Das Evangelium nach Markus
Kapitel 1
Der Schreiber dieses Evangeliums war jener „Johannes, genannt Markus“ (Apg 15,37), der als Begleiter des Paulus und Barnabas auf ihrer ersten Missionsreise in seinem Dienst versagt hatte und der später zum Anlaß einer Erbitterung zwischen diesen beiden wurde. Zuerst versagte er selbst, und dann wurde er der Anlaß zu einem weiteren Versagen bei solchen, die größer waren als er. Das war ein betrüblicher Anfang seiner Geschichte, doch schließlich wurde er gründlich wiederhergestellt, so daß er dem Herrn nützlich war, ein hervorragendes Werk zu tun. Er schrieb das Evangelium, das den Herrn Jesus als den vollkommenen Knecht Jehovas, den Propheten des Herrn, darstellt.
Er überschreibt sein Buch mit „Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes“, so daß wir von Beginn an nicht vergessen dürfen, wer dieser vollkommene Diener ist. Er ist der Sohn Gottes, und dieser Tatsache wird weiterer Nachdruck verliehen durch Zitate aus Maleachi und Jesaja in den Versen 2 und 3, wo Er, dessen Weg zu bereiten war, in Seiner Göttlichkeit gesehen wird, nämlich Jehova selbst. Der Auftrag des Boten, der in der Wüste ruft, ist schon der Anfang Seiner frohen Botschaft.
Dieser Bote war Johannes der Täufer, und in den Versen 4-8 haben wir einen kurzen Abriß seines Auftrags und seines Zeugnisses. Die Taufe, die er predigte, bedeutete Buße zur Vergebung der Sünden, und die Zuhörer, die sich taufen ließen, bekannten ihre Sünden. Sie hatten einzugestehen, daß sie ganz verderbt waren. Deshalb war es sehr passend, daß Johannes selbst sich von einer Gesellschaft, die er verurteilen mußte, klar zurückzog. In seiner Bekleidung, seiner Nahrung wie auch hinsichtlich seines Aufenthaltsortes in der Wüste nahm er eine abgesonderte Stellung ein.
Moses hatte das Gesetz gegeben. Elia hatte das Volk wegen seines Abweichens vom Gesetz angeklagt und es zu neuer Treue ihm gegenüber zurückgerufen. Johannes drang nicht darauf, daß sie das Gesetz halten sollten, obwohl er in dem Geist und der Kraft des Elia gekommen war; vielmehr sollten sie ehrlich bekennen, daß sie es gänzlich gebrochen hatten. Ein solches Bekenntnis bereitete sie zu für seine weitere Botschaft, die den unendlich Größeren betraf, der im Begriff war zu kommen und mit Heiligem Geist taufen würde. Seine Taufe würde weitaus bedeutender sein als die Taufe des Johannes, so wie Er auch persönlich weit über ihm stand. Er, der in solcher Weise den Heiligen Geist auszugießen vermag, kann niemand anders sein als Gott selbst.
Damit ist der Anfang der Frohen Botschaft im Wirken des Johannes beschrieben, und als nächstes werden wir mit der Taufe des Herrn Jesus bekanntgemacht. In den Versen 9-11 wird dies gestrafft mitgeteilt. Der Bericht zeigt die Merkmale äußerster Kürze und Genauigkeit, wie wir sie durch das ganze Evangelium hin finden. Jesus kommt von Nazareth her, dem geringen, ja verächtlichen Ort in Galiläa, und unterwirft sich der Taufe des Johannes; nicht, weil Er etwas zu bekennen hatte, sondern weil Er sich mit denen einsmachen wollte, die in Buße einen Schritt in die rechte Richtung taten. Und gerade da, noch ehe Er Seinen öffentlichen Dienst begann, wurde die Zustimmung des Himmels zu diesem vollkommenen Diener offenbar, damit niemand Seine demutsvolle Taufe falsch deuten könnte. Der Geist fuhr wie eine Taube auf Ihn hernieder, und die Stimme des Vaters wurde gehört, die Seine Person und Seine Vollkommenheit bekundete. Der Knecht des Herrn wird mit dem Geist versiegelt, wobei die Taube Reinheit und Frieden versinnbildlicht. Nachdem Er Mensch geworden war, mußte Er selbst den Geist empfangen; augenblicklich gießt Er als der Auferstandene diesen Geist als Taufe auf andere aus. In der Vollmacht dieses Geistes ging Er aus zu Seinem Dienst. Beachten wir auch, daß uns hier erstmalig eine klare Offenbarung der Gottheit als des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes gegeben wird.
Die erste Handlung des Geistes in Seinem Fall tritt in den Versen 12 und 13 vor uns. Indem Er ausgeht, dem Willen Gottes zu dienen, muß Er erprobt werden, und der Geist treibt Ihn dazu. Zum erstenmal finden wir hier das Wort „alsbald“ oder „sogleich“, das in diesem Evangelium so oft vorkommt. Rechter Dienst ist gepaart mit bereitwilligem Gehorsam. Deshalb sehen wir bei unserem Herrn, daß Er auf dem Pfad Seines Dienstes auch nicht einen Augenblick verlor.
Er mußte erprobt werden, bevor Er öffentlich diente, und diese Erprobung findet unverzüglich statt. Als der erste Mensch erschien, wurde er bald von dem Teufel versucht und fiel. Jetzt war der zweite Mensch erschienen, und auch Er sollte von demselben Teufel versucht werden. Doch statt sich in einem schönen Garten aufzuhalten, befindet Er sich in der Wüste, in die der erste Mensch seinen Garten verwandelt hatte. Er war unter wilden Tieren, wild deshalb, weil Adam gesündigt hatte. Während vierzig Tagen wurde Er erprobt, das ist das volle Maß einer Bewährungszeit, und Er ging als Sieger daraus hervor, denn am Ende dienten Ihm heilige Engel.
Hier werden uns keine Einzelheiten der verschiedenen Versuchungen mitgeteilt; wir erfahren lediglich die Tatsache, die näheren Umstände und das Ergebnis. Der Knecht des Herrn wurde völlig erprobt, Seine Vollkommenheit wurde offenbar. Er ist zum Dienst bereit. In Vers 14 verläßt deshalb Johannes die Szene. Der Anfang der Frohen Botschaft ist vorüber, und ohne weitere Erklärung führt ein knapper Bericht in Seinen wunderbaren Dienst ein.
Seine Botschaft wird umschrieben als „das Evangelium des Reiches Gottes“, und Vers 15 gibt uns eine kurze Zusammenfassung seiner Bedingungen. Vom Reich Gottes war im Alten Testament, ganz besonders in Daniel, gesprochen worden. In Kapitel 9 dieses Buches war eine bestimmte Zeit für die Ankunft des Messias und die Erfüllung der Prophezeiungen angegeben. Die Zeit war jetzt erfüllt, und in Ihm war das Reich ihnen nahe. Er rief Menschen zur Buße und zum Glauben daran auf. Mit dieser Verkündigung kam Er nach Galiläa. Für den Augenblick stand Er allein in diesem Dienst.
Doch Er blieb nicht lange allein. Hier und da wurde Seine Botschaft angenommen, und Er begann, aus den Reihen derer, die glaubten, einige zu berufen, in Seinem Dienst enger mit Ihm verbunden zu sein und ihrerseits „Menschenfischer“ zu werden. Er selbst war der große Menschenfischer, wie Er sich uns in den beiden Begebenheiten der Verse 16-20 darstellt. Er wußte, wen Er zu Seinem Dienst berufen wollte. Als Er die Söhne des Zebedäus sah, berief Er sie „sogleich“, und von den Söhnen Jonas' wird gesagt, daß sie bei Seinem Ruf „sogleich die Netze verließen und ihm nachfolgten“. Als der große Diener Gottes sprach Er ihre Berufung unverzüglich aus, und ebenso unverzüglich gehorchten sie als Diener, die Ihm unterstellt waren.
Es ist beachtenswert, daß alle vier Jünger, die hier berufen wurden, fleißig in ihrer Arbeit waren. Petrus und Andreas waren mit dem Fischfang beschäftigt, auch Jakobus und Johannes waren trotz der Arbeitspause nicht untätig, sondern besserten Netze aus.
In Vers 16 heißt es „er ... wandelte“, aber in Vers 21 „sie gehen“. Die Männer, die Er berufen hatte, waren nun bei Ihm, lauschten Seinen Worten und sahen Seine mächtigen Taten. Als sie nach Kapernaum kamen, lehrte Er „sogleich“ am Sabbat, und Seine Rede war mit Autorität. Die Schriftgelehrten gaben bloß die Gedanken und Meinungen anderer wieder und waren so auf das Ansehen berühmter Rabbis früherer Zeiten angewiesen, Er aber setzte durch Seine erkennbare Autorität das Volk in Erstaunen. Dieser Eindruck war so stark, daß er sofort bemerkt wurde. Er war in der Tat der Prophet mit den Worten Jehovas in Seinem Mund, wovon Moses geredet hatte (5. Mo 18,18.19).
Und Er hatte nicht nur Autorität, sondern auch Macht – echte wirksame Kraft. Sie offenbarte sich bei gleicher Gelegenheit in Seinem Handeln an dem Menschen mit dem unreinen Geist. Dieser Mann, der von einem Dämon beherrscht wurde, anerkannte Ihn als den Heiligen Gottes und nahm doch an, daß er von Ihm Verderben zu erwarten habe. So sah der Herr sich herausgefordert und offenbarte sich als Befreier und nicht als Verderber. Es ist der Teufel, der zu verderben sucht, und ihm diente der Dämon, der den armen Mann nun zerrte und nach seinem Vermögen alles tat, um ihn zu verderben, ehe er von ihm ausfuhr. Doch in der Gegenwart der Macht des Herrn konnte er die Herrschaft über sein Opfer nicht behalten.
Erneut wurde das Volk von Verwunderung ergriffen. Sie sahen jetzt „Gewalt“ in Seinem Werk, die sie vorher bei Seiner Rede empfunden hatten. Sie stellen eine zweifache Frage: Was ist das für eine Sache? Was ist das für eine neue Lehre? Beides muß im Dienst für Gott immer zusammengehen. Das Wort muß durch das Werk gestützt werden. Wenn es nicht so ist oder wenn, was noch schlimmer ist, unsere Werke sich im Widerspruch zu den Worten befinden, dann ist unser Dienst schwach oder vergeblich.
Bei dem Herrn Jesus war beides vollkommen. Seine Belehrungen waren voller Autorität, und mit derselben Autorität befahl Er selbst den Dämonen Gehorsam. Sein Ruhm verbreitete sich daher mit einer Schnelligkeit, wie sie dem Eifer Seines wunderbaren Dienstes für Gott an den Menschen angemessen war.
Noch sind wir nicht am Ende mit den Geschehnissen an diesem wunderbaren Tag in Kapernaum, denn Vers 29 berichtet uns, daß sie in das Haus Simons und Andreas' kamen, nachdem sie die Synagoge verlassen hatten. Sie taten dies wieder „sogleich“ – dieses Wort haben wir als charakteristisch für Sein unverzügliches Handeln gefunden. Unser hochgelobter Herr vergeudete keine Zeit, und auch Seine neuen Nachfolger taten es Ihm gleich, denn „sogleich“ berichten sie Ihm von der Not in diesem Haus. Menschliche Not als Folge der Sünde des Menschen begegnete Ihm auf Schritt und Tritt. Das war ebenso offensichtlich im Haus derer, die Seine Jünger geworden waren, als auch in der Synagoge, dem örtlichen Zentrum ihrer religiösen Verrichtungen.
Dämonische Macht zeigte sich im religiösen und Krankheit im häuslichen Kreis. Er konnte beiden Übeln begegnen. Der Dämon verließ den Menschen völlig und sofort. Gleicherweise wich das Fieber bei der Frau; ohne daß noch eine Zeit der Genesung nötig gewesen wäre, konnte sie sich ihren gewöhnlichen Haushaltspflichten sofort wieder zuwenden. Kein Wunder, daß wenig später „die ganze Stadt an der Tür versammelt“ war.
Sehr schön ist das Gemälde der Verse 32-34. „Am Abend, als die Sonne unterging“ und das Tagewerk getan war, brachte das zusammengeströmte Volk eine große Menge notleidender Menschen zu Ihm, und Er spendete Erbarmen und heilende Kraft nach allen Seiten. Doch erlaubte Er den Mächten der Finsternis kein Zeugnis über sich. Seine Barmherzigkeit und Macht bezeugten deutlich genug, wer es war, der hier unter Menschen Seinen Dienst tat. Johannes berichtet uns in seinem Evangelium, daß Jesus viele andere Zeichen getan hat, die nicht aufgeschrieben worden sind. Hier sind einige berichtet, ohne daß Einzelheiten mitgeteilt werden.
Die Geschichte, wie Markus sie uns darstellt, eilt schnell weiter. Obwohl die Werke Seiner Barmherzigkeit sich bis in den späten Abend fortsetzten, erhob Er sich, lange bevor es Tag wurde, und suchte die Einsamkeit auf, um dort zu beten. Wir haben soeben der Autorität und Macht dieses vollkommenen Dieners Gottes unsere Aufmerksamkeit geschenkt. Hier sehen wir Seine Abhängigkeit von Gott, ohne die es keinen wahren Dienst geben kann. Der Knecht achtet auf den Herrn, und obwohl Er, der hier dient, „Sohn“ ist, verleugnet ER dieses bezeichnende Merkmal nicht, vielmehr verleiht Er ihm in sich selbst durch vollkommenen Gehorsam den höchsten Ausdruck. Wir lesen, daß Er „an dem, was er litt, den Gehorsam lernte“ (Heb 5,8), und zweifellos ist dieses Wort zutreffend für Seinen ganzen irdischen Pfad und nicht etwa nur für die letzten Leiden mehr physischer Art.
Wie redet dies zu allen, die dienen, wie gering auch unser Dienst sein mag! Sein Tag war so sehr von Tätigkeit angefüllt, daß Er viele Stunden der Nacht im Gebet verbrachte: und Er war der Sohn Gottes. Ein großer Teil unserer Kraftlosigkeit hat seine Ursache in dem Mangel an Gebet in der Stille.
Die nächsten vier Verse (36-39) zeigen uns die Ergebenheit des Dieners Gottes. Daß Er sich an einen einsamen Ort zurückgezogen hatte, scheinen Petrus und andere als einen unerklärlichen Mangel an Selbstvertrauen gedeutet zu haben, oder vielleicht mochten sie denken, wertvolle Zeit werde nicht genutzt. Alle suchten Ihn, der diese gute Zeit volkstümlicher Beliebtheit zu verpassen schien. Aber Ihm lag durchaus nichts an Popularität. Er war gekommen, um zu dienen und die göttliche Botschaft zu verkündigen. Ohne Rücksicht auf Beliebtheit bei dem Volk setzte Er Seinen Dienst durch die Städte Galiläas hin fort. Er widmete sich dem Auftrag, mit dem Er betraut worden war.
Die letzten Verse dieses ersten Kapitels malen uns noch ein liebliches Bild von dem Mitgefühl dieses vollkommenen Dieners Gottes. Ein Aussätziger tritt zu Ihm, in seinem körperlichen Zustand so widerwärtig, wie ein Mensch nur sein kann. Der arme Mann hatte Glauben, der aber Mängel aufwies. Er war zuversichtlich hinsichtlich der Macht des Herrn, hatte aber noch Zweifel an Seiner Gnade. Bei uns hätte es sicher Abscheu und heftige Entrüstung hervorgerufen, wenn unsere freundlichen Gefühle so verkannt worden wären. Er war von Mitleid bewegt. Bewegt davon – überlesen wir das nicht! Und Er betrachtete nicht nur diesen elenden Menschen in mitfühlender Liebe, Er handelte. Die unerschöpfliche Quelle göttlicher Liebe in Ihm ergoß sich und floß über. Mit Seiner Hand berührte Er ihn und mit Seinen Lippen sprach Er, und der Mann wurde geheilt.
Es war eigentlich nicht nötig, daß der Herr ihn berührte, denn in manchem verzweifelten Fall hatte Er über eine Entfernung hin geheilt. Kein Jude hätte auch nur daran gedacht, einen Aussätzigen zu berühren und sich dadurch eine Verunreinigung zuzuziehen, doch der Herr tat es. Er war erhaben über jede Möglichkeit einer Verunreinigung, und diese Berührung war ebenso ein Zeichen Seines Mitgefühls wie Seiner Macht. Er bestätigte damit Sein Wort „Ich will“ und nahm dem Mann für immer jeden Zweifel an Seiner Bereitwilligkeit.
Wieder sehen wir, daß dem Herrn nicht daran gelegen war, die Volksmenge zu begeistern und allenthalben bekannt zu werden. Er wies den Geheilten an, in der von Mose vorgeschriebenen Weise die Bestätigung seiner Heilung zu erwirken und sonst zu schweigen. Dieser jedoch war so von Freude erfüllt, daß er dennoch die Sache ausbreitete. Das hatte zur Folge, daß der Herr für einige Tage die Städte mied und sich außerhalb an öden Örtern aufhielt. Kaum etwas interessiert und erregt die Menschen mehr als eine wunderbare Heilung, Er aber suchte geistliche Wirkungen. Es gibt moderne Bewegungen, die Heilungen propagieren und für beträchtliches Aufsehen sorgen trotz der Tatsache, daß ihre angeblichen „Heilungen“ den Heilungen unseres Herrn sehr unähnlich sind. Die Akteure dieser Bewegungen ziehen sich keinesfalls vom Ausbruch öffentlicher Begeisterung zurück, sondern genießen sie vielmehr.