Die Heilige Schrift und wie sie redet
I. Gott redet
Es ist eine sehr bedeutsame Tatsache, daß Gott sich zu dem Menschen herabgelassen hat, um ihm Seine Gedanken mitzuteilen. Er tat dies, indem Er dem Menschen Sein Wort, die Heilige Schrift, gab. Der Erhabene und Allmächtige redet zu Seinem kleinen Geschöpf, sich der beschränkten Fassungskraft und Denkweise des Menschen in Gnaden anpassend. Wir dürfen sagen: Er tut dies gern. Er will von den Menschen gekannt sein und verstanden werden. Grundsätzlich ist dies so; aber durch die Sünde ist die Fähigkeit zum Erkennen und Lernen bei dem Menschen stark eingeschränkt. Darum sagt der Herr Jesus: „Ich kenne die Meinen und bin gekannt von den Meinen“ (Joh 10, 14).
Es ist ein Wesenszug Gottes, sich zu offenbaren. „Gott mit der reinen Sache, die Er hat und vertritt, offenbart sich; der Böse mit der entgegengesetzten verbirgt sich“ (Prof. Dr. Erich Schäder). Denen, die Ihm gehorsam sind und Ihm dienen, offenbart sich Gott. In einer rührenden Weise sagt Gott zu Abraham: „Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?“ (1. Mose 18, 17). Er bringt es gleichsam nicht über Sich, Seinem „Freunde“, wie er später genannt wird, zu verschweigen, daß Er Sodom und Gomorra verderben wolle. Gott hat Geheimnisse, Seine Pläne und Ratschlüsse, und Er ist nicht verpflichtet, sie preiszugeben. Denen, die Ihn lieben und nach Seinem Willen fragen, tut Er Seine Gedanken kund. So begründet Gott Seine Bereitschaft, Abraham zum Mitwisser Seines Geheimnisses zu machen, mit den Worten: „Ich habe ihn erkannt, auf daß er seinen Kindern und seinem Hause nach ihm befehle, daß sie den Weg Jehovas bewahren, Gerechtigkeit und Recht zu üben“ (V. 19).
Nach dem gleichen Grundsatz sehen wir Gott auch mit Daniel und seinen Freunden handeln. In Gefangenschaft in fremdem Lande wird ihnen der große Vorzug zuteil, für den hohen Staatsdienst erzogen zu werden. Deshalb wurde ihnen „ein Tagtägliches von der Tafelkost des Königs und von dem Weine, den er trank“, verordnet. Doch Daniel nahm sich in seinem Herzen vor, sich nicht mit der Tafelkost des Königs zu verunreinigen. Gott gab ihm Gnade in den Augen des Mannes, der über sie bestellt war, und die vier jungen Männer aßen Gemüse. „Diesen vier Jünglingen, ihnen gab Gott Kenntnis und Einsicht in aller Schrift und Weisheit... Und in allen Sachen einsichtsvoller Weisheit, welche der König von ihnen erfragte, fand er sie zehnmal allen Schriftgelehrten und Beschwörern überlegen, die in seinem ganzen Königreiche waren“ (Dan 1, 17. 20).
In Psalm 25, 14 heißt es: „Das Geheimnis Jehovas ist für die, welche ihn fürchten.“ Es geht doch gewiß weit, wenn in Amos 3, 7 gesagt wird: „Der Herr, Jehova, tut nichts, es sei denn, daß er sein Geheimnis seinen Knechten, den Propheten, geoffenbart habe.“ Welche Ehre wird doch den Knechten Gottes zuteil!
Der Herr Jesus preist Seinen himmlischen Vater dafür, daß Er eine bestimmte Erkenntnis „vor Weisen und Verständigen verborgen“ und sie „Unmündigen geoffenbart“ habe (Mt 11, 25). Die zuerst genannte Klasse sind Menschen, die sich für weise und verständig halten; solche nehmen kaum Belehrungen an, sie sind sehr von sich eingenommen. Zur Zeit des Herrn waren dies die Pharisäer und Schriftgelehrten samt den Hohenpriestern, sie widerstanden stets dem Herrn, so daß von Ihm gesagt wird, daß Er „so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat“ (Heb 12, 3).
Die „Unmündigen“, „die Armen im Geiste“ (Mt 5, 3), sind aber nicht, wie Spötter gesagt haben, Schwachsinnige und Rückständige, sondern Menschen, die ihre ganze Armut und Kleinheit gegenüber dem erhabenen, großen Gott erkennen und verstehen, daß, wenn sie etwas über Ihn wissen sollen, Er selbst es ihnen kundtun, sich also offenbaren muß. Eine andere Möglichkeit, etwas über Gottes Wesen und Gedanken zu erfahren, gibt es für den Menschen nicht. „Also weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes.“ „Uns aber hat Gott es geoffenbart durch seinen Geist“ (1. Kor 2, 11b. 10). Und nur in Demut, in der Bereitschaft zu lernen, leer von sich kann er die großen von Gott geoffenbarten Wahrheiten aufnehmen. „Denn wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken“ (Jes 55,9). Der Gott, der Himmel und Erde geschaffen und den Menschen ins Dasein gerufen hat, der „in Ewigkeit wohnt“ und dessen Name „Wunderbarer“ ist, redet, und der Mensch darf demütig und interessiert zuhören und aufnehmen, darf lernen und wachsen zu Ihm hin. Er darf trinken aus der Quelle des Lebens und sich des göttlichen Lichtes erfreuen. „Denn bei dir ist der Quell des Lebens; in deinem Lichte werden wir das Licht sehen“ (Ps 36, 9). Welch ein glückseliger Zustand!
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Nun könnte man einwenden: Wenn so hohe Voraussetzungen für das Erkennen Gottes erforderlich sind, kann ein unwissender Mensch nie den Weg zu Gott finden. Doch sollte der Gott, „welcher will, daß alle Menschen errettet werden“ (1. Tim 2, 4), dies dadurch unmöglich machen, daß Er die Erkenntnis Seiner Heilsgedanken zu schwierig macht? Das würde zu Gottes Gerechtigkeit nicht passen. In der Tat sagt Gott den Ungläubigen in Seinem Wort alles, was sie nötig haben: wie es um sie steht, ihren sündigen Zustand und damit ihr Verlorensein, und wie sie errettet werden können, und zwar in so klarer und einfacher Weise, daß Ihn jeder verstehen kann (wenn er nur will). Ob Gott klar oder schwer verständlich redet, mögen einige Beispiele zeigen: „Arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verderbt ist es; wer mag es kennen?“ (Jer 17, 9), ferner: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer ... da ist keiner, der Gott suche. Alle sind abgewichen... da ist keiner, der Gutes tue, da ist auch nicht einer ..., auf daß jeder Mund verstopft werde und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei“ (Röm 3, 10–12 und 19).
Diese Sprache ist so unzweideutig und zugleich ernst und eindringlich, daß jedermann weiß, was Gott sagen will. Und ebenso ist es mit den Heilswahrheiten. „Der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christo Jesu, unserem Herrn“ (Röm 6, 23). „So tut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden ausgetilgt werden.“ „Indem ich sowohl Juden als Griechen bezeugte die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus.“ (Apg 3, 19; 20, 21.) „Der Vater richtet auch niemanden, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohne gegeben, auf daß alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. ... Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tode in das Leben übergegangen“ (Joh 5, 22–24).
Wenn der Mensch nur will, kommt er durch diese und ähnliche Worte und durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes zum Nachdenken und schließlich zur Errettung aus Satans Macht und Sündenknechtschaft. Gott will den Menschen retten und sucht ihn auf dem Wege zum Verderben aufzuhalten, aber der Mensch muß auch wollen, und dahin gehen die Bemühungen des göttlichen Erbarmens mit ihm in Güte (Röm 2, 4), oft auch durch große Not und viele Schwierigkeiten. In der Herrlichkeit des Himmels werden nur Freiwillige sein, die die Gnade Gottes nicht genug rühmen können. Niemand wird Gott einst vorwerfen können, Seine Worte über den verderbten Zustand des Menschen und sein Verlorengehen sowie über den Weg des Lebens seien nicht verständlich gewesen. Der Heilige Geist macht Licht in der Seele eines Menschen und will ihn zur Buße und zum Glauben leiten. Aber wenn der Sünder unbußfertig Ihm widersteht, wird sein Herz verhärtet, und dann wird das ewige Gericht sein Teil sein.
So verbirgt Gott Seine hohen Wahrheiten wohl vor den sich weise und klug Dünkenden dieser Welt, aber ihnen wie auch allen übrigen Sündern sagt Er den Weg zum ewigen Leben einfach und unmißverständlich. Der große Gott ist in allen Seinen Wegen gerecht und wird das letzte Wort sprechen; der dies tut, wird niemand anders sein als der Herr Jesus Christus, der in der himmlischen Herrlichkeit ewig angebetet werden wird.