Betrachtung über Jakobus (Synopsis)

Einleitung

Betrachtung über Jakobus (Synopsis)

Der Brief des Jakobus ist nicht an die Versammlung gerichtet. Er beansprucht auch nicht den Boden apostolischer Autorität über die Personen, an welche er gerichtet ist. Er ist eine praktische Ermahnung, welche die zwölf Stämme sowie die Verbindung der Judenchristen mit ihnen noch anerkennt, geradeso wie der Prophet Jona sich an die Heiden wandte, obwohl das jüdische Volk seinen besonderen Platz vor Gott hatte. Der Geist Gottes gibt hier dem Verhältnis Gottes zu Israel noch seine Anerkennung, wie Er in dem anderen Fall Beziehungen zu den Heiden zugibt. Auch bestätigt Er die Rechte Gottes, die unveränderlich sind, was auch immer die besonderen Vorrechte sein mögen, die der Versammlung oder dem Volk Israel eingeräumt sind. Wir wissen, dass die Judenchristen geschichtlich Juden blieben bis zum Ende der neutestamentlichen Geschichte, ja, dass sie selbst Eiferer für das Gesetz waren. Das kommt uns freilich seltsam vor, aber Gott trug es eine Zeitlang in Geduld.

Die christliche Lehre ist nicht der Gegenstand dieses Briefes. Vielmehr gibt er Gott seinen Platz in dem Gewissen und im Blick auf alles, was uns umgibt. So gürtet er die Lenden des Christen, indem er ihm auch die nahe Ankunft des Herrn sowie die Zucht, die Er gegenwärtig ausübt, vor Augen stellt – eine Zucht, über welche die Versammlung Gottes Verständnis besitzen und auf die sie eine entsprechende Tätigkeit gründen sollte. Außerdem wird die Welt und alles, was in ihr eine Rolle spielt, vom göttlichen Gesichtspunkt aus beurteilt.

Einige Bemerkungen über die Stellung der Christen (d. i. über die Weise, wie diese Stellung hier mit Bezug auf Israel betrachtet wird) werden uns zum besseren Verständnis dieses Teiles des Wortes behilflich sein.

Israel hat noch seinen Platz als das Volk Gottes. Für den Glauben des Jakobus steht es noch in demselben Verhältnis zu Gott, in das Er es einst eingesetzt hatte. Die Christen in seiner Mitte werden angeredet, als gehörten sie noch zu einem Volk, dessen Beziehungen zu Gott noch nicht auf gerichtlichem Weg abgebrochen waren, aber nur die Christen unter ihnen besaßen den Glauben an den wahren Messias, den der Geist gab. Sie allein unter dem Volk erkannten mit dem Schreiber Jesum als den Herrn der Herrlichkeit an. Mit Ausnahme des 14. und 15. Verses im 5. Kapitel enthält dieser Brief keine Ermahnung, die in ihrer geistlichen Höhe über das hinausginge, was einem gottesfürchtigen Juden hätte gesagt werden können. Allerdings setzt er voraus, dass die Personen, zu denen er redet, Glauben an den Herrn Jesus haben; aber er beruft sie nicht zu dem, was dem Christentum ausschließlich eigen und von dessen besonderen Vorrechten abhängig ist. Wohl strömen die Ermahnungen aus jener höheren Quelle und atmen mehr Himmelsluft; aber das Ergebnis, das sie erstreben, besteht in wirklichen Beweisen einer Religion auf Erden. Es sind Ermahnungen, wie man sie heute in der bekennenden Kirche hören könnte, einer mächtigen Körperschaft (wie einst Israel), in deren Mitte sich noch einige Christen befinden.

Der Brief gründet sich in seinen Belehrungen nicht auf die christlichen Beziehungen, in denen wir stehen. Er erkennt sie an, aber nur als eine Tatsache inmitten anderer, die Rechte haben über das Gewissen des Schreibers. Von denen, an die er sich wendet, setzt er voraus, dass sie in einer Beziehung zu Gott stehen, das bekanntermaßen über jeden Zweifel erhaben und von hohem Alter ist. In diese bestehende Beziehung ist das Christentum eingeführt worden.

Es ist wichtig, die sittliche Höhe oder das sittliche Maß des Lebens zu beachten, das dieser Brief entwickelt. Sobald wir die Stellung erfasst haben, in der er die Gläubigen sieht, ist es nicht mehr schwer, die Wahrheit hinsichtlich dieses Punktes zu erkennen. Jene sittliche Höhe des Lebens ist die gleiche, wie Christus sie darstellte, als Er inmitten des Volkes Israel wandelte und vor seinen Jüngern das göttliche Licht leuchten ließ sowie die Beziehungen zu Gott offenbarte, die sich für sie aus seiner Gegenwart ergaben. Freilich war Christus jetzt abwesend; aber jenes Licht und jene Beziehungen sind geblieben als der Maßstab der Verantwortlichkeit, und die Rückkehr des Herrn würde diesen Maßstab zur Geltung bringen im Gericht über alle die, die sich weigerten, ihn anzunehmen und in Übereinstimmung mit jenen Beziehungen zu wandeln. Bis zu jenem Tag sollten die Treuen geduldig ausharren inmitten der Bedrückung seitens der Juden, die noch den heiligen Namen lästerten, durch den sie berufen worden waren.

Wir finden somit hier gerade das Umgekehrte von dem Brief an die Hebräer hinsichtlich der Beziehungen der gläubigen Juden zu dem jüdischen Volk; nicht in sittlichem Sinn, sondern weil zur Zeit der Abfassung des Hebräerbriefes das Gericht schon so nahe herangerückt war.

Die Hauptgrundsätze der Stellung, von der wir reden, sind folgende:

- da ist zunächst das Gesetz in seiner Geistlichkeit und Vollkommenheit, so wie Christus es erklärt und zusammengefasst hat;

- ferner ist ein Leben mitgeteilt, das die sittlichen Grundsätze des Gesetzes hat und selbst göttliches Leben ist;

- da ist schließlich die Offenbarung des Namens des Vaters. Alles das war wahr, als der Herr auf Erden weilte, und es war der Boden, auf den Er seine Jünger (wie wenig sie es auch verstehen mochten) damals stellte. Er sagte ihnen, dass sie hiervon, wie von allem, was Er gesagt habe, nach seinem Tod Zeugnis ablegen sollten, indem Er dieses Zeugnis von dem des Heiligen Geistes unterschied.

Das ist es, was Jakobus lehrt, mit Hinzufügung dessen, was der Herr auch gesagt hatte, nämlich dass Er wiederkommen würde. Es ist die Lehre Christi hinsichtlich des Wandels inmitten des Volkes Israel, dem Licht und den Wahrheiten gemäß, die Er eingeführt hatte; zugleich auch (in Anbetracht des Umstandes, dass Er noch abwesend war) eine Aufforderung zum geduldigen Ausharren in jenem Wandel, im Warten auf den Augenblick, wo Er durch das Gericht über die sie Bedrückenden die Grundsätze, nach denen sie wandelten, rechtfertigen würde.

Obgleich das an Jerusalem ausgeübte Gericht die Stellung des Überrestes Israels in dieser Hinsicht veränderte, bleibt das Leben Christi doch stets unser Muster, und wir haben geduldig auf das Kommen des Herrn zu warten.

Da wir in diesem Brief nicht die Vereinigung des Christen mit dem droben erhöhten Christus finden, so begegnen wir auch nicht der Lehre von der Entrückung der Gläubigen, Ihm entgegen in die Luft, wie Paulus sie verkündigt hat. Aber das, was der Brief enthält, bleibt stets wahr, und wer da sagt, dass er in Ihm (in Christus) bleibe, sollte auch so wandeln, wie Er gewandelt hat (1. Joh 2,6).

Das nahende Gericht lässt uns die Weise verstehen, in der Jakobus von der Welt spricht sowie von den Reichen, die sich an ihrem Teil in der Welt erfreuen, und von der Stellung des gläubigen Überrestes, der in der Mitte des ungläubigen Volkes bedrückt wird und leidet. Es lässt uns ferner verstehen, warum er von vornherein von Prüfungen und Leiden redet und so häufig auf diesen Gegenstand zurückkommt, auch warum er so sehr auf praktische Beweise des Glaubens dringt. Er sieht noch ganz Israel zusammen; aber einige hatten den Glauben des Herrn der Herrlichkeit empfangen und waren nun versucht, die Reichen und Großen in Israel besonders zu achten. Da alle noch Juden waren, können wir leicht verstehen, dass – während einige in Wahrheit glaubten und ihren Glauben, dass Jesus der Christus sei, bekannten, dabei aber noch in der Beobachtung der jüdischen Verordnungen und Satzungen wandelten – bloße Bekenner es ebenso machen konnten, ohne dass ihre Werke die geringste Lebensveränderung bezeugt hätten. Es ist klar, dass ein derartiger Glaube nicht den geringsten Wert hat. Es ist genau der Glaube derer, die heutzutage nach Werken schreien – ein bloß totes Bekenntnis der Wahrheit des Christentums. Durch das Wort der Wahrheit wiedergezeugt zu sein, ist für diese Leute eine ebenso fremde und seltsame Sache, wie es einst für die Juden war, von denen Jakobus spricht.

Indem so Gläubige in die Mitte Israels gestellt waren, mit anderen, die bloß bekannten zu glauben, können wir wohl verstehen, wie der Apostel sich an die Masse des Volkes wendet als an solche, welche der in ihrer Mitte vorhandenen Vorrechte teilhaftig werden konnten; wie er ferner zu den Christen redet als Menschen, die einen besonderen Platz für sich einnahmen, und wie er die warnt, die sich Gläubige an Christus nannten. Die praktische Anwendbarkeit des Briefes auf alle Zeiten ist höchst einfach und klar, und im Besonderen dann, wenn eine Menge von Personen sich ein erbliches Recht auf die Vorrechte des Volkes Gottes anmaßt. Außerdem hat der Brief eine besondere Kraft für das Gewissen des einzelnen; er beurteilt die Stellung, in der man sich befindet, sowie die Gedanken und Absichten des Herzens.

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