Der Brief an die Epheser

Einleitung

Der Brief an die Epheser

In der durch Handel, Kunst und Wissenschaft geprägten und durch den Götzendienst der Diana weltberühmten Hauptstadt von Kleinasien war durch die Bemühungen des Apostels Paulus eine Gemeinde entstanden. Der beinahe dreijährige Aufenthalt des Apostels dort hatte das innige, vertrauliche Verhältnis zwischen ihm und der Gemeinde entstehen lassen, das durch seinen rührenden Abschied von ihren Ältesten (siehe Apg 20) sehr schön belegt ist.

So verwundern wir uns nicht darüber, dass der Apostel im Gefängnis, wahrscheinlich in Rom, an die  Epheser dachte und ihnen einen Brief schrieb. Darin wird seine innige Liebe zu ihnen deutlich, und zugleich gibt dieser Brief den Beweis dafür, in welch gutem Zustand sie sich befanden. Es war nicht nötig, ihnen, wie den Römern, die ersten Anfänge der Lehre der Erlösung kundzutun; sie konnten die vollkommene Offenbarung von Gottes Ratschlüssen erhalten und verstehen. Der Ratschluss Gottes über Seinen Sohn, Seine Gedanken über alle Dinge, sowohl himmlische als irdische, konnten ihnen mitgeteilt werden. Und was ihren sittlichen Zustand betraf, mussten sie nicht, wie die Korinther, ermahnt oder wegen Zank und Spaltungen getadelt werden; im Gegenteil, ihr Zustand war so vorbildlich, dass der Apostel ihnen nicht schreiben kann, ohne Gott zu loben und zu danken.

Der Inhalt dieses Briefes entspricht ganz dem Zustand derjenigen, an die er gerichtet ist. Der Apostel hatte durch den Heiligen Geist die Offenbarung des Ratschlusses Gottes über die Herrlichkeit des Christus und der Versammlung 1 in Verbindung mit Ihm empfangen. Er teilt hier diese Offenbarung den Ephesern und mit ihnen den Gläubigen aus den Nationen mit. Es ist dies die Offenbarung des Geheimnisses, das von allen Zeitaltern her in Gott verborgen war, das nun aber durch den Heiligen Geist Seinen Aposteln und Propheten kundgemacht wird. In keinem der andern Briefe des Apostels Paulus wird auf so vollständige Weise über dieses nun offenbarte Geheimnis gesprochen, und dies macht den Brief an die Epheser zu einem der belangreichsten Briefe für die Versammlung Gottes. Es ist natürlich, dass bei solch einem erhabenen Gegenstand der Ausgangspunkt ein ganz anderer sein muss als in andern Briefen. Anstatt, wie im Römerbrief, mit der Beschreibung des verdorbenen und unverbesserlichen Zustandes, worin der Mensch sich befindet, zu beginnen, redet der Apostel hier zuerst von Gott, von den Himmeln. Nicht der Zustand des Menschen und die Art, wie er zu Gott gebracht wird, ist der Ausgangspunkt, sondern Gott selbst, der Seine Segnungen über Sein Volk ausgießt. Gott offenbart hier die Wege Seiner Gnade und die Gedanken Seines Herzens, die da waren, ehe die Welt gegründet und bevor die Rede von Juden und Heiden sein konnte. Er wird uns hier offenbart, wie Er sich einen Plan von Herrlichkeit und Segnung zum Preise Seines heiligen Namens zurechtlegt, wie Er sich freut des überschwänglichen Reichtums Seiner Gnade in Güte kundzutun, mit dem Ziel, uns der höchsten Segnungen teilhaftig werden zu lassen.

Im ersten Teil des ersten Kapitels wird uns die Beziehung offenbart, in der die Heiligen zu Gott dem Vater und zu Christus, verherrlicht in den höchsten Himmeln, stehen. Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus ist unser Gott und Vater; als Seine Kinder werden wir mit all Seinen Plänen bekannt gemacht. In denselben ist Christus das Haupt über alle Dinge, und hier erhalten wir Kenntnis von unserer Erbschaft und von unserer Stellung als Erben, indem wir durch den Heiligen Geist versiegelt wurden, der das Unterpfand unseres Erbes ist auf den Tag der Erlösung dieser Erbschaft hin (Verse 1–14). Dann betet der Apostel zu dem Gott unseres Herrn Jesus Christus, dass die Heiligen Verständnis empfangen möchten über die göttliche Berufung, über die Erbschaft und über die Kraft, die in ihnen wirkt. Diese ist offenbart worden in Christus, als Ihn Gott aus den Toten auferweckte und zu Seiner Rechten setzte, um Ihn als Haupt über alle Dinge der Gemeinde zu geben, die Sein Leib ist, die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt (Verse 15–23). Hierauf zeigt der Apostel, wie die Heiligen durch die Gnade Gottes lebendig gemacht, auferweckt und in Christo in die himmlischen Örter versetzt worden sind, um dadurch den überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade in Güte in Christus gegen uns zu erweisen (Kap. 2, 1– 8). Der Heide, der fern, und der Jude, der nahe war, werden beide aus ihrer besonderen Stellung genommen, um gemeinsam einen neuen Menschen in Christus zu bilden und so durch den Geist die Wohnstätte Gottes auf Erden zu werden (Verse 11 bis 22). Deshalb finden wir die Gemeinde im Himmel mit Christus vereinigt als Sein Leib und auf Erden als die Behausung Gottes im Geist. Das 3. Kapitel offenbart uns das Geheimnis, das von allen Zeitaltern her in Gott verborgen gewesen war und das in der Einheit der Heiligen, sowohl aus den Juden wie aus den Heiden, mit dem verherrlichten Christus besteht. Und diese Offenbarung lässt den Apostel seine Knie beugen vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, damit ihre volle Segnung genossen werde durch die Innewohnung des Christus in unsern Herzen durch den Glauben; so dass wir, gewurzelt und gegründet in der Liebe, die unendliche Ausdehnung von Gottes Herrlichkeit begreifen und die Liebe des Christus erkennen möchten, um so erfüllt zu werden zu der ganzen Fülle Gottes.

In Verbindung mit dem letzten Teil von Kapitel 2 ermahnt der Apostel in Kapitel 4 zu einem Wandel, würdig der Berufung, durch welche wir berufen sind. Wir möchten in aller Demut und Sanftmut die Einheit des Geistes durch das Band des Friedens bewahren, welche Einheit von einem dreifachen Gesichtspunkt aus betrachtet wird. Dann redet er von den Gaben, die zur Gründung und Auferbauung der Gemeinde notwendig sind. Diese Gaben, die das verherrlichte Haupt der Versammlung schenkt, müssen dazu dienen, alle Heiligen zu einem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus zu bringen (Verse 1–16).

Nach dieser Darstellung des Standpunktes und der Berufung der Gemeinde kommt der praktische Teil des Briefes (Kapitel 4, 17 bis Kapitel 6). Als solche, die den neuen Menschen angezogen haben, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit, werden wir zu einem heiligen Wandel ermahnt. Wir sollen als Nachahmer Gottes in der Liebe wandeln, gleichwie Christus dies tat. Dies schließt alles in sich und gibt uns den rechten Maßstab, um alle Dinge zu beurteilen und in allen Verhältnissen unseres Lebens hienieden nach Gottes Willen zu handeln. – Indem er über die Beziehung zwischen Mann und Frau spricht, bekundet der Apostel nochmals die herrliche Stellung der Versammlung und zeigt uns die Liebe des Christus zu ihr, der sich für sie hingegeben hat, sie reinigt und der sie heilig und untadelig, ohne Flecken oder Runzeln, vor sich stellen wird. Zum Schluss ermahnt er uns, die ganze Waffenrüstung Gottes anzuziehen und in der Kraft Gottes zu streiten, in vollkommener Abhängigkeit von Ihm.

Das ist in wenigen Worten der reiche und herrliche Inhalt dieses Briefes. Der Herr gebe in Seiner Gnade, dass wir ihn verstehen und verwirklichen möchten. Ach, die Gemeinde des Christus hat schon seit Jahrhunderten ihre herrliche Stellung verleugnet und in ihrer Verantwortlichkeit gefehlt; sie hat sich mit der Welt vereinigt und sich in viele Parteien zerspaltet. Sie sollte sein gleich einer Stadt auf einem Berg und einer Lampe auf dem Leuchter; – und was ist aus ihr geworden? Eine Ruine; ihr schöner Bau ist in einen Trümmerhaufen verwandelt; die Lampe ist unter einen Scheffel gestellt. Doch wie traurig dies auch sein mag, Gottes Wahrheit bleibt dieselbe; und jeder, der sie versteht und verwirklicht, wird den Segen davon erfahren und die Liebe des Herrn preisen lernen, die sich auf solch herrliche Weise offenbart hat. Lasst uns darum mit heiliger Aufmerksamkeit die Betrachtung dieses Briefes beginnen, damit auch wir den unausforschlichen Reichtum des Christus verstehen lernen und Aufschluss darüber erhalten, welches die Haushaltung des Geheimnisses sei, das von allen Zeitaltern her in Gott verborgen war, der alle Dinge geschaffen hat.

Fußnoten

  • 1 Das gewöhnlich mit „Gemeinde“ übersetzte griechische Wort „Ekklesia“ bedeutet eigentlich nichts anderes als „Versammlung“ (Vgl. Apg 19,41).
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