Einführung in die beiden Briefe an die Korinther
1. Einleitende Gedanken
Die beiden Korintherbriefe folgen in den meisten Bibelausgaben dem Römerbrief. Es wird dabei unmittelbar erkennbar, dass sie ganz anders – und doch ebenfalls grundlegend – sind. Während uns der Römerbrief das Thema der persönlichen Rechtfertigung des Menschen vor Gott zeigt, beschäftigen sich die Korintherbriefe vor allem mit dem gemeinschaftlichen Leben der Gläubigen. Diese beide Briefe sind ausdrücklich an die „Versammlung, die in Korinth ist“ gerichtet – ein Hinweis, der im Römerbrief fehlt.1
F.B. Hole schreibt in seiner Einleitung zum ersten Brief: „Wir wenden uns nun einem Brief zu, der sich mehr als alle anderen mit Angelegenheiten der örtlichen Versammlung befasst und die von Gott bestimmte Ordnung vorstellt, die in ihr zu beachten ist“.2
W. Kelly schreibt: „Der Brief, den wir jetzt betrachten werden, gibt uns mehr als jeder andere Brief einen Einblick in die Kirche oder Versammlung Gottes… Doch er fokussiert sich deswegen nicht nur auf einen Bereich. Er beschäftigt sich sowohl mit dem praktischen Verhalten eines Christen als auch mit dem öffentlichen Wandel der Versammlung. … Er prangert Parteiungen und Spaltungen an. Er stellt weltliche Weisheit bloß. Er besteht auf der Kraft des Geistes. Er mahnt zur göttlichen Ordnung, … Er ordnet heilige Disziplin an. Er tadelt Streitsucht … Er drängt auf persönliche Reinheit; er berät die Heiligen bezüglich sozialer und familiärer Schwierigkeiten, bezüglich ihrer Beziehungen zu den Ungläubigen, bezüglich Anstand für Männer und Frauen im privaten oder öffentlichen Raum. Schließlich erfüllt er ihre Erwartungen auf die Zukunft und zeigt, wie ein Fehler hierüber den gesunden Glauben an Christus selbst … gefährden kann. Er hält zugleich das göttliche Licht nicht zurück über Dinge, die unbedeutend erscheinen, wie die Art der Sammlung für bedürftige Gläubige, während er zugleich die gegenseitigen Beziehungen solcher regelt, die vor Ort arbeiten, und solcher, die von ihrem Dienst profitieren.“3
Der Blickwinkel der Korintherbriefe auf die Versammlung ist anders als im Epheser- und Kolosserbrief, die ebenfalls die Versammlung Gottes thematisieren. Beide genannten Briefe zeigen die Versammlung nach dem Ratschluss Gottes (im Kolosserbrief liegt der Schwerpunkt auf der Herrlichkeit des Hauptes, während der Epheserbrief besonders die innige Verbindung und Einheit von Haupt und Leib zeigt). Die Korintherbriefe lassen die christliche Lehre nicht beiseite, fokussieren jedoch mehr praktische Themen in Verbindung mit der Versammlung. Fast alle Belehrungen dieses Briefes werden durch den traurigen Zustand der Briefempfänger veranlasst. Deshalb bezeichnet man beide Briefe auch als „Wüstenbriefe“, die uns die Gläubigen inmitten einer bösen Welt zeigen, in der sie Gefahr laufen, vom Teufel verführt und von der alten Natur geleitet zu werden.4
Die Korinther befanden sich in keinem guten geistlichen Zustand. Obwohl sie einerseits an keiner Gnadengabe Mangel hatten (1. Kor 1,7), musste Paulus dennoch manche Verhaltensweisen tadeln. Die Gläubigen duldeten innere Spaltungen, Parteigeist, Streit, Unmoral, Rechtshändel, Missbrauch von Gnadengaben, falsche Lehre und vieles mehr. Es gab solche, die seine Apostelschaft und die damit verbundene Autorität in Frage stellten. Davon hatte Paulus gehört, und das veranlasste ihn, der Versammlung in Korinth zwei Briefe zu schreiben. Genau das zeigt, wie aktuell diese Briefe für örtliche Versammlungen heute sind. Die Probleme der Korinther haben mindestens diese positive Seite: Es gäbe – aus menschlicher Sicht – die beiden Briefe nicht, wenn Paulus sich nicht mit den Problemen auseinandergesetzt hätte.
Dennoch geht es nicht nur um Probleme und deren Behandlung. Beide Briefe enthalten zugleich sehr zu Herzen gehende Passagen, wie z. B. das sogenannte „Hohelied der Liebe“ (1. Kor 13) oder besondere Hinweise über die Person unseres Herrn (2. Kor 5,21; 8,9). Wir denken auch an wichtige Belehrungen über die Auferstehung, über das Mahl des Herrn und den Tisch des Herrn sowie über das christliche Geben (Kollekten). Mit Recht hat man diese beiden Briefe mit einer „Schatzkammer praktischer Belehrung“ verglichen.
Ein Schlüsselvers des ersten Briefes lautet: „Aus ihm aber seid ihr in Christus Jesus, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung; damit, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1. Kor 1,30.31).
Es fällt auf, dass der zweite Brief häufig im Schatten des ersten Briefes steht. Der zweite Brief wird in Predigten, Auslegungen und Bibelkonferenzen deutlich seltener behandelt. Der Grund mag darin liegen, dass er schwieriger zu verstehen ist. Sein manchmal schwer übersetzbarer und an manchen Stellen leicht ironischer Stil mag dazu beitragen. Dennoch ist dieser Brief Teil des Wortes Gottes und für uns wichtig.
Der zweite Korintherbrief setzt einerseits den ersten Brief fort, andererseits hat er seinen eigenen Schwerpunkt. Das Hauptthema ist nicht nur das Leben der örtlichen Versammlung, sondern besonders Paulus als Apostel. Es ist in gewisser Hinsicht ein sehr persönlicher Brief, denn er gibt uns tiefe Einblicke in die Hingabe eines Dieners Jesu Christi und in seine inneren Empfindungen, die von großer Verzweiflung (2. Kor 1,8) und tiefer Trauer (2. Kor 6,10) bis zu überströmender Freude (2. Kor 7,4) reichen. Der zweite Korintherbrief zeigt zum einen das Bild eines treuen Seelsorgers, der sich um eine widerspenstige Herde kümmert. Zum anderen hat er einen besonderen Wert für jeden, der seinem Herrn und den Seinen von Herzen dienen möchte.
Ein Schlüsselvers des zweiten Briefes lautet: „Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als Herrn, uns selbst aber als eure Knechte um Jesu willen“ (2. Kor 4,5).
2. Verfasser
Der Verfasser beider Briefe ist Paulus. Daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben. Interne wie externe Belege sind eindeutig.
2.1. Interne Belege
Die Tatsache, dass Paulus der Autor beider Briefe ist, wurde nie wirklich in Frage gestellt, wenngleich einige kritische Ausleger vor allem Teile des zweiten Briefes als spätere Hinzufügungen betrachten. Der Stil in beiden Briefen ist typisch für Paulus. Wollte man diese Tatsache abstreiten, müsste man Paulus als geschichtliche Person in Frage stellen.
Im ersten Brief stellt er sich als „berufener Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen“ vor und verbindet Sosthenes, den Bruder, mit sich (1. Kor 1,1).5 Im zweiten Brief nennt er sich „Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen“ und verbindet Timotheus als Bruder mit sich (2. Kor 1,1). Im ersten Brief sendet er am Ende Grüße und fügt hinzu, dass er es mit seiner – des Paulus – Hand tut (1. Kor 16,21).6 Im zweiten Brief fehlt dieser Hinweis. In Kapitel 10,1 schreibt er allerdings: „Ich selbst aber, Paulus, ermahne euch“. Im ersten Brief kommt sein Name in sieben Versen insgesamt acht Mal vor (1. Kor 1,1.12.13; 3,4.5.22; 16,21) – und damit so oft wie in keinem anderen Brief. Auch die Aussage in Kapitel 4,15, dass der Verfasser des Briefes die Gläubigen in Korinth „gezeugt“ habe „durch das Evangelium“, weist eindeutig auf Paulus hin.7 Im zweiten Brief lässt Paulus darüber hinaus einen tiefen Blick in sein Herz tun. Schon das ist Beweis genug, dass nur er den Brief hat schreiben können. Persönliche Bemerkungen, die seine Person betreffen, finden sich z. B. in 2. Korinther 1,23.24; 2,12.13; 6,1-10; 7,5-16; 11,22 - 13,1. Der zweite Brief lässt sich, obwohl sein Inhalt ganz anders ist, nicht von dem ersten Brief trennen. Wie kaum ein anderer Brief trägt er die Charakterzüge des Paulus und stellt das in den Vordergrund, was ihn als einen Knecht des Herrn Jesus Christus auszeichnete.
Es fällt auf, dass in beiden Briefen die Apostelschaft des Paulus betont wird. Er nennt sich einen berufenen Apostel (nicht von Menschen, sondern von Christus Jesus) und zwar nach Gottes Willen. Paulus tut das aus zwei Gründen:
- wegen des grundsätzlichen Inhalts des Briefes und der notwendigen Korrektur. Nur als Apostel konnte er mit dieser Autorität schreiben.
- aufgrund der Tatsache, dass es in Korinth solche gab, die Zweifel daran hatten, dass er wirklich ein berufener Apostel war (darauf geht Paulus ausführlich am Ende des zweiten Briefes ein).
Die inneren Beweise sind also überzeugend. Hinzu kommen die Parallelen zur Apostelgeschichte sowie zu anderen Briefen des Paulus, die deutlich machen, dass nur er der Schreiber sein kann.
2.2. Externe Belege
Die externen Belege, d. h. die frühkirchlichen Überlieferungen, bestätigen die inneren Belege. Clemens von Rom erwähnt in einem Brief, den er gegen Ende des ersten Jahrhunderts geschrieben hat, den ersten Korintherbrief. Er schreibt: „Nehmt den Brief des seligen Paulus, des Apostels. Was hat er euch im Anfang seiner Predigt geschrieben? Wahrhaft vom Geist angeregt, hat er euch belehrt über sich selbst und über Kephas und über Apollos, weil ihr auch damals Parteien gebildet hattet“.8 Weitere Hinweise auf den ersten Brief finden sich in den Schriften von Ignatius, Polycarp, Justin, Athenagoras, Tertullian, Diognet und Clemens von Alexandrien. Irenäus zitiert den ersten Brief gleich mehrfach. Die Belege für den zweiten Brief sind zwar insgesamt geringer, jedoch ebenfalls überzeugend. Polycarp, Athenagoras, Irenäus, Tertullian und Clemens Alexandrinus zitieren ihn bzw. weisen auf ihn hin. Der Kanon Muratori enthält beide Briefe.
3. Ort und Zeit der Niederschrift
Über die Frage nach dem Ort und der Zeit der Niederschrift gibt es ebenfalls keine grundsätzlichen Differenzen unter den meisten Auslegern. In 1. Korinther 16,8 gibt Paulus den Ort selbst an, nämlich Ephesus. Die Grüße aus den Versammlungen Kleinasiens in Kapitel 16,19 bestätigen das. Im zweiten Korintherbrief ist mehrfach von Mazedonien die Rede, so dass wir sicher davon ausgehen können, dass dieser Brief dort geschrieben wurde (2. Kor 1,16; 2,13; 7,5; 8,1; 11,9).
Die Apostelgeschichte zeigt uns, dass Paulus auf seiner zweiten Missionsreise (ca. 51–54 n. Chr.) seine Mitarbeiter in Beröa zurückließ und ohne sie nach Athen (Apg 17) und dann nach Korinth weiterreiste. Paulus war mit Furcht und Zittern nach Korinth gekommen (1. Kor 2,3), denn die Stadt war für ihre Unmoral und Arroganz bekannt. Der Herr ermunterte ihn jedoch durch die Zusage, dass Er in dieser Stadt ein großes Volk habe (Apg 18,10). So blieb Paulus 18 Monate in Korinth (Apg 18,11).
Nach seiner Abreise hatte Paulus vermutlich längere Zeit nichts von den Korinthern gehört. Inzwischen hatte er seine dritte Missionsreise (ca. 54–58 n. Chr.) begonnen und war nach Ephesus gekommen, wo er drei Jahre blieb. Gegen Ende dieser Zeit erreichten ihn dort traurige Nachrichten aus und über Korinth. Diese Nachrichten veränderten die ursprünglichen Reisepläne des Paulus. Eigentlich hatte er die Absicht gehabt, die Korinther auf seiner Reise nach Mazedonien persönlich zu sehen, denn er wollte über Korinth dorthin reisen und nicht – wie er es dann tatsächlich tat – an der Küste Kleinasiens entlangfahren (2. Kor 1,15.16). Doch anstatt sie zu besuchen, schrieb er ihnen von Ephesus aus seinen ersten Brief. Dort kündigte er seinen Besuch an, den er allerdings erst machen wollte, nachdem er in Mazedonien gewesen war (1. Kor 4,17-21; 1. Kor 16,5-7).
Eine Reihe von bewährten Auslegern nennt das Jahr 57 als Entstehungsdatum des ersten Briefes9. Dies ergibt sich aus der Angabe in 1. Korinther 16,8, dass er bis Pfingsten in Ephesus bleiben wollte. Offensichtlich wurde der Brief also am Ende der Zeit in Ephesus geschrieben, bevor Paulus nach Mazedonien reiste.10 Die Überbringer waren möglicherweise die drei Brüder Stephanus, Fortunatus und Achaikus (Kap 16,17), die Paulus im Auftrag der Korinther in Ephesus aufgesucht hatten. 11
Nachdem der erste Brief geschrieben worden war, muss Paulus offensichtlich in großer Sorge darüber gewesen sein, wie die Korinther diesen Brief aufgenommen hatten. Er hatte diesen Brief unter großen inneren Übungen geschrieben. Es war ihm klar, dass der Brief Reaktionen auslösen würde – er wusste nur nicht, welche. Deshalb war er voller Sorge und sandte Titus nach Korinth, um Genaueres zu erfahren und herauszufinden, welche Wirkung der erste Brief auf die Korinther gehabt hatte.
Der zweite Brief folgte dann wenig später. Paulus hat ihn ebenfalls während seiner dritten Missionsreise verfasst, und zwar aus Mazedonien (siehe vgl. Kor 2,13; 7,5‒7; 8,1). Dorthin war er nach seinem tumultartigen Abschied von Ephesus gereist (Apg 20,1). Über diese Reise schreibt er in 2. Korinther 2,12.13: „Als ich aber nach Troas kam für das Evangelium des Christus und mir eine Tür aufgetan wurde im Herrn, hatte ich keine Ruhe in meinem Geist, weil ich Titus, meinen Bruder, nicht fand, sondern ich nahm Abschied von ihnen und zog fort nach Mazedonien“. Dort wurde er dann durch die Ankunft des Titus, der aus Korinth kam, getröstet (2. Kor 7,5-16). Titus brachte ihm nämlich bessere Nachrichten über die Korinther, über die Paulus sich einerseits sehr freute.12 Andererseits muss Titus ihm berichtet haben, dass es nach wie vor gewisse Missstände in Korinth gab. Es gab immer noch Gegner, die Paulus wegen des Briefes angriffen und vor allem seine Autorität in Frage stellten. Deswegen schrieb er den zweiten Brief, in dem er zum einen von dem Trost und seiner Freude spricht, zum anderen jedoch seine apostolische Autorität verteidigt. Der Überbringer dieses Briefes war sehr wahrscheinlich Titus (2. Kor 8,6).
Der zeitliche Abstand zwischen beiden Briefen kann nicht besonders groß gewesen sein. In 1. Korinther 16,1-4 schreibt Paulus über eine Geldsammlung für die Gläubigen in Jerusalem. Darauf kommt er im zweiten Brief zurück und erwähnt zweimal das „vorige Jahr“ (2. Kor 8,10; 9,2). Einige Ausleger gehen davon aus, dass der erste Brief im Frühjahr und der zweite im Herbst desselben Jahres (wahrscheinlich 57 n. Chr.) geschrieben wurden (man beachte: der Jahreswechsel fand in unserem Monat Juli statt).
4. Empfänger
Die ursprünglichen Empfänger beider Briefe waren die Gläubigen in Korinth. Sie werden jeweils als „Versammlung Gottes, die in Korinth ist“ angeredet. Im ersten Brief wird hinzugefügt: „… den Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen, samt allen, die an jedem Ort den Namen unseren Herrn Jesus Christus anrufen“ (1. Kor 1,1.2). Im zweiten Brief heißt es: „… samt allen Heiligen, die in ganz Achaja sind“ (2. Kor 1,1).
Das macht drei Dinge deutlich:
- Es geht u. a. um Belehrungen, die mit der Versammlung Gottes verbunden sind, d. h. um kollektive Segnungen und Verantwortung. Gerade hier lag in Korinth ein besonderes Fehlverhalten vor.
- Der Charakter der Heiligkeit wird besonders betont. Heilige sind Menschen, die Gott gehören und deshalb vom Bösen und von der Welt getrennt leben. Genau das war eines der Probleme in Korinth.
- Der Empfängerkreis wird bewusst nicht auf Korinth begrenzt. Beide Briefe haben ausdrücklich einen allgemeingültigen Charakter. Dies ist besonders wichtig, weil häufig gerade vom 1. Korintherbrief behauptet wird, er sei nur für die Korinther bestimmt und habe heute keine allgemeingültige Relevanz mehr.
Um die Situation der Versammlung in Korinth verstehen zu können, müssen wir berücksichtigen, in welchem Umfeld die Gläubigen lebten und wie sie zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren. Dies hilft, die beiden Briefe besser zu verstehen.13
4.1. Die Stadt Korinth
Die Stadt Korinth hatte eine bewegte Geschichte und ihre Einwohner eine besondere Prägung:
- Geschichte: Korinth war lange Zeit eine der bedeutendsten Städte des alten Griechenland. Sie war bekannt für ihren Reichtum und zugleich für ihre Lasterhaftigkeit. Im Jahr 146 v. Chr. wurde die Stadt aufgrund eines Aufstands gegen Rom zerstört. Die Einwohner wurden getötet oder als Sklaven verkauft. Etwa 100 Jahre lang glich Korinth einem Trümmerhaufen. Dann wurde die Stadt unter Julius Cäsar neu aufgebaut. In der neuen Stadt wirkten die alten Laster allerdings fort.
Etwa 29 v. Chr. wurde Korinth Hauptstadt der römischen Provinz Achaja. Die Verwaltung erfolgte durch einen römischen Prokonsul (vgl. Apg 18,12). Achaja (im Süden Griechenlands) wurde in diesem Zug von Mazedonien (im Norden Griechenlands) abgetrennt.
- Bedeutung: Zur Zeit des Apostels Paulus war Korinth vermutlich die größte Stadt Griechenlands. Die Einwohnerzahl lässt sich schwer schätzen (die Zahlen variieren von 500.000 bis 700.000). Korinth war nicht nur die Metropole von Handel, Gewerbe und Finanzen, sondern zugleich Ausrichter der Isthmischen Spiele, die nach den Olympischen Spielen das wichtigste sportliche Ereignis der damaligen Zeit waren.
- Bevölkerung: Die Bevölkerung war multikulturell und bestand aus Menschen unterschiedlichster Nationalitäten, darunter viele Juden. Es gab dort eine Synagoge (Apg 18,8). Die Existenz der heidnischen Tempel weist zudem auf eine große griechische Bevölkerung hin. Das römische Element wird in den lateinischen Namen sichtbar, die in den Briefen von Paulus genannt werden (z. B. Gajus, Crispus, Justus, Fortunatus und Achaikus). In Korinth lebten Reiche und Arme, Intellektuelle und Ungebildete, Einflussreiche und Unbekannte, Freie und Sklaven. Gerade die Sklaven machten einen großen Teil der Bevölkerung aus. Es liegt auf der Hand, dass dies zu großen sozialen Spannungen führen musste.
- Wirtschaft und Handel: Korinth lag geographisch sehr günstig an der Landenge zwischen dem korinthischen Golf und dem Saroischen Golf. Hier trafen mehrere Handelsstraßen zusammen, und es gab zwei Häfen in der Nähe (Leachaion und Kenchräa). Das hatte zur Folge, dass Korinth zur Zeit des Neuen Testamentes ein großes und reiches Handels- und Geschäftszentrum geworden war. Es gab viele Menschen, die durch den Handel großen Reichtum erworben hatten.
- Moral: Bereits in der frühen griechischen Literatur wird Korinth nicht nur mit Reichtum, sondern zugleich mit Unmoral und Götzendienst verbunden. Dazu trugen nicht nur die Bewohner bei, sondern ebenso die vielen Händler und Seeleute aus allen Nationen, die Korinth besuchten. Von dem altgriechischen Komödiendichter Aristophanes (5. Jahrhundert v. Chr.) stammt das Verb „korinthiazomai“, das als Synonym für ein Lotterleben in Trunkenheit und sexueller Ausschweifung galt. Die Unmoral und der Götzendienst konzentrierten sich vor allem auf den Bereich des Tempels der Aphrodite mit seinen etwa 1000 Tempelprostituierten (es gab darüber hinaus eine Reihe von Götzentempeln zur Ehre verschiedener Gottheiten). Ein bekanntes Sprichwort warnte schon damals: „Nicht jedem bekommt eine Reise nach Korinth“.14 Als „korinthisches Mädchen“ bezeichnete man eine Frau mit einer anstößigen Lebensweise. Korinth war in der Tat ein Synonym für ein Leben in Reichtum, Luxus, Trunkenheit, Lust und Ausschweifung.
- Philosophie und Kunst: griechische Weisheit und Philosophie wurden (ähnlich wie in Athen) in hohen Ehren gehalten. Zahlreiche Schulen der Philosophie und der Redekunst hatten ihren Sitz in Korinth. Das führte dazu, dass viele Korinther sich völlig in ihrer Redeweisheit überschätzten. Auch jüdisch beeinflusste Lehrer fanden in Korinth eine Heimat.
Es liegt auf der Hand, dass all das einen Einfluss auf die Gläubigen in Korinth hatte. Sie konnten ihre Herkunft nicht verleugnen. Davon zeugen beide Briefe eindeutig.
4.2. Paulus erster Besuch in Korinth
Lukas gibt uns in Apostelgeschichte 18 einen inspirierten Bericht über den Aufenthalt des Paulus in Korinth. Wie in anderen Fällen hilft der historische Bericht über den Dienst von Paulus in einer bestimmten Stadt, den Inhalt des entsprechenden Briefes besser zu verstehen.
Paulus befand sich auf seiner zweiten Missionsreise (ca. 51–54 n.Chr.). Diese Reise führte ihn zum ersten Mal nach Europa und nach Korinth (vgl. Apg 18). Von Norden kommend führte sein Weg über Athen dorthin (Apg 18,1). Er blieb 18 Monate in der Stadt, um das Evangelium zu predigen und die Gläubigen zu unterweisen. Sein Besuch war von großem Segen begleitet. Danach verließ Paulus Korinth und reiste weiter nach Syrien (vgl. Apg 18,18).
Der Bericht betont dabei mehr die äußeren Umstände und Schwierigkeiten und teilt uns nicht im Detail mit, was Paulus in Korinth gesagt und gelehrt hat. Wir lernen, dass Paulus allein nach Korinth kam und dort mit Aquila und Priszilla zusammenarbeitete. Sie waren von Rom aus dorthin gekommen, da alle Juden im Jahr 49 n.Chr. wegen eines Dekrets des Kaisers Rom verlassen mussten. Die beiden waren am Anfang Paulus‘ Gastgeber. Später trafen seine Mitarbeiter Silas und Timotheus ebenfalls in Korinth ein. Zunächst bezeugte Paulus in der Synagoge den Juden, dass Jesus der Christus ist. Weil es Widerstand gab, wandte er sich dann ebenfalls den Nationen zu. Das Haus von Justus wurde neuer Ausgangspunkt für seine Predigten. Insgesamt gab es reiche Frucht. Viele glaubten und wurden getauft. Unter den zum Glauben gekommenen Juden war auch der jüdische Synagogenvorsteher. Die Mehrheit derer, die sich bekehrten, waren jedoch Heiden, die meisten von ihnen zählten sich zu den ärmeren Bewohnern der Stadt (1. Kor 1,26). Allerdings gab es auch andere, wie z. B. Erastus, den Stadtkämmerer, und Gajus, einen reichen Mann, den Paulus getauft hatte (Röm 16,23; 1. Kor 1,14).
Paulus muss Respekt vor seiner Aufgabe in dieser Stadt gehabt haben. Das zeigen seine eigenen Worte in 1. Korinther 2,1-5. Paulus wusste, dass Korinth eine besondere Hochburg des Teufels war. Deshalb predigte Paulus nicht in Menschenweisheit, sondern er predigte Jesus Christus in der Kraft des Geistes.
Gerade in Korinth gab der Herr ihm eine besondere Ermutigung. In einem Traum hörte er die Worte: „Fürchte dich nicht, sondern rede, und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen, um dir etwas Böses zu tun; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt“ (Apg 18,9.10).15 Diese Zusage muss Paulus Mut gemacht haben – nicht nur für seinen Besuch damals in Korinth, sondern ebenfalls im Blick auf die beiden Briefe, die er ihnen schrieb.
Der Bericht endet mit Widerstand und einer Anklage der Juden, der jedoch nicht stattgegeben wurde. Der Hass der Juden blieb allerdings unverändert. Nachdem er seinen Dienst vollendet hatte, verließ Paulus Korinth.
4.3. Die Versammlung in Korinth
Die in Korinth entstandene Versammlung war in einem Sinn ein Spiegelbild der Bevölkerung und Einflüsse der Stadt, in der die Gläubigen lebten. Sie setzte sich aus vielen verschiedenen „Gruppen“ von Menschen zusammen: Gebildete und Ungebildete, Reiche und Arme, Herren und Sklaven, ehrbare und weniger ehrbare Menschen. Viele der Gläubigen kamen aus den unteren sozialen Schichten (1. Kor 1,26). Die Versammlung bestand aus gebürtigen ehemaligen Juden, Griechen und Römern, wobei der heidenchristliche Charakter überwog (1. Kor 6,11). Jeder brachte seine eigene Vergangenheit mit.
Vor allem der erste Brief zeigt deutlich, dass es aufgrund der Herkunft und Prägung der Gläubigen besondere Probleme gab, die zusätzlich durch Einflüsse von außen gefördert wurden. Die Ungereimtheiten in Verbindung mit dem Mahl des Herrn (1. Kor 11,22) sind ein Beispiel dafür und lassen auf ein starkes Wohlstandsgefälle unter den Gläubigen in Korinth schließen.
Eine Besonderheit war, dass die Gläubigen in Korinth zur Parteibildung neigten. So entwickelten sich in der Versammlung Korinth regelrechte „Sympathisanten-Gruppen“. Vier Gruppen werden in 1. Korinther 1 genannt. Paulus-Sympathisanten, Petrus-Sympathisanten, Apollos-Sympathisanten und sogar Christus-Sympathisanten. Die letzte Gruppe berief sich direkt auf Christus und lehnte die apostolische Autorität des Paulus ab. Diese Gruppen stritten gegeneinander, so dass der Friede und die praktische Einheit ernsthaft gefährdet waren.
Für uns gilt, dass sich die Weisheit Gottes gerade darin zeigt, dass Er Menschen mit völlig unterschiedlicher Herkunft und Prägung in einer örtlichen Versammlung zusammenstellt und sie durch seinen Geist so formt, dass sie – auch ganz praktisch – zu einer Einheit zusammenwachsen. Die Versammlung in Korinth war in ihrer Zusammensetzung einerseits eine gesellschaftliche Provokation und andererseits ein Machtbeweis Gottes.
5. Paulus und die Korinther
Die moderne Bibelwissenschaft zeichnet kein einheitliches Bild des Verhältnisses zwischen Paulus und den Korinthern. Dies betrifft vor allem zwei Fragen, auf die wir etwas näher eingehen wollen:
- Wie oft ist Paulus in Korinth gewesen?
- Wie viele Briefe hat er den Korinthern geschrieben?
Unabhängig davon, wie man diese beiden Fragen beantwortet, behalten die beiden in Gottes Wort enthaltenen Briefe an die Korinther ihre volle Bedeutung. Sie dürfen von diesen Fragen nicht tangiert werden.
5.1. Paulus in Korinth
Es ist unstrittig, dass Paulus seinen ersten Besuch in Korinth während seiner zweiten Missionsreise (ca. 51–54 n.Chr.) gemacht hat. Diese Reise führte ihn zum ersten Mal nach Europa, dabei nach Korinth (vgl. Apg 18). Er blieb dort 18 Monate, um das Evangelium zu predigen und die Gläubigen zu unterweisen. Danach verließ Paulus Korinth und reiste nach Syrien weiter (vgl. Apg 18,18). Paulus kannte die Versammlung in Korinth also relativ gut. Das wird deutlich, wenn man seine beiden Briefe liest.
Korinth wird in der Apostelgeschichte namentlich außer in Kapitel 18 nur noch in Kapitel 19,1 erwähnt. Dort ist es allerdings nicht Paulus, der in Korinth ist, sondern Apollos. Dennoch gehen wir nicht fehl in der Annahme, dass Paulus Korinth mindestens ein zweites Mal besucht hat. Gemäß Apostelgeschichte 20,2.3 hielt er sich während seiner dritten Missionsreise (ca. 54–58) drei Monate lang in Griechenland auf und wird sehr wahrscheinlich erneut in Korinth gewesen sein. In seinen Grußworten am Ende des Römerbriefes erwähnt er nämlich Gläubige aus dieser Stadt, und zwar Phöbe aus Kenchräa (der Hafenstadt von Korinth) und Gajus, in dessen Haus die Gläubigen zusammenkamen (vgl. 1. Kor 1,14).16 Ein weiterer – dritter – Besuch in Korinth ist nicht gänzlich auszuschließen, allerdings keineswegs sicher.
Als möglicher Hinweis auf einen solchen dritten Besuch wird von einigen Auslegern 2. Korinther 2,1 gewertet, wo Paulus schreibt: „Ich habe aber bei mir selbst dies beschlossen, nicht wieder in Traurigkeit zu euch zu kommen“. Dies heißt jedoch nicht zwingend, dass er bereits einen (zweiten) Besuch in Trauer bei den Korinthern gemacht hatte. In 2. Korinther 12,14 ist dann die Rede davon, dass er ein drittes Mal bereitstand, zu ihnen zu kommen. Wenig später schreibt er: „Dieses dritte Mal komme ich zu euch“ (2. Kor 13,1). Dies muss jedoch nicht notwendigerweise bedeuten, dass es einen dritten Besuch gegeben hat. In den beiden genannten Versen ist es vielmehr eine Absichtserklärung von Paulus. Bevor er seine beiden Briefe schrieb, war ein einmal in Korinth gewesen und hatte es ein zweites Mal geplant (1. Kor 4,19; 11,34; 16,5-9). Dieses Vorhaben hatte er jedoch nicht in die Tat umgesetzt, und zwar, um die Korinther „zu schonen“ (2. Kor 1,15.23; 2,1).17 Er wusste, dass seine Anwesenheit in Korinth zu einer harten Auseinandersetzung mit ihnen geführt hätte. Dennoch ließ er die Korinther nicht ohne Hilfe. Er hatte zuerst Timotheus zu ihnen gesandt (1. Kor 4,17) und dann Titus (sein Name wird neun Mal im 2. Korintherbrief genannt). Die Nachrichten von Timotheus werden die Sorge von Paulus um die Korinther noch vergrößert haben, während Titus mit besseren Nachrichten zu Paulus kam, so dass er danach den Korinthern zunächst seinen zweiten Brief schrieb und dann seine Absicht, die Korinther persönlich zu sehen, in die Tat umsetzte.18
5.2. Zwei inspirierte Briefe an die Korinther
Es ist ebenfalls unstrittig, dass es zwei inspirierte Briefe des Apostels Paulus an die Korinther gibt. Allerdings gehen einige Ausleger davon aus, dass Paulus mindestens einen – wenn nicht zwei oder sogar drei – weitere Briefe an diese Versammlung geschrieben hat, die uns jedoch nicht erhalten geblieben sind.
- In 1. Korinther 5,9 erwähnt Paulus selbst einen Brief und sagt: „Ich habe euch in dem Brief geschrieben, nicht mit Hurern Umgang zu haben“. Daraus schließt man, dass es bereits zuvor ein privates Mahnschreiben an die Korinther gegeben hat, das jedoch verloren gegangen sei. Diesen Brief haben die Korinther falsch verstanden, so dass Paulus noch einmal darauf zurückkommt. Nun ist dies nicht gänzlich auszuschließen.19 Dennoch gibt es eine naheliegendere Erklärung. Die Formulierung muss sich nämlich nicht zwingend auf einen früheren Brief beziehen, den Paulus geschrieben hat. Die Vergangenheitsform (ich habe geschrieben) kann durchaus ein sprachliches Stilmittel sein, um zu betonen, wie wichtig die jetzt gemachte Aussage ist.
- In 2. Korinther 2,4 schreibt Paulus: „Denn aus vieler Bedrängnis und Herzensangst schrieb ich euch mit vielen Tränen, nicht um euch traurig zu machen, sondern damit ihr die Liebe erkennt, die ich überreichlicher zu euch habe“. Daraus wird ein Brief abgleitet, der zwischen dem ersten und dem zweiten Brief geschrieben worden sein soll. Diesen Brief bezeichnet man gerne als den „Tränenbrief des Paulus“. Titus soll der Überbringer dieses Briefes gewesen sein, den Paulus von Ephesus aus geschrieben haben soll. Auch hier gilt einerseits, dass wir nicht völlig ausschließen können, dass Paulus einen solchen Brief geschrieben hat. Andererseits gibt es erneut eine sehr einfache und naheliegende Erklärung. Paulus bezieht sich in diesem Vers auf seinen ersten Brief, den er unter Tränen geschrieben haben wird. Gleiches gilt für die Erinnerung an den Brief in 2. Korinther 7,8.
- Es wird behauptet, dass der 2. Korintherbrief kein einheitlicher Brief sei, sondern aus ursprünglich zwei (oder sogar drei) selbstständigen Briefen zusammengesetzt worden sei.20 Die These wird u. a. damit begründet, dass es zwischen den Kapiteln 9 und 10 einen ungewöhnlich starken Bruch gibt und die letzten drei Kapitel des Briefes auf ein nach wie vor angespanntes Verhältnis zwischen Paulus und den Korinthern schließen lassen, während der erste Teil eher versöhnlich gehalten ist. Tatsache ist jedoch, dass Paulus das in den letzten Kapiteln behandelte Problem des Angriffs auf sein Apostelamt bereits im ersten Teil des Briefes angedeutet hat (2. Kor 2,17; 3,1; 4,2) und nun ausführlich behandelt. Außerdem finden sich auch in den ersten 9 Kapiteln deutliche Hinweise darauf, dass bei den Korinthern längst nicht alles in Ordnung war. Für die aufgestellte Behauptung gibt es deshalb keinerlei Beweise. Sie ist mit Nachdruck zurückzuweisen. Die vorgebrachten Hypothesen helfen nicht, den Brief besser auszulegen und zu verstehen, sondern stiften eher Verwirrung.
Wir halten fest, dass es zwei inspirierte Briefe des Paulus an die Korinther gibt. Sie sind uns erhalten geblieben und dienen zu unserer Belehrung.
6. Äußerer Anlass der beiden Briefe
Der erste Brief lässt in sich deutlich erkennen, warum er geschrieben wurde. Es gibt zwei Gründe:
- Die Hausgenossen der Chloe müssen Paulus – auf welchem Weg auch immer – über die Zustände in Korinth berichtet haben. „Denn es ist mir über euch berichtet worden, meine Brüder, durch die Hausgenossen der Chloe, dass Streitigkeiten unter euch sind“ (1. Kor 1,11). Es gab erhebliche Missstände in Korinth, die Paulus in seinem Brief aufgreift.
- Die Korinther hatten einige Fragen, die sie Paulus in einem Brief mitgeteilt hatten. 1. Korinther 7,1 bezieht sich eindeutig darauf: „Was aber das betrifft, wovon ihr [mir] geschrieben habt…“ Wahrscheinlich wurde dieser Brief von den Brüdern Stephanas, Fortunatus und Achaikus überbracht (1. Kor 16,17). Es ist denkbar, dass die Formulierung „was … betrifft“ (vgl. 1. Kor 7,25; 8,1.4; 12.1:16.1.12) sich ebenfalls auf diesen Brief bezieht. Es geht jeweils um sehr grundsätzliche Fragestellungen, wie Ehescheidung (Kapitel 7), das Essen von Götzenopfern (Kapitel 8), der Gebrauch der Gnadengaben (Kapitel 12) und die Kollekte (Kapitel 16).
Der Anlass für den zweiten Brief wird der Bericht des Titus gewesen sein, über den Paulus sich einerseits freute (2. Kor 7,6.7); andererseits hatte er immer noch Sorge um seine geliebten Korinther, die ihn veranlasste, ihnen noch einmal zu schreiben.
Beide Briefe waren also unter anderem eine Reaktion auf Berichte, die Paulus bekommen hatte.
7. Zweck und Gegenstand
7.1. Erster Brief
„Der erste Korintherbrief enthält die ausführlichsten Anweisungen für die innere Ordnung und den korporativen Wandel der Versammlung Gottes unter der Leitung und in der Kraft des Heiligen Geistes. Dementsprechend wird immer wieder an die Verantwortung der Gläubigen appelliert“.21
Paulus greift diverse Missstände unter den Korinthern auf. Dazu gehören:
- Gruppenbildung, Parteigeist und Spaltungen (Kapitel 1,10ff.; 3,4; 11,18.19)
- Eifersüchteleien und Streit (Kapitel 3,3)
- Freude an der Weisheit der Welt (Kapitel 1,18ff.)
- Fehlendes Empfinden für Unmoral in der Versammlung (Kapitel 5)
- Mangelnde Zucht in der Versammlung (Kapitel 5)
- Prozessfreudigkeit unter Geschwistern (Kapitel 6,4‒7)
- Unklarheiten bezüglich Fragen in Verbindung mit der Ehe (Kapitel 7)
- Unklarheiten bezüglich Götzenopfern (Kapitel 8 und 10)
- Angriffe auf die apostolische Autorität des Paulus (Kapitel 9)
- Missstände beim Tisch und Mahl des Herrn (Kapitel 10,14–22; 11,20‒34)
- Falsche Gedanken über das Wirken des Heiligen Geistes (Kapitel 12‒14)
- Unordnung im Ablauf der Zusammenkünfte (Kapitel 14,26‒40)
- Falsche Lehren über die Auferstehung (Kapitel 15)
Paulus greift diese Probleme auf und behandelt sie. Selbst wenn dieser Brief vor allem örtliche Schwierigkeiten in Korinth behandelt, wollen wir nicht vergessen, dass er wichtige Hinweise für uns heute beinhaltet. Die apostolische Lehre dieses Briefes ist überall gültig (vgl. Kap 1,2; 4,17; 11,16; 14,33).
Paulus ist bemüht, eine fleischlich gesinnte und weltliche Versammlung zu korrigieren und auf den richtigen Weg zurückzubringen. Es ist wahr, dass die Gläubigen in der Welt leben (Joh 17,11). Im 1. Korintherbrief lebt die Welt jedoch in den Gläubigen – und genau das soll nicht der Fall sein.
Man kann den Zweck des ersten Briefes in fünf Hauptpunkten zusammenfassen:
- Warnung vor Spaltungen und Trennungen
- Warnung vor Weltlichkeit und Unmoral
- Warnung vor Gleichgültigkeit und falscher Toleranz
- Warnung vor Missbrauch geistlicher Gnadengaben
- Warnung vor falscher Lehre
7.2. Zweiter Brief
„Der erste Brief hatte das Gewissen der Korinther aufgeweckt und die Furcht Gottes in ihren Herzen sowie die Reinheit in ihrem Wandel wiederhergestellt. Das besorgte Herz des Apostels wurde durch den Empfang dieser guten Nachrichten erfrischt. Der Zustand der Korinther hatte ihn niedergebeugt und in seinem Herzen die Gefühle ein wenig zurückgedrängt, die durch die Tröstungen, womit Jesus während der Trübsale in Ephesus sein Herz erfüllt hatte, hervorgerufen worden waren“.22
Dieser Brief ist (ähnlich wie und doch zugleich anders als der Philipperbrief) ein sehr persönlich gehaltenes Dokument. Es enthält wenig direkte Belehrung, dafür ist es voll von Aussagen, durch die Paulus in sein Herz blicken lässt. Man spürt, wie sehr er wünschte, dass die Korinther völlig wiederhergestellt würden, um zur Ehre des Herrn zu leben. Das Wort „Dienst“ kommt in diesem Brief zwölf Mal vor und das Wort „Trost“ (bzw. das korrespondierende Verb) sechzehn Mal (deutlich mehr als in allen anderen Briefen).
Vieles hatte sich bei den Korinthern verbessert. Vor allem hatten sie die notwendige Zucht ausgeübt (1. Kor 5). Deshalb kann Paulus sie nun ermutigen, Gnade zu üben, weil Buße bei dem Betreffenden sichtbar geworden war. Dennoch war lange nicht alles gut. Es gab weitere Missstände in Korinth, die er ansprechen musste. Es waren falsche Lehrer da, die Nutzen aus der Abwesenheit des Paulus ziehen wollten und ihn als Apostel diffamierten. Aus menschlicher Sicht betrachtet, hätten wir ohne diese Kritik an seiner Person wohl kaum so viel über seine inneren Empfindungen – seine Schmerzen und ihre Linderung, seine Leiden und seine Freuden, seine Angst und seinen Trost, seine Verzweiflung und seinen Triumpf, seine Empfindsamkeit und seine Strenge – erfahren.
Man kann den Zweck des zweiten Briefes in fünf Hauptpunkten zusammenfassen:
- Die Bestätigung, dass er die Korinther von Herzen liebte und ihr Gutes wollte.
- Der Beweis seiner Freude, dass sie in vielen Punkten auf ihn gehört hatten.
- Die Aufforderung, für die notleidenden Gläubigen in Jerusalem zügig zu sammeln.
- Die Bestätigung seiner Besuchspläne.
- Die Verteidigung seiner apostolischen Autorität.
Im 1. Korintherbrief sehen wir Paulus in erster Linie als Lehrer. Im zweiten Brief hingegen in erster Linie als Hirte. Wenn wir genau hinhören, dann hören wir das Herz eines Seelsorgers schlagen, der das Volk Gottes liebt.
Nachdem die Korinther beide Briefe gelesen hatten, konnte es keinen Zweifel geben, was sie zu erwarten hatten, wenn Paulus erneut zu ihnen kommen würde. So wie ein Vater sich nach einer Zeit der Abwesenheit von zu Hause danach sehnt, alles ordentlich vorzufinden, so sehnte sich Paulus nach den Korinthern. Um zu verhindern, dass er sie strafen musste, vermied er einen vorzeitigen Besuch und gab ihnen so Gelegenheit, das zu ordnen, was in Unordnung geraten war.
7.3. Verbindung zwischen beiden Briefen
Beide Briefe unterscheiden sich deutlich. Dennoch ist Paulus der Verfasser beider Briefe, und die Empfänger beider Briefe sind die Gläubigen in Korinth. Doch das sind nicht alle Gemeinsamkeiten. Es gibt eine Reihe von Verbindungslinien zwischen den beiden Briefen. Der erste Brief ist vor allem ein Brief der Korrektur und der Sorge. Der zweite Brief zeigt, dass die Korrektur Wirkung gezeigt hatte und aus Sorge Zuversicht wurde.
Man kann sagen, dass der zweite Brief in einem Sinn an das letzte Kapitel des ersten Briefes anschließt.
- Paulus hatte versprochen, nach Korinth zu kommen (1. Kor 16,3.7). Dieses Vorhaben musste aufgeschoben werden (2. Kor 1,23), wird jedoch erneut bestätigt (2. Kor 13,1).
- Die Sammlung für die Armen in Jerusalem (1. Kor 16,1) wird in 2. Korinther 8 und 9 ausführlich aufgegriffen und vertieft.
- Die angekündigte Reise nach Mazedonien (1. Kor 16,5) lag hinter Paulus (2. Kor 2,13). Von dort schrieb er den zweiten Brief.
- Das Thema „Empfehlungsbriefe“ (1. Kor 16,3) wird in 2. Korinther 3,1 aufgegriffen – wenngleich in einem anderen Zusammenhang.
- Die geöffnete Tür in Ephesus im ersten Brief (1. Kor 16,9) wird im zweiten Brief zu einer geöffneten Tür in Troas (2. Kor 2,12).
- Die Warnung „Wenn jemand den Herrn Jesus Christus nicht liebhat, der sei verflucht“(1. Kor 16,22), passt zu den Worten in 2. Korinther 13,2 ...„dass ich, wenn ich wieder komme, nicht schonen werde“.
Darüber hinaus gibt es andere wesentliche Querverbindungen zwischen den beiden Briefen. Dies gilt besonders für die Aufforderung zur Gemeindezucht in 1. Korinther 5, die im zweiten Brief (Kapitel 2 und 7) aufgegriffen wird. Dort zeigt Paulus, dass die Korinther der Aufforderung gefolgt waren und nun motiviert werden konnten, die Zuchtmaßnahme zu beenden. Ein weiteres Beispiel ist die Warnung vor Gemeinschaft mit den Götzen, die im ersten Brief wiederholt vorkommt und im zweiten Brief in allgemeinerer Form aufgegriffen wird (2. Kor 6,14 - 7,1). Gleiches gilt für die Verteidigung seines Apostelamtes.
Eine weitere Querverbindung wird darin deutlich, dass gewisse Missstände, die im ersten Brief genannt werden, im zweiten Brief nicht (oder kaum) mehr vorkommen. Dazu einige Beispiele:
- Im ersten Brief lesen wir sehr häufig von „Weisheit“ und „weise sein“. Im zweiten Brief kommen diese Worte fast gar nicht mehr vor.
- Der erste Brief spricht ausführlich von „Spaltungen“, „Parteiungen“. Im zweiten Brief wird dieses Thema nicht mehr aufgegriffen.
- Ein Problem im ersten Brief ist die aufgeblasene Haltung der Korinther, die im zweiten Brief scheinbar keine große Rolle mehr spielt.
- Das sittliche Fehlverhalten, das im ersten Brief ausführlich behandelt wird (man beachte, wie oft die Ausdrücke „Hurerei“ und „Hure/Hurer“ vorkommen) wird im zweiten Brief kaum noch erwähnt. Gleiches gilt für das Problem der Götzen (Götzendienst, Götzentempel, Götzenopfer) und den Missbrauch der Gnadengaben. Man gewinnt den Eindruck, dass die Korinther die Warnungen des ersten Briefes zu Herzen genommen hatten.
- Ein weiteres Thema, das im ersten Brief sehr präsent ist, ist die Stellung von „Mann“ und „Frau“ in der Gesellschaft und in der Ehe. Im ersten Brief kommen die Worte „Mann“ und „Frau“ sehr häufig vor, im zweiten Brief gar nicht mehr.
8. Besonderheiten
Man könnte an dieser Stelle eine ganze Reihe von Besonderheiten aufzählen. Wir beschränken uns jedoch auf einige wenige Beispiele:
- Erster Brief
- Kein anderer Brief prangert eine solche Vielzahl von Missständen an. Man gewinnt fast den Eindruck, dass bei den Korinthern so gut wie nichts in Ordnung war.
- Es ist der einzige Brief, in dem etwas über das Mahl und den Tisch des Herrn gesagt wird (1. Kor 10 und 11). Es ist zugleich der einzige Brief, der die schwerwiegendste Form der Gemeindezucht (den Ausschluss) zeigt (1. Kor 5).
- Die Gefahren des Götzendienstes und die damit verbundenen Gefahren falscher Verbindungen werden an keiner anderen Stelle so ausführlich behandelt.
- Kein anderer Brief schreibt so ausführlich über die geistlichen Gnadengaben und vor allem über das Motiv, sie auszuüben (1. Kor 12-14).
- Das Thema „Auferstehung“ wird an keiner anderen Stelle so systematisch dargelegt wie in 1. Korinther 15.
- Zweiter Brief
- In keinem anderen Brief kommt das Wort „Herrlichkeit“ so oft vor. Es scheint so, als ob Paulus hierauf einen besonderen Schwerpunkt legt (im ersten Brief liegt der Schwerpunkt stattdessen auf dem Kreuz und dem Tod Christi).
- Der Brief lebt von starken Gegensätzen. Einige Beispiele sind der „äußere Mensch“ und der „innere Mensch“ (Kap 4,16) die „leichte Drangsal“ und das „ewige Gewicht von Herrlichkeit“ (Kap 4,17); die „zerstörte Hütte“ und das „ewige Haus“ (Kap 5,1). In Kapitel 6,10 lesen wir „als Traurige, aber allezeit uns freuend“. In Kapitel 8,2 wird die „tiefe Armut“ dem „Reichtum ihrer Freigebigkeit“ gegenübergestellt. Besonders zu Herzen gehend ist der Hinweis auf die Gnade unseren Herrn Jesus Christus, der „da er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet“ (Kap 8,9).
- In keinem anderen Brief benutzt Paulus so häufig das Stilmittel der Ironie wie gerade in den letzten vier Kapiteln. Wir denken an Ausdrücke wie „den ausgezeichnetsten Aposteln“ (Kap 11,5; 12,11) oder „da ihr klug seid“ (Kap 11,19) oder „aber, weil ich schlau bin, habe ich euch mit List gefangen“ (Kap 12,16) oder „dass ihr etwa unbewährt seid“ (Kap 13,5). Diese Formulierungen zeigen die falsche Haltung seiner Gegner. Es ist so, als ob Paulus ihre eigenen Worte benutzt, um sie bloßzustellen. Er zeigt, dass genau das Gegenteil von dem, was die behaupteten, wahr war.
- In keinem anderen Brief finden wir so abrupte Übergänge und so schnelle Stimmungswechsel. Not, Trauer, Sorge, Empörung und Unmut stehen auf der einen Seite, während andererseits fast unmittelbar von Trost, Freude, Vertrauen und Liebe die Rede ist. A.C. Gaebelein zitiert einen alten englischen Ausleger, der geschrieben hat: „In keinem anderen Brief sind der Stil und die Themen so vielfältig und wechseln so schnell. Trost und Tadel, Sanftheit und Schärfe, Ernsthaftigkeit und Ironie folgen einander in sehr kurzen Abständen und ohne vorherige Ankündigung“.23
- Es gibt eine Reihe von Ausdrücken, die in diesem Brief besonders häufig vorkommen. Dazu zählen u. a. die Worte: „rühmen“ (Ruhm) ca. 30 Mal: „dienen“ (Dienst, Diener) ca. 20 Mal; „Drangsal“ (und bedrängt sein) ca. 10 Mal; Traurigkeit (Trauer, traurig machen) ca. 20 Mal; als Gegenstück das Wort „trösten“ (Trost, Ermunterung) ca. 30 Mal und „Freude“ ca. 10 Mal.
9. Überblick und Gliederung
9.1. Überblick erster Brief
Man kann den Brief unterschiedlich einteilen. Einige Ausleger schlagen eine Zweiteilung vor, die sich dann ergibt, wenn man die ersten sechs Kapitel mit den Kapiteln 7–16 vergleicht. Im ersten Teil behandelt Paulus wahrscheinlich Themen, die mit dem zu tun haben, was die Hausgenossen der Chloe ihm berichtet hatten. Man gewinnt den Eindruck, dass sich die Korinther über die hier angesprochenen Themen keinerlei Gewissen gemacht haben. Sie duldeten interne Spaltungen und Parteiungen, Unmoral und Unzucht, Rechtsstreit unter Brüdern und anderes. Wir erkennen das Anliegen des Paulus, die praktische Einheit in Überzeugung und Handeln wiederherzustellen.
In Kapitel 7,1 kommt dann zum ersten Mal der Ausdruck „was aber betrifft“ vor. In diesem Teil geht es um Fragen der Korinther, die Paulus beantwortet (Fragen nach Ehe und Ehescheidung, Zölibat, Götzen und Götzenopfer, geistliche Gaben, Sprachenreden, Sammlung für die Heiligen usw.). Diese Einteilung ist nicht von der Hand zu weisen, jedoch nicht die einzige Möglichkeit.
Beim Lesen des Briefes gewinnt man den Eindruck, dass die Versammlung im ersten Teil (Kapitel 1–9) unter dem Blickwinkel des Hauses Gottes gesehen wird. Hier geht es vor allem um die Ordnung in diesem Haus und die Verantwortung der Gläubigen, die damit verbunden ist, nämlich ihre Heiligkeit. Im zweiten Teil (Kap 10–14) wird die Versammlung unter dem Blickwinkel des Leibes Christi gesehen. Der Leitgedanke ist nicht Ordnung, sondern Einheit in Vielfalt und Vielfalt in Einheit. Damit ist erneut Verantwortung verbunden (z. B. beim Brotbrechen und wenn Gaben ausgeübt werden). Der dritte Teil (Kapitel 15 und 16) ist eine Art Anhang.
Einen guten Überblick gibt J.N. Darby. Er schreibt: „Die natürliche Ordnung und Einteilung der Gegenstände dieses ersten Briefes ergibt sich sehr leicht. Bevor der Apostel die Christen zu Korinth tadelt, erkennt er zunächst die ganze Gnade an, die Gott ihnen verliehen hatte und auch weiterhin verleihen würde (1. Kor 1,1-9). Von 1. Korinther 1,10 - 4,21 werden dann die Spaltungen, die verschiedenen Lehrschulen und die menschliche Weisheit besprochen, im Gegensatz zu der Offenbarung und der göttlichen Weisheit. 1. Korinther 5 handelt von der Verderbtheit der Sitten und von der Ausübung der Zucht, sei es durch apostolischeMachtvollkommenheit oder unter der Verantwortlichkeit der Versammlung. 1. Korinther 6 redet von zeitlichen Dingen und Rechtsstreitigkeiten, und dann nochmals von der Hurerei, einem Gegenstand von besonderer Wichtigkeit für die Christen zu Korinth. 1. Korinther 7 beschäftigt sich mit der Ehe: soll man heiraten oder nicht? – sodann mit den Verpflichtungen der bereits Verheirateten, und mit dem Fall eines bekehrten Mannes oder einer bekehrten Frau, wenn der andere Teil nicht bekehrt war. In 1. Korinther 8 beantwortet der Apostel die Frage, ob man etwas, das den Götzen dargebracht worden war, essen dürfe; in 1. Korinther 9 spricht er von seinem Apostelamt. 1. Korinther 10 handelt von dem Zustand der Korinther im Allgemeinen, von der Gefahr, in der sie standen, verführt zu werden, sei es durch Hurerei oder durch Götzendienst und Götzenfeste sowie von den sich auf diese Fragen beziehenden Grundsätzen, wodurch der Apostel auf das Mahl des Herrn zu sprechen kommt. In 1. Korinther 11 finden wir Fragen behandelt, die sich auf das Verhalten der Korinther in religiösen Dingen beziehen, zuerst im Blick auf den einzelnen und dann in der Versammlung. In 1. Korinther 12 spricht der Apostel über die Ausübung der Gaben, über ihren wahren Wert und den Zweck ihrer Anwendung, indem er in 1. Korinther 13 den höheren Wert der Liebe hervorhebt; bis zum Ende von 1. Korinther 14 regelt er die Ausübung der Gaben, mit denen die Liebe verglichen wird. In 1. Korinther 15 wird die Lehre von der Auferstehung, die einige leugneten, besonders von der Auferstehung der Heiligen, entwickelt; und in 1. Korinther 16 endlich spricht Paulus, unter Beifügung einiger Grüße, von Sammlungen für die Armen in Judäa sowie von den Grundsätzen der Unterordnung unter solche, die der Herr zum Dienst erweckt hat, selbst wenn keine Ältesten vorhanden sind. Es ist von großem Wert, diese Weisungen zu besitzen, die unmittelbar vom Herrn und unabhängig von einer förmlichen Organisation gegeben sind, so dass sich das einzelne Gewissen sowohl wie die Versammlung als Leib dadurch verpflichtet fühlen sollten“.24
9.2. Gliederung erster Brief
- Einleitung (Grüße und Dank): Kapitel 1,1–9
- Die Gefahr der Spaltungen in der Versammlung: Kapitel 1,10–4,21
- Erster Appell zur Einmütigkeit (Kap 1,10–17)
- Torheit und Weisheit (Kap 1,18–31)
- Gottes Weisheit in einem Geheimnis (Kap 2,1–16)
- Einmütigkeit im Dienst am Haus Gottes (Kap 3)
- Diener und Verwalter der Geheimnisse Gottes (Kap 4)
- Deinem Haus geziemt Heiligkeit: Kapitel 5–7
- Zucht im Haus Gottes – Kollektive Verantwortung (Kap 5)
- Rechtsstreitigkeiten unter Gläubigen (Kap 6,1–11)
- Der Körper des Christen – persönliche Verantwortung (Kap 6,12–20)
- Heiligkeit in der Ehe (Kap 7)
- Praktische Fragestellungen im Versammlungsleben: Kapitel 8–11
- Starke und Schwache – die Frage der Götzenopfer (Kap 8)
- Der Arbeiter und sein Dienst – das Beispiel von Paulus (Kap 9)
- Das christliche Bekenntnis – ein Vergleich mit Israel (Kap 10,1–13)
- Der Tisch des Herrn – Vorrecht und Verantwortung (Kap 10,14–22)
- Die christliche Freiheit – das Gewissen des Gläubigen (Kap 10,23–33)
- Das Verhalten der Frauen – die Schöpfungsordnung Gottes (Kap 11,1–16)
- Das Mahl des Herrn – Vorrecht und Verantwortung (Kap 11,17–34)
- Der Leib Christi und die geistlichen Gaben: Kapitel 12–14
- Der Geist der Kraft (Kap 12)
- Die Quelle geistlicher Äußerungen (Kap 12,1–3)
- Die Wirksamkeit Gottes in den Gaben (Kap 12,4–6)
- Verschiedene Gaben durch den Geist bewirkt (Kap 12,7–11)
- Die Einheit des Leibes (Kap 12,12.13)
- Der Leib und seine Glieder – Vielfalt und Einheit (Kap 12,14–31)
- Der Geist der Liebe (Kap 13)
- Die Notwendigkeit der Liebe (Kap 13,1–3)
- Der Charakter der Liebe (Kap 13,4–7)
- Die Dauerhaftigkeit und Beständigkeit der Liebe (Kap 13,8–13)
- Der Geist der Besonnenheit (Kapitel 14)
- Sprachenreden und Weissagung (Kap 14,1–25)
- Die Zusammenkünfte – anständig und in Ordnung (Kap 14,26–40)
- Die Auferstehung: Kapitel 15
- Die Tatsache der Auferstehung (Kap 15,1–34)
- Die Art und Weise der Auferstehung (Kap 15,34–58)
- Letzte Hinweise und Grüße: Kapitel 16
- Christliche Sammlungen (Kap 16,1–4)
- Persönliche Mitteilungen und Reisepläne (Kap 16,5–18)
- Grüße und Segenswunsch (Kap 16,19–24)
9.3. Überblick zweiter Brief
Der zweite Brief lässt sich relativ einfach in drei Hauptteile einteilen. In den ersten sieben Kapiteln spricht Paulus ausführlich über seinen eigenen Dienst und gibt dabei Einblick in sein persönliches Empfinden, wie er es sonst in keinem anderen seiner Briefe tut. Ein besonderer Punkt ist, dass die Korinther der Aufforderung aus dem ersten Brief, Gemeindezucht zu üben, gefolgt waren.
In den Kapitel 8 und 9 spricht er über den Dienst des christlichen Gebens und fordert die Korinther auf, für die Gläubigen in Judäa zu geben. Er kommt damit auf das zurück, was er ihnen am Ende des ersten Briefes geschrieben hatte. Wie im ersten Teil, versucht er immer wieder, die Herzen und Empfindungen der Korinther zu erreichen.
Ab Kapitel 10 bis zum Ende verteidigt er dann sein Apostelamt, das von einigen in Frage gestellt wurde (vgl. 1. Kor 9,1-23). Erneut erfahren wir Einzelheiten, über die wir sonst nirgendwo etwas lesen. Dieser Teil ist deutlich eindringlicher und deutlicher formuliert als die übrigen Abschnitte des Briefes. Dennoch war es der Korinther wegen nötig, dieses Thema zu behandeln.25
Eine weitere Einteilung innerhalb der drei Hauptblöcke ist sehr schwierig, da die Themen sehr häufig wechseln und zum Teil überlappen. Zudem gibt es eine Reihe von Einschüben und Exkursen, die eine Einteilung nicht ganz leicht machen.
9.4. Gliederung zweiter Brief
Grußwort und Einleitung: Kapitel 1,1–7
- Paulus im Dienst für seinen Herrn: Kapitel 1,8–7,16
- Paulus Sehnsucht nach den Korinthern (Kap 1,8–24)
- Trauer und Freude (Kap 2,1–11)
- Eine offene Tür (Kap 2,12–17)
- Diener des neuen Bundes (Kap 3)
- Gottes Kraft in Schwachheit (Kap 4)
- Motivation zum Dienst (Kap 5)
- Die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen (Kap 6,1–11)
- Einschub: Warnung vor einem ungleichen Joch (Kap 6,14–7,1)
- Freude und Trost in schwierigen Umständen (Kap 7,2–16)
- Der Dienst des Gebens: Kapitel 8.9
- Der Reichtum der Freigebigkeit (Kap 8,1–15)
- Der Dienst des Titus (Kap 8,16–24)
- Der Dienst für die Heiligen (Kap 9,1–9)
- Segensreich säen (Kap 9,10–15)
- Das Apostelamt des Paulus: Kapitel 10–13
- Vom Herr empfohlen und bewährt (Kap 10)
- Eifer für die Korinther (Kap 11,1–4)
- Erniedrigt und erhöht (Kap 11,5–33)
- Im Himmel und auf der Erde (Kap 12,1–10)
- Väterliche Sorge um die Korinther (Kap 12,11–21)
- Schwach und stark (Kap 13,1–10)
Schlussworte und Gruß: Kapitel 13,11–13
Anhang: Die Bedeutung der Korintherbriefe für uns heute
Kaum ein Brief des Neuen Testamentes wird häufiger attackiert und für uns heute als nicht mehr „bindend“ oder „maßgeblich“ hingestellt, wie gerade der erste Brief an die Korinther. Es wird argumentiert, dass der Brief spezielle Missstände in Korinth behandelt, die wir nicht auf uns übertragen können.
Auf den ersten Blick ist dieses Argument nicht von der Hand zu weisen. Die Missstände und Schwierigkeiten mögen zum Teil anderer Natur gewesen sein, als wir sie heute kennen (dies ist übrigens in anderen Briefen ebenfalls so). Dennoch erkennen wir auf den zweiten Blick, dass Paulus die damaligen Missstände in Korinth aufgreift und daraus allgemeine Grundsätze ableitet, die bis heute Gültigkeit haben:
- Beispiel 1: Das Fehlverhalten der Korinther in Verbindung mit dem Mahl und dem Tisch des Herrn ist nicht unser Problem heute. Dennoch sind die Belehrungen über beide Wahrheiten grundlegend und wichtig.
- Beispiel 2: Das Fehlverhalten der Korinther bei Ausüben der Gabe des Sprachenredens ist in vielen bibeltreuen Gemeinden heute (noch) kein Thema. Dennoch sind die grundsätzlichen Belehrungen über die Ausübung der Gaben in den Zusammenkünften bis heute bedeutsam.
- Beispiel 3: Das Fehlverhalten der Korinther in Verbindung mit den Götzentempeln und dem Essen von Götzenfleisch kennen wir heute in ehemals christlich geprägten Ländern nicht mehr. Niemand von uns geht zum Metzger und kauft Fleisch, das aus einem Götzentempel stammt. Dennoch sind die daraus abgeleiteten Belehrungen über die Freiheit des Christen grundlegend.
Der eigentliche Grund dafür, den ersten Korintherbrief als für uns heute nicht mehr bindend zu bezeichnen, ist vor allem das veränderte „Denken“ vieler Christen. Die Autorität der Bibel wird generell mehr und mehr in Frage gestellt. Wer der Bibelkritik sein Ohr leiht, wird die Belehrungen des 1. Korintherbriefes ganz sicher nicht mehr ernst nehmen. Wer dem christlichen Mainstream folgt, wird das biblische Rollenbild und die Stellung der Frau – so wie Paulus es beschreibt – ebenfalls nicht mehr ernst nehmen. Nur so ist es zu verstehen, dass beispielsweise die Anweisungen darüber, dass die Frauen in den Zusammenkünften schweigen sollen (1. Kor 14,34), von den meisten Christen als für uns nichtzutreffend ignoriert werden.
Unabhängig davon, dass jedes inspirierte Bibelbuch uns belehrt (2. Tim 3,16), fällt gerade bei den beiden Briefen an die Korinther der bewusst universelle Charakter auf. Der erste Brief ist ausdrücklich nicht nur an die Versammlung Gottes, die in Korinth ist, adressiert. Paulus sagt, dass er allen gilt, „die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“ (1. Kor 1,2). Darüber hinaus fallen uns die Formulierungen in 1. Korinther 4,17; 7,17; 11,16 und 14,33 auf, die ebenfalls deutlich zeigen, dass die Briefe allgemein gültig sind und nicht nur den Korinthern galten.
Beide Briefe sind deshalb aktuell und haben nichts an Bedeutung verloren. Sie als zeit- oder kulturgebunden zu bezeichnen, ist einfach falsch. A.C. Gaebelein schreibt zu Recht: „Für den wahren Gläubigen, dessen Ziel es ist, dem Herrn in allen Dingen gehorsam zu sein, hat dieser Brief eine Botschaft. Er zeigt ihm den Weg, den er gehen kann, obgleich er allseits von Versagen und Verwirrung umgeben ist“.26
Fußnoten
- 1 Die Reihenfolge der Briefe ist nicht von Gott vorgegeben (inspiriert). Man könnte deshalb den Galaterbrief mit dem Römerbrief verbinden, denn dieser Brief enthält die Verteidigung des christlichen Glaubens. Seine Botschaft ist eng mit der des Römerbriefes verbunden.
- 2 F.B. Hole: The First Letter to the Corinthians
- 3 W. Kelly: The First Letter to the Corinthians
- 4 Der Unterscheid zum Philipperbrief liegt auf der Hand. Er ist ebenfalls ein Wüstenbrief, spricht jedoch nicht von der Sünde und den Versuchungen, sondern von den Erfahrungen, die der Gläubige in der Wüste mit seinem Herrn macht.
- 5 Den Namen finden wir noch einmal in Apostelgeschichte 18,17 als Vorsteher der Synagoge in Korinth. Ob dieselbe Person gemeint ist, lässt sich vermuten, ist jedoch nicht sicher.
- 6 Das zeigt, dass Paulus – wie in fast allen anderen Fällen auch – den Brief nicht eigenhändig geschrieben, sondern diktiert hat. Hier fügt er ausdrücklich eine Beglaubigung hinzu, so dass es völlig zweifelsfrei ist, dass der Inhalt von ihm stammt.
- 7 Das steht nicht im Gegensatz dazu, dass die neue Geburt ein Werk Gottes ist (vgl. Joh 3). Gemeint ist, dass Paulus das Werkzeug in Gottes Hand war, den Korinthern das Evangelium zu verkündigen. Er war sozusagen der Geburtshelfer (vgl. Phlm 1,10)
- 8 Der erste Brief des Clemens an die Korinther, Kapitel 47,1–3
- 9 Einige Ausleger datieren den Brief bereits auf das Jahr 54 oder 55 n.Chr. Die leichten Unterschiede in der Zeitangabe ergeben sich aus kleineren Differenzen in der Paulus-Chronologie.
- 10 Einige Ausleger nehmen die Tatsache, dass Paulus in 1. Korinther 5,7 über das Passah schreibt, als Hinweis darauf, dass der Brief um Ostern herum geschrieben wurde. Dies scheint jedoch eine willkürliche Annahme zu sein. Der Bezug in 1. Korinther 5 hat nichts mit der Zeit zu tun, in der der Brief geschrieben wurde.
- 11 Die Annahme, dass Timotheus den Brief überbracht hat, ist unwahrscheinlich. Er wird erst in Korinth angekommen sein, nachdem sie den Brief gelesen hatten (1. Kor 4,17; 16,10).
- 12 In einigen Bibelausgaben wird Philippi (als Teil Mazedoniens) als Verfassungsort genannt. Beweise dafür gibt es nicht. Die wenigen Anhaltspunkte, die wir haben, deuten eher nicht darauf hin. Paulus spricht ausdrücklich von Mazedonien und macht deutlich, dass er dort nicht nur in einer Stadt gewesen ist. Philippi wäre normalerweise die erste Stadt auf der Reiseroute gewesen und es ist eher unwahrscheinlich, dass Paulus den Brief bereits dort schrieb. In 2. Korinther 8,1 erwähnt er ausdrücklich die „Versammlungen (MZ) Mazedoniens“. Es genügt uns zu wissen, dass Paulus von Mazedonien aus schrieb. Den genauen Ort müssen wir nicht kennen.
- 13 Es liegt auf der Hand, dass es ein Unterscheid ist, ob eine Versammlung sich in einem kleinen Dorf mit wenigen hundert Einwohnern befindet, oder in einer pulsierenden Großstadt. Die Probleme einer Versammlung sind immer auch davon abhängig, in welchem Umfeld sich die Gläubigen bewegen, welche Vergangenheit sie haben und wie sie zum Glauben gekommen sind. Das ist heute nicht anders als damals.
- 14 Zitiert nach D.K. Lowery: Der 1. Korintherbrief
- 15 Diese Ermutigung kann auch rückblickend verstanden werden. Paulus war vorher in Athen und hatte sich dort bemüht. Eine Versammlung war dort offensichtlich nicht entstanden (zumindest lesen wir nichts davon). Es ist denkbar, dass Paulus nun mit einer gewissen Enttäuschung nach Korinth kam und in dieser lasterhaften Stadt vielleicht noch weniger Frucht für den Herrn erwartete.
- 16 Deshalb kann man davon ausgehen, dass der Römerbrief von Korinth aus geschrieben worden ist (vgl. dazu die Einführung in den Römerbrief auf bibelkommentare.de)
- 17 Bekannte Ausleger (wie z. B. J.N. Darby und W. Kelly) vertreten ebenfalls diese Ansicht, dass es keinen dritten Besuch des Paulus in Korinth gegeben hat.
- 18 Dennoch vermuten einige Ausleger in Anlehnung an 2. Korinther 12,14 und 13,1, dass Paulus zwischen seinem ersten und zweiten Brief an die Korinther von Ephesus aus dort einen weiteren Besuch gemacht habe und danach nach Ephesus zurückgekehrt sei. Diese Annahme führt dann in manchen Fällen zu Spekulationen, was sich während des Besuches dort ereignet haben könnte. Das geht soweit, dass einige daraus sogar ableiten wollen, dass der in 2. Korinther 2,5.6 beschriebene Mann Paulus selbst gewesen sei.
- 19 Wenn es tatsächlich so ist, dann war dieser Brief jedenfalls nicht vom Heiligen Geist inspiriert.
- 20 Den ersten Teil sollen die Kapitel 1–7 bilden, den zweiten Teil die Kapitel 8 und 9 und den dritten Teil die letzten Kapitel (manche Ausleger sehen in dem dritten Teil sogar den sogenannten „Tränenbrief“ des Paulus).
- 21 A. Remmers: Der erste Brief an die Korinther, in: Die Bibel im Überblick
- 22 J.N. Darby: The second Letter to the Corinthians (in: Synopsis of the Books of the Bible)
- 23 A.C. Gaebelein: The first Letter to the Corinthians (in: The annotated Bible)
- 24 J.N. Darby: The First Epistle to the Corinthians (in Synopsis of the Books of the Bible)
- 25 Wir sollen keinesfalls denken, dass die ausführliche Verteidigung seines Apostelamts eine rein persönliche Angelegenheit des Paulus gewesen ist, mit der er sich selbst rehabilitieren wollte. Es war keine verletzte Eitelkeit. Sein Motiv war völlig anders: es ging ihm darum, zu zeigen, dass er vom Herrn Autorität bekommen hatte und dass seine Lehre eine göttliche Lehre war. Er sprach mit einer Autorität, die man nicht einfach ignorieren durfte. Was damals für die Korinther galt, gilt heute für uns. Wir können die Worte des Paulus nicht einfach beiseiteschieben. Es sind „Worte des Herrn“ und in seinem Auftrag geschrieben.
- 26 A.C. Gaebelein: The First Letter to the Corinthians (in: The annotated Bible)