Botschafter des Heils in Christo 1862
Der Pharisäer und der Zöllner
Wir alle sind von Natur sehr abgeneigt, unserem wahren Zustand genau ins Angesicht zu schauen; wir hören ungern die ganze Wahrheit über uns selbst. Wir sind geneigt, an der Oberfläche stehen zu bleiben, und scheuen uns, in die Tiefe zu bangen. Wir fürchten die Wurzel unseres Zustandes zu berühren. Wir möchten uns gern überreden, dass wir nicht ganz so schlecht seien, wie wir wirklich sind. Mit einem Wort, der Mensch ist unwissend über sich selbst, und er hat nicht den Wunsch, dass es anders sei. Dies ist aber – wenn er es nur erkennen könnte – ein großer Verlust für ihn. Denn sich für etwas anders als für einen verlorenen Sünder zu halten, ist ein höchst trauriger Irrtum; denn das ist es genau, was der Mensch ist. Er ist in sich selbst hoffnungslos verloren. Er mag liebenswürdig, moralisch, aufrichtig und sogar religiös sein, wie wir sagen; aber er ist verloren. Er kam in diese Welt als ein armes, hilfloses, nacktes, bedürftiges, wertloses, verlorenes Wesen, insoweit als sein natürlicher Zustand in Betracht kommt. Dies ist es, was er war, – und dies ist es, was er ist von Natur. –
Das ist die Wahrheit in Betreff des Menschen, so befremdlich es manche finden mögen, „welche auf sich selbst vertrauen, dass sie gerecht seien.“ Dennoch ist es so zu allen Zeiten gewesen, so ist es jetzt, und so wird es noch ferner sein. So war es auch bei dem Pharisäer in dem vor uns liegenden Gleichnisse. Lasst uns seinen Zustand etwas näher betrachten.
„Zwei Menschen gingen in den Tempel, zu beten, der eine ein Pharisäer Und der andere ein Zöllner.“ Die Wahrheit Gottes zerlegt jegliches Ding in seine einfachst möglichen Bestandteile. Sie nimmt keine Notiz von den Unterschieden, welche unter den Menschen Geltung haben. Daher spricht sie hier von „zwei Menschen“ – zwei Söhnen des gefallenen Adams – zwei Sündern. Vor Gott war kein Unterscheid in ihrem natürlichen Zustand. Sie waren beide „verloren.“ Es ist wahr, der eine war ein verlorener Pharisäer, und der andere ein verlorener Zöllner; aber sie waren beide verloren. Das Wort Gottes verkündigt: „Es ist kein Unterschied“, und zwar aus einer zweifachen Ursache. Erstens, „denn alle haben gesündigt“; (Röm 3,23) zweitens, „denn derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen“ (Röm 10,12). Es ist gut, dies zu erkennen. Das Urteil ist leicht in Verwirrung gebracht durch die Zahllosen Unterschiede, Namen, Gerade und Schattierungen des menschlichen Charakters, welche sich um uns her befinden. Sie werden aber alle auf „zwei“ zurückgeführt, nämlich auf diejenigen, welche auf sich selbst vertrauen, und auf diejenigen, welche auf Christus vertrauen. So steht es; der Schreiber und der Leser dieser Zeilen stehen in diesem Augenblick durch den einen oder den anderen von diesen zweien dargestellt und vertreten, und je früher der wahre Zustand von dem Herzen und Gewissen erkannt wird, desto besser.
Es gibt einen Charakterzug, welcher unveränderlich die sich selbst Vertrauenden kennzeichnet, und dieser ist: sie haben nur eine einseitige Ansicht über ihren Zustand. Dieser Zug ist sehr auffallend in dem vor uns befindlichen Bilde – ein Bild, es möge daran erinnert werden, durch den Pinsel des Meisters selbst gemalt. „Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst also: ‚O Gott, ich danke dir.‘“ Beachte wohl: „er betete bei sich selbst.“ Das Pharisäertum weiß nichts von Gemeinschaft. Es ist eine eisige Abgeschlossenheit darin. Sein Grundriss und ganzer Bau ist Selbstwerk und als eine Folge davon Selbstbesitz. Es ist für keinen anderen Raum darin, als für sein Ich. Und lasst uns fragen, wofür dankte der Pharisäer Gott? Für die vielen tausend Gnadenerweisungen seiner freigebigen Hand? Für die Erkenntnis der Erlösung, durch die Heimsuchung der Morgenröte des anbrechenden Tages der Gnade? Oder für seine Langmut und Güte gegen einen armen, unwürdigen Sünder? Leider! nein; der Pharisäer weiß von solchen Ursachen der Danksagung nichts. Er sagt, „ich danke dir, dass ich Er sagt nicht, ich danke dir, dass du.“ Er war mit dem „Ich“ und nicht mit dem „Du“ beschäftigt und erfüllt. Dies macht in der Tat einen wichtigen Unterschied. Der wahre Beweggrund der Danksagung ist der, dass die Seele irgendeine erfreuliche Entdeckung in Ansehung Gottes gemacht, dass sie irgendetwas von der köstlichen Offenbarung seiner Natur und seines Charakters geschmeckt, dass sie die seligmachende Erkenntnis der Erlösung durch das Blut des Lammes erlangt bat. Aber ein Pharisäer weiß nichts, bedarf nichts, sucht nichts dieser Art.
Wofür dankt denn ein Pharisäer Gott? Es ist von höchster Bedeutung. Er sagt: „Ich danke dir, dass ich nicht bin.“ Wie sonderbar! Er sagt nicht: „Ich danke dir, dass ich bin.“ Er hatte niemals daran gedacht oder betrachtet, was er war. Wären seine“ Augen jemals geöffnet gewesen, um zu sehen, was er war, so hätte er nicht länger so voll von Selbstgenügsamkeit bleiben können. Selbsterkenntnis zerstört das Selbstvertrauen. Es ist nichts in eines Menschen Natur, Zustand oder Charakter vorhanden, wofür er sich einbilden könnte, Danksagung darzubringen, wenn er nur sehen könnte, wie Gott ihn sieht. Es mag alles sehr wohl stehen, solange als ein Mensch bloß das betrachtet, was er nicht ist; aber lasst ihn dahin gebracht werden, zu sehen, was er ist, und die ganze Szene wird verwandelt sein.
Nun, wir finden stets, dass wenn Gott mit einer Seele handelt, so offenbart Er, was ein Mensch ist, und nicht, was er nicht ist. Als der Lichtglanz der Herrlichkeit Jehovas auf den Propheten Jesajas herabschien, was offenbart er da? Etwa das, was er nicht war? Nein; sondern was er war; und daher finden wir Jesajas nicht sagend: „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie andere Menschen.“ Ganz das Gegenteil. Er sagt: „Wehe mir, denn ich vergehe; weil ich ein Mensch bin von unreinen Lippen!“ Wie lernte er dieses? Wahrlich nicht durch Betrachtung seines Nächsten. Dies würde ihm niemals seinen wirklichen Zustand offenbart haben. Wie denn lernte er erkennen, was er war? „Meine Augen haben den König gesehen, den Herrn der Heerscharen“ (Jes 6,1.3). Ebenso war es mit Hiob, wenn er sagt: „Nun mein Auge dich sieht, darum verwerfe ich mich“ (Hiob 42,5–6). Ebenso war es mit Petrus als er „zu den Knien Jesu niederfiel, sagend: Gehe hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr!“ (Lk 5,8) Er sagt nicht: „ich danke dir, dass ich nicht so böse bin, wie Jakobus und Johannes.“ O nein; die Menschen werden niemals so etwas sagen– oder denken, wenn sie sich in der Gegenwart Gottes finden. Hiob konnte sich rühmen, als „die Leuchte Gottes über seinem Haupt schien;“ aber er fand sich verwerflich, als Gott in sein Herz schien (vgl. Hiob 29 mit Kap 42).
So wirkt die Wahrheit Gottes auf das Herz und Gewissen. Sie offenbart, was der Mensch ist. So wird es sein vor „dem großen weißen Thron“, wenn „die Bücher werden aufgetan werden.“ Die Menschen werden nicht mit dem beschäftigt sein, was sie nicht sind, sondern was sie sind. Nichts kann wertloser sein, als das zu betrachten, was nicht vorhanden ist in meinem Zustand. Ich mag in eingebildeter Länge fortfahren und sagen: „Ich bin nicht dies – ich bin nicht das – ich bin nicht jenes;“ aber zuletzt muss doch die Frage gestellt und beantwortet werden: „Was bin ich?“ Ich bin sicherlich irgendetwas; und mit diesem „Etwas“, was es auch sei, muss Gott handeln, entweder in Gnade oder im Gericht, entweder muss Er ihm mit dem Blut des Lammes begegnen, oder es auf ewig dem feurigen See übergeben. Ja, ich mag nicht sein „wie andere Menschen;“ aber es ist ganz gewiss, ich bin nicht, was ich sein sollte; und wenn ich daher auf mich selbst vertraue, so vertraue ich auf das, was nicht so ist, wie es sein sollte, und ich muss ewig verloren gehen. Dies ist sehr klar. Solange ich mich bloß mit „anderen Menschen“ vergleiche, mag ich einige Ursache zum Rühmen haben, denn es wird kaum einen verurteilten Verbrecher geben, der nicht noch einen anderen Verbrecher finden könnte, welchen er für schuldiger als sich selbst hielte. Die Frage ist daher nicht: „Gibt es noch andere, die böser sind als ich?“ – Hast du dich nun jemals, mein lieber Leser, in die Einsamkeit der Gegenwart des Allmächtigen zurückgezogen und dort bestimmt und feierlich die Frage an dein Herz gerichtet: „Was bin ich?“ Wenn nicht, so tue es jetzt, ich bitte dich. Verlasse dich darauf, wenn du diese Frage mit Ernst und Aufrichtigkeit an dich richtest, du wirst aus der Tiefe deiner Seele zu dieser einen Antwort zurückkommen – „ein verlorener Sünder!“ Und was bedarf ein verlorener Sünder? Erlösung! Nicht eine halbe Erlösung – nicht eine Hoffnung der Erlösung – nicht eine zweifelhafte Erlösung; sondern eine völlige, freie, gegenwärtige, persönliche, vollkommene und ewige Erlösung. Dies ist es, was der Sünder bedarf – dies ist es, was das Evangelium offenbart und dies ist es, was der Zöllner fand.
Der Pharisäer war dieser Erlösung nicht bedürftig. Und warum nicht? Weil er nicht erkannte, was er war. Er war mit dem beschäftigt, was er nicht war. Er verglich sich mit „anderen Menschen.“ Er maß sich mit einem unvollkommenen Maßstab und konnte deshalb keine wahre Antwort bekommen. Bis ein Mensch über sich selbst die Wahrheit erkannt hat, ist er der Erlösung Gottes nicht bedürftig. Er gibt sich der Täuschung hin. Der Pharisäer dachte, dass zweimaliges Fasten in der Woche und das Verzichten aller Dinge, welche er besaß, ein Genüge sei allen Ansprüchen Gottes gegenüber. Wenn er überhaupt an seine Sünden gedachte, so bildete er sich ein, dass Fasten und Zehnten sie austilgen könnten. Trauriger Betrug! Seelenverderblicher Irrtum! Und ach! wie viel Tausende sind an diesem Felsen gescheitert! Lieber Leser, halte dich frei davon. Siehe, dass du jetzt ruhen kannst in der vollkommenen Versöhnung, vor achtzehnhundert Jahren auf Golgatha vollbracht; dort wurde das Werk vollbracht, in welchem der Sünder sichere und ewige Ruhe finden kann.
Lasst uns jetzt zu dem Zöllner, zurückkehren. „Und der Zöllner von ferne stehend.“ Dies war sein aufrichtiger Platz, den er als ein Sünder einnahm. „Ihr, die ihr einst ferne wärt“ (Eph 2,13). Er fühlte, dass er kein Recht hatte aus sich selbst, „herauszurücken.“ Er kannte die Wahrheit in Betreff seines wirklichen Zustandes. Er war nicht mit dem beschäftigt, was er nicht war. „Er wollte sogar die Augen nicht aufheben gen Himmel.“ Soweit von dem Gedanken entfernt, dass er irgendein Recht habe, im Himmel zu sein, wagte er nicht, seine Augen dahin zu richten. „Aber er schlug an seine Brust“, als wollte er sagen: „Hier – tief in diesem meinem Busen ist die Quelle, alles Nebels, die Wurzel der Krankheit, der alte Sitz meines tiefen Schadens.“ „Er schlug an seine Brust, sagend: O Gott, begnadige (oder versöhne) mich, den Sünder.“ Der Zöllner sah und fühlte was er war. Und was war die Folge? Waren Fasten und Zehnte ein Genüge in seinem Zustand? Konnten sie seine Sünden auslöschen, oder ihn rechtfertigen im Angesicht Gottes? Auf keine Weise. Da war ein Gegenstand, und nur einer in dem ganzen Weltall, worauf er sich stützen konnte, und der war das versöhnende genugtuende Opfer Christi. Er bedurfte Versöhnung für seine Sünden. Er wusste, dass er „ferne“ war, und bedurfte „nahegebracht“ zu werden, und nichts als Blut vermochte dies zu tun. Er fühlte, dass nichts als Blut die göttliche Gerechtigkeit versöhnen und der beleidigten himmlischen Majestät genug tun konnte. Mit einem Wort, er stützte sich auf die herrliche Lehre des Blutes, in welcher ein jeder Sünder, der erkannt, was er ist, für sein schuldiges Gewissen Ruhe finden muss. Ein Pharisäer mag Ruhe finden in Fasten und Zehnten, aber ein überführter Sünder kann nur Ruhe finden in dem Blut des Lammes. Und, gepriesen sei Gott, es gibt eine Ruhe dort – eine Ruhe so vollkommen, dass ihr nichts mehr hinzuzufügen bleibt. Jesus hat ein völliges Sühnopfer dargebracht. Er hat die Versöhnung vollbracht. „Welchen Gott dargestellt hat zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben an sein Blut, zur Erweisung seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der früher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass Er gerecht sei, und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,25–26).
Das war die Grundlage, worauf der Zöllner seinen Standpunkt nahm. Es war nicht im Mindesten eine Frage bei ihm, in dem Wert seiner Gebete vor Gott zu kommen, wie Einige uns lehren möchten. Er setzte nicht mehr Vertrauen auf seine Gebete, als auf Fasten oder Zehnten. Er suchte einfach Zuflucht in „der Gerechtigkeit Gottes durch Glauben an Jesus Christus zu allen hin, und auf alle, welche glauben.“ Dies alles ist völlig in dem schönen Worte, welches er gebraucht, enthalten. Ohne Zweifel, dürfen wir zu Gott schreien, dürfen wir beten ohne Aufhören. Es ist des Gläubigen höchstes und süßestes Vorrecht, unaufhörlich zu seinem himmlischen Vater zu beten. Aber der Zöllner kam nicht vor Gott, gestützt auf Gebete, sondern auf Blut. Das Blut Jesu ist der Ruheplatz für alle, welche auf demselben Standpunkt mit dem Zöllner stehen. Fasten, Zehnten und Gebete sind der Ruheplatz für alle, welche mit dem Pharisäer denselben Standpunkt einnehmen. Der Zöllner nahm seine Stellung genau da, wo Abel, Jesaja, Petrus und Paulus sie nahmen, – nämlich auf dem vollbrachten Werke Christi.
Und was war die Folge? Es war genau das, was erwartet werden durfte. „Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus.“ Beachte, ihm war nicht bloß vergeben oder verziehen, sondern er ging „gerechtfertigt“ – gerecht gemacht – hinab. „Er“, gleich Abel, „erlangte Zeugnis, dass er gerecht war“ (Heb 11,4). Es war Nichts wider ihn. Das Sühnopfer Christi, wozu er seine Zuflucht nahm, machte ihn zu einem völlig gerechtfertigten Menschen. Er hatte nichts damit zu tun. Jesus ist die Versöhnung. Fasten konnte nicht versöhnen, noch Zehnten, noch Gebete, sondern das kostbare Blut Christi allein vermag es; und alle, welche daran glauben, „sind gerechtfertigt von allem, worin sie in dem Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konnten“ (Apg 13,39). So groß ist der unendliche Wert des Opfers Christi, dass alle, welche darauf ihr Vertrauen setzen, von Gott als völlig gerecht betrachtet werden. Als ein vollkommenes Werk macht es gleicherweise alle vollkommen, welche darauf bauen. Die Opfer unter dem Gesetz konnten niemanden in Ansehung seines Gewissens vollkommen machen, weil sie selbst nicht vollkommen waren, aber Christi Opfer ist vollkommen, und daher kann es ein vollkommen gereinigtes Gewissen geben (Heb 9–10). Wenn deshalb jemand bekennt, Christus anzugehören und hat noch keinen Frieden, der ist nicht vollkommen gerechtfertigt und leugnet den Wert des Blutes Christi.
Dies ist der wahre Zustand der Sache. Hat Christus sein Werk vollendet oder nicht? Hat Er durch das Opfer seiner selbst die Sünde vollkommen hinweggetan? Ist ein Teil seines Werkes ungetan geblieben und bleibt noch etwas hinzuzufügen? Ist nicht eine göttliche Versöhnung in seinem Blut? Hat nicht Jehova verkündigt: „Ich habe ein Lösegeld gefunden?“ Auf diese Fragen gibt das Wort nur eine Antwort. Und sollte nicht jedermann, welcher gleich dem Zöllner sich auf das Blut stützt, versichert sein, dass er auch gleich dem Zöllner „gerechtfertigt“ ist. Ganz gewiss. Mein teurer Leser möge einmal die zwei Worte zusammenstellen, um die treffende Verbindung zusehen. Der Zöllner sagt: „Begnadigender versöhne mich, den Sünder.“ Christus sagt: „Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus.“ Der Zöllner setzte das ganze Werk seiner Versöhnung in die Hände Gottes, und Gott ließ ihm seine völlige Gunst zu Teil werden und erklärte ihn für einen gerechtfertigten Menschen. Der Zöllner, als ein Sünder, begegnete Gott als einem Erlöser, und die ganze Frage war ein für alle Mal entschieden. Und so ist es in jeglichem Fall. Die Ursache, warum man so oft die Einfachheit von dem Weg Gottes in Betreff der Erlösung nicht sieht, ist, weil man mehr mit dem beschäftigt ist, was man nicht ist, als mit dem, was man ist. Gerade so wie ich bin, begegnet mir Gott – auf dem Kreuz. Er hat Vorsorge getroffen wegen aller Schuld, welche Er selbst an mir sieht, und aller Sünde, die Er in mir kennt. Der Glaube hieran muss mir gewissen Frieden geben. Je mehr ich die Größe meiner Schuld und meines Verderbens erkenne, desto mehr erkenne ich die Größe und Tiefe der Versöhnung. Ich kann freilich meine Schuld niemals so sehen, wie Gott sie sieht; aber Er hat sie hinweggetan nach der Größe, wie Er sie ficht. Er selber sagt mir, dass Er das getan hat; und wenn ich dieses glaube, so habe ich süßen Frieden. „Gerechtfertigt durch Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm 5,1).
Ich möchte nur noch zum Schluss bemerken, dass das Wörtchen „mehr“ in Vers 14 ein Zusatz ist und verhüten soll, die Wahrheit der ganzen Stelle zu verdunkeln. Wir dürfen nicht meinen, dass darin irgendein Vergleich in Betreff des Maßes der Rechtfertigung liege. Durchaus nicht. Die einfache Wahrheit ist, dass der Zöllner vollkommen gerechtfertigt war, und dass der Pharisäer keineswegs gerechtfertigt war. Und warum? Weil der Zöllner sein Vertrauen auf die von Gott gewirkte Versöhnung setzte, während der Pharisäer sein Vertrauen auf Fasten und Zehnten setzte. Der Erstere ruhte in dem Blut; der Letztere ruhte in seinen Werken.
Lieber Leser, zu welchem von den beiden gehörst nun du? Vertraust du dir selbst, dass du gerecht seist, oder bist du von Gott „gerechtfertigt“ durch den einfachen Glauben an das köstliche Blut Christi? Ja, zu welchem? Bedenke, wenn du dich selbst als einen verlorenen Sünder siehst, und dein Vertrauen allein auf das Blut Christi setzest, dann bist du so gerechtfertigt, wie dieses Blut dich rechtfertigen kann. Es ist alsdann nicht mehr die Frage, was für eine Art von Sünder du bist, noch was für eine Art von Erlöser Jesus ist. – O möge Gott dir dieses zu erkennen geben!