Der Brief an Philemon
Der Philemonbrief ist der kürzeste der kanonischen Briefe von Paulus. Wie auch im Brief an die Kolosser nennt sich Paulus zusammen mit Timotheus im Eingangsgruß. Der Brief ist adressiert an Philemon und dessen Frau Apphia, sowie Archippus ein Mitarbeiter am Wort und an die Versammlung in Philemons Haus. Der Überbringer des Briefes war nicht Tychikus, sondern sehr wahrscheinlich eine Person, die ein ausgesprochenes, persönliches Interesse an dessen Inhalt hatte.
Onesimus, der entlaufene Sklave Philemons, hatte durch göttliche Führung den Weg des Apostels der Nationen während dessen Gefangenschaft in Rom (V. 9) gekreuzt. Durch seinen Dienst zum Glauben gekommen, musste er nun erfahren, dass sein irdischer Herr und Meister in Kolossä Paulus bekannt war und dass dieser seine Umkehr zu Gott dem gleichen Evangelium und dem gleichen Diener verdankte. Paulus war der Vater im Glauben sowohl von Philemon als auch von Onesimus (V. 19). Wann und wie der Apostel Philemon getroffen hatte, wissen wir nicht, denn in Kolossä, wo Philemon lebte, war Paulus nie tätig gewesen.
Onesiums, einst ein Kind des Zorns und „nach dem Zeitlauf dieser Welt, nach dem Fürsten der Gewalt der Luft“ (Eph 2,1) lebend, war nicht länger derselbe. Er war ein Kind Gottes, frei gemacht von der Sklaverei der Sünde und des Teufels. Er erfreute sich seiner Erlösung durch das Blut. Dennoch war er nach wie vor Philemons Sklave. Eine Bekehrung ändert nicht unbedingt die gesellschaftliche Situation. An diese Tatsache mussten einige in Kolossä beständig und vielleicht auch schmerzlich erinnert werden (Kol 3,22–25). Eine Freilassung auf Grund einer Bekehrung konnte kein Sklave verlangen, auch nicht von einem gläubigen Herrn. In diesem Punkt ist der Apostel eindeutig, sowohl in seinem Schreiben an Timotheus als auch in seinem kurzen Brief an Philemon.
An den vorgenannten schreibt er, „Alle, die Knechte unter dem Joch sind, sollen ihre eigenen Herren aller Ehre würdig achten, damit nicht der Name Gottes und die Lehre verlästert werde. Die aber, die gläubige Herren haben, sollen sie nicht verachten, weil sie Brüder sind, sondern ihnen umso mehr dienen, weil sie Treue und Geliebte sind, die die Wohltat empfangen. Dieses lehre und ermahne“ (1. Tim 6,1.2). Letzterem sagt er „Den ich zu dir zurückgesandt habe – ihn, das ist mein Herz; den ich bei mir behalten wollte, damit er statt deiner mir diene in den Fesseln des Evangeliums. Aber ohne dein Einverständnis wollte ich nichts tun, damit deine Wohltat nicht wie gezwungen, sondern freiwillig sei. Denn vielleicht ist er deswegen für eine Zeit von dir getrennt gewesen, damit du ihn für immer besitzen mögest, nicht länger als einen Sklaven, sondern – mehr als einen Sklaven – als einen geliebten Bruder, besonders für mich, wie viel mehr aber für dich, sowohl im Fleisch als im Herrn“ (V. 12–16).
Somit werden die Rechte des Herrn in Bezug auf den Dienst seines Sklaven sehr sorgfältig gewahrt. Rechtschaffenheit ist wie die Gnade eine unverkennbare Eigenschaft des Christentums. Hinsichtlich der Frage der Sklaverei konnte nur durch strikte Wahrung der Rechte des Herrn die Gelegenheit gegeben werden, dass dieser von seiner Seite aus Gnade erwies, indem er seinem Sklaven die Freiheit schenkte.
Onesimus verstand dies nach seiner Bekehrung. Durch Gnade war er freigemacht von der Angst vor dem göttlichen Gericht. Ihm war bewusst, dass er Vergebung seiner Sünden hatte, sowohl vollkommene (ewige) als auch administrative für diese Erde, so dass kein Vergehen aus der Zeit vor seiner Bekehrung gegen ihn vorgebracht werden konnte im Gericht vor Gott oder der Versammlung. Durch seine Rückkehr zu Philemon musste er lernen, dass sein Stand als Sklave sich nicht geändert hatte, obwohl durch die Wiedergeburt eine geistliche Verwandtschaft und somit eine Verbindung als Brüder in Christus zwischen seinem Herrn (Philemon) und ihm bestand. So musste er, der weggelaufen war und Philemon möglicherweise direkt betrogen hatte, zurückkehren und gehorsam sein zu seinem Nutzen.
Sklaverei gab es zu Beginn der sozialen Strukturen nicht, doch in den frühen Zeiten nach der Sintflut war diese offensichtlich tief unter den Menschen auf der Erde verwurzelt. Die Israeliten konnten per Gesetz Sklaven aus den Nationen besitzen. Für diese gab es kein Jubeljahr, das sie frei ausgehen ließ. Obwohl Gott Sklaverei zuließ, hatte er sie niemals eingesetzt – genauso wenig wie die Polygamie, die aber ebenfalls dem Gesetz nach gebilligt war. Zu Beginn des Christentums gab es somit gesellschaftliche Institutionen, die ursprünglich nicht von Gott waren. Wir können daher den praktischen Wert dieses Briefs feststellen und die Weisheit ihn in den kanonischen Schriften zu finden. Denn während andere Stellen der Bibel von der gewaltigen Veränderung für uns durch den Erlösungstod des Herrn Jesus berichten, lehrt uns dieser kleine Brief, dass durch die Einführung des Christentums menschliche Gesetze nicht abgeschafft werden und der soziale Status sich nicht notwendigerweise ändert. Dies gibt jedoch dem Christen die Möglichkeit, Gnade gegenüber dem zu erweisen, der ihm Unrecht angetan hat. Das Christentum ist nicht dazu da, die Welt in Ordnung zu bringen, sondern seinen Anhängern zu zeigen, wie man in einem System leben kann, das nicht in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes ist. Im Einklang mit dieser Tatsache wurde Onesimus zurück zu Philemon gesandt, jedoch mit diesem Brief in der Hand, der gleichzeitig eine Empfehlung des Paulus an die Heiligen in Kolossä war und eine Botschaft an seinen Herrn, ihn wohlwollend aufzunehmen, obwohl Onesimus diesem wahrscheinlich Schaden zugefügt bzw. ihn verärgert hatte.
Der Zweck dieses Briefs ist unzweifelhaft klar, wenn wir die Beschreibung sehen, die uns von Philemon gegeben wird und dem sowohl direkten als auch indirekten Appell an sein Herz durch den betagten Apostel. „Paulus, ein Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, Philemon, dem Geliebten und unserem Mitarbeiter, und Apphia, der Schwester, und Archippus, unserem Mitkämpfer, und der Versammlung in deinem Haus: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ (V. 1–3). Philemon war ein einflussreicher Mann in Kolossä und mit seiner Frau Apphia Miterben der Gnade des Lebens (1. Pet 3,7). Er war ebenfalls ein Diener des Herrn und für Paulus und Timotheus ein Geliebter und anerkannter Mitarbeiter. In seinem Haus fanden die Zusammenkünfte der Heiligen statt und bei ihm wurden die Herzen erfrischt (V. 7). Er hatte empfangen und er gab. Die Gnade hatte sein Herz geöffnet und er fand einen Personenkreis, wo er austeilen konnte – die Heiligen Gottes (V. 5). Er war Teilhaber der göttlichen Natur (2. Pet 1,4) und diese war tätig in ihm. Paulus hatte davon erfahren und das bringt ihn dazu für Onesimus zu sprechen (V. 8–17) damit Philemons Gemeinschaft im Glauben wirksam werde in der Anerkennung alles Guten, das „in uns“ ist in Christus Jesus (V. 6). Paulus rechnete mit dem, was das Recht nicht hätte fordern können, nämlich, dass Philemon in Onesiumus das Werk der Gnade erkennen würde, das durch die Mitwirkung Paulus' stattgefunden hatte.
Onesimus hatte sich scheinbar in zwei Dingen schuldig gemacht: Er war von seinem Herrn weggelaufen und er hatte ihn betrogen. Sehen wir, mit welchem Feingefühl der Apostel diese Dinge behandelt? Wenn er von dem Weglaufen spricht, nennt er es getrennt sein (V. 15). In Bezug auf sein betrügerisches Handeln bietet Paulus eine Begleichung der Schulden an. Er schreibt nichts, was ein Gefühl des Grolls in Philemon hervorrufen könnte. Gleichzeitig wahrt er die Rechte Philemons als Herrn, was diesem wiederum Gelegenheit gibt, die Gnade zu erweisen, die in seinem Herzen war. Paulus hätte kühn sein können in Christus zu befehlen, was angebracht erschien. Um der Liebe willen nahm er jedoch lieber die Stellung eines Fürsprechers ein und bat bei einem Kind im Glauben für ein anderes Kind im Glauben, an dem beide ein ausgeprägtes Interesse haben mussten. Onesimus war nun ein Diener Christi, aber immer noch Philemons Sklave. Paulus bat um seinetwillen und zwar in der Weise, dass Philemon sicherlich nicht hart bleiben konnte. Es war Paulus, der Alte, jetzt aber auch ein Gefangener Christi Jesu, der sich an ihn wandte. Konnte Philemon eine derartige Bitte ignorieren? Gewiss würde er den Sorgen des Apostels nichts hinzufügen, indem er sich weigerte, den zuvor unnützen nun aber für den Apostel und ihn selbst nützlichen Diener aufzunehmen und diesem zu vergeben. „Nimm ihn auf“, schreibt der Apostel, „das ist mein Herz.“ „Wenn du mich nun für deinen Genossen hältst, so nimm ihn auf wie mich“ (V. 13, 17).
Allerdings hatte Onesimus wahrscheinlich seinen Herrn auch betrogen. Paulus übersieht das nicht. Er sagt Philemon nicht, dass er sich über den Verlust (was auch immer es sein mochte) ein entscheidendes Urteil bilden sollte, sondern gibt ihm vielmehr die Zusage, die Schuld zu begleichen, wenn Philemon es fordern würde. „Wenn er dir aber irgendein Unrecht getan hat oder dir etwas schuldig ist, so rechne dies mir an; Ich, Paulus, habe es mit meiner Hand geschrieben, ich will bezahlen; dass ich dir nicht sage, dass du auch dich selbst mir schuldig bist“ (V. 19). Philemon wusste gut, worauf der Apostel Bezug nahm, und Paulus rechnete offenbar mit einer Antwort, die vollständig seiner Bitte entsprach: „Ja, Bruder, ich möchte Nutzen an dir haben im Herrn; erquicke mein Herz in Christus. Da ich deinem Gehorsam vertraue, so habe ich dir geschrieben, und ich weiß, dass du auch mehr tun wirst, als ich sage“ (V. 20, 21). Paulus hatte gesagt: „Nimm ihn auf wie mich“. Dann, als Onesimus aus dem Blickfeld tritt, wird es eine Sache zwischen Paulus und Philemon (V. 18–21). Paulus hatte es ganz auf sich genommen für jeglichen Schaden, der durch Onesimus entstanden war, aufzukommen.
Nachdem er eine weitere Bitte geäußert hat, schließt er den Brief, den er wahrscheinlich mit seiner eigenen Hand geschrieben hatte (V. 19): „Zugleich aber bereite mir auch eine Herberge, denn ich hoffe, dass ich euch durch eure Gebete werde geschenkt werden“. Im Eingangsgruß hatte er neben Philemon noch weitere Personen genannt, so rechnete er mit den Gebeten aller, während er Philemon bat, ihm eine Herberge zu bereiten. Falls Paulus seiner Absicht nachgekommen ist und Kolossä den ersten Besuch in seiner missionarischen Laufbahn abgestattet hat, ist er sicherlich nicht kühl empfangen worden, noch ist sein Herz dadurch beschwert worden, dass Onesimus schlecht behandelt wurde. Philemon, Onesimus, Paulus und Apphia waren mit Sicherheit in glücklicher Gemeinschaft in Philemons Haus vereint, wo die Versammlung der Heiligen stattfand.
Es folgt der Abschiedsgruß an Philemon. „Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christus Jesus, Markus, Aristarchus, Demas, Lukas, meine Mitarbeiter“. Im Brief an die Kolosser war Aristarchus sein Mitgefangener. Hier ist es Epaphras. Haben die Brüder sich abgewechselt in der Teilnahme an der Gefangenschaft des Apostels? Die Grüße wurden, wie schon erwähnt, an Philemon gerichtet. Paulus' abschließende Wünsche galten seinem ganzen Haus. „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist!“ (V. 25). Es ist ein Beweis göttlicher Weisheit, dass dieser Brief in der Heiligen Schrift zu finden ist. Was die Lehre der Gnade angeht, so finden wir diese an anderen Stellen der Schrift. Bestimmte Fragen des gesellschaftlichen und christlichen Lebens werden jedoch hier beantwortet. (C. E. Stuart)
Christus hat uns vor Grundlegung der Welt auserwählt und wir werden in Ihm sein, wenn die Himmel und Erde vergangen sind. Was kann diese ewige Einheit noch antasten? „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins seien, gleichwie wir eins sind“. (G. V. Wigram)
Während das Auge mit Freude auf Christus in der Herrlichkeit blickt, prägt der Heilige Geist den Christus, in dem wir uns freuen, in unsere Herzen.