Einführung in den Brief an Philemon
Der Brief an Philemon ist ein besonderer Brief. Das liegt nicht daran, dass er der kürzeste der Briefe von Paulus ist. Der Grund ist vielmehr sein Inhalt. Er behandelt eine sehr persönliche Angelegenheit. Es geht vordergründig um ein Problem zwischen Philemon, einem vermutlich wohlhabenden Bruder der Versammlung in Kolossä, und seinem entlaufenen Sklaven Onesimus, der zu ihm zurückkehrt und für den Paulus sich einsetzt. Paulus übernimmt die Rolle eines Vermittlers. Dabei handelt er nicht in apostolischer Autorität, sondern als Bruder unter Brüdern. Er tut das zurückhaltend und höflich und doch so, dass sich Philemon der Bitte des Paulus kaum widersetzen kann.
Wir mögen uns fragen, warum ein solcher Brief in den Kanon der Bibel aufgenommen wurde. Sklavenhandel gehört – Gott sei Dank – in vielen Ländern der Erde – der Vergangenheit an. Die in dem Brief beschriebene Situation kann nicht 1:1 in unsere westlichen Zeitverhältnisse übertragen werden. Niemand wird heute das erleben, was damals passiert ist. Dennoch hat der Brief eine Botschaft für jedes Kind Gottes, das ihn liest. Es geht um Beziehungen unter Brüdern und wie Schwierigkeiten im Geist der Liebe gelöst werden können. Er ist gleichzeitig eine Mahnung an jeden ungläubigen Menschen, sich zu bekehren und zu Gott zurückzukehren. Er zeigt uns, wie ein unnützer Sünder zu einem nützlichen Diener Gottes werden kann.
1. Ein persönlicher Brief
Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Apostel persönliche Briefe geschrieben haben. Neben den Briefen an örtliche Versammlungen gibt es andere Briefe, die an Einzelpersonen gerichtet sind. Paulus schreibt an Timotheus und Titus. Johannes schreibt an eine Schwester und an seinen Freund Gajus. Dennoch ist der Charakter des Briefes an Philemon anders. Alle übrigen persönlichen Briefe behandeln Themen, die eine grundsätzliche Bedeutung für die Familie und die Versammlung Gottes haben. Johannes schreibt in seinem zweiten und dritten Brief darüber, welche Personen, die mit einer christlich klingenden Botschaft zu uns kommen, nicht aufgenommen und welche Personen sehr wohl aufgenommen werden sollen. Paulus behandelt in seinen Briefen an Timotheus und Titus die Frage, wie wir uns in der Versammlung Gottes (im Bild eines Hauses gesehen) verhalten sollen. Das Verhalten der Gläubigen soll den Hausherrn ehren und ein Zeugnis für den Heiland-Gott sein, der die Menschen einlädt, zu Ihm zu kommen.
Das ist im Brief an Philemon auf den ersten Blick ganz anders. Es gibt keinen anderen Brief, der so privat gehalten ist wie dieser Brief. Es geht um Ermahnungen, die konkret nur eine einzige Person betreffen, nämlich Philemon. Dennoch ist der Brief ein Teil des Wortes Gottes und damit nach 2. Timotheus 3,16 „nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit“. Man hat den Brief als einen „Nischenbrief“ bezeichnet. In einem gewissen Sinn ist er das tatsächlich. Gleichzeitig ergänzt er andere Briefe, besonders die an die Kolosser und Epheser, die Paulus zum gleichen Zeitpunkt geschrieben hat.
Man staunt, einen fast banal erscheinenden Brief mit einem solch speziellen Thema neben anderen gewaltigen Themen der Bibel wie die Schöpfung, die Erlösung, die Versammlung, die Zukunft usw. zu finden. Paulus hat Briefe mit tiefem Inhalt geschrieben und das Geheimnis von „Christus und seiner Versammlung“ offenbart. Trotzdem nimmt er sich die Zeit, ein ganz persönliches und privates Thema zu behandeln und sich für einen entlaufenen Sklaven einzusetzen. Wir staunen über das Geheimnis der Inspiration, denn es war der Geist Gottes, der Paulus veranlasste, diesen Brief genau so zu schreiben, wie er ihn geschrieben hat. Ein Ausleger schreibt: „Die Tatsache, dass es uns geschenkt ist, die tiefen Gedanken Gottes zu kennen, verhindert keinesfalls, dass wir uns mit der Liebe unter Brüdern beschäftigen und aufmerksam auf die Einzelheiten des Familien- und Versammlungsleben achten. Die erhabensten Abschnitte des Wortes Gottes offenbaren uns Gott, der Liebe ist und der diese Liebe anderen gegenüber erwiesen hat. Paulus ist dafür ein schönes Beispiel. Er schenkte den zeitlichen Problemen und zugleich den geistlichen Fragen seine volle Aufmerksamkeit.“1
2. Der Verfasser
Es gibt keinen Zweifel daran, dass Paulus den Brief geschrieben hat. Die internen Belege sind eindeutig und können nicht bezweifelt werden. Er nennt sich selbst dreimal mit Namen (Verse 1.9.1) und bezeichnet sind einmal sogar als „der Alte“. Darüber hinaus hat er diesen Brief offensichtlich sogar mit eigener Hand geschrieben (Vers 19), was er im Allgemeinen nicht tat. Stil und Sprache des Briefes sind typisch für Paulus.
Zweimal nennt Paulus sich einen „Gefangenen Christi Jesu“ (Verse 1.9). Das tut er in ähnlicher Form noch in den Briefen an die Epheser, Kolosser und Philipper, die alle aus dem Gefängnis in Rom geschrieben worden sind.2 Diese vier Briefe stehen insofern in einem gewissen Zusammenhang. Wir werden in der Betrachtung der Details Elemente aus den übrigen drei „Gefangenschaftsbriefen“ finden.
Paulus schreibt keinen Lehrbrief an Philemon und fordert keinen Gehorsam. Deshalb nennt er sich in der Anrede nicht Apostel. Was er Philemon zu sagen hatte, fußte nicht auf seiner apostolischen Autorität. Die hatte er selbstverständlich, nur gebraucht er sie hier nicht. Er nennt sich auch nicht „Knecht“ (oder Sklave) Christi Jesu, sondern einfach nur „Paulus“. Sein Name bedeutet „der Kleine“. So schreibt er an seinen Freund Philemon und legt ihm seine Bitte vor. H. Rossier merkt an: „Wenn Paulus, statt sich in seiner Schwachheit zu zeigen, dem Philemon eine Pflicht aufgelegt hätte, so wäre die ganze Unterweisung dieses Briefes verloren gegangen. Stattdessen nimmt er in Liebe den letzten Platz ein.“3 Wir können sagen, dass Paulus in diesem Brief zuerst die Rolle eines guten Freundes übernimmt (besonders Verse 1–7). Dann schreibt er als jemand, der eine Mittlerrolle einnimmt und Fürbitte tut (besonders Verse 8–16). Schließlich tritt er als Genosse auf, der eine Last mit seinem Partner teilen möchte (besonders Verse 17–25).
3. Verfassungszeit und Verfassungsort
Der doppelte Hinweis auf die Gefangenschaft von Paulus macht klar, dass der Brief aus der ersten Gefangenschaft in Rom stammt. Eine Reihe von Auslegern gibt als Verfassungszeit den Sommer des Jahres 62 n. Chr. an.
Die Verbindung zum Kolosserbrief ist besonders auffällig. In beiden Briefen werden Epaphras, Markus, Aristarchus, Demas und Lukas erwähnt. Den Kolossern schreibt Paulus ausdrücklich, dass Tychikus von Onesimus begleitet wurde (Kol 4,9). Der Brief an Philemon wurde also vom gleichen Schreiber und zum gleichen Zeitpunkt geschrieben, an den gleichen Ort gesandt und vom gleichen Boten mitgenommen. Die Grußworte im Brief an die Epheser weisen ebenfalls gewisse Parallelen zu unserem Brief auf.
4. Authentizität und Platz im biblischen Kanon
Der Brief an Philemon ist eines der wenigen Bücher des Neuen Testaments, dessen Authentizität – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – kaum angezweifelt worden ist. Der Brief weist viele Merkmale auf, die ihn eindeutig als Brief von Paulus erkennen lassen. Es ist ein Brief, der direkt aus seinem Herzen kommt. Tertullian, ein früher christlicher Schriftsteller, der u.a. in Rom lebte (ca. 160–220) bestätigt diesen Brief ausdrücklich als von Paulus geschrieben. Die sogenannten „Kirchenväter“ Ignatius, Origenes und Eusebius erwähnen ihn ebenfalls in ihren Schriften. Wir finden ihn im muratorischen Kanon und im marcionitischen Kanon (beide im zweiten Jahrhundert). A. C. Gaebelein schreibt zu Recht: „Es lohnt sich nicht, über die Einwände gegen diesen Brief etwas zu sagen und sie näher zu überprüfen, denn sie sind reine Erfindungen und erfordern keine Antwort.“4
Der Brief steht in den meisten Bibelausgaben unmittelbar hinter den Briefen an Timotheus und Titus, d. h. als vierter in der Reihe der persönlichen Briefe von Paulus. Dennoch gehört er inhaltlich eigentlich eher zum Kolosserbrief. Er ist zwar ausdrücklich kein Anhang zu diesem Brief, sondern ein eigenständiger Brief mit eigenständigem Inhalt. Dennoch gibt es – abgesehen von der Tatsache, dass er zeitgleich geschrieben und vom gleichen Boten überbracht wurde, mehr Verbindungslinien zum Kolosserbrief als zu den Briefen an Timotheus und Titus.
5. Der (die) Briefempfänger
Der eigentliche Empfänger des Briefes war Philemon. Sein Name bedeutet „jemand, der liebt“, oder „jemand, der geliebt ist“. Beim Lesen des Briefes gewinnt man den Eindruck, dass er diesen Namen zu Recht trug, denn er war nicht nur ein geliebter Bruder, sondern jemand, der diese Liebe beantwortete und seinerseits die Geschwister liebte. Paulus stellt ihm ein bemerkenswertes Zeugnis aus.
Philemon wird weder in der Apostelgeschichte noch in den übrigen Briefen des Neuen Testamentes erwähnt. Was wir wissen, entnehmen wir dem Brief, der an ihn gerichtet war. Er war ein Gläubiger, der in Kolossä lebte. Obwohl Paulus persönlich nie in Kolossä5 gewesen war, gewinnt man den Eindruck, dass die beiden sich kannten und freundschaftlich miteinander verbunden waren. Aus Vers 19b des Briefes kann man schließen, dass Philemon durch Paulus zum Glauben gekommen war.
Philemon scheint ein vergleichsweiser wohlhabender Mann gewesen zu sein, der eigene Sklaven hatte. Sein Haus muss zumindest groß genug gewesen sein, um die örtliche Versammlung zu beherbergen, denn er stellte seine Räumlichkeiten für die Zusammenkünfte zur Verfügung.6 Des Weiteren war Philemon ein Mitarbeiter, d. h. er war bereit, sich mit anderen für den christlichen Glauben zu engagieren. In welcher Form er mitarbeitete, wird nicht gesagt, die Tatsache jedoch erwähnt.
Obwohl der Hauptteil des Briefes und seine eigentliche Botschaft eindeutig an Philemon gerichtet sind, werden in der Anrede noch Apphia, Archippus und die Versammlung in Philemons Haus erwähnt. Weil Apphia ein Frauenname ist, wird sie allgemein als Philemons Frau angesehen. Wer genau Archippus war, kann nicht bestimmt gesagt werden. Einige Ausleger denken, dass es der Sohn von Philemon und Apphia war. Andere vermuten, er sei ein weiterer Sklave gewesen. Beides sind unbewiesene Vermutungen. Archippus wird in Kolosser 4,17 erwähnt. Wir wissen sicher, dass er ein Bruder und Diener war, der vermutlich zur örtlichen Versammlung Gottes in Kolossä gehörte. Er war in irgendeiner Art und Weise mit dem Haus von Philemon besonders verbunden und deshalb von der Rückkehr dieses Sklaven besonders betroffen.
Es war Paulus offensichtlich wichtig, dass Apphia, Archippus und die Versammlung mitbekamen, welche Gedanken er mit Philemon teilen wollte. Immerhin war Onesimus durch seine Bekehrung Teil der Versammlung von Kolossä geworden. Er gehörte jetzt dazu und war ein „treuer und geliebter Bruder, der von euch ist“ (Kol 4,9). Der behandelte Fall war zwar eine persönliche und private Angelegenheit, gleichwohl war er in einem gewissen Sinn öffentlich, denn Onesimus war erstens ein Teil des Haushaltes von Philemon und zweitens gehörte er der Versammlung in Kolossä an. Vielleicht dachte Paulus sogar daran, dass die genannten Personen Philemon eine Hilfe sein konnten, dem Wunsch von Paulus nachzukommen und Onesimus aufzunehmen.
Gerade die Tatsache, dass Paulus die Versammlung mit anschreibt, zeigt, wie sich die Aussagen dieses sehr praktischen Briefes auf die Lehre der Briefe an die Epheser und Kolosser stützen. Hier wird biblische Lehre anschaulich dargestellt und angewandt, damit wir sie besser verstehen. Der Brief an Philemon ist weder ein „Lehrbrief“, noch ist er ein „Hirtenbrief“ an einen Mitarbeiter. Es wird vielmehr – wie wir gesehen haben – gezeigt, wie die Lehre über die Versammlung Gottes, in der wir als Glieder miteinander verbunden sind, im täglichen Leben konkret sichtbar wird.
Der Brief an Philemon ist nicht nur ein persönlicher Brief, sondern er ist oft – und mit Recht – ein privater Brief von Paulus genannt worden. Dennoch beweist er zugleich, dass private Angelegenheiten nicht immer und komplett von der Gemeinschaft mit den Geschwistern getrennt werden können, weil wir ein Leib sind (Eph 4,25). H. C. Voorhoeve schreibt dazu: „Es war keine Sache der Versammlung, sondern eine persönliche Angelegenheit Philemons, und darum wird er auch zuerst genannt und ist der Brief an ihn gerichtet; aber doch werden sowohl Archippus als auch die ganze Versammlung, die in seinem Haus war, mit einbezogen, weil die christliche Liebe uns lehrt, sich für alles zu interessieren, was ein Glied der Gemeinde betrifft, und Freude und Leid mit ihm zu teilen.“7
6. Der Anlass des Briefes
Obwohl der Hintergrund des Briefes nicht ausführlich beschrieben wird, kann man aus den wenigen Andeutungen relativ klar erkennen, was passiert sein muss. Philemon hatte einen Sklaven mit Namen Onesimus. Wie er zu ihm gekommen war, wird nicht gesagt. Es mag sein, dass er als Sklave gekauft worden war oder dass er bereits als Sklave geboren war. Beides ist möglich. Irgendwann machte er sich dann aus dem Staub und floh. Es liegt nahe, dass er nicht mit leeren Händen gegangen ist, sondern seinen Herrn vorher noch bestohlen hat (vgl. Vers 18). Details werden nicht mitgeteilt, so dass darüber nicht spekuliert werden sollte.8
Was Onesimus zu seiner Flucht veranlasste, wissen wir ebenfalls nicht. Zwei Gründe sind denkbar:
a) Er war mit seiner Situation als Sklave unzufrieden und wollte persönliche Freiheit haben. Dabei können wir davon ausgehen, dass Philemon kein harter und unbarmherziger Herr war. Nach allem, was Paulus über ihn schreibt, wird Philemon seine Stellung als Herr seines Sklaven wohl kaum missbraucht haben.
b) Er hatte im Haus von Philemon das Evangelium gehört und war es leid geworden, immer wieder neu davon zu hören. Immerhin fanden im Haus von Philemon die Zusammenkünfte der örtlichen Versammlung statt, und das wird sicherlich nicht unbemerkt geblieben sein. Man kann sicher voraussetzen, dass Philemon sein Haus mit dem Evangelium bekannt gemacht hat.
Onesimus floh jedenfalls nach Rom. Wie er dorthin gelangte, wird uns nicht gesagt. Menschlich gesprochen war das jedenfalls eine gute Lösung, denn ein Sklave, der seinen Herrn verließ, war dem Tod geweiht, wenn man ihn aufgriff. Es war damals dennoch nicht unüblich, dass Sklaven die Flucht ergriffen. Es gab deshalb sogar eine Art eigene „Sklavenfangkommandos“, die darauf spezialisiert waren, entlaufene Sklaven aufzugreifen und zu ihrem Herrn zurückzubringen, oder sie – wenn das nicht möglich war – auf dem Sklavenmarkt neu zu verkaufen. Deshalb hatte Onesimus sich auf die weite Reise nach Rom gemacht, um dort in der größten Stadt des Römischen Reiches unterzutauchen. Die Menschenmenge war für ihn der vermeintlich beste Schutz. Außerdem bot die Stadt vieles, was einem jungen Mann in Freiheit attraktiv erscheinen konnte.
Onesimus musste – wie viele andere – lernen, dass man Gott nicht weglaufen kann. Weglaufen löst selten ein Problem. Ohne Gott gab es für ihn keinen wirklichen Neuanfang. Das gilt für einen unbekehrten Menschen genauso wie für einen Gläubigen. Niemand kann vor Gott weglaufen. Er findet uns überall. Die Geschichte vom „verlorenen Sohn“ in Lukas 15 lehrt das eindrucksvoll im Blick auf Ungläubige, Psalm 139 im Blick auf Gläubige.
Gott verfolgte den Weg von Onesimus sehr genau. Wir können sicher sein, dass Onesimus in Rom keine Menschen gesucht hatte, die Christen waren und dazu noch seinen Dienstherrn Philemon kannten. Was er sicher nicht suchte, ließ Gott ihn finden.9 Im Gefängnis in Rom traf er an einem von Gott bestimmten Tag den inhaftierten Paulus. Gott ist souverän, und niemand kann sich seiner Vorsehung widersetzen. Wie genau die beiden sich kennenlernten und warum Onesimus im Gefängnis war, wissen wir nicht. Es ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass es wohl keinen Menschen gab, mit dem Paulus in Kontakt kam und der von ihm nicht das Evangelium hörte.
Was in Kolossä nicht geschehen war, passierte jetzt in Rom. Onesimus erlebte eine echte Bekehrung und Paulus war das „Werkzeug“, dass Gott dazu benutzte (Vers 10). Er nahm den Herrn Jesus im Glauben an und war nun als „Bruder“ ein Teil der Familie Gottes und gleichzeitig ein Glied am Leib Christi. Paulus nennt ihn einen „treuen und geliebten Bruder“ (Kol 4,9). Im Gefängnis traf er im Übrigen nicht nur Paulus, sondern lernte Timotheus, Tychikus und Epaphras kennen. Es war erneut ein Beweis der Souveränität Gottes, dass Epaphras aus der gleichen Stadt wie Philemon kam. Menschen mögen das als Zufall bezeichnen. Wir erkennen es als einen Teil des großen Planes Gottes an.
Onesimus wurde sehr bald ein nützlicher Diener für Paulus. Sein Name bedeutet „nützlich“. Vorher war er gerade das Gegenteil gewesen. Er war für Philemon unnütz (vgl. das Wortspiel „nützlich“ / „unnütz“ in Vers 11). Worin sein Dienst in Rom bestand, können wir nicht bestimmt sagen. Er wird Paulus geholfen haben, so dass er ihn jedenfalls gerne bei sich in Rom behalten hätte. Allerdings gab es etwas, das vorher unbedingt geregelt werden musste. Onesimus muss Paulus erzählt haben, was in Kolossä passiert und unter welchen Umständen er nach Rom gekommen war. Er hatte seine Vorgeschichte nicht verschwiegen. Wir zweifeln nicht daran, dass Paulus ihn darauf aufmerksam machte, dass er die Sache zwischen ihm und seinem irdischen Herrn regeln musste. Es genügte nicht, seine Sache mit Gott in Ordnung gebracht zu haben. Die irdische Beziehung zu Philemon konnte so nicht bleiben, wie sie war.
Onesimus muss das eingesehen haben, und so kam der Tag, wo er – gemeinsam mit Tychikus – Rom verließ, um nach Kolossä zurückzukehren. Es war kein einfacher Weg, denn das römische Recht stand auf der Seite Philemons. Er hätte nach Belieben mit ihm verfahren können. Nicht wenige entflohene und aufgegriffene Sklaven fanden ihren Tod an einem Kreuz oder auf andere Weise. Doch Paulus hatte Vorsorge getroffen. Im Reisegepäck der beiden befanden sich nicht nur die Briefe an die Epheser und Kolosser, sondern ein weiterer Brief, der an Philemon gerichtet war. In diesem Brief verwendete sich Paulus für sein „Kind“ Onesimus, der im Gefängnis zum Glaubensbruder für Paulus und damit auch für Philemon geworden war. Diesen Brief sollte Philemon lesen und danach entscheiden, wie er mit Onesimus verfahren würde.
7. Der Inhalt
Der Brief beweist eindrucksvoll, was die Gnade und Liebe Gottes im Herzen von Menschen bewegen kann. Wir lernen, wie Menschen sich ändern und Beziehungen auf einem neuen Fundament gelebt werden können. Die göttliche Liebe und die Gnade können alle Entfremdungen heilen, die unter Brüdern aufkommen und existieren mögen. Philemon und Onesimus sind die beiden Hauptpersonen, und zwischen ihnen hatte es tatsächlich eine Entfremdung gegeben. Paulus versuchte, im Geist der Gnade und Liebe zu vermitteln. Der Brief spricht von Anfang bis zum Ende über die Liebe und zeigt, wie sie sich unter Brüdern äußern kann.
Gnade und Liebe Gottes hatten Onesimus gerettet. Gnade und Liebe veranlassten Paulus, sich für ihn einzusetzen und zu vermitteln. Gnade und Liebe sollten Philemon motivieren, Onesimus wieder aufzunehmen. Der Brief zeigt deutlich, dass Gottes Gnade und Liebe Menschen verändern.
- W. Kelly schreibt: „Der Heilige Geist benutzt eine häusliche Angelegenheit, bei der die Anwendung der Gnade Gottes aufs Schönste sichtbar wird.“10
- J. N. Darby kommentiert: „Der Brief ist der Ausdruck der Liebe, die durch den Geist innerhalb der Versammlung in allen Umständen des persönlichen Lebens wirkt ... Er ist ein schönes Gemälde von der Art, wie die Zartheit und Kraft der in dem Herzen wirkenden Liebe Gottes sich mit jeder Einzelheit beschäftigt, durch welche diese Liebe verletzt werden oder die eine Gelegenheit sein könnte, die Liebe zu vermehren und in Tätigkeit zu setzen.“11
- H. Rossier merkt an: „Der Brief redet von ... einem gelegentlichen Vorkommen, aber mitten in diesen Umständen offenbart sich das Leben Gottes als ein Leben tätiger Liebe, die umso auffallender ans Licht tritt, weil die Ereignisse scheinbar nur für den Augenblick von Bedeutung sind ... Das haben wir nötig, das Geheimnis kennenzulernen, wie man das Leben Christi lebt unter solchen Umständen, in denen das Herz oft erkaltet und die Zuneigungen leicht verwundet und zurückgedrängt werden.“12
- Martin Luther bezeichnet den Brief als ein „liebliches Exempel christlicher Liebe“. „Diese Epistel zeiget ein meisterlich lieblich Exempel christlicher Liebe. Denn da sehen wir, wie S. Paul sich des armen Onesimus annimmt und ihn gegen seinen Herrn vertritt mit allem, das er vermag. Und stellet sich nicht anders, denn als sei er selbst Onesimus, der sich versündiget habe.“ 13
Ein Schlüsselwort des Briefes ist in der Tat „Liebe“. Fünfmal spricht Paulus von Liebe oder von solchen, die geliebt werden (Verse 1.5.7.9.16). Der Brief illustriert, was Paulus in 1. Korinther 13 über die Liebe schreibt. „Die Liebe sucht nicht das Ihre“ (1. Kor 13,5).
Der Brief an Philemon ist kein Lehrbrief im eigentlichen Sinn. Er erklärt nicht die christliche Lehre, sondern zeigt, wie sich biblische Lehre (besonders die in den Briefen an die Epheser und Kolosser) im Alltag zeigt und wie sie praktisch umgesetzt werden kann. Paulus fordert Philemon nicht direkt auf, seinen Sklaven freizulassen. Er zeigt vielmehr, wie im Geist von Gnade und Liebe Schwierigkeiten unter Brüdern gelöst werden können. Gerade darin liegt eine wesentliche praktische Unterweisung für uns. Niemand von uns hat etwas mit entlaufenen Sklaven zu tun, die zurückkommen. Doch Probleme im Volk Gottes – unter Brüdern und Schwestern – kennen wir alle. Die Gnade überwindet – was unsere Beziehungen innerhalb des Leibes Christi (der Versammlung). Innerhalb des neuen Menschen sind solche sozialen Unterschiede ohnehin unmöglich (Kol 3,11). Deshalb sind wir in der Lage, einander zu vergeben, wenn einer Klage gegen den anderen hat (Kol 3,13).
Es liegt in der Natur der Menschen, dass uns kaum etwas so sehr erregt wie die Tatsache, dass andere unsere Interessen verletzen und uns Unrecht tun. Wenn das Gleiche anderen geschieht, sind wir relativ ruhig. Wenn es uns selbst betrifft, zeigen wir häufig einen anderen Geist. Es mag sein, dass wir uns jahrelang an persönliches Unrecht erinnern, das man uns angetan hat. Es setzt sich eine Wurzel der Bitterkeit fest (Heb 12,15), und wir sind nicht in der Lage, den Unmut aus unserem Herzen zu entfernen (Pred 11,10). Dieser Brief wird uns helfen, mit solchen Dingen besser umzugehen.
8. Die Verbindung zu anderen Briefen von Paulus
Der Zusammenhang zwischen dem Brief an Philemon und dem an die Kolosser ist offensichtlich. Gleiches gilt für den Brief an die Epheser. Alle drei Briefe wurden im Gefängnis in Rom geschrieben und durch Tychikus überbracht. Hinzu kommt der Brief an die Philipper, der ebenso im Gefängnis geschrieben wurde, allerdings einen anderen Überbringer hatte. In allen vier Briefen bezieht Paulus sich darauf, dass er nicht frei, sondern inhaftiert war.
a) Kolosserbrief: Dieser Brief zeigt den Gläubigen als jemand, der mit Christus gestorben und auferweckt ist. Er hat neues Leben – Auferstehungsleben –, das jetzt wirksam wird und die Wesensmerkmale des neuen Menschen sichtbar werden lässt. Wie sich das äußert, zeigen die Kapitel 3 und 4 ausführlich. Der Brief an Philemon demonstriert das an einem praktischen Beispiel. Die Unterschiede, die es unter Menschen gibt, existieren in dem neuen Menschen nicht. Da ist nicht „Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Skythe, Sklave, Freier, sondern Christus alles und in allen“ (Kol 3,11). Philemon sollte vergebungs- und aufnahmebereit sein. Er sollte beweisen, dass er den alten Menschen abgelegt und den neuen angezogen hatte.
b) Epheserbrief: Dieser Brief zeigt die Wahrheit von Christus und seiner Versammlung. Jeder wiedergeborene Mensch, der den Heiligen Geist besitzt, ist ein Glied am Leib Christi und ist untrennbar mit allen anderen Gliedern verbunden. Der Brief an Philemon zeigt, welche praktischen Konsequenzen das hat. Selbst unsere „privaten“ und „persönlichen“ Befindlichkeiten beeinflussen andere und können nicht vollständig von ihnen getrennt werden. Paulus, Philemon und Onesimus – so unterschiedlich sie waren – gehörten alle zu dieser Versammlung Gottes. Sie waren Glieder des einen Leibes. Wenn Philemon seinen Sklaven Onesimus tatsächlich aufnehmen würde (und wir zweifeln nicht, dass er es getan hat), dann handelte er in Übereinstimmung mit dem, was Paulus den Ephesern der Lehre nach erklärt.
c) Philipperbrief: Der Philipperbrief zeigt uns, wie die Gläubigen Christus in alle Lebensumstände hineinbringen. Paulus verwirklichte in seiner Haltung, dass er die Gesinnung seines Herrn hatte (Phil 2,5.8). Er dachte nicht an sich, sondern trat Onesimus an Philemon ab. Hätte er Onesimus für sich behalten, wäre er nicht rücksichtsvoll im Blick auf die Empfindungen von Philemon gewesen. Philemon sollte seinerseits jetzt die Gesinnung seines Herrn offenbaren und nicht mehr an den Schaden denken, den Onesimus ihm zugefügt hatte. Dafür wollte Paulus bezahlen.
9. Gliederung
Der Brief lässt sich relativ leicht in drei große Teile einteilen:
- Teil 1: Einleitung – Grüße und Anerkennung (Verse 1–7)
- Teil 2: Das eigentliche Anliegen – Paulus bittet für Onesimus (Verse 8–22)
- Teil 3: Schlussworte und Grüße (Verse 23–25)
Man kann die drei Hauptabschnitte noch detaillierter untergliedern. Für einen ersten Einstieg ist diese relativ grobe Einteilung jedoch völlig ausreichend.
Anhang: Sklaverei im Neuen Testament
Das Neue Testament spricht an verschiedenen Stellen über Knechte und Herren. Gerade in seinem Brief an die Kolosser schreibt Paulus darüber relativ ausführlich. In Kolossä lebte Philemon, und dorthin kehrte Onesimus zurück. Die Erklärungen in seinem Brief an die Kolosser und an Philemon gewähren nicht nur einen gewissen Einblick in die Sklaverei während der Zeit der ersten Christen, sondern sie zeigen uns, welche Haltung der Christ dieser Einrichtung gegenüber damals haben sollte.
Dabei müssen wir bedenken, dass Sklaven damals nicht zwingend und ausschließlich niedrige Tätigkeiten verrichteten. Häufig waren es „Hausknechte“, die durchaus qualifizierte Arbeiten verrichteten. Dennoch waren es „Leibeigene“, die völlig der Willkür ihrer Herren ausgeliefert waren und keinerlei eigene Rechte besaßen.
Es wird nützlich sein, Folgendes zu bedenken:
- Die Arbeit selbst stammt aus dem Paradies (1. Mo 2,15.19). Adam sollte den Garten bebauen und bewahren (manuelle Arbeit) und den Tieren Namen geben (intellektuelle Arbeit). Nach dem Sündenfall war die Arbeit dann mit Schweiß und Mühe verbunden (1. Mo 3,19). Das war vorher nicht der Fall. Erst deutlich später – nach der großen Flut – lesen wir von „Knechten“. Noah sagte von seinem Nachkommen: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Sems; und Kanaan sei sein Knecht!“ (1. Mo 9,26). Wir können sicher sein, dass diese Beziehung von „Sklaven“ und „Herren“ nie Gottes ursprüngliche Absicht war. Der Mensch ist im Bild und im Gleichnis Gottes geschaffen (1. Mo 1,26), und es ist nicht sein Wille, dass ein Mensch der Eigentümer eines anderen Menschen ist. Dennoch erkennt Gott dieses Verhältnis – als eine Folge des Sündenfalls – an.
- Selbst in der christlichen Zeit des Neuen Testamentes gibt es keine Aufforderung, die Sklaverei abzuschaffen. Das Thema wird in den Briefen häufig behandelt (1. Tim 6,1; Tit 2,9.10; 1. Pet 2,18 ff.; Eph 6,5 ff.; Kol 3,22–4,1). Allerdings werden die Sklaven an keiner Stelle aufgefordert, gegen ihr Los zu rebellieren oder es mit Gewalt abzuwerfen. Wenn sie frei werden konnten, dann sollten sie die Chance nutzen, wenn nicht, sollten sie es so belassen, wie es war (1. Kor 7,21–24).
- Das Christentum ändert die Beziehungen auf dieser Erde nicht grundsätzlich und schafft sie nicht ab. Die Folgen des Sündenfalls bleiben weitgehend unverändert. Gott verändert vielmehr die Menschen, die in diesen Beziehungen leben. Es ist nicht unsere Aufgabe, gesellschaftliche Strukturen zu verändern oder zu verbessern. Die Ursache der existierenden Missstände liegt in der sündigen Natur des Menschen. Das Evangelium geht der Sache deshalb auf den Grund und verändert Menschen.
Ein bekehrter Sklave sollte also nicht gegen die Sklaverei protestieren und sich dagegen auflehnen, sondern vielmehr in seinem Leben als Sklave zeigen, was es bedeutete, jetzt als Christ in dieser Beziehung zu leben. Durch sein Verhalten konnte er die Lehre über den Heiland-Gott zieren (Tit 2,10). Ein Sklave sollte – wie wir alle – als Licht in einer verdrehten und verkehren Welt scheinen (Phil 2,15). Umgekehrt galt für gläubige Herren, dass sie sich ihrer Würde als Christ bewusst sein und entsprechend mit ihren Knechten umgehen sollten.
Es liegt auf der Hand, dass wir die Belehrungen an Sklaven und an Herren nicht unmittelbar in unsere Zeit übertragen können. Heute werden Arbeitsverhältnisse erstens freiwillig geschlossen. Zweitens können sie beendet werden. Drittens gibt es rechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz beider Seiten. Das war damals komplett anders. Sklaven wurden wie „Ware“ behandelt und waren der Willkür ihrer Herren ausgesetzt.
Dennoch können wir die biblischen Belehrungen zu diesem Thema auf die Arbeitswelt anwenden. Die Hinweise für „Knechte“ gelten heute denen, die in einer untergeordneten Stellung arbeiten und einen Vorgesetzten über sich haben. Die Hinweise für „Herren“ gelten denen, die Mitarbeiter unter sich haben, die weisungsgebunden sind. Das können Arbeitgeber und Mitarbeiter in leitender Funktion sein.
Darüber hinaus gibt es noch eine weitere Lektion für uns. Gerade der Brief an Philemon macht klar, dass soziale Unterscheide bis heute durch die Bekehrung nicht aufhören zu existieren. Es ist unbedingt wahr, dass es in unserer Stellung vor Gott keinen Unterschied gibt – nicht einmal den Unterschied zwischen einem Mann und einer Frau. Wenn es allerdings um unsere Beziehungen auf dieser Erde geht, bleiben sie unverändert existent.
Bis heute verändert die Bekehrung nicht die irdischen Beziehungen von Menschen, sondern sie verändert die Menschen, die in diesen Beziehungen leben. Soziale – und andere – Unterschiede können selbst unter Gläubigen zu erheblichen Spannungen führen. Dennoch schafft Gott sie nicht ab. Wir sollen uns vielmehr als Christen darin bewähren und sie mit dem Herrn durchleben. Die vorhandenen Unterschiede sind da. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Dazu gibt der Brief an Philemon wichtige Hinweise.
Fußnoten
- 1 P. E. Fuzier: Epitre à Philémon, in: Sondez les Ecritures
- 2 Es handelt sich um die erste Gefangenschaft von Paulus, die von etwa 61 bis 63 n. Chr. dauerte und aus der er nach einigen Jahren freikam. Später wurde er noch einmal inhaftiert und dann zum Tod verurteilt. Aus dieser letzten Gefangenschaft schrieb er den zweiten Brief an Timotheus. Die Kirchengeschichte berichtet über seinen Tod. Die Informationen sind jedoch nicht gesichert.
- 3 H. Rossier: Epitre à Philémon
- 4 A. C. Gaebelein: The Epistel to Philemon
- 5 Kolossä war eine kleine und nicht sehr bedeutsame Stadt in der Landschaft Phrygien im Süden Kleinasiens im oberen Lykostal (heutige West-Türkei). Paulus war wohl in der Gegend gewesen (z. B. in Ephesus), in der Kolossä lag, allerdings nicht in Kolossä selbst (vgl. Kol 2,1). Es ist anzunehmen, dass die Versammlung in dieser Stadt durch den Dienst anderer Brüder – vielleicht durch Epaphras – entstanden war (vgl. dazu ausführlicher die Einführung in den Brief an die Kolosser, die in dieser Serie erschienen ist).
- 6 Wir müssen bedenken, dass es in den ersten Jahren des Christentums üblich war, dass die Gläubigen in privaten Häusern zusammenkamen. Öffentliche Räume – wie wir sie heute in der Regel kennen – standen damals für die Zusammenkünfte kaum zur Verfügung. Es scheint, dass die frühen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten an dieser Gepflogenheit festgehalten haben. Erst ab dem 3. Jahrhundert kamen sie dann in speziell dafür gebauten Räumlichkeiten zusammen.
- 7 H. C. Voorhoeve: Der Brief an Philemon
- 8 Die meisten bibeltreuen Ausleger gehen davon aus, dass Onesimus seinen Herrn tatsächlich bestohlen hatte. Es gibt jedoch eine weitere mögliche Erklärung, die allerdings wenig wahrscheinlich erscheint: Wenn unter den Griechen ein Sklave floh, konnte er bei einem Altar Asyl beanspruchen. Ein solcher Altar konnte auch ein Hausaltar sein. In diesem Fall war der Hausherr verpflichtet, den Sklaven entweder zur Rückkehr zu veranlassen oder eine Art Lösegeld für ihn zu zahlen. Wenn dies der Hintergrund des Briefes an Philemon ist, dann würde das Angebot von Paulus, für Onesimus zu bezahlen, auf dieses Lösegeld anspielen. Wie gesagt scheint diese Erklärung jedoch eher unwahrscheinlich.
- 9 In 2. Timotheus 1,17 lesen wir von Onesiphorus, der Paulus im Gefängnis (es geht um die zweite Gefangenschaft) fleißig suchte. Es war damals nicht ganz einfach, einen Gefangenen in den zahlreichen Gefängnissen von Rom zu finden. Für Gott ist das hingegen kein Problem.
- 10 W. Kelly: The Epistle to Philemon (in: Introductory Lectures on the Epistles of Paul)
- 11 J. N. Darby: Der Brief an Philemon, in: Synopsis
- 12 H. Rossier: Epitre à Philémon
- 13 M. Luther: Die Epistel S. Pauli an Philemon. Von Luther stammt ebenfalls die häufig zitierte Aussage: „Wir sind alles (Gottes) Onesimi, wenn wir’s glauben.“ Damit will er sagen, dass wir von Natur aus schuldige Sünder sind, die vor Gott weggelaufen waren.