suchten wir sogleich nach Mazedonien abzureisen, da wir schlossen, dass Gott uns gerufen habe, ihnen das Evangelium zu verkündigen. Wir fuhren aber von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothraze und am folgenden Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das die erste Stadt jenes Teiles von Mazedonien ist, eine Kolonie. In dieser Stadt aber verweilten wir einige Tage“ (Apg 16,9-12).
Auf diese Weise kommen Paulus und seine Reisebegleiter Silas, Lukas und Timotheus durch die Leitung des Heiligen Geistes zum ersten Mal nach Europa, um dort in Philippi das Evangelium von der heilbringenden Gnade Gottes zu verkündigen.
Lukas berichtet uns ausführlich von dem Geschehen in Philippi. Die erste Person, deren Herz und Haus der Herr auftut, ist Lydia, eine Purpurhändlerin (vermutlich eine eher vornehme Frau). Sie gibt Acht auf das, was von Paulus geredet wurde. Danach regt sich der Widerstand von Feinden. Nachdem Paulus den Wahrsagegeist einer Frau ausgetrieben hat, werden Paulus und Silas gefangengenommen und nach Folterungen im Gefängnis von Philippi inhaftiert. Doch der Herr wirkt ein Wunder. Durch ein Erdbeben öffnen sich die Türen des Gefängnisses, ohne dass einer der Häftlinge flieht. Durch das Geschehen tief erschüttert und beeindruckt, findet der Gefängniswärter dieses Gefängnisses (vermutlich ein eher rauer Mann) mit seiner ganzen Familie zum lebendigen Glauben an den Herrn Jesus.
Kurz danach verlassen Paulus, Silas und Timotheus Philippi, während Lukas offensichtlich noch einige Zeit dableibt. Während seiner dritten Missionsreise (ca. 54–58) hat Paulus Mazedonien – und damit vermutlich auch Philippi – erneut besucht (Apg 20,1; 2. Kor 2,13). Einzelheiten darüber sind nicht bekannt.
Die Versammlung in Philippi
Die örtliche Versammlung in Philippi bestand überwiegend aus ehemaligen Heiden, die sich zum Christentum bekehrt hatten. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der Philipperbrief keine Zitate aus dem Alten Testament enthält. Einige der Geschwister aus Philippi werden genannt, z. B. Lydia, die Purpurhändlerin, der Kerkermeister, der Bruder Epaphroditus (Kap. 2,25) oder die Schwestern Evodia und Syntyche (Kap. 4,2). Aus den Einzelheiten, die Gott uns über diese Geschwister mitteilt, können wir schließen, dass sie im Charakter und in ihren Veranlagungen recht unterschiedlich gewesen sein mögen. Dennoch waren sie gemeinsam durch mindestens drei Dinge gekennzeichnet: Erstens durch Glauben an den Herrn Jesus, zweitens durch Eifer für das Evangelium und drittens durch eine große Liebe und Wertschätzung zu dem Apostel Paulus. Darüber hinaus erfuhren sie – wie Paulus selbst – den Widerstand solcher, die verhindern wollten, dass das Evangelium weiter verbreitet wurde.
Zwischen Paulus und den Philippern bestand von der ersten Stunde an ein besonders gutes, persönliches und liebevolles Verhältnis. Deshalb schreibt er ihnen als Freund und Bruder. Er weist zu Beginn des Briefs nicht auf sein Apostelamt hin, was er in anderen Briefen wohl tut. Wie keine andere Versammlung hatten die Philipper von Anfang an im Evangelium mitgearbeitet und -gekämpft, was auch die finanzielle Unterstützung von Paulus einschloss (Kap. 4,15.16). Dieser Tatbestand ist umso bemerkenswerter, weil die Geschwister offensichtlich nicht sonderlich wohlhabend waren. Paulus erwähnt das – sicher nicht ohne Grund – den Korinthern gegenüber, wenn er ihnen schreibt: „Wir tun euch aber kund, Brüder, die Gnade Gottes, die in den Versammlungen Mazedoniens gegeben worden ist, dass bei großer Drangsalsprüfung das Übermaß ihrer Freude und ihre tiefe Armut übergeströmt sind in den Reichtum ihrer Freigebigkeit. Denn nach Vermögen, ich bezeuge es, und über Vermögen waren sie von sich aus willig ...“ (2. Kor 8,1-3).
Das enge Band zwischen Schreiber und Empfängern erkennen wir auch an den im Brief vorkommenden Ausdrücken wie Teilnahme und Gemeinschaft, z. B. „Teilnahme am Evangelium“ (Kap. 1,5),„Mitteilnehmer der Gnade“ (Kap. 1,7),„Gemeinschaft des Geistes“ (Kap. 2,1),„Teilnahme an der Drangsal“ (Kap. 4,14). Es gab also innere Werte, die Paulus mit den Philippern verband, und das kommt in seinem Brief deutlich zum Ausdruck.
Verfasser und Entstehung des Briefs
Paulus stellt sich selbst als Autor des Briefs vor (Kap. 1,1). Für jeden bibeltreuen Christen, der an die Inspiration des Wortes Gottes glaubt, kann es also keinen Zweifel geben, wer den Brief geschrieben hat. Sprache, Stil und Ton „passen“ darüber hinaus zu der Art und Weise, wie Paulus schreibt. Dennoch gibt es einige liberale und bibelkritische Theologen, die an der Verfasserschaft von Paulus zweifeln. Ihren Argumenten hier nachzugehen und sie zu widerlegen, ist müßig. Wir glauben dem, was Gott uns in seinem Wort sagt.
Schon recht früh begann der Brief unter den ersten Gläubigen zu kursieren. Die Kirchenväter Polykarp (ca. 70–155), Irenäus (ca. 140–202) und Clemens von Alexandrien (ca. 150–215) zitieren ihn in ihren Briefen bereits als von Paulus stammend. Clemens von Rom und Tertullian erwähnen den Philipperbrief ebenfalls in ihren Schriften. Frühe Kanonaufstellungen (Marcion, Muratorisches Fragment) enthalten ihn ebenfalls als Brief von Paulus.
Es ist eindeutig, dass Paulus den Brief geschrieben hat, als er ein Gefangener war (vgl. Kap. 1,7.13.14.17). Wenn wir den Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte genau verfolgen, erkennen wir, dass Paulus sowohl in Jerusalem (Kap. 21,33 ff.) als auch in Cäsarea (Kap. 23,25 ff.) und in Rom (Kap. 28,16 ff.) ein Gefangener gewesen ist. Darüber hinaus nehmen einige an, dass Paulus ebenfalls eine Zeit lang in Ephesus inhaftiert war. Traditionell gehen die meisten Ausleger davon aus, dass der Philipperbrief während der ersten Gefangenschaft des Paulus in Rom geschrieben worden ist (Apg 28,30.31). Einige Bibelkommentatoren weisen hingegen auf Cäsarea oder Ephesus als Entstehungsort hin. Der Brief selbst gibt jedoch einige deutliche Hinweise, die für die traditionelle Auffassung sprechen. Paulus spricht z. B. von dem Prätorium (der kaiserlichen Leibgarde; Kap. 1,13), er erwähnt das Haus des Kaisers (Kap. 4,22) und äußert die Hoffnung, bald freizukommen (Kap. 1,25.26; 2,24). Diese Andeutungen lassen den Rückschluss zu, dass der Brief eher zum Ende der Gefangenschaft geschrieben ist, also wahrscheinlich später als die Briefe an die Epheser, Kolosser und an Philemon, die ebenfalls aus dem Gefängnis in Rom stammen. Zwischen dem Besuch von Paulus, so wie er uns in Apostelgeschichte 16 berichtet wird, und seinem Brief liegen also ca. 10 Jahre.
Hauptgedanke und Zweck des Briefs
Jeder Brief des Neuen Testaments hat seinen eigenen, von den anderen Briefen unterschiedenen Schwerpunkt. In seiner Weisheit gibt Gott uns in der Gesamtheit aller Briefe genau das an Belehrung, was wir für unser Leben nötig haben. Paulus hatte den besonderen Auftrag, uns mit den Grundlagen unserer Stellung vor Gott und mit dem Ratschluss Gottes in Bezug auf Christus und die Versammlung vertraut zu machen. Seine Briefe sind in erster Linie Briefe lehrmäßigen Inhalts, während z. B. der Apostel Petrus mehr unsere tägliche Lebensführung im Auge hat.
Der Philipperbrief stellt in diesem Sinn eher eine Ausnahme dar. In diesem Brief geht es nicht – wie einleitend bereits bemerkt – so sehr um die Lehre, sondern um das Verhalten der Gläubigen. Im Vordergrund stehen nicht unsere Stellung und unsere Segnungen in Christus, sondern die Praxis unseres Christenlebens. Deshalb lesen wir weniger von der Einheit des Leibes als vielmehr von ausgelebter Teilnahme und Gemeinschaft. Obwohl an eine örtliche Versammlung gerichtet, ist es ein sehr persönlich gehaltener Brief, persönlicher als alle anderen Briefe, die Paulus sonst an Versammlungen geschrieben hat. Dieser Umstand lässt uns gleichzeitig tiefe Einblicke in das Innere von Paulus tun. Wir erkennen, von welchen Empfindungen dieser große Gottesmann bewegt wurde. Das allein ist schon außerordentlich lehrreich und zu Herzen gehend.
Der Philipperbrief zeigt uns, wie die Lehre im täglichen Leben umgesetzt wird. Die christliche Lehre steht und fällt mit der Person des Herrn Jesus. Unsere Stellung besitzen wir allein in Ihm. Doch unsere praktische Lebensführung steht und fällt ebenfalls mit Ihm. Nur wenn Christus wirklich unser Leben ist, wenn wir wirklich alles in Ihm finden, hat sich das Leben gelohnt. Wir erkennen, dass wir Lehre und Praxis nie voneinander trennen können. Die Lehre gibt uns die Grundlage, auf der wir stehen. Auf dieser Grundlage können wir in der täglichen Praxis des Lebens sichere Schritte zur Ehre unseres Herrn tun. Das zeigt uns der Philipperbrief deutlich. In schwierigsten Umständen im Gefängnis in Rom geschrieben, zeigt er uns einen Mann, in dem Christus den ersten und einzigen Platz hatte. Paulus spricht in diesem Brief so oft von Freude wie in keinem anderen Brief (über 15-mal kommen Worte wie Freude und sich freuen vor). In den Umständen, in denen Paulus sich befand, konnte er keine Freude finden – im Gegenteil. Es war die Tatsache, in Christus alles gefunden zu haben, die ihn von Freude schreiben ließ. Paulus brachte alles mit der Person seines Herrn in Verbindung. Deshalb wundert es uns nicht, dass der Brief nicht nur häufig von Freude schreibt, sondern den Namen des Herrn im Verhältnis zu seiner Länge öfter nennt als jeder andere Brief. Paulus ergeht es wie den Söhnen Korahs, die davon sprechen, dass man zwar durch das Tränental geht, es jedoch zu einem Quellenort macht (Ps 84,7). Deshalb kann er in schwierigsten Umständen von Freude sprechen. Ein geschätzter Diener des Herrn, der selbst durch schwierige Umstände ging, hat sinngemäß einmal gesagt: „Das Geheimnis der Freude von Paulus im Gefängnis erklärt sich dadurch, dass Paulus den Herrn zwischen sich und die Umstände stellte.
Sobald wir es umgekehrt machen und die Umstände zwischen uns und den Herrn stellen, ist die Freude dahin.“1
Der Philipperbrief ist ein Brief echter christlicher Erfahrungen. Es sind allerdings nicht die negativen und enttäuschenden Erfahrungen eines Christen, der Fehler macht und seinen Herrn verunehrt. Es sind vielmehr die Erfahrungen eines gereiften Christen, der alles in seinem Herrn gefunden hat und in Ihm zur Ruhe gekommen ist. „Das Leben ist für mich Christus“ – das ist die zentrale Botschaft. Der Brief zeigt uns den Gläubigen nicht wie der Kolosserbrief als mit Christus auferweckt oder wie der Epheserbrief als mit Christus in die „himmlischen Örter“ versetzt, sondern wir werden in diesem Brief in den Umständen auf der Erde gesehen. In diesen Umständen machen wir natürlich Erfahrungen mit dem Fleisch (der Sünde, der alten Natur) in uns. Wir alle straucheln oft (Jak 3,2). Doch darum geht es in diesem Brief nicht. Das Wort „Sünde“ kommt nicht einmal vor. Das Wort „Fleisch“ – in dem negativen Sinn unserer alten Natur – ebenfalls nicht. Paulus stellt sich selbst als glücklichen Menschen vor – obwohl er im Gefängnis war. Es lief nicht alles glatt für ihn – im Gegenteil, eine Gerichtsverhandlung vor dem grausamen Kaiser Nero lag vor ihm. Doch das stand für Paulus nicht im Mittelpunkt. Er war den Sorgen und Nöten des Lebens gegenüber bestimmt nicht gefühllos. Trotzdem spricht er nur wenig davon. Es ging ihm darum, Christus zu erheben, d. h. zu verherrlichen (Kap. 1,20), Ihn zu gewinnen (Kap. 3,8), in Ihm gefunden zu werden (Kap. 3,9) und Ihn zu erkennen (Kap. 3,10). W. Kelly hat einmal sinngemäß gesagt, dass wir dann zu allen Dingen richtig stehen, wenn wir richtig zu Christus stehen. Das hatte Paulus erlebt und praktiziert.
Paulus richtet die Blicke der Briefempfänger auf das Ziel. Er weiß, dass sie noch in den Umständen der Wüste sind. Er weiß, dass sie das Ziel noch nicht erreicht haben. Er macht ihnen Mut, das Ziel fest ins Auge zu fassen und den Wettlauf zu vollenden (Kap. 3,13). Dieses Ziel ist Christus. Der Vergleich mit dem 5. Buch Mose drängt sich auf. Dieses Buch zeigt uns das irdische Volk Gottes, das die Erfahrungen und Probleme der Wüste hinter sich hat und nun vor dem Einzug in das verheißene Land steht. Mit diesem Land, das ihr Erbe war, sind sie beschäftigt. Mose weiß um die Erfahrungen der Wüste, und er spricht sie an. Doch im Zentrum seiner Worte an das Volk steht das, was vor ihnen liegt. Ähnlich ist es im Philipperbrief. Es geht um das Ziel, um Christus. Deshalb wird die Errettung hier als etwas gesehen, das noch in der Zukunft liegt (Kap. 1,19; 3,20).
Der äußere Anlass für den Brief waren die Philipper selbst. Offensichtlich hatten sie Kenntnis davon bekommen, dass Paulus in Rom inhaftiert war. Deshalb sandten sie Epaphroditus mit einer Geldgabe nach Rom (Kap. 4,18), um ihm eine Freude zu bereiten, ihre Teilnahme zu bekunden und ihn gleichzeitig (wahrscheinlich finanziell) zu unterstützen. Die Reise nach Rom war lang und barg einige Gefahren in sich. In Rom angekommen, wurde Epaphroditus krank – und zwar todkrank. Ob die Krankheit eine Folge der Reisestrapazen war, wissen wir nicht. Tatsache ist, dass er dem Tod nahe war (Kap. 2,27). Wenn Gott sich nicht erbarmt hätte, wäre er wohl gestorben. Die Nachricht von der Krankheit ihres Mitbruders hatte die Philipper erreicht (Kap. 2,26) und sehr beunruhigt. Deshalb schickte Paulus ihn nun nach Philippi zurück. Dabei gab er ihm einen Brief mit auf die Reise – einen Dankesbrief für die empfangene Gabe – einen Brief, den wir heute noch kennen: den Brief an die Philipper.
Hinter dem äußeren Anlass erkennen wir die Hand Gottes und die Leitung des Heiligen Geistes, der uns den von Paulus verfassten Brief bis heute erhalten hat. Dieser Brief ist mehr als ein Dankesbrief für eine empfangene Unterstützung. Gott hat seinen Knecht Paulus durch seinen Geist inspiriert, einen Brief zu schreiben, der einen Teil des Wortes Gottes ausmacht, einen Brief, durch den wir heute noch unterwiesen, ermuntert, getröstet und ermahnt werden.
Der Brief enthält jedoch zugleich Warnungen. Paulus war nicht ganz ohne Sorge im Blick auf seine Geschwister, die er so sehr liebte. Es gab gewisse Spannungen unter einigen von ihnen. Wahrscheinlich hatte Epaphroditus ihm davon berichtet, dass es Meinungsverschiedenheiten gab. Diese Disharmonien waren nicht etwa aufgekommen, weil die Philipper weltlich oder irdisch gesinnt waren. Möglicherweise ging es ursächlich um Fragen der Verbreitung des Evangeliums (Kap. 4,2.3). Paulus nimmt die Spannungen zum Anlass, um auf das große Vorbild, den Herrn, hinzuweisen (Kap. 2,5–8) und uns seine Gesinnung vorzustellen.
Darüber hinaus sah Paulus Anzeichen für Gefahren durch jüdische Elemente (Kap. 3,2.3; 3,18), die dem Werk des Herrn schaden konnten. Auf diese Gefahr geht Paulus ebenfalls ein, indem er Christus als „Heilmittel“ vorstellt.
Zusammenfassend erkennen wir folgende Zwecke des Briefes:
- Es ist ein Brief des Dankes für die empfangene Gabe.
- Es ist ein Brief der Ermunterung. Der Blick auf die Umstände konnte traurig machen, der Blick auf Christus war Grund und Ursache zu tiefer Freude.
- Es ist ein Brief der Warnung vor Uneinigkeit und Streit (Gefahren von innen).
- Es ist ein vorbeugender Brief, um auf die Gefahr der Gesetzlichkeit hinzuweisen, die kommen könnte (Gefahren von außen).
Einteilung des Briefs
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diesen Brief zu gliedern. Der Kapiteleinteilung folgend ergibt sich eine Möglichkeit, die uns helfen kann, die Gedanken dieses Briefes ein wenig leichter zu erfassen. Zu diesem Zweck kann man jedem Kapitel eine Überschrift geben:
Kapitel 1: Christus als Inhalt und Zweck für unser Leben!
Vers 21: „Denn das Leben ist für mich Christus.“
Wenn das so ist, dann ist Christus das alles durchdringende Element unseres Lebens. Er wohnt in uns und füllt uns aus. Das christliche Leben besteht darin, für Ihn zu leben und vollständig von Ihm kontrolliert zu werden. Wer so lebt, wird anderen davon berichten und die Botschaft von Ihm weitersagen.
Kapitel 2: Christus als Vorbild für unser Leben!
Vers 5: „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war.“
Wenn das so ist, dann werden wir in der gleichen Art und Weise denken, reden und handeln wie Er es als Mensch auf der Erde tat, als Er sich freiwillig so tief erniedrigte. Wer so lebt, löst alle Konflikte und stellt sich seinen Mitgeschwistern als echte Hilfe zur Verfügung.
Kapitel 3: Christus als Ziel für unser Leben!
Verse 13.14: „Eins aber tue ich: vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.“ Wenn das so ist, dann verliert alles, was die Erde uns noch bieten kann, ihren Reiz. Wer so lebt, ist ein zielorientierter Christ. Das Lebensziel bestimmt einen Lebensstil.
Kapitel 4: Christus als Kraft und Stärke für unser Leben!
Vers 13: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.“ Wenn das so ist, dann suchen wir unsere Hilfsquellen nur noch bei Ihm allein. Wer so lebt, hat genug für alle Lebensumstände.
Fußnoten
- 1 Nach einem Vortrag von M. Billeter