Ein Volk für seinen Namen (Apg. 3-5)

Die Heilung des Gelähmten (Apg 3,1-11)

Ein Volk für seinen Namen (Apg. 3-5)

Apostelgeschichte 5, Verse 1–11

Das zweite Kapitel der Apostelgeschichte brachte eine Reihe bedeutsamer Ereignisse vor uns, deren wichtigstes zweifellos die Ausgießung des Heiligen Geistes am Tag der Pfingsten war. Durch diese Taufe mit Heiligem Geist wurde die Versammlung Gottes, der Leib Christi, gebildet. Dieser neu geschaffene Organismus setzt sich aus allen denen zusammen, die an Ihn und Sein vollbrachtes Erlösungswerk glauben. Christus selbst in der Herrlichkeit ist das Haupt dieses Leibes. Seit jenem Zeitpunkt besteht die Kirche oder Versammlung Gottes auf der Erde – mit all den gesegneten Folgen für die, die ihr angehören.

In seiner großen Rede vor den Juden in Jerusalem hatte Petrus gezeigt, dass der Tod Christi durchaus den Gedanken und dem Ratschluss Gottes entsprach. Der Sühnungstod Seines Sohnes würde die Grundlage zur Vergebung der Sünden, ja, für jede Segnung sein, die Gott den Menschen anbieten wollte. Dennoch waren die Menschen für das, was sie mit Seinem Sohn getan hatten, voll verantwortlich: Es waren die Juden gewesen, die Ihn durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht hatten. Aber dann hatte er aufgezeigt, auf welche Weise die unter dem jüdischen Volk, die über ihre Sünde Buße taten und den Namen des Herrn Jesus bekannten, in den Bereich der christlichen Segnungen eingeführt wurden und nicht allein die Vergebung der Sünden, sondern auch die Gabe des Heiligen Geistes empfingen.

Abschließend wurden dann in Kapitel 2 die gesegneten Merkmale vorgestellt, durch die sich die ersten Christen auszeichneten (Verse 42–47). Die Versammlung Gottes war neu und vollkommen aus der Hand Gottes hervorgegangen, und die, die sie bildeten, waren nicht nur für sich allein glücklich, sondern „hatten Gunst bei dem ganzen Volk“. Täglich wurden durch den Herrn solche neu hinzugefügt, die errettet werden sollten.

Das dritte Kapitel der Apostelgeschichte wendet sich nun wieder den Wegen Gottes mit den Juden zu. Das ist aus mindestens zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen hatte Gott mit der Versammlung (Kirche) ein völlig neues Werk und Zeugnis begonnen und die christliche Ära eingeführt, die nun ihren Fortgang nehmen sollte. Und zum anderen waren es gerade die Juden gewesen, die den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt hatten. Gab es noch irgendwelche ›Wege Gottes‹ mit ihnen? War nicht schonungsloses und augenblickliches Gericht die einzig gerechte Antwort Gottes an sie?

Doch der Herr Jesus hatte am Kreuz gebetet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23, 34). Dieses Gebet konnte nicht unerhört bleiben. Und so schob Gott in Seiner Gnade das zeitliche Gericht hinaus und ließ den Juden noch einmal die Möglichkeit zur Umkehr und Buße anbieten. Es würde nicht eher zum Gericht kommen, als bis alles Mögliche getan war, um sie zur Umkehr zu bewegen, ja, bis geklärt war, ob sie einen verherrlichten Christus ebenso verwerfen würden, wie sie einen erniedrigten Christus verworfen hatten. Wenn sie Buße tun und sich bekehren würden, so würden ihre Sünden ausgetilgt werden, und Gott würde statt Gericht Zeiten der Erquickung über sie bringen und ihnen den zuvorverordneten Jesus Christus senden.

Das ist in kurzem der Inhalt der zweiten Ansprache des Petrus, die wir in diesem Kapitel finden. Der äußere Anlass dazu war die Heilung des Gelähmten – ein Wunder, dem ohne Frage eine symbolische, prophetische Bedeutung innewohnt, wie wir sogleich sehen werden. Damit haben wir bereits auch die beiden Teile dieses Kapitels umrissen: die Heilung des Gelähmten (Verse i-n) und die Rede des Apostels Petrus (Verse 12–26).

Petrus und Johannes

„Petrus aber und Johannes gingen zusammen hinauf in den Tempel um die Stunde des Gebets, die neunte“ (Apg 3,1).

Schon in Kapitel 2, Vers 43, hatte Lukas davon gesprochen, dass viele Wunder und Zeichen durch die Apostel geschehen waren. Sie jedoch zu schildern oder auch nur anzugeben, lag offenbar nicht in der Absicht des Heiligen Geistes. ER führte die Feder des heiligen Geschichtsschreibers und ließ es bei dieser knappen Bemerkung bewenden. Aber jetzt lässt Er uns einen ausführlichen Bericht über ein bestimmtes Wunder geben, das offensichtlich nicht nur besondere Aufmerksamkeit erregte, sondern dem auch besondere Bedeutung zukam. Über den Zeitpunkt dieser Begebenheit gibt der Schreiber zwar keine Auskunft, aber wir können davon ausgehen, dass sie sich bald nach dem Tag der Pfingsten zugetragen hat.

Es ist nicht das erste Mal, dass wir die beiden Apostel Petrus und Johannes in den geschichtlichen Büchern des Neuen Testaments zusammen, beieinander sehen. Zu Lebzeiten des Herrn Jesus hatten sie zusammen mit Jakobus, dem Bruder des Johannes, gleichsam den inneren Kreis der Jünger um den Heiland gebildet. Ihnen hatte der Herr gestattet, der Heilung der Tochter des Jairus beizuwohnen (Mk 5, 37ff). Diese Drei hatten auch das Vorrecht gehabt, Augenzeugen Seiner prachtvollen Herrlichkeit auf dem Berg der Verklärung zu sein (Mk 9,2ff). Und dann hatte Er sie auch, als bereits die Schatten des Kreuzes auf Ihn fielen, in den Garten Gethsemane mitgenommen, wo Er in ringendem Kampf gewesen war und wo sie hätten wachen und beten sollen, aber geschlafen hatten (Mk 14, 33ff).

Aber auch die beiden allein kommen wiederholt in den geschichtlichen Berichten der Heiligen Schrift vor uns. Petrus und Johannes waren es gewesen, die der Herr mit dem Auftrag betraut hatte, die Feier des letzten Passahmahles im Obersaal vorzubereiten (Lk 22, 8). Sie beide waren beisammen gewesen, als Maria am Morgen des Auferstehungstages des Herrn mit der Nachricht zu ihnen gelaufen kam, dass das Grab des Herrn leer sei. Zusammen liefen sie denn auch zum Grab, um sich der Wahrheit des ihnen Berichteten zu vergewissern (Joh 20, 2–8). Später, in der Apostelgeschichte, finden wir sie wieder beieinander, als sie von den Aposteln in Jerusalem nach Samaria geschickt wurden, um die dortigen Neubekehrten zu besuchen und ihnen geistlich beizustehen (Kap. 8, 14). Und in unserem Kapitel nun sehen wir, wie die beiden, Petrus und Johannes, miteinander in den Tempel hinaufgehen zur Stunde des Gebets.

Dieses ›Miteinander‹ dieser beiden Männer redet eine stille, aber liebliche Sprache zu unseren Herzen. Sie verstanden sich, diese beiden Jünger des Herrn, wenngleich ihr Dienst ganz verschieden war. Da war keine Eifersucht, keine Missgunst, kein Dünkel.

Ein besonders schönes Beispiel für das Miteinander von Petrus und Johannes finden wir in der Szene im Obersaal in Johannes 13. Der Herr Jesus schickt Sich an, die letzte Strecke Seines Weges auf der Erde zu gehen – den Weg zum Kreuz. Noch einmal versammelt Er die Zwölf im Obersaal um Sich, Er wäscht ihnen in unfassbarer Gnade die Füße. Er zeigt ihnen damit, was Er für sie tun wollte, wenn Er sie verlassen und zu Seinem Vater zurückkehren würde. Seine Liebe würde nicht aufhören, würde sich weiter mit ihnen beschäftigen. Dann wird Sein Inneres bei dem Gedanken erschüttert, dass es gerade einer von ihnen sein wird, der Ihn überliefern wird. Die Jünger, bestürzt über Seine Worte, sind darüber in Verlegenheit, wer dies wohl sein könnte: „Ich bin es doch nicht, Herr?“ (Mt 26, 22).

Und nun werden wir Zeuge einer Szene, die an Schönheit kaum zu überbieten ist. Petrus möchte dem Herzen des Herrn das Geheimnis, wer es sei, entlocken und ergreift die Initiative. Unbewusst fühlt er jedoch, dass er dem Meister nicht nahe genug ist, nicht so nahe jedenfalls wie sein Mitbruder Johannes, der „im Schoß Jesu“ liegt. Und so gibt er ihm durch eine kleine, von den anderen vielleicht kaum beachtete Geste zu verstehen, dass er doch den Herrn fragen möge, wer es wohl sei, von dem Er rede. „Jener aber, sich an die Brust Jesu lehnend, spricht zu ihm: Herr, wer ist es?“ (Joh 13, 25). Dann lässt Sich der Herr Jesus herab und bezeichnet durch den ›Bissen‹ den, den Er meinte. Und so gelingt es Petrus und Johannes miteinander, wozu Petrus allein sich nicht imstande fühlte: dem Herrn das Geheimnis, das in Seinen Worten lag, zu entlocken. Wunderbare Gnade auf Seiten des Herrn! Liebliches Verhalten jedoch auch bei diesen beiden Jüngern! Petrus ist, wie so oft, der Aktive. Ohne den geringsten Neid zu empfinden, weiß er, dass Johannes dem Herrn näher ist als er, und er ist bereit, zurückzutreten und seinen Bruder und dessen Nähe zum Herrn zu ›benutzen‹. Johannes wiederum ist in keiner Weise stolz auf seine besondere Stellung, sein innigeres Verhältnis zum Herrn. In aller Einfachheit lässt er sich von seinem Bruder ›benutzen‹ und tut das, was er ihm andeutet. Hat sich das auf der Erde zugetragen? Fast möchte man meinen, es sei ein ›Stückchen‹ vom Himmel.

Wenn wir nun zur Apostelgeschichte zurückkommen, so scheint hier Johannes ganz im Schatten von Petrus zu stehen. Wenn wir sie geschrieben hätten, wir hätten sicherlich mehr über Johannes mitgeteilt, über die Worte, die gewiss auch er gesprochen hat. Aber in der inspirierten Berichterstattung durch Lukas steht im ersten Teil der Apostelgeschichte eindeutig Petrus um Vordergrund. Ihm hatte der Herr die Schlüssel des Reiches der Himmel anvertraut (Mt 16, 19), er allein war dazu bestimmt, die verschiedenen Gruppen von Gläubigen in das Reich auf der Erde einzulassen. Deswegen ist stets Petrus der Redende, während wir von Johannes auch nicht ein einziges Wort hören, das er gesprochen hätte.

Und trotzdem gingen die beiden miteinander, erfüllte jeder von ihnen den ihm vom Herrn anvertrauten Dienst. Mochte der eine dazu berufen sein, Gott am Ende durch den Märtyrertod zu verherrlichen, der andere dagegen dazu, zu bleiben, „bis ich komme“, wie der Herr es ausgedrückt hatte – sie folgten beide ihrem Herrn und Meister nach, der ihnen voraus in den Himmel gegangen war (Joh 21,18–23). Das ist es, Geliebte, was uns auch heute zur Einmütigkeit, zum Miteinander führt. Dass es doch der Herr auch uns schenken könnte, allein

auf Ihn zu blicken und Ihm zu folgen! Wie würde es unseren Weg einfach und friedevoll machen, auch in unseren Tagen des Endes, die oft eher durch ein Gegeneinander als ein Miteinander gekennzeichnet sind!

Die neunte Stunde

So sehen wir denn Petrus und Johannes zusammen in den Tempel hinaufgehen, um die neunte Stunde. Obwohl der Heilige Geist in ihnen Wohnung genommen hatte und sie dadurch mit den anderen Gläubigen den Leib Christi bildeten – obwohl sie als Apostel Jesu Christi unter ihnen einen besonderen Platz innehatten, blieben sie zunächst fest im jüdischen Gottesdienst verwurzelt. Mit vielleicht noch größerer Treue als vor diesem großen Ereignis suchten sie den Verpflichtungen des Gesetzes zu entsprechen.

Wir haben oft Mühe, das zu verstehen. Wir sagen auch nicht, dass das an sich gut war und den Gedanken Gottes entsprach. Doch müssen wir bedenken, dass die Versammlung des lebendigen Gottes in jenen Tagen wohl bereits bestand, dass aber die Belehrung über ihr Wesen und über ihre Stellung und Berufung noch nicht gegeben war. Das dafür vom Herrn ausersehene Werkzeug, Paulus, war noch nicht einmal bekehrt. Und so können wir verstehen, dass die ersten Christen, die sämtlich aus dem jüdischen Volk kamen, treu das Gesetz zu beobachten trachteten, wie es Jakobus später ausdrückt: „Du siehst, Bruder, wie viele Tausende der Juden es gibt, welche glauben, und alle sind Eiferer für das Gesetz“ (Apg 21,20).

Dass die Zeit der Erprobung des Menschen unter Gesetz mit dem Tod Christi zu Ende gegangen und eine neue Epoche, die der Gnade, angebrochen war, wurde von den aus den Juden kommenden Gläubigen, wie die Worte des Jakobus zeigen, selbst später noch wenig verstanden. Dieses Missverstehen barg sogar eine ernste Gefahr für die junge christliche Gemeinde in sich. Wir werden ihr später in diesem Buch wiederholt begegnen. Dennoch ertrug Gott in Seiner Langmut diese Zeit des Übergangs von der jüdischen zur christlichen Haushaltung und die mit ihr verbundene ›Zweigleisigkeit‹, wenn wir so sagen dürfen. Erst als die Zerstörung Jerusalems und damit die endgültige Beseitigung des jüdischen Gottesdienstes unmittelbar bevorstand, forderte Er die Gläubigen aus den Juden auf, dieses ›Lager‹ nun ein für allemal zu verlassen (Heb 13,13).

Die neunte Stunde war im Lauf der Jahrhunderte unter den Juden zur Stunde des Gebets geworden. Es war die Zeit „zwischen den zwei Abenden“, in der das Abend-Brandopfer als Teil des beständigen Brandopfers dargebracht wurde, in Verbindung mit einem Speisopfer (2. Mo 29, 39ff). Zur gleichen Zeit wurde auch im Innern des Heiligtums wohlriechendes Räucherwerk auf dem goldenen Altar geräuchert (Kap. 30, 7–9; Lk 1, 9.10). Josephus, dem jüdischen Geschichtsschreiber (37–100 n.Chr.), verdanken wir die Kenntnis der interessanten Einzelheit, dass das Morgen- und das Abendopfer bei den Juden jeweils von einem Dienst öffentlichen Gebets begleitet wurden. So verstehen wir, dass die neunte Stunde hier die ›Stunde des Gebets‹ genannt wird.

Es war eine besondere, eine heilige Stunde, mit der manche Erinnerung verbunden war. Zu dieser Zeit hatte der Prophet Elia auf dem am Berg Karmel wiedererrichteten Altar Gottes – fern vom Tempel in Jerusalem – den Namen Jehovas angerufen, Er möge ihm antworten, möge mit Feuer antworten und sein Brandopfer verzehren. Und während zur gleichen Zeit, wie wir annehmen können, das tägliche Räucherwerk das Heiligtum in Jerusalem mit seinem Wohlgeruch erfüllte, hatte Gott Seinem Knecht vor dem entfernten Altar auf dem Karmel geantwortet und Feuer vom Himmel gesandt, das alles verzehrte – den Farren, das Holz, die Steine, die Erde. Das war das Zeichen dafür gewesen, dass Er der wahre, der einzige Gott ist (1. Kön 18, 36ff).

Jahrhunderte später war es wieder zur Zeit des Abendopfers gewesen, als Daniel, gefangen in Babylon, im Gebet gewesen und der Engel Gabriel zu ihm gekommen war, um ihm die so weitreichende Weissagung über die Siebzig Wochen zu geben, deren letzter Teil bis heute noch nicht erfüllt ist (Dan 9, 21ff).

Wieder vergingen Jahrhunderte, bis diese Stunde erneut und auf außerordentliche Weise als Stunde des Gebets hervortrat. Der, dessen Kommen und Sterben Gabriel dem Propheten angekündigt hatte, hing am Kreuz – der Messias, der „weggetan und nichts haben“ sollte. Um diese Stunde, die neunte, „schrie Jesus auf mit lauter Stimme und sagte: Eli, Eli, lama sabachthani? das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46). Dieses Gebet fand im Augenblick – wer kann es fassen? – keine Erhörung. Bald darauf war der Heiland dann gestorben.

Und nun gingen Petrus und Johannes zu dieser Stunde des Tages in den Tempel, um dort Zeugen für den Gekreuzigten zu werden und die Macht Seines Namens vor allen zu offenbaren.

Lahm an der Schönen Pforte

„Und ein gewisser Mann, der von seiner Mutter Leibe an lahm war, wurde getragen, welchen sie täglich an die Pforte des Tempels setzten, die man die schöne nennt, um Almosen zu erbitten von denen, die in den Tempelgingen. Als dieser Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel eintreten wollten, bat er, dass er ein Almosen empfinge“ (Verse 2.3).

Ohne Frage stand Gott hinter der Szene. Er hatte in Seiner Vorsehung die Dinge so geordnet, dass der Gelähmte an der Schönen Pforte saß, als Petrus und Johannes dort vorbeikamen. Nichts von dem, was den Seinen begegnet, geschieht ja rein zufällig. Gott hat stets alle Dinge in der Hand und verfolgt bei allem Seine Absicht. Das traf in diesem Fall genauso zu wie bei dem greisen Simeon, von dem gesagt wird: „Und er kam durch den Geist in den Tempel“ (Lk 2, 27).

Wir wollen jetzt nicht der Frage nachgehen, um was für eine Pforte des Tempels es sich hier handelt, die den Beinamen ›schöne‹ trug.1 Das ist ziemlich belanglos. Weit wichtiger ist, was sich dort abspielte. So schön und prachtvoll dieses Tor nämlich auch sein mochte – der von Geburt an Gelähmte hatte keinerlei Kraft, es zu benutzen und hindurchzugehen. So völlig hilf- und kraftlos war er, dass er auf barmherzige Menschen angewiesen war, die ihn täglich dorthin trugen und dort absetzten, um es ihm so möglich zu machen, von den Vorbeigehenden Almosen zu erbitten. Es mochte schon geraume Zeit so mit ihm gegangen sein, denn immerhin war der Mann mehr als vierzig Jahre alt (Kap. 4,22). Hatte er vielleicht sogar schon den Herrn Jesus an dieser Pforte vorbeigehen sehen? Vieles spricht dafür, dass es so war. Aber im Gegensatz zu dem Gelähmten von Johannes 5, den der Herr gefragt hatte: „Willst du gesund werden?“, hatte dieser hier keine Heilung erfahren. Es gab ja viele Kranke und Lahme in den Tagen des Herrn in Israel, aber nicht alle wurden von Ihm geheilt.

Ist dieser gelähmte Mann nicht ein treffendes Bild des Zustands, in dem sich das Volk der Juden in jener Zeit befand? Wie glanzvoll und traditionsreich ihre Religion auch sein mochte, wie eifrig sie sich in ihrem Gottesdienst auch bemühten, sie waren in Wahrheit draußen, völlig hilflos und ohne jede Kraft, die Gebote und Verordnungen Gottes zu halten und so hineinzugelangen in die Gegenwart Gottes.

Hier lernen wir auch, was dem Wesen nach ›Religion‹ ist. Als Jesus, ihr Messias, zu ihnen gekommen war, um sie von ihren Sünden zu erretten (Mt 1,21), „nahmen sie ihn und töteten ihn und warfen ihn zum Weinberg hinaus“. Sie begingen damit die denkbar größte Sünde vor Gott, der Seinen geliebten Sohn zu ihnen gesandt hatte (vgl. Mk 12, 1–9). Das alles hinderte sie jedoch nicht im Geringsten daran, ihren äußeren Gottesdienst unbeirrt fortzusetzen, als wäre nichts geschehen. Das ist in der Tat ›Religion‹: eine äußere Form des Gottesdienstes aufrechterhalten und gleichzeitig den Herrn Jesus, den Mittelpunkt aller Gedanken Gottes, innerlich ablehnen.

Wenn wir auch das Alter des Mannes bedenken, dass er mehr als vierzig Jahre alt war, so rundet diese Zahl das gezeichnete Bild ab. Vierzig ist in der Schrift die Zahl der Erprobung des unter Verantwortlichkeit gestellten Menschen; und tatsächlich war der Mensch unter dem Gesetz nach jeder Seite hin erprobt worden, und er hatte sich als vollkommen kraftlos erwiesen, als unfähig, es zu halten. Das Gesetz ist zwar heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut, sagt uns Gottes Wort (Röm 7,12); aber es war durch das Fleisch, das heißt durch die Sünde des Menschen, kraftlos (Röm 8, 3). Deswegen hat es nichts zur Vollendung bringen können (Heb 7, 18.19). Der Gelähmte gab sich über seinen wahren Zustand keiner Täuschung hin, aber religiöse Menschen – damals waren es Juden, heute sind es Christen, die wohl eine „Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen“ (2. Tim 3,5) – religiöse Menschen glauben nicht, dass sie in Wirklichkeit ›lahm‹ sind. Sie wähnen sich dem Reich Gottes sehr nahe oder gar im Reich Gottes und – täuschen sich.

Welch ein sprechendes Bild haben wir daher in dem Gelähmten an der Pforte zum Tempel vor uns! In der Reichweite des Tempels, direkt neben der Schönen Pforte – und doch draußen! Geht es tatsächlich nicht vielen Namens-Christen ebenso? Sie geben viel auf religiöse Riten und Gebräuche, auf die Einhaltung gewisser Zeremonien.

Ohne Christus aber sind alle Formen hohl und leer. Sie geben weder Kraft noch Leben denen, die auf sie – anstatt auf Christus – vertrauen. Und wenn jemand meint, durch das Halten der Gebote Gottes in Seine Gegenwart kommen zu können, der kennt weder seine eigene Kraftlosigkeit noch die absolute Heiligkeit Gottes. Wie schwer fällt es dem Menschen, zuzugeben, dass er keine Kraft hat, das Gute zu tun und das Böse zu lassen – keine Kraft, um zu Gott zu kommen! Der Mensch von Natur ist tatsächlich ›kraftlos‹; wir alle waren es (Röm 5, 6).

Doch wie gut, dass die Geschichte dieses Gelähmten nicht an dieser Stelle abbricht! Es wäre ein hoffnungsloses Bild, ein Bild ohne Perspektive. Wieviel können wir dagegen aus ihrem Fortgang lernen, wenn wir die Gnade Gottes sehen, die sich zu diesem erbarmungswürdigen Menschen herabneigte! Er empfing weit mehr als das, was er von den beiden Knechten Gottes erhoffte und erbat. Und Gott ist heute noch Derselbe, ist der Gott aller Gnade.

Das Wunder der Heilung

„Petrus aber blickte unverwandt mit Johannes auf ihn hin und sprach: Sieh uns an! Er aber gab acht auf sie, in der Erwartung etwas von ihnen zu empfangen. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: In dem Namen Jesu Christi, des Nazaräers, [stehe auf und] wandle! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf Alsbald aber wurden seine Füße und seine Knöchel stark, und aufspringend stand er und wandelte; und er ging mit ihnen in den Tempel, wandelte und sprang und lobte Gott“ (Verse 4–8).

Was Petrus und Johannes veranlasste, unverwandt diesen Gelähmten anzublicken, der gerade herbeigetragen wurde, wird uns nicht mitgeteilt. Der Gelähmte in Lystra, dessen Heilung uns in Kapitel 14 geschildert wird, hatte Paulus immerhin reden hören. Und wenn auch Paulus „unverwandt auf ihn hinblickte“, so geschah es, weil er in dem Blick des Mannes den Glauben sah, geheilt zu werden (Vers 9). Das wird hier nicht gesagt. So können wir davon ausgehen, dass es der Heilige Geist war, der den Blick der beiden Apostel gleichzeitig auf diesen Menschen in seinem bedauernswerten Los lenkte. Sie erblickten in ihm offenbar einen Gegenstand der Gnade Gottes, an dem sich nach dem Willen Gottes jetzt die Kraft des Namens Jesu Christi erweisen sollte.

Auf die Aufforderung hin „Sieh uns an“ erwartete der Mann nichts anderes als irgendeine Gabe der Mildtätigkeit, die seine Not ein wenig lindem konnte. Doch Silber und Gold hatte Petrus nicht zu vergeben. Er glich hierin dem großen Apostel der Nationen, dem Apostel Paulus, der von sich und seinen Mitarbeitern als von ›Armen‹ spricht, dann aber hinzufügt: „aber viele reich machend; als nichts habend und alles besitzend“ (2. Kor 6, 10).

Wie zeigt es die Erhabenheit wahren Christentums, dass man aus irdischer Sicht arm sein und doch die Fähigkeit besitzen kann, andere geistlich reich zu machen! Petrus und Johannes, Paulus und andere Diener des Herrn waren damit zufrieden, in dieser Welt arm zu sein, nichts hier zu haben, wenn sie nur durch die Gnade Gottes anderen von dem geistlichen Reichtum, den sie besaßen, mitteilen konnten.

Doch das vollkommene Vorbild für solch eine gesegnete Gesinnung finden wir in unserem Herrn und Heiland selbst. „Denn ihr kennet die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er, da er reich war, um euretwillen arm wurde, auf dass ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Kor 8,9). Der Herr Jesus war in einem für uns unvorstellbar hohen Sinn und Maß ›reich‹. Er war und ist Gott, der Sohn; als solcher bewohnte Er ein unzugängliches Licht (1. Tim 6, 16), Er war seit Ewigkeit her der Gegenstand der Liebe des Vaters (Joh 17, 24). Nichts fehlte Ihm, alles stand Ihm zu Gebote, nicht nur für Ihn selbst, sondern auch für andere.

Doch Er wurde unsertwegen arm, entäußerte Sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, wurde Mensch. Aber auch als Mensch erniedrigte Er Sich noch weiter (Phil 2, 5ff), und Seine Armut wurde allen offenbar.

Er war ärmer als Seine Geschöpfe, ärmer als die Füchse und Vogel; denn sie hatten Höhlen und Nester, Er aber, der Sohn des Menschen, hatte nicht, wo Er das Haupt hinlegen konnte (Mt 8, 20). Und wenn Er Sich durch Seinen vorschnellen Jünger Petrus genötigt sah, die Tempelsteuer zu entrichten, so konnte Er die dazu notwendige Doppeldrachme nicht einfach aus der Tasche nehmen. Ein Fisch, mit der Angel gefangen, musste Ihm den Stater bringen; „den nimm und gib ihnen für mich und dich“ (Mt 17,24–27). Wenn Er, die Bosheit der Juden beantwortend, auf das Bild des Kaisers auf der Steuermünze verweisen wollte, so musste Er sagen: „Zeiget mir die Steuermünze.“ Dann überreichten sie Ihm einen Denar, so dass Er Seine Belehrung erteilen konnte (Mt 22, 19). Ja, so arm war unser Herr und Heiland geworden!

Aber Er musste noch ärmer werden, musste erfahren, was es heißt, nicht allein von Menschen, sondern auch von Gott verlassen zu werden, von Dem abhängig zu sein und dessen Willen zu tun stets Seine Freude gewesen war. „Freund und Genossen hast du von mir entfernt; meine Bekannten sind Finsternis“ (Ps 88, 18). „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern von meiner Rettung, den Worten meines Gestöhns? ... Meine Kraft ist vertrocknet wie ein Scherben ...; und in den Staub des Todes legst du mich“ (Ps 22, 1.15).

Unvorstellbare Armut, abgrundtiefe Erniedrigung! Der Herr Jesus hat sie unsertwegen erduldet, damit wir dadurch reich würden, unermesslich reich! Wir werden Ihn in alle Ewigkeit für diese ›Gnade‹ preisen. Er möge uns auch helfen, Ihn und Seine Armut mehr vor unserem Auge zu behalten, damit wir Ihm jeden Tag ähnlicher werden!

Nein, irdische Reichtümer hatte auch Petrus nicht, und noch gegen Ende seines Lebens warnte er seine Mitbrüder davor, die Aufsicht über die Herde wegen schändlichen Gewinns zu führen (1. Pet 5, 2). Aber was er hatte, das wollte er dem Gelähmten geben: „Was ich aber habe, das gebe ich dir: In dem Namen Jesu Christi, des Nazaräers, stehe auf und wandle!“

Dieses „Was ich aber habe“ bezieht sich nicht auf irgendeine Fähigkeit oder Kraft, die in der Person des Petrus begründet war. Vielmehr hat es dem Herrn in Seiner Gnade wohlgefallen, ihm und anderen Männern zu Beginn der christlichen Ära die Fähigkeit zu verleihen, in Seiner Kraft Wunder zu vollbringen.

Diese Fähigkeit wird in 1. Korinther 12 allgemein mit ›Wunderwirkungen‹ oder ›Wunderkräften‹, speziell mit ›Gnadenga- ben der Heilungen‹ bezeichnet (Verse 9.10.28). Alles hing dabei von dem Herrn ab – von Seiner Kraft, von Seinem Willen. Der Mensch war nur das von Ihm benutzte Werkzeug. Und so konnte Petrus dieses Wunder der Heilung nur in der Kraft Seines Namens tun, konnte es auch nur vollbringen, weil dies in dem gegebenen Augenblick genau dem Willen des Herrn entsprach. Die beiden galiläischen Männer fühlen sich nicht allein. Sie sind sich der Nähe des Herrn Jesus bewusst, der zu ihnen gesagt hatte: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (Mt 28, 20), und in Abhängigkeit vom Herrn rechnen sie jetzt auf die Entfaltung Seiner Kraft vom Himmel her.

Als der Herr Jesus auf der Erde geweilt hatte, war Seine Kraft nicht bis zu diesem Gelähmten gelangt. Jetzt aber, da Er verherrlicht im Himmel war, fand er in der Kraft Seines Namens die begehrte Heilung. So bestätigt es später Petrus kühn vor dem Synedrium: „Wenn wir heute über die Wohltat an einem kranken Menschen verhört und gefragt werden, wodurch dieser geheilt worden ist, so sei euch allen und dem ganzen Volke Israel kund, dass in dem Namen Jesu Christi, des Nazaräers, welchen ihr gekreuzigt habt, den Gott auferweckt hat aus den Toten, dass durch ihn (oder: in diesem) dieser gesund vor euch steht“ (Apg 4, 9.10).

Der Kranke war von seiner Mutter Leibe an lahm, er war nie auch nur einen Schritt gegangen, seine Füße und Knöchel hatten nie das Gewicht seines Körpers getragen. Und nun sagt Petrus zu ihm: „Stehe auf und wandle!“ Um ihm zu zeigen, dass das nicht leere Worte sind, tut Petrus etwas, was er auch seinen Herrn hatte tun sehen (Mt 9, 2,5; Mk 5,41): Er ergreift ihn bei der rechten Hand und richtet ihn auf. Spätestens hier muss in dem Gelähmten der Glaube an Den wirksam geworden sein, von dem Petrus gesprochen hatte, ehe er seine Hand ergriff. Mit der Behendigkeit eines Menschen, der gewohnt ist, seine Glieder zu benutzen, springt der bisher Gelähmte auf. Und seine Füße und Knöchel, die vierzig Jahre hindurch völlig kraftlos gewesen waren, werden in einem einzigen Augenblick so kräftig, dass er ›dastehen‹ und ›umhergehen‹ kann. Dazu braucht er keinen stützenden Arm, keine Krücke, kein weiteres Hilfsmittel. War er bisher an die Pforte des Tempels getragen worden: jetzt ist er fähig, mit ihnen in den Tempel zu gehen, und er geht umher und springt und lobt Gott. Welch ein Anblick muss das gewesen sein!

Erinnern wir uns auch daran, dass der Bericht über dieses Wunder – wie die Füße und Knöchel des Gelähmten stark wurden der Feder eines Arztes entstammt! „Lukas, der geliebte Arzt“ (Kol 4,14), sollte nach den Gedanken Gottes der Berichterstatter dieses wunderbaren Geschehens mit allen Einzelheiten sein. Wie ist das alles doch geeignet, uns zum Lobpreis Dessen zu fuhren, der unser Gott und Vater ist!

Verwunderung

„Und das ganze Volk sah ihn wandeln und Gott loben; und sie erkannten ihn. dass er der war, welcher um das Almosen an der schönen Pforte des Tempels gesessen; und sie wurden mit Verwunderung und Erstaunen erfüllt über das, was sich mit ihm ereignet hatte. Während er aber den Petrus und Johannes festhielt, lief das ganze Volk voll Erstaunen zu ihnen zusammen in der Säulenhalle, die Salomonshalle genannt wird“ (Verse 9–11).

Was sich mit dem Gelähmten ereignet hatte, war am helllichten Tag und in Gegenwart vieler Zeugen geschehen. Um die Stunde des Gebets passierten viele Juden die Schöne Pforte, um am Dienst des Gebets teilzunehmen. Auch war eine Verwechslung ausgeschlossen, denn sie erkannten ihn eindeutig als den, der vorher an der Schönen Pforte des Tempels gesessen und gebettelt hatte. Das ganze Volk sah ihn jetzt umhergehen, sogar mit ihnen in den Tempel gehen und Gott loben. So wurde er dieser Nation zu einem lebendigen Zeugnis von der Macht des auferstandenen Christus.

Doch was war das Ergebnis auf Seiten des Volkes? Öffnete sich ein Mund zum Lobpreis Gottes, der doch so Großes unter ihnen getan hatte? Wir hören davon nicht ein Wort. Nur von Verwunderung und Erstaunen wird berichtet. Das war in Anbetracht des bedeutenden Wunders, das sie miterlebt hatten, eine enttäuschende Reaktion: Es reichte nur zum Erstaunen, nicht zu mehr. Woran lag diese schwache Reaktion? Vielleicht daran, dass Petrus von dem Namen Jesu Christi, des Nazaräers, gesprochen hatte? Gewiss war es der Unglaube in den Herzen der Juden dem Namen Jesu Christi gegenüber, der die eigentliche Ursache für diese kühle Antwort war.

Nun, das führt uns zu der Frage, warum Gott zu jener Zeit dieses Wunder unter den Juden geschehen ließ. Er hatte schon vorher, am Tag der Pfingsten, ihre Gewissen aufzurütteln versucht und durch das Wunder der ›fremden Sprachen‹ zu ihnen reden lassen. Damals hatten sich auf die erste Ansprache des Petrus hin dreitausend Juden zu Christus bekehrt. Gott wollte diesem Volk, diesem schuldigen Volk, noch einmal Seine Gnade anbieten lassen. Er war bereit, sie zu heilen, wie Er den Gelähmten geheilt hatte; Er würde durch Petrus ein weiteres Mal zu ihren Herzen und Gewissen reden. Aber wenn es Heilung geben sollte, dann kamen sie an der Person Seines Sohnes nicht vorbei. (Das hat auch für den heute lebenden Juden, ja, für jeden noch nicht erretteten Menschen seine Gültigkeit.) Und deswegen gab Er vom Himmel her diesen erneuten Beweis dafür, dass Jesus Christus – der von ihnen verachtete und verworfene Nazaräer – der wahre Messias, der König Israels ist. Denn in der Kraft Seines Namens war das Wunder der Heilung geschehen. Der, den sie durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht hatten, lebte. Durch die Rechte Gottes erhöht, sitzt Er auf dem Thron Seines Vaters in der Herrlichkeit des Himmels. Das war in erster Linie die Sprache, die dieses in ihrer Mitte geschehene Wunder redete. Würden sie sie verstehen? Bis jetzt jedenfalls rieben sie sich gleichsam nur verwundert die Augen.

Aber dieses Wunder bildete auch das vor, was Gott in Seiner Gnade mit diesem Volk zu tun beabsichtigte. Das ist sein prophetischer Aspekt. Gott hatte an vielen Stellen des Alten Testaments von dem kommenden Friedensreich auf der Erde geredet, einem wirklichen Königreich, in dem der König der Gerechtigkeit regieren würde. Wenn sie jetzt auch durch eigene Schuld dem Gelähmten an der Schönen Pforte des Tempels glichen – kraftlos, hilflos, draußen –, es wird der Tag kommen, an dem „der Lahme springen wird wie ein Hirsch“ (Jes 35, 6). „… und die Erlösten werden darauf wandeln. Und die Befreiten Jehovas werden zurückkehren und nach Zion kommen mit Jubel, und ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; sie werden Wonne und Freude erlangen, und Kummer und Seufzen werden entfliehen“ (Verse 9.10). Gott wird Seinen Geist in ihr Inneres geben und machen, dass sie in Seinen Satzungen wandeln (Hes 36, 27). Auch der letzte Prophet des Alten Testaments weist auf jene Zeit hin, wenn er sagt: „Aber euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln. Und ihr werdet ausziehen und hüpfen gleich Mastkälbem“ (Mal 4, 2). In der Tat, dieses Aufspringen des einst Gelähmten und sein Wandeln und sein Hineingehen in den Tempel unter Loben und Preisen reden symbolisch von der Wiederherstellung Israels in späteren Tagen. Und das genau ist das Thema, das die nun folgende zweite Rede des Petrus zum Inhalt hat.

Bevor wir jedoch diesen Abschnitt verlassen, wollen wir uns als Erlösten der Gnadenzeit die Frage vorlegen: Haben nicht gerade auch wir allen Grund, „vor Freude zu strahlen“ (Jes 60, 5), „vor Freude zu jubeln“ (Jes 65, 14) und in den Wegen des Herrn zu wandeln? Der Gelähmte hatte eine zeitliche Heilung erfahren, und er lobte Gott dafür. Das Volk Israel wird wunderbare Segnungen auf der Erde erlangen, und sein Herz wird beben und weit werden (Jes 60, 5); die Bewohnerin von Zion wird Jehova zujubeln (Jes 12, 5.6). Wir aber sind schon jetzt ungleich höher gesegnet, gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus (Eph 1, 3). Wir kennen Gott als unseren Vater, und unsere Heimat ist der Himmel, das Haus, das Er seit Ewigkeit bewohnt (Joh 14, 2). Sollten wir nicht „Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“ (Heb 13, 15)? Sollten wir nicht auch mit größerer Hingabe begehren, würdig des Gottes zu wandeln, der uns so hoch erhoben hat und uns zu Seinem eigenen Reich und Seiner eigenen Herrlichkeit beruft (1. Thes 2, 12)?

Die Frucht der Lippen können wir mit den Schellen aus Gold am Saum des hohenpriesterlichen Gewands vergleichen, den Wandel mit den Granatäpfeln (2. Mo 28, 33). Und wie beim Ephod des Hohenpriesters Schelle und Granatapfel einander abwechselten – „eine Schelle von Gold und einen Granatapfel, eine Schelle von Gold und einen Granatapfel an den Saum des Oberkleides ringsum“ sollten sie machen (Vers 34) –, so möchte Gott, dass auch bei uns das Zeugnis für Ihn und der Wandel als Frucht vor Ihm in Ausgewogenheit und Harmonie vorhanden sind.

Fußnoten

  • 1 Wahrscheinlich handelt es sich um den Haupteingang zum Tempel, und es steht außer Frage, dass er den Beinamen ›schön‹ nicht zu Unrecht trug. Josephus spricht von einem Tor, das an Größe und Schönheit alle anderen übertraf und ganz aus Bronze von Korinth gefertigt war.
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