Bemerkungen über den Brief an die Kolosser
Einleitung
Selbst für den nachlässigsten Leser ist es kaum möglich, zu übersehen, dass die im Kolosserbrief dargestellte Wahrheit viel Ähnliches mit der im Brief an die Epheser vorgetragenen hat. Die Wahrheit von der Vereinigung mit Christus, dem Haupte Seines Leibes, der Ekklesia, hat in diesen beiden Briefen mehr als in allen anderen Schriften ihre Auslegung gefunden. Wenn auch der erste Korintherbrief die gleiche Lehre bringt (vgl. Kap. 12), so ist der Gegenstand in diesem Brief doch augenscheinlich weit mehr die Versammlung Gottes auf der Erde, in welcher der Heilige Geist durch die Glieder wirkt und jedem austeilt, wie Er will, als die droben geschauten Heiligen, wie es im Epheserbrief der Fall ist, oder als der auf der Erde in ihnen geschaute Christus, wie im Kolosserbrief.
Indessen sind die beiden Briefe durch bedeutungsvolle und höchst interessante Unterschiede gekennzeichnet. Der hauptsächlichste ist wohl der: im Epheserbriefe finden wir die Vorrechte des Leibes Christi, der Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt. Im Kolosserbrief dagegen finden wir die Herrlichkeiten des Hauptes, in welchem die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Dieser Unterschied ist, wie auch andere, auf den religiös – sittlichen Zustand derer zurückzuführen, an welche die Briefe nach der Weisheit des Geistes gerichtet worden sind. Im ersten Fall kann der Apostel seinen Geistesflug in die Ratschlüsse Gottes nehmen, der die Heiligen mit allen geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern gesegnet hat. Im zweiten Fall war ein teilweises Abweichen zur Philosophie und zu jüdischen Überlieferungen vorhanden, natürlich nicht ein Sich abwenden von Christus, aber doch eine derartige Beimischung dieser fremden Bestandteile, dass sich Ergebnisse einstellen mussten, die in den Augen des Apostels verderblich waren. Diesen ernsten Folgen konnte nur dadurch begegnet werden, dass die Kolosser zu Christus, und zu Christus allein, zurückgebracht wurden in all den Rechtsansprüchen Seiner Person und Seines Werkes. Zufolge des Zustandes der Kolosser lässt der Brief das weitgesteckte Ziel und die Entfaltung göttlicher Ratschlüsse und göttlicher Herrlichkeit für die in Christus geschauten und mit Ihm vereinigten Heiligen nicht zu, wohingegen bei den Ephesern zur Zeit, als der Apostel ihnen schrieb, nichts war, was den Erguss seines Herzens hätte zurückhalten oder einengen können. Der Geist konnte ihn leiten, diesen Gläubigen zu schreiben, dass sie mit allen Heiligen die Breite und Länge und Tiefe und Höhe erfassen und erkennen möchten, die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus. Im Brief an die Kolosser war dagegen in weitem Maße Ermahnung und ernste Warnung am Platz. Ihre Seelen bedurften der Genesung. Das menschliche Element steht daher mehr im Vordergrund. Beim Schreiben an die Epheser nennt der Apostel in der Anrede keinen seiner Mitarbeiter neben sich, und doch war Ephesus die Hauptstadt des prokonsularischen Asiens, war seinen Mitarbeitern wohlbekannt und durch tausend zarte Bande mit ihm selbst und anderen verbunden, während die Versammlung in Kolossä zu denen gehörte, die sein Angesicht im Fleische nie gesehen hatten. Dies macht es umso beachtenswerter, dass er sich in ihrem Fall mit Timotheus verbindet.