Der Brief an Titus

Allgemeines zum Titusbrief

Der zweite Brief in der Reihenfolge der Pastoralbriefe wurde an Titus geschrieben. Titus war Paulus eigenes Kind nach dem gemeinschaftlichen Glauben, ein geborener Grieche (Gal 2,3), der Paulus anlässlich des Konzils nach Jerusalem begleitete, auf dem die Freiheit von der Pflicht zur Beschneidung und dem mosaischen Gesetz für alle Heiden definitiv beschlossen wurde. Die Anwesenheit des Titus bei Paulus war zu dieser Zeit eine Illustration ebendieser Wahrheit, die von dem großen Apostel der Heiden so festgehalten wurde.

Als ein echtes (gnesios) Kind von Paulus im Glauben, besaß er dennoch nicht den gleichen Platz im Herzen des Apostels wie sein treuer und fast ständiger Begleiter Timotheus, der Sohn der Eunike, den er in dem letzten kanonischen, mit eigener Hand geschriebenen Brief sein geliebtes Kind nannte (2. Tim 1,2). Titus wird als Paulus’ Genosse und Mitarbeiter beschrieben (2. Kor 8,23), und der einzige besondere mit seinem Namen verbundene Dienst, der dem an ihn adressierten Brief vorausgeht, ist der in Korinth ausgeführte. Zunächst, indem er den Zustand der Versammlung in Korinth für Paulus beurteilte (2. Kor 2,13; 7), und zweitens bei seiner Rückkehr dorthin, um ihre Gabe im Auftrag der armen Heiligen in Jerusalem abzuholen.

Nachdem das Herz des Paulus durch die deutlichen Anzeichen der Buße unter den Heiligen in Korinth erfrischt worden war (2. Kor 7,7), war er nach dem Wunsch des Apostels bereit, dorthin zurückzukehren, um ihre Gabe entgegenzunehmen, bevor Paulus selbst, voller Eifer für die Christen in Korinth, sie wieder besuchen sollte. Bei anderer Gelegenheit, am Lebensende des Apostels, lernen wir, dass Titus nach Dalmatien gegangen war. Das war zweifellos für einen Dienst, der die Heiligen und die Interessen Christi betraf (2. Tim 4,10). Aber zu dem Zeitpunkt, als der Brief verfasst wurde, war er in Kreta, wo er von Paulus nach einem Besuch zwischen dessen erster und zweiter Gefangennahme in Rom zurückgelassen worden war. Kreta muss im Gedächtnis unseres Apostels fest verankert gewesen sein. Auf seiner Reise nach Rom segelten sie in seinem Windschatten auf Höhe von Salmone mit Mühe daran entlang, bis sie Schönhafen erreichten, nahe der Stadt Lasäa. In dessen Hafen riet Paulus dem Hauptmann und den anderen Schiffsinsassen zu überwintern. Wenn sein Rat befolgt worden wäre, hätte der Besitzer weder sein Schiff, noch seine Ladung verloren. Jedoch verlor er beides bei dem Versuch Phönix, einen besseren Hafen, zu erreichen, bei dem sie entlanggetrieben wurden, bis sie in Melite Schiffbruch erlitten (Apg 27).

Welche Möglichkeiten Paulus zum Predigen hatte, während das Schiff in Schönhafen blieb, und welche Ergebnisse, wenn es solche überhaupt gab, aus seiner Anwesenheit auf der Insel damals resultierten, können wir nicht beurteilen. Auch wissen wir nicht, durch wen das Evangelium dort erstmals verkündigt oder ob dort eine Versammlung gegründet wurde. Jedoch kehrte Paulus, als er wieder frei war, nach Kreta zurück, und in jeder Stadt war eine Versammlung entstanden, bevor Paulus diesen Brief niederschrieb, der trotz seiner Kürze sehr nützlich ist, indem er den Wandel und das Verhalten der Heiligen in verschiedenen Umständen und Beziehungen des Lebens thematisiert.

Offensichtlich war Titus jemand, dessen besonderes Arbeitsfeld die Versammlung Gottes war und der einzige Beauftragte, von dem wir lesen, dass er Älteste einsetzen sollte. Paulus schreibt ihm diesen Brief, der dem 1. Timotheusbrief darin ähnelt, dass er ihn mit einem Zeugnis zur Unterstützung seines Auftrags ausstattet, so dass alle die Autorität erkennen, nach der auf der Insel Kreta gehandelt werden sollte. „Paulus, Knecht (doulos) Gottes, aber Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis (oder vollen Erkenntnis) der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist, in der Hoffnung des ewigen Lebens, das Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten, zu seiner Zeit aber hat er sein Wort offenbart durch die Predigt, die mir anvertraut worden ist nach Befehl unseres Heiland-Gottes – Titus, meinem echten Kind nach unserem gemeinschaftlichen Glauben: Gnade und Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Heiland!“ (1, 1–4).1

Wichtig festzuhalten ist Folgendes: Es gibt einen Glauben, der das Wort Gottes besitzt. Es ist der Glaube der Auserwählten Gottes. Es mag Bekenntnisse und Religionen in den unterschiedlichsten Arten geben. Aber hier ist von etwas ganz Bestimmtem die Rede – dem Glaube der Auserwählten Gottes, den sie bekennen und dessen Früchte sich in Gottseligkeit oder Frömmigkeit zeigen. Es gibt auch die Hoffnung auf das ewige Leben, das Gott, der nicht lügen kann, von Ewigkeit her versprochen hat. All dies wurde nun durch die Verkündigung offenbart, die Paulus nach dem Befehl unseres Heiland-Gottes anvertraut worden war. In diesem Zusammenhang schreibt er an Titus, indem er für die Heiligen die volle Erkenntnis der Wahrheit gemäß der Gottesfurcht wünscht und die mit kirchlichen (1), sozialen (2) und bürgerlichen (3) Angelegenheiten in Verbindung stehende Botschaft, die er für ihn von Gott empfangen hatte, entfaltet.

Fußnoten

  • 1 Barmherzigkeit ist wahrscheinlich weggelassen, genauso wie Herr, so dass der Brief der einzige von Paulus geschriebene ist, in dem diese Anrede unseres Heilandes nicht vorkommt. Johannes ist der einzige weitere Schreiber, in dessen Briefen (mit Ausnahme von 1. Joh 3) Er nie Herr genannt wird.
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