Jakob - Gott kommt zum Ziel
Der junge Jakob (1. Mo 25,27–34)
Während die Schrift nur wenig über Isaak berichtet, hat sie umso mehr über Jakob zu sagen – wie auch zuvor schon über Abraham. Dabei sind die Unterschiede zwischen den göttlichen Berichten über diese drei Patriarchen bedeutsam und voller Belehrung.
Der Großvater war vor allem ein Mann des Glaubens. Er wurde in besonderer Weise von Gott berufen und so zum Haupt eines auserwählten Geschlechts – wie Adam das Haupt der gesamten Menschheit war. Isaak war ausdrücklich der Sohn Saras, der Freien (Gal 4,22). Von ihm wird gesagt: „In Isaak soll dir eine Nachkommenschaft genannt werden“ (1. Mo 21,12; Röm 9,7). Er war Abrahams Sohn und Erbe. Schließlich sehen wir in dem umherziehenden Jakob – dem Überlister Esaus, aber Kämpfer Gottes – die gnadenvollen Absichten Gottes für sein irdisches Volk in ihrer reichen und eindrucksvollen Vielfalt.
In Jakob bot sich Gott die Gelegenheit, seine Souveränität bei den Zwillingen von Isaak und Rebekka zu entfalten. Denn „selbst als die Kinder noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten (damit der Vorsatz Gottes nach Auswahl bleibe, nicht aus Werken, sondern aus dem Berufenden), wurde zu ihr [Rebekka] gesagt:,Der Größere wird dem Kleineren dienen'“ (Röm 9,11.12). Diese Souveränität Gottes hatte sich schon früher gezeigt, als zu Abraham gesagt wurde: „Stoße die Magd und ihren Sohn hinaus“ (Gal 4,30). Doch jetzt, als Jakob erwählt wurde und nicht Esau, trat sie noch deutlicher ans Licht. Niemand soll sich rühmen, als nur in dem Herrn, dem allein Ruhm gebührt. Oder darf nur der Mensch über seine (vermeintlichen) Rechte nachdenken und sprechen? Sündiger Mensch! Sollte Gott der Einzige sein, der keine Rechte hat? Darf Er das Unrecht des Menschen lediglich „registrieren“? Ja, das Unrecht des Menschen, nicht etwa sein Recht! Das ist die Wahrheit, und kein Gläubiger sollte sie vergessen, seit ein lebendiges Werk in seiner Seele begonnen hat.
Betrachten wir kurz die Jugendzeit der beiden Söhne Isaaks. Sie wird treffend skizziert durch die Beziehung des Vaters und der Mutter zu ihren Söhnen: „Isaak hatte Esau lieb, denn Wildbret war nach seinem Mund; Rebekka aber hatte Jakob lieb“ (V. 28).
Esau hielt sich im Land der Verheißung nicht als Fremdling auf. Weil er sich dort heimisch fühlte und keine himmlische Hoffnung besaß, schlug er den Weg Nimrods ein – auch wenn er vielleicht nie an diesen Nachkommen Hams gedacht hatte, der lange Zeit vor ihm als „gewaltiger Jäger“ gelebt hatte (1. Mo 10,8.9). Von Anfang an war er Abraham so unähnlich, wie einer aus dessen Linie es nur sein konnte. In seiner Liebe zu aufregenden und leichtsinnigen Abenteuern verachtete er den elterlichen Hof. Es war ihm zu eintönig, sich um die Viehherden zu kümmern. Mochten andere die Stadt erwarten, „die Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“ (Heb 11,10) – im Herzen Esaus hatte sie nicht den geringsten Platz. Für ihn war das gegenwärtige Leben alles, und besonders die Jagd. Sie erforderte von ihm nicht nur Mut in der Überwindung von Schwierigkeiten, sondern er konnte sich dadurch auch persönliches Ansehen erwerben. Deshalb wurde er ein kundiger Jäger, „ein Mann des Feldes“.
Jakob dagegen war ein sanfter, ein häuslicher Mann, „der in den Zelten blieb“ (V. 27). Er besaß warme, familiäre Neigungen. Auch schätzte er die Verbindung mit Gott, wenn auch mit einem Herzen, das noch wenig oder gar nicht durch den Glauben gereinigt war – so jedenfalls scheint es seine Geschichte über viele Tage hinweg anzudeuten.
Wer wie Esau seine Interessen ohne einen Gedanken an Gott verfolgt, ist auf seinem Weg nicht frei von den Sorgen der Welt. Und die Notlage Esaus wurde zur Gelegenheit für Jakob: Der kundige Jäger kommt vom Feld nach Hause, ohne ein Wildbret erjagt zu haben – hungrig und erschöpft. Da fällt sein Blick auf das rote Linsengericht, das Jakob zubereitet hat. Zu anderen Zeiten wäre er zu stolz gewesen, seinen Bruder, den er im Herzen als „Milch-Bubi“ verachtete, um einen Gefallen zu bitten. Aber jetzt bettelt er, getrieben durch seinen ungezügelten Appetit: „Lass mich doch essen von dem Roten, dem Roten da, denn ich bin erschöpft!“ (V. 30).
Jakob reagiert blitzschnell. Ohne Gebet zu Gott, aber immerhin erfüllt von dem, was ihm wertvoll ist, macht er seinen Handel: „Verkaufe mir heute dein Erstgeburtsrecht“ (V. 31). Gewiss, das war der „Wurm Jakob“ und noch nicht der „Israel“ späterer Tage (vgl. Jes 41,14; 1. Mo 32,29). Aber die Schrift vermittelt immer die Wahrheit und zeigt uns den wahren Charakter dieser beiden Männer. „Siehe“, sagt Esau, „ich gehe hin zu sterben, und wozu nützt mir da das Erstgeburtsrecht?“ (V. 32). Warum so ungeduldig? Kann er nicht noch eine Viertelstunde durchhalten? Das Zelt seiner Mutter ist nicht weit. Kann er nicht so lange warten, bis er sich von ihr etwas gegen seinen Hunger erbeten hat? Sie würde ihm doch sicher helfen – oder hat sie ihn jemals mit einem Stein oder einer Schlange abgespeist? (vgl. Mt 7,9.10). Aber er muss die verlockende Speise augenblicklich haben! In seiner ungestümen Eile und seinem Eigenwillen meint er, sterben zu müssen, wenn er nur wenige Minuten länger warten soll. Leider, denn Jakob zieht Nutzen daraus! Er bringt sogar Gott mit hinein – den er in seiner Selbstsucht bisher ignoriert hatte –, um Esau, der keinerlei Gottesfurcht besitzt, zu verpflichten: „Schwöre mir heute!“ (V. 33). Und dieser schwört ihm und verkauft sein Erstgeburtsrecht!
Beide Brüder agierten vollkommen fleischlich! Bei diesem Handel wurde Jakob alles andere als in der Gegenwart Gottes befestigt. Auf diese dunklen Tage musste er später, als die Gnade wirklich seine Seele regierte, mit Beschämung und Trauer zurückblicken. Die Kluft zwischen den beiden Brüdern hatte sich weiter vertieft. Und verständlicherweise setzte sich im Herzen Esaus der Ärger darüber fest, dass er sich durch den Druck einer vorübergehenden Notlage zu einem verhängnisvollen Schwur hatte verleiten lassen.
Jakob gab also sein Brot und sein Linsengericht, und Esau „aß und trank und stand auf und ging davon.“ Das sind die plastischen Worte des göttlichen Berichts, denen der ernste Kommentar folgt: „So verachtete Esau das Erstgeburtsrecht“ (V. 34).
Was für tiefe, moralische Grundsätze liegen für uns in dieser scheinbar so einfachen Erzählung aus dem Leben einer Familie früherer Tage! Lassen wir niemals Gott aus dem Spiel, wie es die ungläubigen Menschen meistens tun! Sonst werden wir ganz sicher unwiederbringlichen Verlust erleiden.