Ein Volk für seinen Namen (Apg. 5-7)

Erneut vor dem Synedrium

Ein Volk für seinen Namen (Apg. 5-7)

Apostelgeschichte 5, Verse 12–42

Die Versammlung Gottes in der Frische des Anfangs zu sehen, zu betrachten, wie der Heilige Geist zu Beginn ihrer Geschichte so ungehindert in ihr wirken konnte, ist für uns heute in den letzten Tagen der Gnadenzeit stets mit reichem Segen und mit Erquickung verbunden. Dabei mischt sich allerdings in die Freude über die göttliche Ordnung und Wirksamkeit zu Anfang die Beschämung darüber, wie schmählich wir in der Darstellung der Wahrheit Gottes versagt haben.

Wir hatten im letzten Teil von Apostelgeschichte 4 gesehen, welche große Gnade auf den Gläubigen damals war und in welch einmaliger Weise sie ihr Einssein in Liebe vor den Menschen verwirklichten. Doch wir mussten mit Beginn des fünften Kapitels auch erkennen, wie bald Satan sich aufmachte, dieses herrliche Zeugnis eines auferstandenen und verherrlichten Christus von innen her zu zerstören.

Tatsächlich ist die Versammlung von Anfang an durch Gefahren von außen und Gefahren von innen bedroht worden.
Kapitel 4 hatte die erste Verfolgung der Jünger des Herrn vor uns gebracht, und der das fünfte Kapitel einleitende Abschnitt hatte das erste Aufbrechen von Bösem in der Mitte der Versammlung selbst geschildert. Immer wieder begegnen uns im Verlauf der Apostelgeschichte diese beiden Gefahren, ja, sie sind für die ganze Geschichte der Kirche auf der Erde kennzeichnend. In Kapitel 5 finden wir nun wieder eine Verfolgung, und Kapitel 6 beginnt mit einem inneren Problem, mit einem Murren unter den ersten Christen. Paulus muss gegen Ende seiner öffentlichen Laufbahn vor reißenden Wölfen warnen, die von außen zu ihnen hereinkommen und die Herde nicht schonen würden. Aber auch aus ihnen selbst würden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her (Kap. 20,29.30). Liefern nicht unsere Tage den traurigen Beweis für die Wahrheit seiner Worte?

Als die Versammlung Gottes noch jung und neu war auf der Erde, hielt Gott schützend Seine allmächtige Hand über sie. Er trat wiederholt durch offenbare Wunder ins Mittel, um sie aus äußeren Gefahren zu erretten; selbst bei einer von innen kommenden Gefahr wurde durch das plötzliche Hinwegraffen von Ananias und Sapphira die Macht des Herrn offenbar. Heute, am Ende der Tage der Versammlung auf der Erde, müssen wir nicht mehr solche sichtbaren Zeichen Seiner Gegenwart erwarten.

Die Versammlung ist, was ihre äußere Darstellung auf der Erde anbetrifft, in Verfall geraten; trotzdem dürfen die Gläubigen ungeschmälert mit Seinem Eintreten in Gnade rechnen. Gott bleibt sich selbst treu und verändert sich nicht, und Seine Gnade und Macht stehen unverändert denen zur Verfügung, die Seinen Willen tun möchten. Wie tröstet uns das in unseren Tagen geistlicher Schwachheit! Gott wird auch heute alles tun, was zu Seiner Verherrlichung und zu unserem Segen notwendig ist. Die Umstände, in denen wir uns befinden, können Ihn daran nicht im Geringsten hindern. Lasst uns mit Ihm rechnen!

Zeichen und Wunder

Wieder finden wir die Apostel und die Menge der Jünger in der Säulenhalle Salomos versammelt, wo sie sich, wie es scheint, für gewöhnlich aufzuhalten pflegten.

„Durch die Hände der Apostel aber geschahen viele Zeichen und Wunder unter dem Volk (und sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salomos. Von den Übrigen aber wagte keiner, sich ihnen anzuschließen, sondern das Volk rühmte sie. Aber umso mehr Glaubende wurden dem Herrn hinzugetan, Scharen von Männern und auch Frauen)“ (Apg 5, 12–14).

Der göttlich inspirierte Berichterstatter, Lukas, unterbricht hier den Fluss der Erzählung – er tat das in ähnlicher Weise schon in Kapitel 2, Verse 42–47, und Kapitel 4, Verse 32–35 –, um einen kurzen Überblick über den Zustand und die Aktivitäten der Versammlung zu geben und einzelne Hauptmerkmale herauszustellen.

Er erwähnt zuerst die vielen Zeichen und Wunder, die Gott durch die Hände der Apostel unter dem Volk geschehen ließ. Dass sie ein Zeugnis davon waren, dass der von den Juden verworfene Christus zur Rechten Gottes erhöht worden war, hatte uns bereits in Kapitel 3 und 4 der Apostelgeschichte beschäftigt. Wenn im Ausdruck ›durch die Hände der Apostel‹ die Mehrzahl benutzt wird (›die Hände‹, nicht ›die Hand‹), dann wird damit angedeutet, dass die Apostel buchstäblich ihre Hände auf die Leidenden gelegt haben. In Kapitel 2, Vers 43, heißt es dagegen einfach: „durch die Apostel“. Dass die Zeichen und Wunder in Wahrheit durch die Hand Gottes und durch den Namen Seines „heiligen Knechtes Jesus“ geschahen, bedarf dabei kaum der Erwähnung. Sie waren jedenfalls die Antwort Gottes auf die Bitten der Jünger in ihrem ersten uns überlieferten Gebet (Kap. 4,30). Gott ehrte nun die Apostel dadurch, dass Er besonders sie zur Vollbringung dieser übernatürlichen Wunder benutzte, wenn auch nicht sie ausschließlich (vgl. Kap. 6,8; 8,6.7.13; 14,3). Doch der Gedanke, dass alle Gläubigen, hätten sie genug Glauben, Wunder tun könnten, findet in der Schrift keinerlei Stütze. Diese besonderen Zeugnisse der Macht Gottes waren für die Zeit des Anfangs des Christentums bestimmt, als alles noch neu war. Wir hatten uns damit in Verbindung mit Kapitel 4, Vers 30, beschäftigt (›Ein Volk für seinen Namen‹, Teil 3, S. 172).

Dass die „Gnadengaben und die Berufung Gottes unbereubar“ sind (Röm 11,29), bleibt dabei unbestritten, nur hat dieser Abschnitt in Römer 11 nichts mit der heutigen Zeit der Gnade zu tun, sondern er handelt von der Wiederherstellung Israels am Ende der Tage. Man kann mit ihm nicht das Fortbestehen der Wundergaben beweisen, selbst wenn sie mit den ›Gnadengaben‹ gemeint wären.

Lukas hebt in Vers 12 einen Gegensatz zum Vorausgehenden hervor. Bei dem Wunder des Gerichts im Falle Ananias’ und Sapphiras hatte der Apostel Petrus allein die Macht ausgeübt. Wenn es jedoch um die Heilung armer Menschen ging, waren es vier1 Wunder, waren es Wunder der Gnade, ausgeübt durch die zwölf Apostel.

Die Säulenhalle Salomos scheint wegen ihrer Weite und Zugänglichkeit ein von den ersten Christen bevorzugter Versammlungsort gewesen zu sein.

Dort war das ganze Volk nach der Heilung des Gelähmten durch Petrus und Johannes zusammengelaufen (Kap. 3,11), und dort war Raum genug für Tausende von Christen, sich zusammenzufinden. Einmütig waren sie alle dort zusammen – was für ein Zeugnis vor ihren jüdischen Mitbrüdern muss das gewesen sein!

Doch erinnern wir uns: Das Brot brachen sie „zu Hause“, in den einzelnen Häusern (Kap. 2,46). Für ihr Zeugnis vor dem jüdischen Volk war der Tempelbereich zweifellos der geeignete Platz, nicht aber für die Ausübung ihrer christlichen Vorrechte. Obgleich die Gläubigen darüber noch keine Anweisungen erhalten hatten, verstanden sie das sehr wohl.

Drei Gruppen unter den Juden

Auf der anderen Seite waren die ersten Christen noch eng mit dem jüdischen Gottesdienst und in dessen Ausübung folglich auch mit den übrigen Juden verbunden (vgl. Kap. 3,1). Deswegen verdient die Bemerkung in Vers 13 umso mehr Beachtung: Die „Übrigen“ wagten nicht, sich ihnen anzuschließen. Die ernsten Vorgänge um Ananias und Sapphira konnten nicht verborgen geblieben sein. Wenn Heuchelei in der Mitte der Christen so geahndet, wenn die Macht Gottes dort so wirksam war – wer von denen, die nicht wirklich echt waren, würde sich solch einer Schar anzuschließen wagen?

Eine gewisse Schwierigkeit besteht darin, wer mit den „die Übrigen“ gemeint ist; denn, so wird hinzugefügt, „das Volk“ war den Christen wohlgesonnen und „rühmte sie“ (vgl. auch Kap. 2,47; 4,21; 5,26).

Drei Gruppen scheinen hier angedeutet zu werden. Sie unterscheiden sich voneinander nicht nur im Grundsätzlichen, sondern auch durch ihr Verhalten den Warnungen des Synedriums gegenüber. Die erste Gruppe war die der Christen. Sie bildeten eine Körperschaft für sich und versammelten sich zu Anfang trotz der Drohungen der religiösen Führer regelmäßig in der Säulenhalle Salomos, um dort in aller Öffentlichkeit ihr Zeugnis von dem auferstandenen und verherrlichten Christus abzulegen.

Die zweite Gruppe, „die Übrigen“ (oder: „der Rest“), setzte sich aus den ungläubigen Juden zusammen. Sie wollten keineswegs in zu nahe Beziehung zu den Christen kommen. Ihre Furcht, sich den Jüngern anzuschließen, mochte dabei zweifachen Ursprungs sein. Aus dem Schicksal von Ananias und Sapphira schlossen sie, dass ein nur vorgetäuschtes oder halbherziges Sich-Einsmachen mit der neuen Bewegung nicht ungefährlich war, und so hielten sie sich von ihr fern. Und sicherlich waren sie auch nicht von Furcht vor ihren geistlichen Führern frei, deren feindliche Einstellung sie kannten.

Zu dieser zweiten Gruppe der ungläubigen Juden müssen wir dann sicher auch die religiösen Führer selbst rechnen. Sie fürchteten um den Verlust ihres religiösen Einflusses und ihrer Autorität bei dem Volk. Deswegen standen sie den sich ausbreitenden Christen nicht nur abwartend, sondern sogar feindselig gegenüber. Weit eher würden sie sie verfolgen, als sich mit ihnen eins machen.

Die dritte Gruppe, „das Volk“, umfasst solche Juden, die wir die zugänglichen Juden nennen können. Sie waren bereit, auf das, was sie sahen und hörten, eine Antwort zu geben; sie wurden von dem Wort der Verkündigung angezogen. Aus dieser Gruppe gingen die im nächsten Vers erwähnten „Scharen von Männern und auch Frauen“ hervor, die zum Glauben an den Herrn Jesus kamen. Dieses „Volk“ war das eigentliche Ziel der Predigt des Evangeliums in der Anfangszeit, und es ist bezeichnend, dass es in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte durchaus eine wohlwollende Haltung gegenüber den Christen einnahm. Doch mit fortschreitender Zeit wich dieses Wohlwollen mehr und mehr einer immer bitterer werdenden Feindschaft. Auf die Gründe dafür werden wir später zu sprechen kommen.

Dem Herrn hinzugetan

Durch das ernste Handeln Gottes mit Ananias und Sapphira war große Furcht über die ganze Versammlung gekommen und „über alle, die dies hörten“ (Vers 11). Gott hatte eine Warnung gegeben, und dadurch wurde eine Art Schutzwall gebildet gegen das Eindringen von Menschen, die nicht wirklich glaubten. Keiner von ihnen wagte sich den Christen anzuschließen. In einer Hinsicht war das zweifellos eine gute Wirkung, und wir wünschten wohl, dass solch eine Hemmschwelle auch in unseren Tagen noch bestünde – eine Hemmschwelle zum Fernhalten dessen, was unecht, nicht dessen, was echt ist.

Heute stellt es kaum ein Problem dar, sich dieser oder jener christlichen Gruppierung „anzuschließen“. Längst ist ja die Christenheit durch Vermischung von Gut und Böse gekennzeichnet, und das Unkraut überwuchert den Weizen, der Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig (Mt 13,24ff). Weil es Satan gelungen ist, unter dem Deckmantel christlicher Liebe und Weitherzigkeit die von Gott gesetzten Grenzen zwischen „drinnen“ und „draußen“ zu verwischen, hat man das Bewusstsein der Gegenwart Gottes und damit auch jenen Schutzwall verloren, der damals die Unechten, die Ungläubigen, von dem Hereinkommen abhielt.

Unmöglich kann die Christenheit als Ganzes wieder zu dem anfänglichen Zustand göttlicher Ordnung zurückgeführt werden. Im Gegenteil, böse Menschen in ihr werden im Bösen und zu weiterer Gottlosigkeit fortschreiten (2. Tim 3,13; 2,16). Dennoch hat Gott für die Einzelnen, die treu sein wollen, stets einen Weg, auch in Tagen weitgehenden Aufgebens der Wahrheit Gottes. Dieser Weg ist die Absonderung von allem, was den Gedanken Gottes entgegen ist (Kap. 2,16.19.21; 3,5). Wenn Gläubige verwirklichen, was es heißt, „zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen und zwischen dem Reinen und Unreinen“ zu „unterscheiden“ (3. Mo 10,10), ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gegenwart Gottes in ihrer Mitte gegeben. Die Verheißung, die der Herr Jesus denen gegeben hat, die „zu seinem Namen hin versammelt“ sind, bleibt bestehen: Er ist persönlich in ihrer Mitte (Mt 18,20). Diese persönliche Gegenwart des Herrn kann von den Gläubigen in derselben Weise erfahren und genossen werden wie in den Tagen der Apostel; selbst von Fremden wird sie empfunden werden. In unserer Zeit der Schwachheit und des allgemeinen Verfalls wird der Herr Seine Gegenwart in der Mitte der Zwei oder Drei zwar nicht auf solch auffallende Weise sichtbar machen, wie es zu Anfang geschah. Trotzdem ist sie real und wird sie wahrgenommen werden. Das, was der Apostel Paulus in 1. Korinther 14 ausdrückt, kann auch heute noch erlebt werden: „Wenn aber alle weissagen, und irgendein Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, so wird er von allen überführt, von allen beurteilt; das Verborgene seines Herzens wird offenbar, und so, auf sein Angesicht fallend, wird er Gott anbeten und verkündigen, dass Gott wirklich unter euch ist“ (Verse 24.25).

Wer wurde in jenen glücklichen Anfangstagen des Christentums, als alles noch dem Willen Gottes entsprach, „hinzugetan“? „Glaubende wurden dem Herrn“, oder, wie auch übersetzt werden kann, „dem Herrn Glaubende wurden hinzugetan“ (Apg 5,14)- Es sind also allein Gläubige, an den Herrn Glaubende, die das Zeugnis Gottes im Christentum bilden. Im nächsten Kapitel wird das glaubensvolle Sich-Hinwenden zum Herrn mit Gehorsam verbunden und so umschrieben: „Und eine große Menge der Priester wurde dem Glauben gehorsam“ (Vers 7). Wer indes hinzufügt, hatten wir bereits in Kapitel 2, Vers 47, gesehen: der Herr selbst, und Er allein. Er aber fügt nie solche Seiner Versammlung hinzu, die nicht an Ihn als an ihren Herrn und Erlöser glauben.

Der Glaube selbst war ohne Frage ein Ergebnis der Verkündigung des Wortes Gottes. Wenn auch in unserer Stelle in Apostelgeschichte 5 nichts ausdrücklich vom Verkündigen des Wortes durch die Apostel gesagt wird, so müssen wir unbedingt davon ausgehen, dass gerade das in der Säulenhalle Salomos geschah. Es gibt keinen Glauben ohne die Verkündigung der Wahrheit. „Also ist der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort“ (Röm 10,17).

Scharen von Männern und Frauen

Damals wurden nicht nur Einzelne hinzugetan, sondern der Schreiber berichtet von ganzen „Scharen“, und er fügt interessanterweise hinzu: „... von Männern und auch Frauen.“ Bleiben wir zunächst einmal kurz bei dem letzten Ausdruck stehen.

Dass Frauen besonders genannt werden, offenbart auf liebliche Weise die Gnade Gottes. Die Diskriminierung (Herabwürdigung) der Frau, wie sie im Altertum unter den Heiden üblich war, ist im Christentum vollständig beseitigt worden. Gott errettet Frauen geradeso wie Männer und fügt sie Seiner Versammlung hinzu. Als „in Christus“ nimmt die gläubige Frau dieselbe Stellung ein wie der Mann. So ist sie beispielsweise genauso ein Kind und ein Anbeter Gottes wie der Mann. Alle geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern in Christus gehören ihr in vollem Umfang (Eph 1,3). Insofern gilt das Wort aus Galater 3: „Da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid Einer in Christus Jesus“ (Vers 28). Was jedoch ihre Stellung „in der Versammlung“ angeht, ist die Frau, solange die Versammlung auf der Erde ist, nicht wie der Mann. Über ihr Verhalten in der Versammlung werden wir zum Beispiel in 1. Korinther 14 belehrt: „Die Frauen sollen schweigen in den Versammlungen, denn es ist ihnen nicht erlaubt zu reden, sondern sie sollen unterwürfig sein, wie auch das Gesetz sagt“ (Vers 34). Es ist gut, diese beiden Beziehungen, „in Christus“ und „in der Versammlung“, auseinander zu halten. In dem Haus Gottes auf der Erde soll die Ordnung Gottes in der Schöpfung aufrechterhalten werden (1. Kor 11,1–16; 1. Tim 2,8–15), und nach dieser Ordnung steht die Frau unter der Autorität des Mannes.

Doch ist es beglückend, gläubige Frauen neben gläubigen Männern erwähnt zu finden. Schon in Apostelgeschichte 1 war von „einigen Frauen“ die Rede, die das Vorrecht hatten, mit den Aposteln und anderen im Gebet zu verharren (Vers 14). Und in der Weissagung Joels, die Petrus in seiner großen Rede auf die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten anwendet, werden ebenfalls Frauen genannt: „Töchter“ – „Mägde“ (Kap. 2,17.18). Der Heilige Geist macht die Gläubigen, ob Mann oder Frau oder Kind, zu Gliedern des Leibes Christi. Gesegnetes Vorrecht! „Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden“ (1. Kor 12,13). Im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte wird auch immer wieder davon berichtet, dass durch die Predigt des Evangeliums viele Griechen zum Glauben an Christus kamen, und dann heißt es auch: „und von den vornehmsten Frauen nicht wenige“ (Apg 17,4). Wie schön ist das alles!

Doch wiederum wurden nicht Frauen ausschließlich errettet. Manche Männer meinen ja, „Religion“ sei mehr eine Sache für Frauen, sie selbst seien rationaler, verstandesmäßiger ausgerichtet. Doch wenn das Wort Gottes wirkt, in Macht wirkt, wischt es all diese törichten Gedanken beiseite und rührt stattdessen das Gewissen an. Als die Apostel in großer Freimütigkeit und Frische zum ersten Mal Christus und die Auferstehung verkündigten, beugten starke Männer zerknirscht ihr Haupt vor Gott und riefen Petrus und den anderen Aposteln zu: „Was sollen wir tun, Brüder?“ Gut für diese starken Männer, dass sie sich unterwarfen und Buße taten, ehe es für sie zu spät war! Denn was würde ihnen all ihre vermeintliche Kraft nützen, wenn sie einmal vor dem großen weißen Thron und dem Angesicht Dessen stehen müssten, vor dem Himmel und Erde entfliehen?

Dass der „Schutzwall“, von dem ich sprach, nicht dazu bestimmt ist, ehrlich Suchende fernzuhalten, wird dadurch unterstrichen, dass damals ganze Scharen oder „Mengen“ zum Glauben an den Herrn Jesus geführt und der christlichen Körperschaft hinzugefügt wurden. Obwohl wir von der christlichen Taufe seit Kapitel 2, Vers 41, nichts mehr gehört haben, können wir als sicher davon ausgehen, dass auch diese Neubekehrten, wie die Dreitausend an Pfingsten, nicht ohne die Taufe aufgenommen wurden. Ihr Hinzugefügt-Werden schließt ihr Getauft-Werden mit ein. Auf diese zweifache Beziehung hatte ich in Verbindung mit Kapitel 2, Vers 41, bereits hingewiesen (›Ein Volk für seinen Namen‹, Teil 1 und 2).

Wenn wir an die Mengen Neubekehrter zu Anfang denken, mag uns ein Gefühl der Traurigkeit und Wehmut beschleichen. Heute sind es in der Regel nur Einzelne, die sich von der Gnade Gottes finden lassen, jedenfalls in unseren Gegenden. Aber selbst in jenen Tagen der „Flut“, als die Wogen der errettenden Gnade Gottes hoch gingen, wurden nicht ununterbrochen derartige Wirkungen hervorgebracht. Als zum Beispiel Paulus in Athen war und „das Evangelium von Jesus und der Auferstehung verkündigte“ (Kap. 17,18), waren es verhältnismäßig wenige, die sich ihm anschlossen und glaubten, unter ihnen übrigens eine Frau, Damaris (Vers 34). Dass dort eine Versammlung entstanden wäre, wird uns nicht mitgeteilt, ist auch nicht anzunehmen.

So hat es von den Anfangstagen des Christentums an immer wieder „Flut“ und „Ebbe“ gegeben. Große Erweckungszeiten gehören wohl weitgehend der Vergangenheit an. Und wenn wir heute auch in Tagen allgemeiner „Ebbe“ leben, so kann uns doch ein Gedanke ungemein trösten: Die Tür ist noch nicht verschlossen. Ob wir mit ganzen Scharen ins Reich Gottes hineindrängen (Mt 11,12) oder nur als Einzelne und einer um den anderen kommen – wir sind Gott in gleichem Maß willkommen. Jetzt ist noch die wohlangenehme Zeit, der Tag des Heils; und wer da will, der komme und nehme das Wasser des Lebens umsonst (2. Kor 6,2; Off 22,17).

Alle wurden geheilt

Der 15. Vers in Apostelgeschichte 5 schließt an den ersten Teil von Vers 12 an:

„...so dass sie auch die Kranken auf die Straßen hinaustrugen und auf Betten und Lager legten, damit, wenn Petrus käme, auch nur sein Schatten einen von ihnen überschatten möge. Es kam aber auch die Menge der umliegenden Städte nach Jerusalem zusammen, und sie brachten Kranke und von unreinen Geistern Geplagte, die alle geheilt wurden“ (Verse 15.16).

Das waren in der Tat außerordentliche Vorgänge in den Straßen Jerusalems! Die Straßen der Stadt glichen einem einzigen Krankenhaus, und die Kraft Gottes, um zu heilen, war reichlich vorhanden. „Alle“, sagt uns das Wort, „wurden geheilt.“ Ob es sich um „normale“ Kranke handelte oder um von unreinen Geistern Geplagte – und Lukas unterscheidet beide Gruppen sorgfältig voneinander und erwähnt die letzte hier zum ersten Mal –, sie alle fanden Heilung. Selbst die von den zahlreichen umliegenden Ortschaften herbeigeschafften Kranken wurden nicht enttäuscht.

Wie viele körperlich ernst Erkrankte haben seitdem weite Reisen unternommen, um Heilung zu erfahren, und wie oft sind sie enttäuscht wieder umgekehrt! Hier aber wurde auch nicht ein Einziger in seiner Erwartung enttäuscht. Das Wort ›alle‹ ist im Grundtext stark betont und bedeutet so viel wie ›alle miteinander, ohne irgendeine Ausnahme‹.

Etwas Vergleichbares hatte es zuvor nie gegeben, selbst nicht in den Tagen des Herrn Jesus auf der Erde. Jetzt war Er im Himmel, und das alles geschah in der Kraft Seines Namens und zu Seiner Verherrlichung. Aber es war auch ein wunderbares Zeugnis von der großen Güte Gottes, in der Er sich über Seine seufzende Schöpfung erbarmt – eine tröstliche Wahrheit, die zu jeder Zeit bestehen bleibt. Hier war notgedrungen alles begrenzt und von vorübergehender Natur, doch wird einmal die Zeit kommen, da Sein Sohn Sein Reich auf der Erde errichten wird. Dann werden sich die Worte des 103. Psalms uneingeschränkt erfüllen: „... der da vergibt alle deine Ungerechtigkeiten, der da heilt alle deine Krankheiten“ (Vers 3).

Gott hatte ernst im Gericht geredet und zwei betrügerische Menschen durch den Tod plötzlich hinweggerafft. Welch eine Freude muss es nun gewesen sein, Sein Handeln in Gnade zu erleben, und zwar in einer nie gekannten Weise! Oder wo hören wir davon, dass allein der Schatten des Herrn Jesus jemand von seiner Krankheit geheilt hätte? Hier aber genügte der Schatten des Apostels Petrus, dass viele dadurch Heilung fanden. Denn ganz offensichtlich ist das in Vers 15 gemeint, wenn es auch nicht ausdrücklich gesagt wird. Jedenfalls werden wir an die Worte des Herrn in Johannes 14 erinnert: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird auch die Werke tun, die ich tue, und wird größere als diese tun, weil ich zum Vater gehe“ (Vers 12).

Eine erste Bestätigung dieser Worte fanden wir an Pfingsten, als sich auf eine Predigt hin Dreitausend auf einmal bekehrten. Und wenn man später vom Körper des Apostels Paulus weg Schweißtücher und Schürzen nahm und sie Kranken zu ihrer Heilung auflegte, so gehörte auch das zu den größeren Werken (Apg 19,11.12).

Der Herr Jesus war jetzt droben beim Vater, und in Seiner Kraft setzten die Apostel das fort, was Er selbst in den Tagen Seines Dienstes auf der Erde gewirkt hatte. Hierin liegt die Erklärung dafür, dass die Jünger größere Werke taten als der Herr selbst – nicht etwa darin, dass sie größere Kraft als ihr Meister besessen hätten. In sich selbst waren sie schwache Menschen wie alle anderen auch. Petrus ließ daran keinen Zweifel, als er nach der Heilung des Gelähmten den Juden zurief: „Männer von Israel ..., was seht ihr unverwandt auf uns, als hätten wir aus eigener Kraft oder Frömmigkeit bewirkt, dass er gehen kann? ... Und durch den Glauben an seinen Namen hat sein Name diesen, den ihr seht und kennt, stark gemacht“ (Kap. 3,12–16). Wenn wir nun ein wenig von den „größeren“ Werken gesprochen haben, die Seine Jünger in der Kraft Seines Namens getan haben, so steht doch über allem das eine große Werk, das nur der Heiland selbst ausführen konnte – das Werk der Erlösung. Er hat es vollbracht zur Verherrlichung Gottes und zu unserer Errettung, und dafür werden wir Ihn in alle Ewigkeit preisen und anbeten.

Auf eine kleine sprachliche Besonderheit unseres Abschnitts sei noch kurz hingewiesen. Bei allen Verben (Tätigkeitswörtern) dieses Abschnitts (›geschahen‹, ›waren‹, ›wagte‹, ›erhob‹, ›wurden hinzugetan‹, ›kam‹, ›wurden geheilt‹) benutzt der Schreiber ausnahmslos das Imperfekt – die Zeitform der unvollendeten Vergangenheit: Die Handlungen wurden begonnen und gingen eine Zeit lang fort, aber sie fanden nicht ihren Abschluss. Durch diese offenen Zeitformen deutet der Heilige Geist an, dass etwas eintreten würde, was den Fortgang des gesegneten Werkes beeinträchtigen würde. Das ist auch der Grund, warum Lukas, der Schreiber, diesen Überblick den nun folgenden Ereignissen voranstellt.

Gefangennahme und Befreiung der Apostel

An vier Beispielen oder auf vierfache Weise zeigt uns das fünfte Kapitel der Apostelgeschichte die Gegenwart und Macht Gottes in und zugunsten Seiner Versammlung: durch Gericht innerhalb der Versammlung selbst – mit dem Apostel Petrus als Werkzeug (Verse 1–11); durch die Heilung Kranker – mit den zwölf Aposteln als Werkzeuge (Verse 12–16); durch die Befreiungder Apostel aus dem Gefängnis – mit einem Engel Gottes als Werkzeug (Verse 17–32); durch die Vorsehung Gottes – mit Gamaliel als Werkzeug (Verse 33–42). Gott wirkt auf der Erde, wirkt zur Ehre Seines Sohnes, und Er benutzt dazu, wen Er will. So war es damals, und so ist es heute. Dafür sei Sein Name gepriesen! Wenn Gott wirkt, sind alle Anstrengungen des Menschen, sich Ihm zu widersetzen, vergeblich.

Die Feindschaft der „Freidenker“

„Der Hohepriester über stand auf und alle, die mit ihm waren das ist die Sekte der Sadduzäer, und sie wurden von Eifersucht erfüllt; und sie legten die Hände an die Apostel und setzten sie in öffentlichen Gewahrsam“ (Verse 17.18).

Hier wiederholt sich das, was wir zu Anfang des vierten Kapitels gesehen haben und was zuvor in der Behandlung des Herrn Jesus durch dasselbe Gremium sein Vorbild findet. Als der Sohn Gottes „Lazarus, den Gestorbenen“, aus den Toten auferweckt hatte, „versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer das Synedrium und sprachen: Was tun wir? – denn dieser Mensch tut viele Zeichen. Wenn wir ihn so gewähren lassen, werden alle an ihn glauben ...“ (Joh 11, 47.48). Sie konnten die Wunder nicht leugnen; aber anstatt sich dieser Sprache Gottes zu öffnen, verschlossen sie ihr Herz und hassten Jesus, weil sie um ihren Einfluss bei den Menschen fürchteten. Wie damals im Fall des Herrn (Mt 27,18) so bestimmte auch jetzt im Fall der Apostel blanke Eifersucht, Neid, das Tun der religiösen Führer.

Der Herr hatte Seine Jünger auf Verfolgungen vorbereitet und gesagt: „Erinnert euch an das Wort, das ich euch gesagt habe: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,20). Das erfüllte sich nun aufs Neue.

Die Sekte der Sadduzäer hatte zu jener Zeit im Synedrium die Oberhand und stellte im Allgemeinen den Hohenpriester. Jedenfalls beobachten wir dieses Übergewicht in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte. Hier begegnet uns auch zum ersten Mal der Ausdruck ›Sekte‹: ›Sekte der Sadduzäer‹. Das griechische Wort ›haíresis = ›Gruppe, Partei, Sekte‹ beschreibt ursprünglich eine philosophische Schule, die einer bestimmten Lehrmeinung folgt. In diesem Sinn wird hier die Sekte der Sadduzäer und später die Sekte der Pharisäer erwähnt (Kap. 15,5; 26,5). Wenn auch die ersten Christen als ›Sekte‹ bezeichnet wurden (Kap. 24,5.14; 28,22), dann liegt die gleiche Sinnrichtung vor, doch schwingt bereits ein abschätziger Unterton bei denen mit, die dieses Wort für die Christen benutzten. In 1. Korinther 11, Vers 19, und Galater 5, Vers 20, verwendet der Heilige Geist denselben Ausdruck, jeweils in der Mehrzahl. ›Sekten‹ bezeichnet dort Parteiungen unter den Gläubigen – Gruppierungen, die durch einen Bruch zwischen ihnen entstanden sind. In diesem Zusammenhang ist der Ausdruck – von Gottes Seite her – mehr als nur negativ gefärbt: Sekten oder Parteiungen unter wahren Christen als Ergebnis des Eigenwillens sind „Werke des Fleisches“, sind Sünde. In 2. Petrus 2, Vers 1, wird dann sogar von „verderblichen Sekten“ gesprochen. Sie haben falsche Lehren zur Grundlage. Von falschen Lehrern eingeführt, führen sie zur Leugnung der Person des Herrn Jesus und Seiner Ansprüche. Erst bei dieser letzten Stelle hat der Ausdruck mit dem Gedanken an falsche, böse Lehre zu tun. In den anderen Stellen, wo er in Verbindung mit Gläubigen gebraucht wird, ist das nicht der Fall.

Dass es die Sadduzäer waren, die nach anfänglichem Zuwarten nun in Aktion traten, um der Ausbreitung dieser neuen Lehre endgültig Einhalt zu gebieten, ist in der Apostelgeschichte für diese Sekte typisch. Dasselbe fanden wir bereits in Kapitel 4, Vers 1ff. Wir können den Unmut der Sadduzäer gut verstehen. Sie behaupteten, es gäbe keine Auferstehung, noch Engel, noch Geist (Mt 22,23; Apg 23,8). Christus aber war auferstanden, und Seine Jünger konnten es als Augenzeugen in Wort und Tat vor allen bestätigen. Und ob diese Freidenker an Engel glaubten oder nicht, änderte nichts daran, dass gerade einer dieser „Gewaltigen an Kraft“ ihre jetzt geplanten Unternehmungen zu durchkreuzen im Begriff stand.

Die Feindschaft der Sadduzäer ist umso bemerkenswerter, als sich die Mitglieder dieser religiösen Sekte rühmten, die Freiheit des Gewissens und der Gedanken auf ihre Fahnen geschrieben zu haben. Doch was die Menschen Freiheit nennen, ist nicht wirklich Freiheit. Diese Freiheit der Gedanken dient letzten Endes nur dazu, dem Irrtum in jeder Form Vorschub zu leisten und die Menschen zu versklaven, ihren Sinn zu „verblenden“ (2. Kor 4,4). Trotz des Eintretens für die Freiheit wurde jedoch der Wahrheit Gottes, die zusammen mit der Gnade durch „Jesus Christus geworden“ ist (Joh 1, 17), heftiger Widerstand entgegengebracht.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Man mag auch in unseren Tagen viel von Freiheit und Liberalität reden – die Versklavung der Ungläubigen unter die mannigfachsten und schrecklichsten Irrtümer nimmt, mitten im Christentum, unaufhaltsam zu. Christus ist die Wahrheit, und das Wort Gottes ist die Wahrheit (Joh 14,6; 17,17). Die Ablehnung dieser Wahrheit wird die ungläubigen Menschen in der Christenheit schließlich dem furchtbaren Gericht aussetzen, dem Irrwahn und der Lüge des Antichristen glauben zu müssen (2. Thes 2,9–12), ganz zu schweigen von den ewigen Folgen ihres Unglaubens. Ach, dass sich doch heute noch viele im Glauben zum Heiland der Welt wendeten! Dort fänden sie die Wahrheit und wirkliche Freiheit, ja, noch mehr: ewiges Leben und Glückseligkeit.

So legten nun die Sadduzäer erneut Hand an die Apostel und setzten sie in öffentlichen Gewahrsam. Das war eine strengere Maßregelung als in Kapitel 4, denn jetzt wurden sie wie gemeine Verbrecher behandelt.

Damals waren auch nur Petrus und Johannes festgehalten worden, während jetzt alle Apostel hinter Schloss und Riegel kamen. In der Meinung der Menschen war nun diese neue Bewegung ohne Kopf und Führung. Dabei gehen die freiheitlich gesinnten Sadduzäer mit der Gewalt durchaus rigoros und bedenkenlos um. Sie handeln zuerst in eigener Autorität, und erst dann berufen sie das Synedrium ein. Sie meinen, zu ihrem gewaltsamen Vorgehen auch jede Berechtigung zu haben, da die Jünger Christi ihren Anweisungen in keiner Weise nachgekommen sind.

Das Einschreiten Gottes

„Ein Engel des Herrn aber öffnete während der Nacht die Türen des Gefängnisses und führte sie hinaus und sprach: Geht und stellt euch hin und redet im Tempel zu dem Volk alle Worte dieses Lebens!“ (Apg 5, 19.20).

Gott tritt mit Macht ins Mittel und befreit durch einen Seiner Engel die Prediger des Evangeliums. Der Unglaube nimmt Anstoß an derartigen Schilderungen. Und so hat es nicht an Versuchen gefehlt, auch diesen Bericht zu „entmythologisieren“, dieses Wunder „wegzuerklären“: Der Ausdruck ›Engel des Herrn‹ umschreibe nach hebräischer Denkweise nur ein nicht näher bezeichnetes Eingreifen Gottes. Es mochte irgendein Freund oder einer der Wachen selbst gewesen sein, die den Aposteln zur Freiheit verhalfen. ›Engel‹ bedeute hier ohnehin nur ›Bote‹.

Solche „Erklärungen“ sind es nicht wert, ernst genommen zu werden. Sie entstammen dem Geist moderner „Sadduzäer“ und offenbaren nackten Unglauben. Die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments ist voll von Wundern Gottes. Gott ist ein Gott, der Wunder tut (Ps 77,14), und wer an Ihn glaubt, glaubt auch an die Wunder, über die uns Sein Wort berichtet.

Wir wollen jetzt nicht zu lange bei Engeln und ihrem Dienst verweilen. Doch steht dies fest: Sie spielten nicht nur in alttestamentlichen Zeiten eine bedeutende Rolle, sondern auch in der Zeit des Übergangs vom jüdischen zum christlichen Zeitalter. Engel wurden benutzt, um den Stein vom Grab des Herrn wegzuwälzen und Seinen Jüngern die Gewissheit über die Auferstehung Jesu zu geben. Engel waren auch bei der Himmelfahrt des Herrn zugegen und überbrachten den zum Himmel blickenden Jüngern eine wichtige Botschaft über die Wiederkehr Christi (Apg 1, 10.11). Hier in unserem Abschnitt öffnet ein Engel die Türen des Gefängnisses und verschafft den Zwölfen trotz dessen sorgfältiger Bewachung die Freiheit. In Kapitel 8 empfängt Philippus, der später der ›Evangelist‹ genannt wird, durch einen Engel einen Auftrag des auferstandenen Herrn. Wieder ist es ein Engel, der in Kapitel 12 bei Petrus im Kerker steht, ihn aufweckt und ihn auf wunderbare Weise an den Wachen vorbei ins Freie führt. Dasselbe Kapitel berichtet uns auch davon, wie ein Engel des Herrn den König Herodes schlug, weil er nicht Gott die Ehre gab.

Gewiss bedeutet ›Engel‹ ›Bote‹, doch lässt der heilige Schreiber keinen Zweifel daran, dass in all den genannten Fällen jene himmlischen Wesen gemeint sind, die Gottes Wort als „Gewaltige an Kraft, Täter seines Wortes, gehorsam der Stimme seines Wortes“ beschreibt (Ps 103,20).

Das sichtbare Einschreiten Gottes in Macht durch Engel war völlig jenen Tagen des Anfangs angemessen und diente, wie überhaupt die Zeichen und Wunder, zur Bestätigung des Zeugnisses Gottes im Christentum, als es neu und das Wort Gottes Neuen Testaments noch nicht geschrieben war.

Der Dienst der Engel an den Heiligen indes hat in der heutigen Zeit nicht aufgehört, wie uns Hebräer 1, Vers 14, belehrt, doch treten Engel in aller Regel nicht mehr sichtbar in Erscheinung.

In einer noch zukünftigen Epoche wird sich das jedoch ändern. Wenn Gott nach der Entrückung der Versammlung die Gerichte Seiner Vorsehung über die Erde bringt – sie werden in der Offenbarung ab Kapitel 6 beschrieben –, wird Er dafür wieder Engel benutzen. Und auch in der Zeit des Tausendjährigen Reiches werden Engel Gottes auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen (1.M0 28,12; Joh 1,51; Off 21,12).

Eines jedoch tun die Engel nicht, haben sie nie getan und werden sie nie tun: das Evangelium der Gnade Gottes predigen. Gott mag durch sie Botschaften ausrichten lassen, wie auch in unserer Stelle, aber sie rufen nicht Sünder zur Buße, verkündigen nicht den Glauben an Jesus Christus, den Heiland der Welt. Das hat Gott allein denen anvertraut, die selbst die Erlösung erlebt haben. Aber, mag jemand einwenden, das ewige Evangelium wenigstens wird ein Engel verkündigen (Off 14,6). Nun, der Engel in Offenbarung 14 fliegt symbolisch inmitten des Himmels und gibt mit lauter Stimme den Inhalt der Botschaft zur Verkündigung auf der Erde an (Vers 7), aber der Herr Jesus zeigt in Matthäus 24, ab Vers 4, dass die tatsächlichen Verkündiger auf der Erde Menschen sein werden – Seine Jünger nämlich, zu denen Er damals als Vertretern des treuen jüdischen Überrestes späterer Tage sprach. Gläubige Juden werden das Evangelium des Reiches in kurzer Zeit in die ganze Welt tragen. Viele von ihnen werden um ihres Zeugnisses willen den Märtyrertod erleiden (Off 6,9; 12,17; 20,4). Weil sie treu waren, wird der Herr sie später beim Gericht der Lebendigen Seine ›Brüder‹ nennen (Mt 25,40).

Alle Worte dieses Lebens

Der Auftrag Gottes, den der Engel den Aposteln übermittelt, ist kurz, aber umfassend: „Geht und stellt euch hin und redet in dem Tempel zu dem Volk alle Worte dieses Lebens.“ Hier wird deutlich, warum Gott bei dieser Gelegenheit Seine Macht so sichtbar kundmachte (Er hätte ja die Apostel auch auf weniger auffallende Weise befreien können, wenn es Ihm nur darum gegangen wäre): Sie sollten sich, für alle sichtbar, im Tempel „hinstellen“, sollten in aller Öffentlichkeit ein kündbares Zeichen der Macht Gottes bilden. Gott wollte zeigen, dass Er mit diesen Menschen war und dass verschlossene und bewachte Gefängnistüren für Ihn kein Hindernis darstellen. Da standen sie dann wieder, diese Männer, die tags zuvor gewaltsam daran gehindert worden waren, ihr Zeugnis abzulegen!

Das ist die eine Seite. Doch eng damit verbunden ist die zweite: Gott ist ein Heiland-Gott, und Er will, dass die Botschaft Seiner Gnade in Christus Jesus trotz aller Anstrengungen des Feindes, sie zu unterbinden, frei und ungeschmälert verkündigt wird. Dies ist ein Gedanke, der auch uns heute Anlass geben sollte, von Herzen für die Verbreitung des kostbaren Evangeliums besorgt zu sein. Gott tritt heute kaum noch durch offenbare, wahrnehmbare Wunder für Seine Knechte ein. Wie viele von ihnen sind seitdem ins Gefängnis geworfen, gequält, gefoltert, hingerichtet, verbrannt worden, ohne dass ein Engel Gottes vom Himmel herabgestiegen wäre und Befreiung gebracht hätte! An der Absicht Gottes jedoch hat sich nichts geändert. Sein Wort soll und wird laufen und verherrlicht werden (2. Thes 3,1). Darum dürfen wir ringen und flehen und dafür arbeiten. Er wird uns darin jeden Beistand schenken, wenn auch nicht auf so offenkundige Weise wie in jenen Anfangstagen.

„Alle Worte dieses Lebens“ – eine Formulierung, die des Nachdenkens wert ist! Die Aussprüche Gottes tragen den Keim des Lebens, ewigen Lebens, in sich. Sich dessen bewusst zu sein ist gerade für den Verkündiger der guten Botschaft von größter Wichtigkeit. „Du hast Worte ewigen Lebens“, hatte einst Petrus bekannt (Joh 6,68). Aber diese Worte müssen eben auch ausgesprochen, zu den Menschen gebracht werden, damit sie göttliches Leben in ihrer Seele hervorrufen können. Es gibt, wie wir uns schon erinnerten, keinen Glauben ohne Verkündigung, die Verkündigung aber ist durch Gottes Wort (Röm 10,14–17). Der Same der neuen Geburt ist das Wort Gottes, dieses Wort allein (Jak 1,18; 1. Pet 1,23). Was hat der Herr Jesus, der wahre „Sämann“ und unser großes Vorbild, „in die Herzen gesät“, als Er auf der Erde zu Verlorenen sprach? Das Wort Gottes. „Der Same ist das Wort Gottes“ (Mt 13,3ff; Lk 8,11). „Er redete zu ihnen das Wort“ (Mk 2,2).

Lasst auch uns diesen ›Samen‹ benutzen und alle Worte dieses Lebens reden! Es müssen „alle“ Worte sein, damit nicht die eine oder andere Seite unberücksichtigt bleibt. So darf auch das Wort zur Buße nicht fehlen, der „Buße zum Leben“ (Apg 11,18). Und lasst uns dabei bleiben, diese Worte zu „reden“! ›Reden‹ bedeutet eben nicht ›spielen‹. Spiele, Vorführungen und musikalische Darbietungen mit biblischem Hintergrund sind nicht das unverfälschte Wort Gottes, sind auch nicht Sein Weg zur Errettung sündhafter Menschen. Oder wo fänden wir in der Heiligen Schrift, dass der Herr Jesus oder Seine Apostel oder irgendwelche andere Knechte Gottes mit christlichen Musikveranstaltungen vor die Menschen getreten wären oder gar Schauspiele vor ihnen aufgeführt hätten, um ihnen auf diese Weise das Evangelium nahe zu bringen? Das heilige Wort Gottes zu „spielen“ statt es in der Kraft des Heiligen Geistes zu „verkündigen“ stellt ein ernstes Abweichen von dem Weg der Wahrheit dar.

Warum neigen wir dazu, es trotzdem zu tun – und sei es nur in Ansätzen? Weil wir die Einfalt gegen den Christus Gottes verloren und uns weitgehend dem Geschmack des natürlichen Menschen – sagen wir es unumwunden: weil wir uns der christlichen Welt angepasst haben. Natürlich sollen wir nicht so grob und ungeschlacht wie möglich auf die Menschen zugehen. Ganz im Gegenteil! Paulus war, um so viele wie möglich zu gewinnen, den Juden wie ein Jude, den Schwachen wie ein Schwacher geworden, ja, er war allen alles geworden (1. Kor 9,19ff). Er stellte sich – und das bedeuten diese Worte – auf sein Gegenüber ein, begegnete den verschiedenen Menschen auf ihrem Boden, trug ihren Bedenken und der Art ihres Denkens und Empfindens Rechnung. Aber keineswegs wandte er sich an das religiöse Fleisch seiner Zuhörer. Nie verlor er das Ziel und den Weg Gottes aus dem Auge, und nie machte er durch menschliche Zutaten „das Kreuz Christi zunichte“. Und was gebot er am Ende seines Lebens, die ›letzten Tage‹ und ›schweren Zeiten‹ vor Augen, seinem treuen Kind Timotheus? Empfahl er ihm, auf neue, wirksamere Methoden der Verbreitung des Evangeliums zu sinnen, da nun einmal die Menschen die Ohren von der Wahrheit abkehren und sich zu den Fabeln hinwenden würden? Tausendmal nein! Ernstlich bezeugt er ihm „vor Gott und Christus Jesus, der da richten wird Lebendige und Tote ...: Predige das Wort“ (2. Tim 4,1–4). Wie einfach, wie schön, aber auch wie überaus tröstlich für uns und unsere Tage!

Deswegen, geliebte Freunde, kehren wir – sowohl was den Inhalt der Predigt als auch die Art und Weise der Verkündigung angeht – zum Anfang zurück! Vertrauen wir nicht auf moderne menschliche Methoden in der Darbietung des Wortes, sondern auf die Macht des Wortes Gottes selbst! Dieses Wort richtet sich in erster Linie an das Gewissen des Menschen. Nur ein durch die Pflugschar des göttlichen Wortes aufgerissenes Gewissen ist bereit und fähig, den Samen der Wiedergeburt aufzunehmen. Menschliche „Ersatzlösungen“ der genannten Art dagegen sprechen weit eher die Sinne des Menschen, seine Gefühle, seinen Intellekt an als sein Gewissen, und das führt in die falsche Richtung.

Paulus vermied sorgfältig alles, was seine Zuhörer von dem eigentlichen Gegenstand seiner Verkündigung – von „Jesus Christus“ und von Ihm „als gekreuzigt“ – hätte ablenken können. Auch „Vortrefflichkeit der Rede“ und menschliche „Weisheit“ richten sich wie die anderen Dinge an das Fleisch des Menschen. Deswegen befleißigte er sich einer einfachen Redeweise: „Meine Rede und meine Predigt war nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht beruhe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft“ (1. Kor 2,1–5). Ja, Gottes Kraft allein ist es, die in dem Herzen Glauben und Leben hervorzurufen vermag.

Als Mittel bedient sich der Heilige Geist jedoch stets des geschriebenen Wortes Gottes. Lasst uns darauf vertrauen und auf die Kraft des Heiligen Geistes!

Auch heute wird niemand auf andere Weise von neuem geboren als nur „aus Wasser und Geist“ (Joh 3,5). Dass das ›Wasser‹ ein Bild des Wortes Gottes in seiner reinigenden Kraft unter dem Einfluss des Geistes Gottes ist, wird den meisten von uns geläufig sein. Gewiss dürfen wir „erfinderisch“ darin sein, wie wir das Interesse der Menschen wecken und ihr Herz erreichen können. Liebe macht erfinderisch.

Ein schönes Beispiel dafür liefert uns Paulus auf dem Areopag in Athen (Apg 17,22ff). Aber was wir dann zu den Menschen reden, müssen „Aussprüche Gottes“ sein (1. Pet 4,11). Lasst es uns dem Apostel Paulus gleichtun und „die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus“ bezeugen (Apg 20,21) – „öffentlich und in den Häusern“! Das sind dann die „Worte dieses Lebens“, die verlorene Sünder so nötig haben.

Die Verlegenheit der Widersacher

Durch einen Engel des Herrn aus dem Gefängnis befreit, treten die Apostel noch in derselben Nacht schleunigst die Flucht aus Jerusalem an. Wirklich?

„Als sie es aber gehört hatten, gingen sie frühmorgens in den Tempel und lehrten“ (Apg 5, 21).

Gott hatte Seine Knechte bei diesem besonderen Anlass nicht befreit, damit sie sich in Sicherheit brächten, sondern damit sie erneut Seine Worte vor dem Volk redeten. Und das tun sie auch unverzüglich, frühmorgens, als die Pforten des Tempels für den ersten Dienst geöffnet wurden. „Sie gingen in den Tempel und lehrten.“ Das war die Antwort Gottes an die Sadduzäer, die nicht nur selbst die Worte des Lebens verwarfen, sondern auch andere daran hinderten, sie anzunehmen! Die Warnung des Herrn an die Pharisäer traf voll auch auf sie zu: „Wehe aber euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler! Denn ihr verschließt das Reich der Himmel vor den Menschen; denn ihr geht nicht hinein, noch lasst ihr die hineingehen, die hineingehen wollen“ (Mt 23,13).

„Der Hohepriester aber kam und die, die mit ihm waren, und sie riefen das Synedrium und die ganze Ältestenschaft der Söhne Israels zusammen und sandten ins Gefängnis, sie herbeizuführen. Als aber die Diener hinkamen, fanden sie sie nicht in dem Gefängnis; sie kehrten aber zurück, berichteten und sagten: Wir fanden das Gefängnis mit aller Sorgfalt verschlossen und die Wachen an den Türen stehen; als wir aber aufgemacht hatten, fanden wir niemand darin. Als aber sowohl der Hauptmann des Tempels als auch die Hohenpriester diese Worte hörten, waren sie ihretwegen in Verlegenheit, was dies doch werden möchte. Es kam aber jemand und berichtete ihnen: Siehe, die Männer, die ihr ins Gefängnis gesetzt habt, sind im Tempel, stehen da und lehren das Volk“ (Apg 5, 21–25).

Offenbar in ziemlicher Eile rufen nun der Hohepriester und die zu ihm stehenden Sadduzäer das ganze Synedrium zusammen, berufen, wie wir heute sagen würden, eine Vollversammlung dieses höchsten jüdischen Gremiums ein. Über seine Zusammensetzung hatten wir bereits bei einer früheren Gelegenheit gesprochen (›Ein Volk für seinen Namen, Teil 3, S. 101ff). Es genügt jetzt zu bemerken, dass mit ›Synedrium‹ mehr die Funktion dieser Körperschaft beschrieben wird (nämlich zusammenzusitzen und zu beraten), während mit ›Ältestenschaft‹ auf deren Stellung und Würde innerhalb des Volkes hingewiesen wird.

Der Hohepriester und die Sadduzäer wollen die zwölf Delinquenten vorführen lassen, um ihnen den Prozess zu machen, müssen aber zu ihrer Überraschung hören, dass die Wachen ein leeres Gefängnis bewacht haben – und das, obwohl die Abgesandten selbst das Gefängnis mit aller Sorgfalt „verschlossen“ vorfanden. Die Berichtenden benutzen für ›verschlossen‹ die Perfektform, was so viel bedeutet wie: Das Gefängnis, einmal verschlossen, war so verschlossen geblieben, bis sie selbst diesen Zustand änderten und öffneten.

Wir können uns vorstellen, welch eine Überraschung in den Gesichtern der Priester und Führer stand, als sie die Worte der Tempelwache vernahmen. Ja, die Überraschung machte einer ausgesprochenen Verlegenheit Platz, als ihnen ein offenbar mit den Vorgängen vertrauter Bote die Nachricht überbrachte, dass die, die sie ins Gefängnis gesetzt hatten, im Tempel standen und das Volk lehrten. Ob es den Sadduzäern gerade sehr angenehm war, dass ihr Fehlschlag vor den Ohren des ganzen Synedriums kundwurde, mag wohl bezweifelt werden. Wäre ihnen die Nachricht von dem Misslingen ihrer Operation früher zugekommen, sie hätten sicher versucht, sie totzuschweigen. Aber der Herr hat alles in Seiner Hand, und Er fügte es so, dass nun alle im Synedrium es hörten. Die Ohnmacht des Menschen der Macht Gottes gegenüber sollte vor der ganzen religiösen Führerschaft Israels offenbar werden.

Tatsächlich ist das, was den Unglauben in Verlegenheit bringt, eine Ermutigung für den Glauben: Das Werk Gottes wächst, Sein Wort läuft. Die Widersacher hatten unbedingt vermeiden wollen, dass die Sache von Jesus unter dem Volk weiter ausgebreitet würde, und sie hatten den Aposteln Petrus und Johannes ernstlich geboten, „sich durchaus nicht in dem Namen Jesu zu äußern noch zu lehren“ (Kap. 4,17.18). Doch obwohl sie gegen diese Männer alles unternommen, sie sogar erneut gefangen gesetzt hatten, stehen sie nun wieder da, diese Apostel Jesu Christi, nicht nur zwei von ihnen, sondern alle zwölf, und lehren das Volk. Ob sie jetzt nicht ahnen, dass sie gegen diesen Jesus nichts auszurichten vermögen? Ob sie jetzt nicht erkennen, dass dieses Wort, das sie bekämpfen, Leben in sich trägt und immer weiter wachsen wird? Ihre Verlegenheit verrät im Grund ihres Herzens Furcht und Schrecken – für sie, die Widersacher, ein Beweis des Verderbens, für die Gläubigen dagegen ein Beweis des Heils. Deshalb brauchen wir uns „in nichts erschrecken zu lassen“ (Phil 1,28).

Plagte nicht schon einst den Pharao die Angst vor dem immer stärker werdenden Volk Israel? Er versklavte es und legte ihm einen immer härteren Dienst auf, er befahl schließlich, all seine männlichen Säuglinge zu ertränken. Aber ein Kind wurde aus dem Wasser gezogen, Mose, und dieses Kind wuchs und erstarkte, wuchs heran zum Befreier seines Volkes von der Knechtschaft Ägyptens.

In späterer Zeit, der Zeit Josuas, verschloss Jericho die Tore vor zwei Männern aus diesem Volk, aus Furcht vor ihm. Rahab, die Hure, bekannte vor ihnen diesen Schrecken: „Ich weiß, dass Jehova euch das Land gegeben hat, und dass euer Schrecken auf uns gefallen ist, und dass alle Bewohner des Landes vor euch verzagt sind ... denn Jehova, euer Gott, ist Gott im Himmel oben und auf der Erde unten“ (Jos 2,9–11). Was Rahab im Glauben voraussah, traf ein. Die Mauern Jerichos fielen, und das Land lag offen vor den Kindern Israel.

Als der Herr Jesus geboren worden war, kamen glaubensvolle Männer vom fernen Osten, um den neugeborenen König der Juden anzubeten. Aber was für sie ein Gegenstand der Freude und Huldigung war, war für den König Herodes und für ganz Jerusalem ein Anlass zur Bestürzung. Mit grausamer Hand versuchte Herodes, das Leben des Kindes Jesus auszulöschen, und er „ließ alle Knaben töten, die in Bethlehem und in seinem ganzen Gebiet waren, von zwei Jahren und darunter“ (Mt 2,3.16). Ja, Rahel beweinte ihre Kinder. Trotzdem wuchs und erstarkte das Kind (Lk 2,40), auf das es der Kindesmörder abgesehen hatte, und es wurde zum Erlöser von den Sünden – nicht allein des Volkes Israel, sondern auch aller, die da glauben würden.

Ja, Er war das wahre Weizenkorn, das in die Erde fiel und starb. Aber das, was wie das Ende der ganzen Sache aussah, war in Wahrheit der Anfang einer neuen Schöpfung. Viel Frucht brachte das Weizenkorn durch sein Sterben hervor, Frucht in einem Ausmaß, das nicht nur das Begriffsvermögen jener religiösen Führer Israels absolut übertraf. Und selbst wenn die Versammlung, die herrlichste Frucht Seines Sterbens, in die himmlischen Scheuern eingefahren ist, wird Er noch viel Frucht finden in Seinem Reich auf der Erde.

So brauchen wir „keinerlei Schrecken“ zu fürchten (1. Pet 3,6). Gott kommt zu Seinem Ziel, und in allen Umständen und zu jeder Zeit ist Er „für uns“. Wer kann dann in Wahrheit gegen uns sein? „Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ (Röm 8,31.32).

Die Festnahme der Apostel

„Da ging der Hauptmann mit den Dienern hin und führte sie herbei, nicht mit Gewalt, denn sie fürchteten das Volk, sie könnten gesteinigt werden“ (Apg 5, 26).

Eben hatte ein Engel des Herrn sie befreit, und nun lassen sich die Apostel erneut festnehmen und vor das Synedrium führen. War nicht tatsächlich „große Gnade“ auf diesen treuen Zeugen? Sie sind ein schönes Beispiel dafür, was es heißt, sich in nichts von den Widersachern erschrecken zu lassen. Ohne Widerstand zu leisten, lassen sie sich abführen. Sie hätten die Gunst der Stunde nutzen und die Stimmung des Volkes dazu benutzen können, vor dem erneuten Zugriff des Synedriums geschützt zu werden. Denn wir können davon ausgehen, dass auch sie, nicht nur der Hauptmann und die Tempelwache, die Situation richtig einzuschätzen wussten.

Für einen gewaltsamen Aufstand wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, sie hätten das Volk auf ihrer Seite gehabt. Aber hatte nicht der Herr gesagt, dass alle, die das Schwert nähmen, auch durchs Schwert umkommen würden? Und war es nicht unvergleichlich besser, sich, statt auf Menschen, auf Gott zu stützen? Hatte Er ihnen nicht den Auftrag gegeben, dort im Tempel alle Worte dieses Lebens zu dem Volk zu reden? So konnten sie gelassenen Geistes auf Gott vertrauen und Ihm die Folgen ihres Gehorsams überlassen. Es ist stets ein glücklicher und friedvoller Weg, einfach den Willen Gottes zu tun. Nichts befreit uns so sehr von Ängsten, Unruhen und Menschenfurcht wie das Bewusstsein, Gott zu gehorchen oder gehorcht zu haben.

Ob ihnen in diesem Augenblick nicht auch das erhabene Beispiel ihres Herrn und Meisters bei Seiner Gefangennahme in Erinnerung kam? Auch Er, der, im Gegensatz zu ihnen, alle Gewalt in Sich selbst besaß, hatte Sich im Garten Gethsemane willig festnehmen lassen. Er hatte Seine Häscher durch Sein „Ich bin es“ zu Boden geworfen und hätte unbehelligt Weggehen können. Zudem hätte Er Seinen Vater bitten können, und Er hätte Ihm mehr als zwölf Legionen Engel zur Verfügung gestellt, und das bedeutete ungleich mehr, als die wetterwendische Volksseele auf Seiner Seite zu wissen. Aber nein, wie sollten denn die Schriften erfüllt werden, dass es so geschehen musste? So ließ Er Sich, still und stumm wie ein Lamm, festnehmen und fesseln, um den Weg nach Golgatha zu gehen.

Sein Wille für Seine Jünger war es nun, dass sie weder fliehen noch mit irdischen Waffen kämpfen sollten. Durch Ausharren sollten sie überwinden, wie Er es getan hatte, sollten das Kreuz predigen und es selbst tragen. Sind auch wir dazu bereit, Geliebte? Die Probleme in unseren Tagen sind im Allgemeinen anderer Natur; doch der eigentliche Widersacher, Satan, der hinter ihnen steckt, ist derselbe. Der Herr wolle uns helfen, den uns von Ihm anvertrauten Platz nicht aufzugeben – nicht vor der Verantwortlichkeit zu fliehen, die Er uns auferlegt hat und die mit diesem Platz verbunden ist; und Er wolle uns gleichfalls davor bewahren, Fleisch zu unserem Arm zu machen und mit fleischlichen Waffen zu kämpfen.

Erneut ein Verhör

Der Hauptmann der levitischen Tempelwache – um letztere handelt es sich bei den ›Dienern‹ – hatte es nicht für nötig befunden, selbst mit zum Gefängnis zu gehen, um die Gefangenen herbeizuschaffen (Apg 5,24). Aber nachdem jemand berichtet hatte, dass die Gefangengesetzten im Tempel standen und das Volk lehrten, wurde die Sache delikat. So leitete er die Festnahme der Apostel selbst, wobei er und seine Leute aus Feigheit vor dem Volk, das die Jünger Jesu gern hörte, von jeder Gewaltanwendung absahen.

Eine zweifache Anklage

„Sie führten sie aber herbei und stellten sie vor das Synedrium; und der Hohepriester befragte sie und sprach: Wir haben euch strenggeboten, in diesem Namen nicht zu lehren, und siehe, ihr habt Jerusalem erfüllt mit eurer Lehre und wollt das Blut dieses Menschen auf uns bringen“ (Verse 27.28).

Die Mitglieder des Synedriums hatten, wenn es tagte, eine halbkreisförmige Sitzordnung, sodass die zwölf Angeklagten, im Mittelpunkt stehend, von allen Seiten her genau beobachtet werden konnten. Hier hatte der Herr Jesus gestanden, und hier hatten vor kurzem noch Petrus und Johannes gestanden.

Es ist bezeichnend, worüber der Hohepriester, der den Vorsitz führte, in seiner Anklageerhebung nicht spricht: Obwohl er die Apostel „befragte“, erwähnt er mit keinem Wort, auf welche Weise sie der Haft entkommen waren. Es wäre doch sehr aufschlussreich und wichtig gewesen, zu erforschen, welche „Hintermänner“ hier eventuell am Werk gewesen waren. Hatte er Angst vor der Wahrheit? Fast scheint es, als fürchtete er die Bestätigung einer Ahnung, dass ein Wunder Gottes geschehen und dass ein Engel Gottes dabei im Spiel gewesen war. Und da die Sekte der Pharisäer durchaus an Engel glaubte, die der Sadduzäer jedoch nicht, lässt er die Frage besser unberührt. Zu leicht hätte das einen Zwiespalt unter den Mitgliedern des Synedriums selbst offenbaren können.

Kajaphas – um ihn handelt es sich hier2 – „befragt“ zwar die Apostel, aber seine Worte stellen eine Anklage dar, auf die geantwortet werden musste. Zwei Punkte bringt er vor. Obwohl den Aposteln streng geboten worden war, nicht „in diesem Namen zu lehren“, hätten sie Jerusalem mit ihrer Lehre erfüllt. Ungehorsam gegenüber der religiösen Autorität – diesen Anklagepunkt stellt er in den Vordergrund. Wie Recht hatte er damit, dass die Apostel ganz Jerusalem mit ihrer Lehre erfüllt hatten! Aber waren diese Worte nicht auch das Eingeständnis davon, wie ohnmächtig sie in ihrer vermeintlichen Kraft diesen Männern gegenüber in Wirklichkeit waren? Wohl weigert er sich nach wie vor, „diesen Namen“ auch nur auszusprechen. So groß war die Feindschaft gegen Jesus, dass die religiösen Führer ihn einfach totschweigen wollten. Und doch hatten die Apostel gerade „aufgrund dieses Namens“, des Namens Jesu, gelehrt und offenbar ganz Jerusalem mit „ihrer Lehre“ (vgl. Kap. 2,42) erreicht.

Der zweite Anklagegrund, die Apostel wollten nur das „Blut dieses Menschen“ auf sie bringen, zeigt, wie empfindlich sie in ihrem Gewissen getroffen waren und wie sehr sich Kajaphas zu rechtfertigen suchte. Aber er offenbart bei seiner Anschuldigung ein recht kurzes Gedächtnis. Waren nicht gerade sie, die Hohenpriester und Ältesten, es gewesen, die die Volksmenge überredet hatten, vor Pilatus den Barabbas zu erbitten, Jesus aber umzubringen (Mt 27,20)? Und jene vermessenen Worte „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ – bestand überhaupt der geringste Zweifel darüber, dass sie selbst das „ganze Volk“ dazu inspiriert hatten, so zu reden (Vers 25)? Und warum benutzt er jetzt wieder dieselben Worte „das Blut dieses Menschen auf uns bringen“, wenn er nicht letztlich doch in seinem Gewissen – ohne es auch nur im Geringsten zugeben zu wollen – von der Blutschuld, die sie auf sich geladen hatten, überzeugt gewesen wäre? So war das Vorbringen des zweiten Anklagegrundes mehr als töricht. Es war Täuschung und Betrug.

Das „Blut dieses Gerechten“ (Vers 24) verfolgte diesen Mann, es verfolgt die Juden bis heute. Aber weder er noch seine Mittäter zeigten auch nur einen Anflug von Reue. Stattdessen versuchten sie, die Jünger des Herrn in die Rolle von Angeklagten, von Ungehorsamen, von Rebellen zu drängen, um von ihrer eigenen Schuld abzulenken. Sie sahen die Apostel als Aufrührer an, die das Volk gegen sie aufwiegeln wollten. Offensichtlich fürchteten sie einen Umschwung in der Stimmung des Volkes, dass es Rache nehmen könnte wegen dieser Bluttat. Im Grunde hatten sie Angst – Angst um ihr eigenes Leben (vgl. Apg 5,13.26).

So ist es immer. Zuerst stachelt Satan den Menschen dazu an, ein Verbrechen zu begehen; und ist es begangen, lässt er ihn allein – mit der Last der Sünde auf dem Gewissen. Entweder versucht dann der Mensch, sich und andere durch Betrug und Täuschung zu beruhigen, oder Satan treibt ihn gar in die Verzweiflung, wie er es bei Judas Iskariot tat. Nein, ein guter Belohner ist der Teufel nie. Gott dagegen ist bereit, in Seiner Gnade Buße und Vergebung der Sünden zu geben, wie uns dann Vers 31 zeigt. Allein auf dieser Grundlage kann man wirklichen Frieden finden.

Diesen „Richtern“ geht es also keineswegs darum, Gerechtigkeit zu suchen und Recht zu sprechen. Vielmehr ist es ihre eigene Haut, die sie zu retten suchen. Durch Satan verblendet, reden sie wohl von dem „Blut dieses Menschen“, aber sie sehen es nur als Ausdruck einer möglichen Rache an. Dass dieses Blut Kraft zur Sühnung in sich birgt, ist ihnen vollkommen verborgen. Wie erschreckend ist es, dass man der Errettung so nahe sein kann und doch ins Gericht läuft! Sie saßen auf dem Stuhl Moses und verwarfen doch den Propheten, von dem Mose geredet hatte.

Die Entgegnung der Apostel

„Petrus und die Apostel aber antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen“ (Apg 5, 29).

Wörtlich heißt es: „Petrus aber antwortend (Einzahl), sprachen (Mehrzahl) die Apostel.“ Der Wechsel von Einzahl zu Mehrzahl – im Griechischen nicht unüblich – macht deutlich, dass Petrus der Redende war, dass aber seine Worte auch die der übrigen Apostel waren. Schon bei ihrer früheren Verantwortung hatten Petrus und Johannes unerschrocken geantwortet: „Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, urteilt ihr; denn uns ist es unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden“ (Kap. 4,19.20). Wir haben darüber schon gesprochen. Hier wiederholt Petrus diesen Grundsatz nur und sagt kurz und fast abstrakt: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen.“

Der Segen des Gehorsams

Grundsätzlich schulden wir der Obrigkeit Gehorsam (Röm 13,1ff; Tit 3,1; 1. Pet 2,13.14). Doch gibt es eine Autorität, die größer ist als jede menschliche Autorität: die Autorität Gottes. Sollten sie einmal miteinander in Konflikt geraten – was, wie ich glaube, viel seltener geschieht, als wir gewöhnlich annehmen –, so hat die Autorität Gottes absolut den Vorrang vor jeder menschlichen Autorität. Wir sollten jedoch diesen Grundsatz mit aller Behutsamkeit anwenden und ihn nicht etwa als Vorwand für mancherlei Art von „zivilem Ungehorsam“ missbrauchen. Denn wie leicht kann es geschehen, dass wir uns auf diesen Grundsatz berufen, um in Wirklichkeit nur unseren Eigenwillen damit zu verschleiern.

Doch im Fall der Apostel war die Sache klar: Nicht nur grundsätzlich hatte der Herr ihnen geboten, in Seinem Namen Buße und Vergebung zu predigen allen Nationen, anfangend von Jerusalem (Lk 24,47), sondern eben noch hatte ein Engel des Herrn im Besonderen ihnen geboten und gesagt: „Geht und stellt euch hin und redet im Tempel zu dem Volk alle Worte dieses Lebens!“ Sie gehorchten tatsächlich Gott, während sie den Menschen nicht gehorchten. Prüfen wir uns, ob das auch bei uns so ist, wenn wir einmal meinen sollten, menschlichen Autoritäten den Gehorsam verweigern zu müssen!

Überhaupt ist Gehorsam ein lebenswichtiger Grundsatz für den Christen. Als der Herr Jesus auf der Erde war, war es gerade der Gehorsam gegenüber Seinem Vater, der Ihn vor allem auszeichnete. Gehorsam war für alles, was Er tat, der tiefste Beweggrund in Seinem Herzen. Zu diesem Gehorsam sind auch wir berufen (1. Pet 1,2), sodass es unser Vorrecht ist zu gehorchen. Wir haben nicht die Freiheit, nicht zu gehorchen, wohl aber die Freiheit, mehr zu gehorchen. Sollten wir einmal in die Lage kommen, menschlichen Autoritäten nicht gehorchen zu können (weil sie uns etwas abverlangen, was gegen den Willen Gottes verstößt), so ist die Alternative, die andere Möglichkeit, nicht die, dass wir nicht gehorchen, sondern dass wir Gott mehr gehorchen. Das kann Leiden von Seiten der Menschen bedeuten. Der weitere Verlauf unseres Kapitels liefert uns davon ein Beispiel. Doch der erhabene Grundsatz, den Petrus hier ausspricht, bleibt unbeschadet bestehen: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen.“

Was Gott tut und was die Menschen tun

Nachdem diese Frage geklärt ist, geht Petrus knapp auf den zweiten Vorwurf ein. Kühn hält er seinen Richtern entgegen:

„Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ermordet habt, indem ihr ihn an ein Holz hängtet“ (Apg 5, 30).

Wenn die religiösen Führer es geflissentlich vermeiden, von ›Jesus‹ zu sprechen (sie sagen nur: „dieser Name“ und: „dieser Mensch“) – die Apostel lieben es, diesen Namen auszusprechen. Für sie ist es der Name, der über jeden Namen ist. Zudem ist der Name des Herrn in all diesen bedrohlichen Situationen für sie wie „ein starker Turm“. „Der Gerechte läuft dahin“, sagt die Schrift, „und ist in Sicherheit“ (Spr 18, 10).

Aber dann stellt Petrus aufs Neue den absoluten Gegensatz heraus zwischen dem, was Gott getan hat, und dem, was sie getan hatten. Wir haben diese unbezwingbare Argumentation schon zweimal angetroffen: in Kapitel 3, Verse 13–15, und Kapitel 4, Vers 10. Gott hat Jesus auferweckt, den sie ermordet haben. Er sagt gleichsam: „Eure Handlung war direkt gegen Gott; aber Er hat das, was ihr getan habt, ins Gegenteil verkehrt. Ihr habt Ihn ermordet, Gott aber hat Ihn auferweckt; ihr habt Ihn an ein Holz gehängt, Gott aber hat Ihn zum Führer und Heiland erhöht.“

Konnte irgendetwas mehr zeigen, wie schuldig sie waren? Ähnlich wie wenig später Stephanus (Kap. 7,52) spricht auch Petrus hier von Mord. Beide Zeugen machen die Führer des Volkes für den Mord an dem Herrn Jesus verantwortlich. Wenn Petrus trotzdem von dem „Gott unserer Väter“ spricht, so begibt er sich damit auf den gemeinsamen Grund, auf dem sie alle standen; denn auch das Synedrium anerkannte Gott als den Gott Israels. Es ist, als wollte er in der Gnade Gottes eine Brücke bauen zwischen sich und den Aposteln auf der einen und ihnen, ihren Richtern, auf der anderen Seite. Schließlich waren auch sie selbst Israeliten und an dem Erbteil Israels ebenso interessiert wie sie. Aber die Führer des Volkes hatten sich gegen den Gott ihrer Väter erhoben und Seinen Christus getötet. Gott jedoch hatte Ihn auferweckt.

Es ist argumentiert worden, dass Petrus hier nicht von der Auferweckung Jesu aus den Toten spricht, sondern davon, dass Gott Ihn als lebenden Messias erweckt habe, wie es zum Beispiel von Mose, ja von Jesus selbst an anderer Stelle gesagt wird (Kap. 3,22.26; 7,37; 13,33). Petrus könne nicht zuerst die Auferstehung nennen und erst danach die Kreuzigung. Vielmehr sei dies die chronologische Ordnung: Gott erweckte Jesus, indem er Ihn zu dem Volk sandte; die Juden kreuzigten Ihn; Gott erhöhte Ihn dadurch, dass Er Ihn auferweckte und zu Seiner Rechten setzte.

Doch ganz abgesehen davon, dass an unserer Stelle ein anderes, bestimmteres Wort benutzt wird als an den genannten Stellen, müssen wir keineswegs davon ausgehen, dass Petrus nur chronologische Zusammenhänge aufzeigen will. Wie wir es schon gesehen haben, tut Petrus etwas ganz anderes: Er schleudert dem Synedrium unüberbrückbare Gegensätze entgegen: Gott hat Den auferweckt, den sie an ein Holz gehängt und ermordet hatten. Sie kannten den Fluch und die Schande, die mit dem ›Holz‹ verbunden waren (vgl. 5. Mo 21,23; Gal 3,13). Und Petrus schont sie nicht, er richtet den Pfeil auf ihre Brust. Wenn er auch in einer Hinsicht in ihrer Gewalt war, so waren doch sie in einer anderen in Gottes Gewalt. Ob nicht seine Zuhörer auf ihren Sitzen gezittert haben, als sie diese Worte vernahmen?

Erhöht, um zu geben

Aber es waren nicht Zorn oder Rachegefühle, die Petrus so schonungslos reden ließen. Ganz im Geist seines Meisters suchte er vielmehr ihr Gewissen zu erreichen. Noch stand auch ihnen die Tür der Gnade offen.

„Diesen hat Gott durch seine Rechte zum Führer und Heiland erhöht, um Israel Buße und Vergehung der Sünden zu geben“ (Apg 5,31).

Die Tatsache, dass Gott den Herrn Jesus nicht nur auferweckt, sondern Ihn durch Seine Rechte auch erhöht hat, bedeutete für sich genommen noch keine gute Botschaft für diese Männer. Denn wenn Der, der im landläufigen Sinn ihr „Opfer“ geworden war, im Himmel lebte, hatten sie dann nicht allen Grund zu zittern? Sie hatten Ihm keinerlei Barmherzigkeit widerfahren lassen, als Er als Mensch in Niedrigkeit vor ihnen stand. Konnten sie jetzt von Ihm Barmherzigkeit erwarten, da Er zum Himmel erhöht war? Würde Er nicht Sein Blut an ihnen rächen?

Doch es gab Hoffnung für sie, wenn sie nur glauben würden. Denn Petrus ist mit dem, was er zu sagen hat, noch nicht zu Ende. Wenn Gott den Herrn Jesus durch Seine Rechte erhöht hat, so hat Er Ihn „zum Führer und Heiland erhöht, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben“. War das nicht das, was sie brauchten, was jeder Mensch braucht? Buße und Vergebung der Sünden! Noch einmal wird es ihnen angeboten – im Namen Dessen, den sie umgebracht hatten. Das war in der Tat eine gute Botschaft!

Wie wunderbar ist der Herr in Seiner Gnade: Als der Erhöhte lädt Er sie noch einmal ein, zu kommen, um Vergebung ihrer Sünden zu erlangen! Das, was einst spottend über ihre Lippen gekommen war: „Dieser nimmt Sünder auf“, ist jetzt ihre einzige Hoffnung. Denn wenn Er nun auch erhöht ist, so doch nicht deswegen, um sich an ihnen, Seinen Feinden, zu rächen. Nein, „diesen hat Gott ... erhöht, um Israel Buße und Vergebung zu geben“. Köstliches Wort! Erhöht, um zu geben! Und gerade den Mördern ihres Herrn dürfen die Apostel verkündigen, dass Jesus zu diesem Zweck erhöht worden ist, um ihnen Barmherzigkeit zu erweisen. Er ist erhöht, um zu geben; und Er gibt selbst ihnen, ja Er gibt allen und wirft nichts vor.

So ist es höchst bemerkenswert, dass an dieser Stelle diese beiden Dinge – Buße und Vergebung der Sünden – als Gabe des erhöhten Herrn betrachtet werden. Dieses Doppel-Geschenk will und wird Er auch heute jedem gewähren, der im Glauben zu Ihm seine Zuflucht nimmt.

Die Gnade gibt beides: Buße und Vergebung der Sünden. Diese beiden Segnungen sind zwar voneinander zu unterscheiden, sie gehen aber miteinander und bilden zusammen die eine Erlösung. Man kann nicht das eine ohne das andere haben. Genauso gut hätten sich die beiden vor dem Richterstuhl Salomos streitenden Mütter damit zufriedengeben können, dass jede von ihnen eine Hälfte des zerteilten Kindes bekam. So sind auch diese beiden Dinge eins. Sie voneinander zu trennen, bedeutet, sie zu zerstören. Wenn sie in der Schrift miteinander vorkommen, werden sie allerdings stets in dieser Reihenfolge genannt, nie umgekehrt.

Buße ist das Ergebnis davon, dass der Heilige Geist durch das Wort Gottes in der Seele des Menschen wirkt. Er wird dahin geführt, seine Sündhaftigkeit anzuerkennen und sich zu verurteilen, während er zugleich Gott Recht gibt. In dem Augenblick, wo jemand im Bewusstsein seiner Schuld vor Gott zusammenbricht, schenkt Gott ihm die Vergebung der Sünden. Das Vergeben von Sünden stellt einen Akt des souveränen Gottes dar. Aufgrund des Werkes Christi übt Gott Gnade und vergibt Sünden. Buße dagegen ist das, was der Mensch tun muss. Dennoch gehen beide von Gott aus, beide sind Gaben des erhöhten Heilandes. Und beide sind nicht von dem persönlichen Glauben zu trennen. Die Annahme, dass die Buße eine Vorbedingungfür den Glauben ist, findet keine Grundlage in der Schrift. Wer nicht glaubt, tut auch nicht Buße. Doch können wir sagen: Die Buße zu Gott wird stets von dem Glauben an Ihn begleitet.

Es ist auch müßig, rückblickend den genauen Zeitpunkt ausmachen zu wollen, wann der Prozess des Glaubens in der Seele begann, wann genau die Vergebung erfolgte. Fest steht, dass keiner von uns errettet worden wäre, wenn nicht die Gnade des Heilandes uns überwunden hätte. Die Seite des Menschen jedoch ist, Buße zu tun. Gott „gebietet jetzt den Menschen“, sagt Paulus auf dem Areopag in Athen, „dass sie alle überall Buße tun sollen“ (Apg 17,30). Auf die Buße des Menschen folgt vonseiten Gottes die Vergebung. In unserer Begebenheit in Apostelgeschichte 5 wird vorerst nur das schuldige „Israel“ als Empfänger der Gnade erwähnt, ganz im Sinne von Kapitel 1, Vers 8. Tatsächlich hatte Petrus auch nur Israeliten vor sich. Doch will der Herr diese Gnade auch allen Menschen schenken (Tit 2,11).

Zeugen der Gnade

„Und wir sind Zeugen von diesen Dingen, und der Heilige Geist, den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen“ (Apg 5,32).

Wenn Petrus von sich und den Mit-Aposteln als ›Zeugen‹ dieser Dinge spricht, so meint er damit nicht nur, dass sie diese Dinge gesehen hatten und somit in der Lage waren, davon zu reden. Nein, sie hatten auch den göttlichen Auftrag, sie vor den Söhnen Israels zu bezeugen. Es wäre sträflich gewesen, wenn sie diesem Gebot des Herrn nicht gehorcht hätten. Die Führer des Volkes mochten ihnen immer und immer wieder gebieten, über Den, den sie an ein Holz gehängt hatten, Stillschweigen zu bewahren – die Apostel können das nicht zulassen. Andernfalls würden sie die Autorität des Menschen über die Autorität Gottes stellen. Ihre Aufrichtigkeit und Logik sind in allem so klar wie Kristall.

Aber dann wird auch der Heilige Geist als Bezeuger dieser Dinge genannt. Das steht ganz im Einklang mit der Verheißung des Herrn Jesus: „Wenn aber der Sachwalter gekommen ist, den ich euch von dem Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, so wird er von mir zeugen. Aber auch ihr zeugt, weil ihr von Anfang an bei mir seid“ (Joh 15,26.27). Das Zeugnis des Heiligen Geistes ist jedoch als mittelbar aufzufassen. Das will sagen, Er redet nicht unmittelbar, lässt nicht selbst Seine Stimme hören, sondern Er benutzt die Gläubigen als Werkzeuge. Das unterstreicht der Nachsatz unseres Verses: „den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen.“ Wohl wird an beiden Stellen das Zeugnis der Apostel von dem des Heiligen Geistes unterschieden, aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Heilige Geist die Kraft des Zeugnisses in den Heiligen ist.

Aber mehr noch: Dieser Geist ist eine Person der Gottheit, und Gott gibt Ihn – als Zeichen einer vollbrachten Erlösung – denen, die sich Seiner Autorität unterwerfen. Unermessliche Gabe! In ihnen wohnend, gibt der Geist Gottes ihnen Zeugnis von der Person und dem Werk des Herrn Jesus (Joh 14,26; 16,13–15). So versetzt Er sie in die Lage, nach außen hin Zeugen dieser Dinge zu sein.

Hier – und überhaupt in der frühen Apostelgeschichte – sind es vor allem drei große Tatsachen, die Gegenstand des Zeugnisses sind: Der Tod Christi, Seine Auferstehung und Erhöhung und schließlich die Gegenwart des Heiligen Geistes auf der Erde. Wichtige Wahrheiten, in der Tat! Sie bilden die Grundlage des Evangeliums, ja, sie machen das Wesen wahren Christentums aus.

Gamaliel

Was war nun das Ergebnis dieses machtvollen Zeugnisses der Apostel, das sie in der Kraft des Heiligen Geistes vor dem Synedrium abgelegt hatten? Würden diese Männer sich dem erhöhten Herrn unterwerfen oder erneut sowohl Seine Gnade als auch Seine Autorität ablehnen? Würden sie Ihm „gehorchen“? Nein, sie wollten Seine Gnade nicht – setzt ihre Annahme doch das Eingeständnis von Sünde und Schuld voraus. Dazu aber waren sie nicht bereit.

„Sie aber wurden, als sie es hörten, durchbohrt und beratschlagten, sie umzubringen“ (Apg 5,33).

Wörtlich heißt es: „Sie aber wurden ... entzweigesägt“- ein Ausdruck, der zeigt, wie sehr sie in ihren inneren Gefühlen und Vorstellungen getroffen waren3. Die Worte des Apostels Petrus waren in der Tat „schärfer als jedes zweischneidige Schwert“, weil es die Worte Gottes waren. Wir müssen uns klarmachen, dass das Hören des Wortes Gottes immer ein praktisches Ergebnis zur Folge hat. Entweder macht es das Herz, in das es hineinfällt, weich, oder es verhärtet es. Das hängt ganz von dem Menschen ab, wie er sich dem Wort gegenüber verhält. Es gibt Menschen, die wie Felix beim Hören des Wortes „mit Furcht erfüllt“ werden. Aber wenn sie sich dem Wort nicht unterwerfen, werden sie ihm früher oder später in wachsender Feindschaft Widerstand entgegenbringen und – verloren gehen.

Dafür sind diese Führer und Richter ein ernstes Beispiel. Sie überlegen jetzt, diese unerschrockenen Zeugen zu töten und so ihr Zeugnis endgültig zum Schweigen zu bringen. Das bei deren Meister praktizierte Verfahren wird auch hier das richtige sein. Wer war der eigentliche Ratgeber zu den mörderischen Absichten, wenn nicht der, den der Herr Jesus einen „Menschenmörder von Anfang an“ nennt (Joh 8,44)?

Man mag fragen, ob es nicht weiser gewesen wäre, wenn Petrus etwas sanftere Worte gewählt hätte. Viele haben dieser Art von Weisheit den Vorzug gegeben, und sie halten sich vielleicht sogar für die besseren Prediger des Evangeliums. Aber sie haben wohl auch nie das Herz eines Sünders „auseinander gesägt“. Sie suchen die Bekehrung „schmerzlos“ zu machen. Aber dementsprechend sind auch ihre Bekehrten: Sie sind zumeist unecht. Gerade in unserer Zeit besteht die Gefahr, dass wir dem Wort Gottes seine Schärfe nehmen und nur noch von der Gnade sprechen. Das ist sicher auch der Grund dafür, dass viele selbst echte Bekehrungen heute sehr flach sind und das sich anschließende Leben als Christ ebenfalls in seichten Bahnen verläuft. Wir brauchen indes nie um das Wort Gottes zu bangen. Es steht und es redet für sich selbst. Lassen wir es dabei!

Nun also beratschlagen sie, die Zeugen des Herrn umzubringen. Aber an diesem Punkt erhebt sich eine Schwierigkeit: Kann das ganze Synedrium davon überzeugt werden, dass es angebracht oder notwendig ist, diese Männer gewaltsam zu beseitigen?

„Es stand aber einer in dem Synedrium auf, ein Pharisäer, mit Namen Gamaliel, ein Gesetzeslehrer, angesehen bei dem ganzen Volk, und befahl, die Leute eine kleine Zeit hinauszutun“ (Apg 5, 34).

Das Synedrium bestand aus zwei rivalisierenden Fraktionen (Gruppen), den Sadduzäern und den Pharisäern. Den Vorsitz führte zu jener Zeit Kajaphas – ein Hoherpriester, der von der Gruppe der Sadduzäer war. Bei der Verurteilung des Herrn Jesus waren beide Gruppen einig gewesen. Waren sie es auch jetzt? Gamaliel jedenfalls, der nun in den Vordergrund tritt, gehörte der anderen Gruppe, gehörte den Pharisäern an. Dieser Umstand kann uns den Schlüssel liefern für manche Frage, die seine Worte in uns auslösen mögen. Zweifellos war er ein gelehrter und hoch geschätzter Mann, auf dessen Urteil viel gegeben wurde. Später in der Apostelgeschichte erfahren wir, dass der Apostel Paulus in seinen frühen Tagen einer seiner Schüler gewesen war, wie er es selbst beschreibt: „... auferzogen in dieser Stadt, zu den Füßen Gamaliels, unterwiesen nach der Strenge des väterlichen Gesetzes“ (Kap. 22,3). Der Apostel erwähnt das, um zu beweisen, wie sehr er vor seiner Bekehrung den Grundsätzen der Pharisäer verbunden gewesen war. Niemand wird damals seinen Worten entnommen haben, dass Gamaliel innerlich zum Christentum neigte.

Ich sage das, weil manche Ausleger aus dem gemäßigten Ton, den er vor dem Synedrium anschlug, gerade diesen Schluss gezogen haben. Die Erklärung dafür liegt eher in den verschiedenen Auffassungen über die Auferstehung, die die Pharisäer von den Sadduzäern trennten. Während die einen grundsätzlich eine Auferstehung bejahten, verneinten die anderen sie. Später benutzte selbst Paulus diesen Umstand zu seiner Verteidigung (Apg 23,6.7). Und da die zwölf Apostel wegen ihres Zeugnisses von einem auferstandenen Christus vor Gericht standen, spricht manches dafür, dass der Pharisäer Gamaliel durch seine Worte das Übergewicht der Sadduzäer zugunsten der Pharisäer verschieben wollte.

Der jüdischen Geschichtsschreibung zufolge war Gamaliel der Enkel des berühmten Hillel, der um 37–34 v.Chr. auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Gamaliel selbst soll einer der sieben Männer gewesen sein, die den Titel ›Rabban‹, das heißt ›unser Meister‹, trugen. Er begründete eine Dynastie berühmter Männer, die über vierhundert Jahre ihren Einfluss ausübte. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund können wir verstehen, dass der Apostel Paulus ihn als seinen früheren Lehrer erwähnt.

Der Rat Gamaliels

Auf die Anordnung Gamaliels hin werden die Angeklagten für kurze Zeit hinausgebracht, so dass ihre Richter sich ungestörter über ihr weiteres Vorgehen beraten können. Jedes Mitglied des Synedriums hatte das Recht, eine derartige nicht öffentliche Sitzung zu fordern.

Zweifellos waren durch die Hände dieser zwölf Männer viele beachtliche Zeichen und Wunder unter dem Volk geschehen. Was für eine Kraft war da am Werk? Und was sollten sie mit diesen Männern tun, die – den Androhungen des Hohen Rates zum Trotz – in ganz Jerusalem bezeugten, dass Jesus, den sie getötet hatten, lebe?

Der erste Impuls war, sie kurzerhand umzubringen. Doch lag es im Interesse des Synedriums, war es ratsam, das zu tun? Das werden wohl die Fragen gewesen zu sein, die Gamaliel und seine Kollegen bewegten. Doch hören wir, was er dazu zu sagen hat:

„Und er sprach zu ihnen: Männer von Israel, seht euch vor wegen dieser Menschen, was ihr tun wollt. Denn vor diesen Tagen stand Theudas auf und sagte, dass er selbst jemand sei, dem sich eine Anzahl von etwa vierhundert Männern anschloss; der ist getötet worden, und alle, so viele ihm Gehörgaben, sind zerstreut und zunichte geworden. Danach stand Judas der Galiläer auf, in den Tagen der Einschreibung4, und machte das Volk abtrünnig sich nach; auch der kam um, und alle, so viele ihm Gehör gaben, wurden zerstreut. Und jetzt sage ich euch: Steht ab von diesen Menschen und lasst sie (denn wenn dieser Rat oder dieses Werk aus Menschen ist, wird es zugrunde gehen; wenn es aber aus Gott ist, werdet ihr sie nicht zugrunde richten können), damit ihr nicht gar als solche befunden werdet, die gegen Gott kämpfen. Sie hörten aber auf ihn“ (Apg 5,35–39).

Gamaliel redet seine Kollegen auf dieselbe ehrwürdige Art an, mit der Petrus das jüdische Volk angesprochen hatte: „Männer von Israel“ (Kap. 2,22; 3,12). Er rät dann zur Vorsicht gegenüber „diesen Menschen“, rät, sie zu lassen und von ihnen abzustehen. Denn wenn dieses Werk von Menschen war, würde es ohnehin zugrunde gehen. Ging es jedoch von Gott aus, würden sie dagegen nichts ausrichten können. In diesem Fall würden sie sogar, wenn sie sich ihm widersetzten, gegen Gott selbst streiten.

Zur Begründung verweist Gamaliel auf zwei geschichtliche Begebenheiten, mit denen sicher alle Anwesenden vertraut waren. Beide genannten Männer hatten sich in offener Rebellion erhoben und waren ohne das Hinzutun des Synedriums kläglich gescheitert und umgekommen, ihre Anhänger aber waren zerstreut worden. Die Stoßrichtung Gamaliels ist klar: Wie es mit Theudas und Judas, dem Galiläer, ging, so war es auch mit Jesus geschehen. Sollte es nun Seinen Anhängern anders ergehen als deren? Warum sollte das Synedrium seine Hände in das Blut dieser Männer tauchen, die meinten, diesem Jesus noch gehorchen zu müssen? Auch die Anhänger des Theudas hatten das gemeint, als ihr Anführer schon tot war; doch auch sie waren zerstreut worden.

Kann man diesen Rat Gamaliels wirklich weise nennen? Klug war er zweifellos, doch war er auch weise? Gewiss hob er sich wohltuend von den mörderischen Absichten der Sadduzäer ab. Doch scheint mir, dass er auf schwachen Füßen steht und manche Ungereimtheit enthält.

Wie kommt Gamaliel zum Beispiel dazu, im Blick auf die Anhänger Jesu zu raten, von ihnen abzustehen, weil „dieser Rat oder dieses Werk“ möglicherweise „aus Gott“ sein könnte? Waren nicht gerade sie, die Pharisäer, die ärgsten Feinde Jesu zu dessen Lebzeiten gewesen, und hatten nicht sie Ihn kaltblütig umgebracht? Wie kommt er jetzt dazu, auch nur die Möglichkeit einzuräumen, dass Seine Jünger, die Ihn bezeugten, doch von Gott sein könnten? In Wahrheit hatten sie längst entschieden, dass „dieser Mensch“, dass die ganze Bewegung nicht von Gott war.

Und ist es wirklich ein guter Rat, in Zweifelsfällen einfach die Zeit entscheiden zu lassen? Es ist wahr, dass jede religiöse Bewegung, die nicht von Gott ausgeht, zugrunde gehen wird. Nur wann? Darüber schweigt sich Gamaliel aus. Wie viele solcher Bewegungen hat es im Lauf der Zeit gegeben, und sie bestehen zum Teil noch immer. Denken wir nur einmal an den Islam oder an die ›Zeugen Jehovas‹. Wie lange bestehen diese gottfeindlichen Systeme schon! Gott wird jede falsche Religion, auch jede falsche Bewegung in der Christenheit zu Seiner Zeit richten. Doch sollen wir solange mit einem Urteil darüber, ob sie gut oder böse ist, zurückhalten? Gibt Gott wirklich kein anderes Licht?

Wahrscheinlich wusste Gamaliel selbst nur zu gut, dass seine Argumentation (dem inneren Gehalt, nicht der Form nach) schwach war. Aber er suchte einen begründbaren Ausweg aus dem Dilemma, in dem das Synedrium sich befand – eine Lösung, die von allen Mitgliedern mitgetragen werden konnte. Und so sagte er im Ergebnis: „Diese Sache kann entweder von Gott oder von Menschen sein. Wenn sie von Gott ist, könnt ihr sie nicht zerstören. Deshalb: Lasst sie! Nehmt Abstand davon! Wenn sie aber von Menschen ist, wird sie zugrunde gehen. Deshalb: Lasst sie! Nehmt Abstand davon!“ Ist das alles, was menschliche Weisheit hervorbringt? Ob eine Sache gut ist oder schlecht – ist das jeweilige Ergebnis für den Menschen tatsächlich dasselbe, nämlich, davon Abstand zu nehmen?

War bei alldem nicht ein gut Teil Unaufrichtigkeit und Scheinheiligkeit mit im Spiel? Nehmen wir nur einmal den einen Fall an, die Sache wäre von Gott (sie ist es, wenn wir allein den Worten Gamaliels folgen wollen; denn sie ist geblieben bis auf den heutigen Tag). Ist dann solch eine Unentschlossenheit zulässig? Kann man gleichgültig fernab stehen und zuwarten, was weiter mit ihr geschehen wird? Und hatte Gott nicht durch mächtige Taten und Wunder und Zeichen, der Er in ihrer Mitte tat, unzweideutig unter Beweis gestellt, dass diese Sache von Ihm war? Doch Gamaliel gehörte zu jener Gruppe von Menschen, denen die überzeugendsten Beweise nicht Beweis genug sind. Er war eben ein echter „Pharisäer“, voller Selbstgerechtigkeit und Unglauben. Die Geschichte berichtet, dass er auch als Pharisäer gestorben ist, achtzehn Jahre vor der Zerstörung Jerusalems.

Die Mitglieder des Synedriums konnten sich auf diese politische Formel einigen. Sie schien geeignet, sie aus der gegenwärtigen Klemme zu befreien und ihre Sicherheit zu gewährleisten. Deshalb erhob sich auch nicht ein einziger aus ihnen, um auf den Trugschluss in der Beweisführung Gamaliels hinzuweisen. Keiner von ihnen lenkte die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass sie durch die Kreuzigung Jesu längst entschieden hatten, dass diese ganze Bewegung nicht von Gott war. So verloren seinerzeit die Sadduzäer und gewannen die Pharisäer.

Gott hat in Seiner Vorsehung den Rat Gamaliels benutzt, um Seine Knechte damals vor dem Zugriff ihrer Verfolger zu beschützen. Aber das ist etwas anderes, als diesen Rat als Leitlinie für unser Handeln als Christen zu nehmen. Und dann müssen wir auch bedenken, dass das Synedrium in Israel politische Regierungsgewalt ausübte. Damit hatte es der Rat Gamaliels zuerst zu tun. Der Christ dagegen ist nicht von der Welt. Die Ausübung politischer Autorität ist nicht seine Sache. Sein Bürgertum ist vielmehr in den Himmeln.

Deshalb können wir den Rat Gamaliels auch nicht im übertragenen Sinn auf uns anwenden, ja, es wäre verhängnisvoll, wenn wir es täten. Wir besitzen durch die Gnade Gottes Sein heiliges Wort. Durch dieses Wort belehrt, sind wir in der Lage, sowohl das Gute als auch das Böse zu erkennen und uns dementsprechend zu verhalten. Wir sollen „infolge der Gewöhnung geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen (Heb 5,14) und müssen nicht warten, bis sich das eine oder das andere voll entwickelt hat. Würden wir jedoch das Gute ebenso behandeln wie das Böse, wie der Rat Gamaliels es nahe legt, so wäre das nichts anderes als der Geist ›Laodizeas‹ – jene widerwärtige „Lauheit“, die weder die Wahrheit liebt noch die Lüge hasst (Off 3,15.16).

Die Freilassung der Apostel

„Und als sie die Apostel herbeigerufen hatten, schlugen sie sie und geboten ihnen, nicht in dem Namen Jesu zu reden, und ließen sie frei“ (Apg 5, 40).

Die Apostel werden nun wieder herbeigerufen. Von dem, was besprochen worden war, wissen sie nichts. Die Rede Gamaliels haben sie nicht gehört. Und doch macht uns Lukas, inspiriert durch den Heiligen Geist, mit all dem bekannt, was im Verborgenen geredet wurde.

Schläge für die Knechte des Herrn

Aufs Neue tritt eine Inkonsequenz bei den Mitgliedern des Synedriums zutage: Sie schlagen die Apostel. Entsprach das dem Rat Gamaliels? Hatte er nicht eben geraten, von diesen Menschen abzustehen? Und wenn sie nun dennoch die Zeugen Jesu schlagen, taten sie dann möglicherweise nicht genau das, wovor er sie gewarnt hatte, und stritten gegen Gott? Sie waren doch übereingekommen, den Fortgang der Sache abzuwarten. Warum legen sie jetzt trotzdem die Hand an sie?

Dieser Widerspruch mag sich zum einen aus dem grundsätzlichen Zwiespalt erklären, der zwischen den Pharisäern und Sadduzäern bestand. Wir haben davon schon gesprochen. Zum anderen mögen die Mitglieder des Hohen Hauses gedacht haben, ihre Autorität, die sie verletzt sahen, in irgendeiner Form doch unter Beweis stellen zu müssen. Wieder wird offenbar, dass solche, die Christus verfolgen, selten konsequent oder würdevoll handeln. Und so empfangen die Apostel vierzig Schläge weniger einen, wie es der Apostel Paulus später fünfmal erfuhr (2. Kor 11,24).

Was der Herr Jesus ihnen einst vorhergesagt hatte, erfüllt sich jetzt aufs Wort: „Sie werden euch an Synedrien überliefern und in ihren Synagogen euch geißeln; aber auch vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, ihnen und den Nationen zum Zeugnis“ (Mt 10,17.18). Und wenn das „auserwählte Gefäß“ des Herrn, Paulus, diese Demütigung nicht weniger als fünfmal erleben musste, so hat er doch nie vergessen, dass er selbst einst die an den Herrn Glaubenden ins Gefängnis geworfen und sie in den Synagogen geschlagen hatte (Apg 22,19).

Diese ernste Züchtigung muss nicht so sehr als eine Bestrafung für das angesehen werden, was die Apostel getan hatten. Vielmehr wollten die religiösen Führer ihrer erneuten Forderung an die Apostel Nachdruck verleihen, nicht weiter in dem Namen Jesu zu reden. Wörtlich heißt es auch hier „aufgrund des Namens Jesu“ wie in Kapitel 4, Verse 17.18 (s. Teil 3, S. 125). Der Name des Herrn Jesus war der Beweggrund, weshalb die Apostel redeten.

Ist das auch bei uns so? Ich kann mir in diesem Zusammenhang kaum etwas Gesegneteres vorstellen, als dass der Name des Herrn der Grund dafür ist, dass wir den Mund öffnen. „Meine Zunge sei der Griffel eines fertigen Schreibers“ (Ps 45,1). Wie viele unnütze oder gar schlechte Worte wären unausgesprochen geblieben, wenn dieser Wunsch des Psalmisten auch uns mehr beherrschen würde! Auf der anderen Seite können wir die Folgen für unsere Worte getrost dem Herrn überlassen, wenn Sein Name der Beweggrund dafür war.

Auf diese Weise geschlagen zu werden war keine geringe Schmach. Römische Bürger durften vor römischen Richtern nicht in dieser Weise behandelt werden (vgl. Apg 22,25ff). Die Juden aber hatten derartige Einschränkungen nicht. Vielmehr hatte Gott Seinem irdischen Volk geboten, dass, wenn ein „Schuldiger Schläge verdient hat“, er mit einer Anzahl Schläge vor dem Angesicht des Richters geschlagen werden sollte. Doch sollten es nicht mehr als vierzig Schläge sein, damit nicht „dein Bruder verächtlich werde in deinen Augen“ (5. Mo 25,2.3). Um dieses Gebot ja nicht zu übertreten, war es dann bei den Juden Sitte geworden, vierzig Schläge weniger einer! zu geben.

Im erwähnten Schriftabschnitt heißt es noch: „... so soll der Richter ihn niederlegen“. Ja, diese treuen Knechte des Herrn mussten sich niederlegen, um die Schläge zu empfangen. Sie waren unschuldig, sie hatten nichts getan, was der Schläge wert gewesen wäre. Ganz im Gegenteil! Doch nahmen sie, ihrem großen Meister gleich, die Schläge ohne Widerspruch hin. Und wie seltsam mag es uns erscheinen: Obwohl der Herr sie in Seiner Vorsehung vor dem Märtyrertod bewahrt hatte – ihre Geißelung ließ Er zu!

Mehr als Überwinder

Wir können das Tun des Herrn oft nicht verstehen. Aber im Fall der Apostel wurde durch die weise Führung des Herrn offenbar, dass sie mehr waren als Überwinder durch Den, der sie geliebt hat. Es war das erste körperliche Leiden um des Namens des Herrn willen, das berichtet wird. Sicher waren ihre Rücken blutig geschlagen worden. Sehen wir sie nun mit verbittertem oder grimmigem Gesicht davongehen? Nicht im Geringsten!

„Sie gingen nun vom Synedrium weg, voll Freude, dass sie gewürdigt worden waren, für den Namen Schmach zu leiden“ (Apg 5, 41).

Was war der Grund für ihre Freude? Dass sie die Freiheit wiedererlangt hatten? Nein, sondern dass sie gewürdigt worden waren, für den Namen Schmach zu leiden. Welch ein Wort! Welch ein Gedanke! Es war etwas ganz Neues in der Welt. Die Welt war und ist unfähig, die Gedanken und Empfindungen der Zeugen des Herrn zu erfassen. Diese Freude ist ihr so neu und fremd, als wenn eine zweite Sonne am Himmel erschiene. Es ist eine Freude, die der Heiland schenkt – denen schenkt, die für Ihn leiden (Mt 5,11.12). Niemand kann sie von ihnen nehmen.

Petrus einer der Zwölf, schreibt später in seinem ersten Brief: „… sondern insoweit ihr der Leiden des Christus teilhaftig seid, freut euch, damit ihr auch in der Offenbarung seiner Herrlichkeit mit Frohlocken euch freut. Wenn ihr im Namen Christi geschmäht werdet, glückselig seid ihr! Denn der Geist der Herrlichkeit und der Geist Gottes ruht auf euch“ (Kap. 4,13.14). Wir müssen wohl alle mehr oder weniger bekennen, dass wir heute von solchen Erfahrungen wenig verstehen. Dennoch gehören wir zu derselben Schar, zu derselben „Brüderschaft in der Welt“ und sollten uns nicht wundern, wenn dieselben Leiden sich auch an uns vollziehen (Kap. 5,9). Sind wir dazu bereit? Wenn der Herr uns auch in unserer Zeit und unseren Ländern wohl kaum zu einem Leiden dieser Art berufen hat, so bleibt doch bestehen: „Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden“ (2. Tim 3,12). Und haben nicht auch wir schon erlebt, wie tief glücklich es uns machte, wenn wir einmal ein wenig um des Herrn willen verspottet oder auch nur belächelt wurden?

Doch nicht einen Augenblick hörten die Apostel mit ihrem gesegneten Werk auf:

„Und jeden Tag, im Tempel und in den Häusern, hörten sie nicht auf, zu lehren und Jesus als den Christus zu verkündigen“ (Apg 5,42).

Erneut verweigerten sie den Anordnungen des Synedriums den Gehorsam. Wie konnten sie schweigen über Den, dessen Herrlichkeit und Gnade sie kannten? Genauso gut hätte man der Ebbe gebieten können, nicht zur Flut zu werden. Sie kannten keine Furcht. „Jeden Tag“ setzten sie ihr Werk fort, und das sowohl öffentlich „im Tempel“, wo die Mitglieder des Synedriums und die Tempelwache sie sehen und hören konnten, als auch „in den Häusern“, das heißt zu Hause, im privaten Bereich.

Und worin bestand ihr Werk? In Zeichen und Wundern? Darin, dass sie in Sprachen redeten? Nein, sie taten Größeres: Sie lehrten die Dinge von Jesus und erfüllten ganz Jerusalem, ausgehend vom Zentrum, mit diesem kostbaren Namen. „Sie evangelisierten“, so heißt es wörtlich, „Jesus als den Christus.“ So schließt das Kapitel und damit dieser Teil des Buches mit dem Namen ›Christus‹. Denn im griechischen Text unseres Kapitels steht als letztes Wort ›Christus‹.

Das ist übrigens das erste Mal, dass in der Apostelgeschichte das Wort ›evangelisieren‹ oder ›als gute Botschaft verkündigen‹ in der vollen Bedeutung vorkommt als Verkündigung des Evangeliums mit Jesus, dem Christus, als Inhalt und Mittelpunkt. Die Apostel evangelisierten, verkündigten Jesus als den Christus. Darin liegt eine tiefe Belehrung. Es ist nicht genug, zu evangelisieren, zu predigen. Die Kraft liegt nicht in der Handlung, sondern in dem Gegenstand. Christus vor die Herzen der Menschen bringen; nichts anderes als Heilmittel für die Sünde des Menschen kennen als Jesus Christus, und Ihn als gekreuzigt – das allein ist es, was Gott verherrlicht und was dem Menschen zum Heil dienen kann. Gibt es eine apostolische Nachfolge? Das ist sie. Gehen wir in diesem Sinn in den Fußspuren der Apostel?

„Sie hörten nicht auf, zu lehren …“ – hat das nicht auch für uns heute eine Sprache? Unsere Umstände sind zwar völlig verschieden von denen der ersten Christen. Wir werden auch nicht durch kirchliche oder weltliche Autoritäten daran gehindert, öffentlich von unserem Herrn zu reden. Dafür gibt es aber in unseren Tagen des Verfalls und der Auflösung sehr viele innere Nöte, die in der Hand des Widersachers durchaus geeignet sind, uns resignieren zu lassen. Doch wir wollen uns durch diese Worte „Sie hörten nicht auf“ gegenseitig ermuntern, auch unsererseits in dem Dienst und dem Zeugnis für den Herrn fortzufahren, solange Er uns dazu Kraft und Gelegenheit schenkt.

Dabei kommt der Belehrung durch die Verkündigung des Wortes Gottes ein hervorragender Platz zu, wie auch der erste Abschnitt des nächsten Kapitels erneut deutlich macht. Die Apostel hörten nicht auf zu lehren und Jesus als den Christus zu verkündigen. Und wie sie dieser gesegneten Tätigkeit sowohl öffentlich („in dem Tempel“) als auch „in den Häusern“ nachgingen, so tat es später auch der Apostel Paulus: „Wie ich nichts zurückgehalten habe von dem, was nützlich ist, dass ich es euch nicht verkündigt und euch gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern“ (Kap. 20,20).

Es ist bereits an früherer Stelle darauf hingewiesen worden, dass der Lehre oder Belehrung in der Apostelgeschichte ein wichtiger Stellenwert eingeräumt wird. Und ist es nicht bedeutsam, dass sowohl der erste als auch der letzte Vers unseres Buches von dem Lehren sprechen? Im ersten Fall war es der Herr Jesus selbst, der lehrte; und im zweiten Fall war es der Apostel Paulus, der die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen, mit aller Freimütigkeit ungehindert lehrte. Dieser Dienst hat auch für unsere Tage nichts von seiner Wichtigkeit eingebüßt.

Fußnoten

  • 1 Das Wort ›viele‹ ist durch seine Stellung im griechischen Text besonders betont.
  • 2 Vergleiche hierzu die Bemerkungen zu Apostelgeschichte 4, Vers 6 (siehe Teil 3; S. 102). Kajaphas bekleidete das Amt des Hohenpriesters in den Jahren 18–36 n. Chr.
  • 3 In Kapitel 7, Vers 54, haben wir denselben starken Ausdruck, ebenfalls in negativem Sinn. In Kapitel 2, Vers 37, wo uns ein ähnlicher Ausdruck begegnet, wird dagegen ein positives, heilsames Ergebnis bezeichnet.
  • 4 Damit bezieht sich Gamaliel auf die in Lukas 2, Verse 1.2, erwähnte Einschreibung. Sein Ausdruck ›in den Tagen der Einschreibung‹ macht deutlich, dass er von einer allseits bekannten Periode spricht.
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