Nehemia
Einleitung
Bevor wir mit der Auslegung des Buches Nehemia beginnen, seien einige kurze Anmerkungen als Einleitung in dieses Studium gestattet. Gerade einmal dreizehn Jahre waren vergangen, seitdem Esra mit königlicher Autorität ausgestattet und angetrieben durch seinen gottesfürchtigen Eifer für die Ehre des Herrn in der Fürsorge für sein Volk nach Jerusalem hinausgezogen war, um „in Israel Satzung und Recht zu lehren“ (Esra 7,10) und kurzgesagt die Autorität des Gesetzes unter dem Volk wiederherzustellen. Und nun bereitete Gott in seiner liebevollen Gnade ein weiteres Gefäß des Segens für sein geliebtes Volk vor.1 Diese Tatsache illustriert auf anschauliche Weise ein göttliches Prinzip. Es könnte der Gedanke aufgekommen sein, dass Esra für das Werk ausreichte. Doch wie so oft in der Geschichte der Regierungswege Gottes zu beobachten ist, kann ein Diener, der für den einen Zustand des Volkes passend ist, für einen anderen gänzlich unpassend sein. Er kann sogar dem Werk Gottes im Weg stehen, wenn er seine Stellung weiter einnimmt oder sein Anrecht auf Führung weiter durchsetzt. Wie oft konnte dies sogar in der Versammlung beobachtet werden! Doch noch mehr als dies kann gesagt werden. Es wird manchmal der Fall sein, dass ein weniger geistlicher Diener göttlich eingesetzt werden kann, wo ein geistlicherer völlig fehl am Platz wäre. Wenn also ein Vergleich zwischen Esra und Nehemia gezogen wird, so hingegeben Letzterer auch war und so regelmäßig er sich auch an Gott als die Quelle all seiner Kraft wandte, so wird man sofort merken, dass Esra auf einer höheren Ebene wandelte als sein Nachfolger (vgl. Esra 8,21–23 mit Neh 2,7–9; Esra 9,3 mit Neh 13,25). Doch, obwohl Esra noch immer in Jerusalem war, ist es Nehemia, der in diesem besonderen Moment ausgesandt wird. Wie glücklich ist es, wenn der Diener sein Werk aus der Hand des Herrn empfängt und sich zurückzieht, wenn er erkennt, dass sein Auftrag aus einem bestimmten Grund beendet ist.
Sowohl im Buch Nehemia als auch im Buch Esra sieht man, dass Gott immer über sein Volk wacht und es durch die aufeinanderfolgenden eingreifenden Handlungen seiner Gnade erhält. Erst sandte Er Esra, dann Nehemia, um sein Werk zu beleben und die Wiederherstellung seines Volkes zu bewirken. Doch wie im Buch der Richter ist es auch in dieser Zeitperiode. So wie es schon immer in der Erfahrung der Kirchengeschichte gewesen ist, hat jede Belebung, wenn die sie bewirkende Kraft vergangen ist, das Volk in einem tieferen, schlechteren Zustand zurückgelassen als vorher. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Die Notwendigkeit einer Wiederbelebung entspringt der Tatsache eines zunehmenden Verderbens und Verfalls. Durch die Wiederbelebung wird diese Abwärtsbewegung für einen Moment gebremst oder aufgehalten und folglich rauscht der Strom des Verfalls mit erhöhter Kraft und Fülle in dem Augenblick weiter, in dem die Kraft aufgebraucht ist, die mit dem Bösen aufeinandertraf. So ist der Mensch, und so ist die geduldige Gnade Gottes, die sich trotz des Unglaubens und sogar Abfalls seines Volkes unermüdlich mit dessen Interessen und Segnung beschäftigt.
Bezüglich des Charakters des Buches selbst möchten wir die Worte eines anderen zitieren. Er sagte: „In Nehemia wird uns der Wiederaufbau der Mauern Jerusalems und die Wiederherstellung dessen geschildert, was als der bürgerliche Zustand des Volkes bezeichnet werden könnte, jedoch unter Bedingungen, die ihre Abhängigkeit von den Heiden deutlich zum Vorschein bringen.“ Dies wird sich uns weiter entfalten, wenn wir unsere Betrachtung des Buches fortsetzen.
Fußnoten
- 1 Tatsächlich wendet Gott sich in diesem Buch an keiner Stelle an Israel als sein Volk. Der Ausdruck Lo-Ammi (Hos 1) war unabhängig von seinem gnädigen Eingreifen und Handeln zugunsten seines Volkes noch immer gültig.