Ein Volk für seinen Namen (Apg. 11-13)
Die Billigung der Aufnahme der Nationen
Das elfte Kapitel der Apostelgeschichte beginnt mit einem Rückblick auf das, was in Kapitel 10 berichtet wurde. Und in der Tat waren gewaltige Dinge geschehen, auf die, nicht ohne triftigen Grund, noch einmal zurückgeblendet wird.
Die Ereignisse hatten darin ihren Gipfelpunkt gefunden, dass Petrus nach Cäsarea in das Haus eines römischen Hauptmanns gekommen war und der dort versammelten Schar das Evangelium von Jesus verkündigt hatte. Diese Menschen aus den Nationen hatten das Wort im Glauben aufgenommen und hatten – ohne die Vermittlung anderer – sogleich die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Zudem waren diese „Heiden“ mit der christlichen Taufe getauft worden und waren somit auch dem äußeren Bekenntnis nach „Christen“ geworden.
Das alles war etwas Unerhörtes, in gewisser Hinsicht auch Einmaliges. Denn nie zuvor und nie seitdem hören wir davon, dass eine ganze Gruppe von heidnischen Menschen der Predigt der Gnade lauscht, das Evangelium des Heils annimmt und als Folge davon den Heiligen Geist empfängt. Tatsächlich nahm die Versammlung Gottes von diesem Augenblick an die Gestalt, die Zusammensetzung an, die sie nach dem Ratschluss Gottes haben sollte: Sie bestand nun aus Gläubigen aus den Juden undGläubigen aus den Nationen – den „Nahen“ und den „Fernen“, wie sie später genannt werden. Zusammen bildeten sie und bilden sie bis heute den einen Leib Christi, den einen neuen Menschen (Eph 2,11–17).
Als menschliches Werkzeug zu diesem außerordentlichen Schritt zu den Nationen hatte Gott in Seiner Weisheit sich einen Mann ausersehen, dem man ganz und gar nicht Fahrlässigkeit jüdischen Gebräuchen und Geboten gegenüber vorwerfen konnte. Es war gerade Petrus, der Führer unter seinen jüdischen Brüdern, der erste der Apostel, dem auch das Apostelamt der Beschneidung anvertraut war (Gal 2,7.8). Dieser Mann, der sich selbst „jüdisch“ nennt (Apg 10,28) und der voll jüdischer Vorbehalte war, sollte nach dem Willen Gottes den Nationen die Tür des Glaubens auftun. Und er hat diesen Auftrag – nach anfänglichem Zögern – getreulich ausgeführt.
Zwistigkeiten unter Brüdern
Von außen betrachtet war jedoch das, was in Cäsarea geschehen war, das Werk nur eines einzigen Mannes, eben des Apostels Petrus, gewesen. Dabei hatte er eindeutig jüdische Verordnungen verletzt. Das ließ unter den frühen Christen, die ohnehin noch stark vom Judentum geprägt waren, Verdacht und Argwohn aufkeimen. Und so beginnt denn das elfte Kapitel mit den Worten:
„Die Apostel aber und die Brüder, die in Judäa waren, hörten, dass auch die Nationen das Wort Gottes angenommen hatten. Als Petrus aber nach Jerusalem hinaufkam, stritten die aus der Beschneidung mit ihm und sagten: Du bist bei Männern eingekehrt, die Vorhaut haben, und hast mit ihnen gegessen“ (Apg 11, 1–3).
Schon damals verbreiteten sich Nachrichten schneller, als wir manchmal denken. Und die Nachrichten über die Vorgänge in Cäsarea erreichten offenbar sehr bald die Apostel und Brüder in Judäa. Es wird nicht gesagt: „... in Jerusalem“, obwohl natürlich Jerusalem zu Judäa gehört und darin eingeschlossen ist. Aber die Brüder mochten sich an verschiedenen Orten innerhalb Judäas aufgehalten und dort für den Herrn gearbeitet haben.
Was sie indes hörten, war von außerordentlicher Bedeutung: „... dass auch die Nationen das Wort Gottes angenommen hatten.“ Welch eine Nachricht! Löste sie unter den jüdischen Gläubigen Freude aus, wenigstens unter den Aposteln? Priesen sie Gott, der in Seiner Gnade nun auch die Nationen erreicht und so Großes unter ihnen gewirkt hatte? Nichts dergleichen vernehmen wir. Statt dessen hören wir von Streitigkeiten, die sich unter den Brüdern erhoben. Die waren allerdings von so ernster Natur, dass sie die junge Kirche hätten spalten können.
Die Angriffe richteten sich gegen Petrus, als er „nach Jerusalem hinaufkam“. Wie lange er sich in Cäsarea bei seinen Brüdern aus den Nationen aufgehalten hat, teilt uns der inspirierte Schreiber nicht mit. Sehr lange scheint es nicht gewesen zu sein; denn die sechs Brüder aus Joppe waren noch bei ihm und begleiteten ihn denn auch auf seiner Reise nach Jerusalem (Vers 12).
„Die aus der Beschneidung“
Seit Pfingsten war dies das erste Mal, dass der Apostel Petrus sich vor seinen Brüdern wegen seines Verhaltens verantworten musste. Es waren bestimmte jüdische Gläubige, die Anschuldigungen gegen den Apostel Petrus erhoben und „mit ihm stritten“. „Die aus der Beschneidung“ nennt sie Lukas. Wir dürfen sie nicht mit den in Kapitel 10, Vers 45, erwähnten „Gläubigen aus der Beschneidung“ verwechseln, die mit Petrus von Joppe gekommen waren. Dort wird mit dieser Bezeichnung einfach eine Unterscheidung getroffen zwischen den beschnittenen jüdischen Christen, die mit Petrus waren, und den unbeschnittenen Heiden, zu denen sie gekommen waren. In diesem Sinn waren alle Gläubigen zu Anfang „aus der Beschneidung“, denn sie kamen ausnahmslos aus dem jüdischen Volk.
Aber hier in Kapitel 11 wird mit ›Die aus der Beschneidung‹ auf eine Gruppierung innerhalb der Gläubigen hingewiesen, die sich dem Gesetz Moses verpflichtet fühlte und dafür eintrat, dass zur Aufnahme von Menschen aus den Nationen die Beschneidung nötig sei. Dieser Gruppe gehörten viele Pharisäer und Priester an. Sie hatten sich zwar bekehrt, waren „gläubig geworden“, waren aber alle weiterhin „Eiferer für das Gesetz“ (Apg 21,20).
Diese Gruppe, die im Unterschied zu den ›Hellenisten‹ aus palästinensischen Juden bestand und deshalb ›hebräisch‹ genannt wurde (Kap. 6,1), begann schon damals sich zu formieren und zu artikulieren, als Petrus nach Jerusalem kam.
Dabei schreckten diese Gesetzestreuen nicht davor zurück, mit Petrus in eine Auseinandersetzung einzutreten, die die Heilige Schrift schlicht ein „Streiten“ nennt. Wir werden diese Gruppe – ›Die aus der Beschneidung‹ – noch später in der Apostelgeschichte antreffen und sehen, wie diese Verfechter des Gesetzes unverhohlen „die Brüder lehrten: Wenn ihr nicht beschnitten werdet nach der Weise Moses, so könnt ihr nicht errettet werden“ (Kap. 15,1). Es waren gerade diejenigen, die von der Sekte der Pharisäer kamen, die „auftraten und sagten: Man muss sie beschneiden und ihnen gebieten, das Gesetz Moses zu halten“ (Vers 5). Diese Konfrontation führte zum ersten (und einzigen) „Konzil“ in Jerusalem, wo die Frage, ob Gläubige aus den Nationen nur auf dem Umweg über das Judentum aufgenommen werden sollten, eindeutig und abschlägig entschieden wurde.
Trotzdem hat diese judaisierende Gruppe im Verlauf der Apostelgeschichte ihren Einfluss nicht eingebüßt, wie das angeführte Zitat aus Kapitel 21 beweist. Ja, dieses jüdische Element bildete fortan eine beständige Gefahr, gegen die auch der Apostel Paulus anzukämpfen hatte, weil diese Lehrer das Evangelium der Gnade mit dem Gesetz vermischten und so beides zerstörten. Wir brauchen nur einmal den Brief des Apostels Paulus an die Galater zu lesen, um den Ernst dieser Angelegenheit zu erkennen. Heute ist die ganze Christenheit mehr oder weniger von diesen jüdischen, gesetzlichen Elementen durchsetzt, so dass die Gnade Gottes fast vollständig in den Hintergrund gedrängt wird – zum ewigen Schaden für die Menschen. Ist es doch nur die Gnade, durch die wir errettet werden können (Eph 2,5.8)! „Aus Gesetzeswerken“ dagegen „wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden“ (Röm 3,20). An die Gläubigen in Galatien schreibt der Apostel Paulus Ähnliches: „... wissend, dass der Mensch nicht aus Gesetzeswerken gerechtfertigt wird, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus“ (Gal 2,16).
In Jerusalem jedoch ging es zunächst einmal nur um den Vorwurf, Petrus sei zu Männern eingekehrt, die Vorhaut haben, und er habe mit ihnen gegessen. Dieser Anwurf mochte sich vordergründig nur auf ein schmales Feld erstrecken, barg aber explosiven Sprengstoff in sich. Das Murren der Hellenisten wegen der vermeintlichen Benachteiligung ihrer Witwen war gewiss auch beschämend gewesen (Kap 6). Jetzt aber ging es um mehr. Dieser Streit rüttelte an den Grundlagen des Evangeliums, und er drohte die Versammlung zu spalten. Hier wird zum ersten Mal dieser gefährliche Parteigeist sichtbar, der die Gläubigen auseinandertreibt, Parteiungen schafft. Im Brief an die Galater erfahren wir, wie Gott so etwas beurteilt: Parteiungen (Sekten) sind „Werke des Fleisches“ (Kap. 5,19), mögen die Begründungen dafür auch noch so religiös verbrämt sein.
Wenn hier die Vorwürfe gegen Petrus auf den einen genannten Punkt beschränkt werden, so wohl deshalb, weil er allen am besten greifbar war. Das Anstößige für jüdisch denkende Gläubige lag nicht so sehr darin, dass Petrus Menschen aus den Nationen das Evangelium verkündigt hatte, sondern dass er zu ihnen eingekehrt war und mit ihnen gegessen hatte. Es mag aber auch sein, dass die Übermittlung der Nachrichten aus Cäsarea sehr bruchstückhaft war und dass der Überbringer nur auf diesen einen Punkt fixiert gewesen war und die übrigen Begleitumstände unerwähnt ließ, wenn er sie überhaupt gekannt hat. Immerhin war jedoch die Nachricht übermittelt worden, „dass auch die Nationen das Wort Gottes angenommen hatten“. Das aber trat gegenüber den jüdischen Vorurteilen der Kritiker völlig in den Hintergrund. Solche Polarisierungen sind leider auch heute nicht selten.
Auffallend ist auch, dass die Apostel den Angriffen derer „aus der Beschneidung“ gegen Petrus nicht gewehrt haben. Jedenfalls wurde der Apostel Petrus von seinen Brüdern nicht als „unfehlbar“ angesehen, und Petrus seinerseits stellte sich den Anwürfen seiner Brüder – eine für ihn, wie eingangs erwähnt, neue, prüfende Erfahrung.
Die weise Antwort des Petrus
Petrus ruhte in dem Bewusstsein, Gottes Willen getan zu haben. Und dieses Bewusstsein verlieh ihm Gelassenheit, geistliche Gelassenheit. So brauste er nicht auf, noch führte er seine apostolische Autorität ins Feld, um sich zu verteidigen. Er tat etwas viel Besseres: Er erzählte einfach den Hergang der Dinge.
„Petrus aber fing an und setzte es ihnen der Reihe nach auseinander und sprach…“ (Apg 11, 4).
Petrus nahm sich die Mühe, den Brüdern die Dinge „der Reihe nach auseinanderzusetzen“. Dabei argumentierte er nicht mit ihnen, sondern er erzählte ihnen die ganze Geschichte geradeso, wie sie sich zugetragen hatte. Er ließ die Fakten für sich sprechen. Seine Zuhörer würden sich genötigt sehen, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, wie auch er sich genötigt gesehen hatte, das zu tun.
Unterschiede in der Berichterstattung
Was sich im Haus Simons, des Gerbers, in Joppe und im Haus des Kornelius in Cäsarea ereignet hatte, hat uns bei der Betrachtung des zehnten Kapitels schon eingehend beschäftigt. Wir müssen jetzt nicht noch einmal im Einzelnen darauf eingehen. Nur sei daran erinnert, dass wir allein über das, was in Joppe geschah, zwei Berichte, und über das, was in Cäsarea geschah, sogar drei Berichte haben. Auf der einen Seite der Berichterstatter, Lukas, auf der anderen Seite die Erzählenden, Petrus und Kornelius.
Nun ist es von nicht geringem Interesse festzustellen, dass zwischen dem, was der Geschichtsschreiber berichtet, und dem, was die Erzählenden anmerken, gewisse Unterschiede bestehen, Nuancen in der Darstellung. Auf den einen oder anderen dieser Unterschiede hatte ich im Verlauf der Betrachtung des zehnten Kapitels auch schon hingewiesen. Doch seien noch einige weitere genannt.
Wenn zum Beispiel Lukas die Entzückung schildert, die über Petrus kam, erwähnt er, dass Petrus hungrig geworden war; Petrus verschweigt diesen Umstand. Demgegenüber legt Petrus in seiner Schilderung Wert auf die Feststellung, dass er nicht nur „ein Gesicht sah“, sondern auch „eine Stimme hörte“.
Dass Kornelius, als der Engel zu ihm kam, von Furcht erfüllt wurde, lässt uns nur Lukas wissen. Kornelius selbst sagt nichts darüber. Auch lässt Kornelius seine von Bestürzung geprägten Worte dem Engel gegenüber unerwähnt: „Was ist, Herr?“ Stattdessen beschreibt er die Erscheinung des himmlischen Boten als eines „Mannes in glänzendem Gewand“. Diesen Punkt übergeht Lukas. Einen anderen Umstand, den der Berichterstatter nicht erwähnt, ergänzt Kornelius in seiner Schilderung: Er hatte gerade in seinem Haus gebetet, als der Engel plötzlich vor ihm stand.
Als die Boten des römischen Hauptmanns zu Petrus kamen, sprachen sie von der Botschaft des Engels, die darin gipfelte, dass Kornelius von Petrus „Worte hören“ sollte. Petrus aber spricht in seinem Bericht von Worten, „durch die du errettet werden wirst, du und dein ganzes Haus“, was eine beträchtliche Erweiterung des Berichts von Lukas darstellt. Tatsächlich geben weder Lukas noch Kornelius den ganzen Wortlaut dieser Wendung wieder, nur Petrus tut es.
Nun liegt in diesen Unterschieden überhaupt nichts Widersprüchliches. Wenn solche Unterschiede im Alten Testament auftreten, begründen Kritiker sie gern damit, dass sie verschiedene Manuskripte zur Grundlage hätten. Sie entstammten der Feder unterschiedlicher Schreiber. Das alles ist reine Einbildung. Will wohl jemand behaupten, dass dem Schreiber der Apostelgeschichte verschiedene Dokumente vorgelegen haben, die er dann zu einem Bericht zusammenfasste? Absurd!
Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass Lukas – und niemand sonst – den Bericht verfasst hat (Kap. 1,1). Und dass er ein Zeitgenosse von Petrus und Kornelius war, ist ebenfalls unbestritten. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er aus ihrem eigenen Mund die Erzählungen gehört. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, alle Unterschiede zu vermeiden, sie „glatt zu bügeln“. Und doch sind sie vorhanden, diese Nuancen! Warum? Weil der Heilige Geist ihn dahin leitete, gewisse Schwerpunkte zu setzen.
Die Geschichtsschreibung in der Heiligen Schrift ist keine stereotype Angelegenheit, sie folgt nicht einem Klischee oder einer Schablone. Vielmehr werden die Einzelheiten so zusammengestellt, wie es der Absicht des Heiligen Geistes und den jeweiligen Gegebenheiten entspricht. Die Authentizität (Echtheit) der Berichte wird dadurch in keiner Weise infrage gestellt. Das Vorhandensein und die Duldung solcher Unterschiede ist geradezu ein Markenzeichen für die Echtheit der Schriften. Übrigens hatten wir in den drei Berichten über die Bekehrung des Saulus von Tarsus ebenfalls zahlreiche, interessante Differenzen gesehen.
Vier Schwerpunkte
Wir sprachen soeben von Schwerpunkten, und es scheint, dass auch Petrus in seiner Rede (Apg 11,5–17) vier solcher Schwerpunkte setzt – zum besseren Verständnis für seine Zuhörer. Wir können sie wie folgt zusammenfassen:
- Wenn Gott reinigt (Verse 5–10)
- Wenn der Geist spricht (Verse 11.12)
- Errettung durch Worte (Verse 13.14)
- Versiegelung durch den Heiligen Geist (Verse 15–17)
Aus allem, was der Apostel Petrus sagt, geht indes eines klar hervor: Gott war der Handelnde gewesen, nicht der Mensch. Alles war von Ihm ausgegangen, Er hatte alles geplant und es zu Seiner Zeit auch zur Ausführung gebracht.
Wenn Gott reinigt
In seiner Schilderung der Ereignisse kommt nun Petrus mit den folgenden Worten auf den ersten Punkt zu sprechen:
„Ich war in der Stadt Joppe im Gebet, und ich sah in einer Verzückung ein Gesicht, wie ein gewisses Gefäß herabkam, gleich einem großen Leinentuch, an vier Zipfeln aus dem Himmel herabgelassen; und es kam bis zu mir. Als ich es unverwandt anschaute, bemerkte und sah ich die vierfüßigen Tiere der Erde und die wilden Tiere und die kriechenden unddie Vögel des Himmels. Ich hörte aber auch eine Stimme, die zu mir sagte: Steh auf, Petrus, schlachte und iss! Ich sprach aber: Keineswegs, Herr! Denn niemals ist Gemeines oder Unreines in meinen Mund gekommen. Die Stimme aber antwortete zum zweiten Mal aus dem Himmel: Was Gott gereinigt hat, halte du nicht für gemein! Dies aber geschah dreimal; und alles wurde wieder in den Himmel hinaufgezogen“ (Apg 11,5–10).
Überblick: Petrus war in Joppe im Gebet gewesen. In einer Verzückung sah er ein Gesicht; Gott sprach zu ihm, und er sprach zu Gott.
Sehen wir uns jedoch noch einmal einige Einzelheiten näher an, und zwar unter dem Gesichtspunkt, der der Verantwortung des Petrus vor seinen Brüdern zu Grunde liegt.
Als die Dinge ihren Anfang nahmen, war Petrus meilenweit von Cäsarea entfernt. Er hatte keinerlei Ahnung davon, was auf ihn zukam. In einem Gesicht sah er nun, wie ein Gefäß aus dem Himmel herabkam, und er betont, dass es direkt „bis zu ihm kam“ (Vers 5). Das erklärt, dass er dessen Inhalt sehen konnte. Der Liste der im Gefäß enthaltenen Tiere fügt er die „wilden Tiere“ hinzu (Vers 6).
Unverwandt schaute er das alles an. Aber dann hörte er eine Stimme, die ihm sagte, er solle aufstehen, schlachten und essen (Vers 7). Petrus weigerte sich. Noch nie war etwas zeremoniell Gemeines oder Unreines in seinen Mund gekommen (Vers 8). Petrus war nicht lax mit dem umgegangen, was Gott im Alten Bund im Blick auf die Speisen für Sein Volk geboten hatte. Er hatte genau dieselben Empfindungen gehabt wie jene Brüder aus der Beschneidung, die ihm jetzt Vorhaltungen machten. Und er war sehr weit gegangen, als er dem Herrn mit einem „Keineswegs, Herr!“ direkt zu widersprechen wagte. Hätten seine Ankläger mehr tun können?
Aber dann hatte die Stimme aus dem Himmel ihm eine Antwort gegeben: „Was Gott gereinigt hat, halte du nicht für gemein!“ (Vers 9). Über die geistliche Bedeutung dieser Worte haben wir schon gesprochen. Aber galt diese Antwort auf den Einwand des Petrus nicht auch denen, die ihn angriffen? Wenn Gott etwas reinigt, wem steht dann das Recht zu, es als unrein zu erklären? Sollten nicht auch sie jetzt stille stehen und dem Herrn nicht länger widerstehen?
Das, worüber Petrus sprach, geschah nicht weniger als dreimal (Vers 10). So konnte es kein Missverständnis über das Gesicht geben. Auch war überaus deutlich geworden, dass Petrus seine jüdisch begründeten Einwände bis zum Ende aufrechterhalten hat. Das mussten auch die Brüder aus der Beschneidung zugeben. Nicht, dass Petrus dabei etwas zu rühmen hätte. Vielmehr hatte Gott Seine Langmut und Geduld mit Seinem Knecht und dessen Unwissenheit unter Beweis gestellt. Und dass sich schließlich das Gefäß mit den Tieren nicht einfach in nichts auflöste, sondern wieder in den Himmel hinaufgezogen wurde, unterstrich aufs Deutlichste, dass Petrus es mit dem Herrn im Himmel zu tun gehabt hatte. Das mussten auch seine Zuhörer bedenken.
Wenn der Geist spricht
„Und siehe, sogleich standen vor dem Haus, in dem ich war, drei Männer, die von Cäsarea zu mir gesandt waren“ (Vers 11).
Dieses ›Siehe‹ steht auch in Kapitel 10, Vers 17. Petrus macht damit auf die Vorsehung Gottes aufmerksam, in der Gott alle Umstände auf wundersame Weise lenkte und zusammenfügte. Zum richtigen Augenblick standen die drei Männer aus Cäsarea vor dem Haus, und so fügt Petrus hinzu: „... sogleich.“ Gott hatte ihm das Gesicht gesandt; Petrus hatte gerade über dessen Bedeutung nachgedacht, als Gott ihm unmittelbar die Interpretation (Erklärung) davon in Form der drei Männer gab, die von Kornelius gesandt waren. War es ein Zufall, dass diese Männer „sogleich“ auf der Bildfläche erschienen?
„Der Geist aber sagte mir, ich solle mit ihnen gehen, ohne irgend zu zweifeln. Es kamen aber auch diese sechs Brüder mit mir, und wir kehrten in das Haus des Mannes ein“ (Vers 12).
Schritt für Schritt führte Gott Seinen Knecht weiter. Jetzt spricht der Heilige Geist selbst zu Petrus und gibt ihm die Anweisung, etwas zu tun, was Petrus von sich aus nie getan hätte: mit diesen heidnischen Männern mitgehen. Insofern unterschied sich Petrus in seinem Denken in nichts von denen, die gegen das, was er getan hatte, Einwände erhoben. Doch der Geist selbst hatte gesprochen, und Er kannte die Überlegungen und Zweifel im Innern des Petrus. Hatte Petrus etwas anderes tun können, als der Stimme des Geistes zu gehorchen und zu „gehen“, wie es ihm geheißen worden war?
Und dann waren da noch die sechs Brüder aus Joppe, die ebenfalls „aus der Beschneidung“ waren. Sie hatten alles vernommen, was geschehen war, und so zögerten sie nicht, Petrus nach Cäsarea zu begleiten. Auch das war unter der Vorsehung Gottes geschehen. Diese sechs bekehrten jüdischen Männer sollten ein mehr als ausreichendes Zeugnis für die Vorgänge bilden, die sich dann im Haus des heidnischen Hauptmannes abspielen würden.
Schließlich berührt Petrus direkt den Punkt, dessentwegen er angegriffen wurde: Sie waren in das Haus des Mannes eingekehrt. Ja, so war es. Erfrischend, mit welcher Offenheit und Schlichtheit der Apostel seinen Zuhörern die einzelnen Schritte darlegt! So kann nur jemand sprechen, der sich seiner Sache sicher ist – sicher, weil er der Stimme des Geistes Gottes gehorsam gewesen war.
Errettung durch Worte
„Er erzählte uns aber, wie er in seinem Haus den Engel gesehen habe, der dastand und sagte: Sende nach Joppe und lass Simon holen, der auch Petrus genannt wird; der wird Worte zu dir reden, durch die du errettet werden wirst, du und dein ganzes Haus“ (Verse 13.14).
Hatte Petrus bisher gezeigt, wie Gott ihn darauf vorbereitet hatte, in das Haus des Kornelius zu gehen, so zeigt er jetzt, wie Gott auf der anderen Seite auch den Kornelius darauf vorbereitete, Simon in sein Haus holen zu lassen. Dabei lässt Petrus gleichsam den Hauptmann erzählen, er zitiert seine Worte: „Er erzählte uns aber…“ Und es ist interessant, dass Petrus sich nicht auf die Worte bezieht, die die Abgesandten des Hauptmanns gesprochen hatten (Kap. 10,22). Sie waren natürlich ebenfalls völlig glaubwürdig. Doch er bevorzugt es, seine Zuhörer auf die Erzählung hinzuweisen, die er im Haus des Hauptmanns und aus seinem eigenen Mund vernommen hatte.
Der hatte nämlich einen Engel gesehen, der in sein Haus gekommen war und dann „dastand“. Offensichtlich fürchtete sich der himmlische Bote nicht, sich dadurch zu verunreinigen. Gott selbst hatte ihn dorthin gesandt. Und was die göttliche Botschaft anging, die der Engel zu übermitteln hatte: Sie bestand in der Aufforderung, nach Joppe zu senden und Simon holen zu lassen; der würde Worte zu ihm reden, durch die er errettet werden würde, er und sein ganzes Haus. Alles das war direkt von Gott ausgegangen. Wer könnte es wagen, dagegen Einwände zu erheben?
Tatsächlich bedurfte der römische Hauptmann der Errettung. Er besaß neues, göttliches Leben, was sich in seinen Gebeten und Almosen, die zu Gott hinaufgestiegen waren, kundgab. Niemals kann so etwas von einem unbekehrten, einem für Gott toten Menschen gesagt werden. Aber im neutestamentlichen Sinn war er nicht „errettet“. Ohne Zweifel hoffte Kornelius auf die errettende Barmherzigkeit Gottes und erflehte sie für sich und sein Haus. Denn wenn uns auch über den Inhalt seiner Gebete nichts Direktes mitgeteilt wird, so können wir doch aus der Antwort, die Gott ihm gab, erkennen, worum er gefleht hatte.
Bis zu dem Augenblick, da Petrus zu ihm kam, wusste Kornelius nichts von der Vergebung seiner Sünden. Wie konnte er auch? Das Evangelium war bis dahin den Nationen als solchen nicht verkündigt worden. Kornelius und die Seinen hatten noch keine entsprechenden „Worte“ gehört – Worte, die ihnen das Heil nahe brachten. In diesem Sinn wird man „durch Worte“ errettet. Wenn man sie, aus welchem Grund auch immer, nicht hört, gelangt man nicht zur Errettung, kann man sich nicht der Vergebung der Sünden und des Friedens mit Gott erfreuen.
Natürlich gründen sich die Heil bringenden „Worte“ auf das Sühnungswerk Christi, und selbstverständlich müssen sie auch von jedem Einzelnen im Glauben aufgenommen werden. Wir haben das in Kapitel 10 gesehen. Nichtsdestoweniger bleibt bestehen, dass die Worte der Verkündigung zuerst einmal zu den Menschen, die sie nötig haben, gebracht werden müssen (Röm 10, 14). Und genau das tat Petrus im Haus des Kornelius, tat es im Auftrag Gottes.
Versiegelung durch den Heiligen Geist
Petrus geht nicht im Einzelnen auf die Worte ein, die er zu den Menschen aus den Nationen gesprochen hat. Es genügte zu zeigen, dass es Worte waren, die zu ihrem Heil führten, weil das Hören ihrerseits „mit dem Glauben verbunden“ war (Heb 4,2). (Wir kommen auf den zuletzt genannten Umstand noch einmal zurück.) Und so nennt der Apostel Petrus nun den vierten Schwerpunkt, der zugleich den Höhepunkt seiner Rede bildet:
„Als ich aber zu reden begann, fiel der Heilige Geist auf sie, so wie auch auf uns im Anfang, Ich dachte aber an das Wort des Herrn, wie er sagte: Johannes taufte zwar mit Wasser, ihr aber werdet mit Heiligem Geist getauft werden. Wenn nun Gott ihnen die gleiche Gabe gegeben hat wie auch uns, die wir an den Herrn Jesus Christus geglaubt haben, wer war ich, dass ich vermocht hätte, Gott zu wehren?“ (Apg 11,15–17).
Petrus hatte noch weitersprechen wollen. So sehr viel hatte er noch nicht zum Ausdruck bringen können, wie der entsprechende Abschnitt in Kapitel 10 zeigt (Verse 34–43). Und als er gerade beim Hauptpunkt angekommen war – der Vergebung der Sünden für jeden, der an Jesus Christus glaubt da unterbrach Gott selbst ihn dadurch, dass „der Heilige Geist auf sie fiel“. Durch den Nachsatz „... so wie auch auf uns im Anfang“ (nämlich zu Pfingsten) wird deutlich, dass Gott die Gläubigen aus den Nationen auf ein und denselben, erhabenen Boden stellte wie die Gläubigen aus den Juden: Er machte sie zu Gliedern des Leibes Christi. Wenn auch die Lehre darüber noch nicht gegeben war, so sprach doch die Tatsache für sich.
Als Petrus dessen gewahr wurde, dass auch die Nationen die Gabe des Geistes empfangen hatten, kam ihm das Wort des Herrn in Erinnerung, „... wie er sagte: Johannes taufte zwar mit Wasser, ihr aber werdet mit Heiligem Geist getauft werden“ (vgl. Kap. 1,5). Auch Johannes der Täufer hatte von diesem großen Ereignis gesprochen (Mt 3,11; Joh 1,33). Beide Ankündigungen, die des Herrn selbst und die des Täufers, hatten sich zu Pfingsten in Jerusalem erfüllt, hatten aber nun in Cäsarea eine Erweiterung erfahren.
Ja, Gott hatte den Gläubigen aus den Nationen die gleiche Gabe gegeben wie den Juden, „wie auch uns“, sagt Petrus. Und er fügt hinzu: „... die wir an den Herrn Jesus Christus geglaubt haben.“ Dieser Glaube war auch das Teil derer aus den Nationen geworden, denn Gott hatte in gleicher Weise darauf geantwortet. Wenn das jedoch so war – wenn Gott diese glaubenden „Heiden“ in denselben Rang erhob wie die glaubenden Juden, wer war Petrus, und welche Macht besaß er, dagegen aufzutreten und Gott daran zu hindern, so etwas zu tun? Petrus fragt seine Kritiker, ob sie dächten, dass er imstande war, Gottes Handeln mit diesen „Heiden“ zu verhindern. Tatsächlich fasst Petrus zwei Fragen in eine zusammen: „Wer war ich?“ und: „War ich imstande?“
Der Gedanke, dass Petrus die Gabe Gottes an die Nationen hätte verhindern können, ist natürlich absurd. Hätten denn seine Kritiker das vermocht oder es auch nur versucht? Unausgesprochen schwingt diese Überlegung in der Frage mit, mit der Petrus seine Rede abschließt – eine Rede, die uns zumindest eins abnötigt: Respekt.
Wiederhergestellte Einmütigkeit
Auch auf die Brüder, vor denen Petrus sprach, verfehlte diese kurze, freimütige Ansprache ihre Wirkung nicht.
„Als sie aber dies gehört hatten, beruhigten sie sich und verherrlichten Gott und sagten: Also hat Gott auch den Nationen die Buße gegeben zum Leben“ (Apg 11, 18).
„Als sie aber dies gehört hatten“ mag sich im Besonderen auf den letzten Teil der Rede beziehen, in dem Petrus von der Gabe des Heiligen Geistes an die Nationen sprach. Und es ist ermunternd zu sehen, wie die Gnade Gottes nun auch an den Herzen derer wirkte, die eine „Beruhigung“ nötig hatten. Die zuvor mit Petrus gestritten hatten, wurden jetzt ruhig und hatten keine weiteren Einwände mehr vorzubringen. Die vorgestellten Tatsachen waren auch zwingend und unbestreitbar.
Doch die Brüder begnügten sich damit nicht, sie empfanden Dankbarkeit und verherrlichten Gott. Dahin sollte jeder Dienst, jede Wirkung des Geistes führen. Wenn man lernt, von Egoismen frei zu werden und von vorgefassten Meinungen Abschied zu nehmen; wenn man lernt, die Wege der Gnade, die Gott mit anderen geht, zu erfassen und zu würdigen, dann mündet das in die Verherrlichung Dessen, dessen Liebe der Ursprung von allem ist.
Dankbar anerkannten die Brüder nun, dass Gott auch den Nationen die Buße zum Leben gegeben hat. Diese Ausdrucksweise ist bemerkenswert. Zum einen wird dadurch deutlich, dass wahre Buße (oder: Sinnesänderung, Umkehr) zu Gott Leben, ewiges Leben, zur Folge hat. Zum anderen erkennen wir auch, dass diese Menschen aus den Nationen, zu denen Petrus im Haus des Kornelius sprach, tatsächlich Buße getan haben, obwohl das im Bericht von Kapitel 10 nicht ausdrücklich erwähnt wird.
Dadurch wird das bestätigt, was ich zuvor in Verbindung mit Kapitel 10 ausgeführt habe. Kornelius und seine Freunde, alles Menschen aus den Nationen, besaßen schon göttliches Leben, bevor Petrus zu ihnen kam und ihnen die Worte des Heils brachte. Aber es ist ein Unterschied, ob der Geist Gottes in einem bußfertigen Menschen geistliches Leben bewirkt oder ob Er in diesem Menschen als Siegel der Erlösung Wohnung nimmt. Wie es einen nicht unerheblichen Unterschied macht, ob jemand ein Haus baut oder ob er darin einzieht. Erst wenn ein Mensch das Evangelium seines Heils hört und es im Glauben annimmt; wenn er zu dem Bewusstsein gelangt, dass durch das Opfer Christi alles zwischen ihm und Gott geordnet ist – erst dann versiegelt der Heilige Geist solch eine Person.
Nun, gerade das war mit den Menschen in Cäsarea geschehen. Gott hatte ihnen damit die Tür in den Bereich des Christentums geöffnet, hatte sie Seiner Versammlung zugefügt. Die Gnade Gottes hatte den Triumph davongetragen.
Insofern war die Handlungsweise des Apostels Petrus von größter Tragweite und Bedeutung. Und was hier noch das Besondere ist: Die in Jerusalem versammelten Apostel und Brüder sanktionierten (bestätigten) sie. Das war durchaus nichts Unwichtiges, wie der weitere Verlauf der Geschichte der Versammlung zeigt. Als die Zeit weiter fortschritt, kamen die alten jüdischen Vorbehalte bei der bestimmten Gruppe wieder zum Vorschein, und das wunderbare Öffnen der Tür für die Nationen geriet zum Teil in Vergessenheit. Petrus sah sich dann erneut genötigt, seine jüdischen Brüder daran zu erinnern (Kap. 15).
Was jedoch unseren Abschnitt angeht, der jetzt vor uns gewesen ist: Er begann mit dem Streiten mit Petrus, und er schließt mit der Verherrlichung Gottes. Welch ein Gegensatz und welch ein köstlicher Beweis der Gnade Gottes!