Bemerkungen über die Johannesbriefe
1. Johannes 1
Die große Hauptwahrheit des ganzen Briefes wird schon im ersten Vers zum Ausdruck gebracht: Das ewige Leben ist herabgekommen als ein wirkliches Leben. Jenes ewige Leben, das bei dem Vater war, betrat tatsächlich in der Person Christi diese Welt. Das Alte, das den ersten Adam ausmachte, wird ganz und gar verworfen. Es stimmt natürlich: Solange wir in diesem Leib sind, finden wir letzteren noch in uns. Doch es gibt zudem einen Zweiten Menschen, den Herrn vom Himmel, der in die Welt eingetreten ist, weil der erste Mensch ausgetrieben worden war. Er kam in gesegneter Gnade herab. „Wir haben es gesehen“, sagt Johannes, „und gehört“ – von dem Wort des Lebens, welches Christus ist. Er wandelte durch diese Welt als eine ganz andere Art des Lebens. Dieses Kommen nennt Johannes „von Anfang.“ Es war etwas völlig Neues, das sich hienieden zeigte.
Wo immer die Fülle der Gnade eingeführt wird – nämlich unsere Vorrechte und Beziehungen –, werden uns Vater und Sohn vorgestellt. Natürlich handelt es sich um Gott – aber um Gott, der in diesen Beziehungen geoffenbart wird.
Das erste, das wir hier finden und welches uns kraft des von Gott geschenkten Lebens gegeben worden ist, besteht in der Fülle des Vorrechts der Heiligen in Christus. Sie haben Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohn Jesus Christus. Das führt einen zweiten Gesichtspunkt vor uns und zwar diesen: Wenn du sagst, du habest jene Art von Gemeinschaft und wandelst in der Finsternis, dann stimmt das nicht; denn die Finsternis kann keine Gemeinschaft mit Licht haben. Wenn du die vollkommene Gnade besitzt, welche das göttliche Leben bringt – das Leben, welches sich in der Person Christi geoffenbart hat und danach uns gegeben wurde –, dann sagt Johannes dir als nächstes, daß es Licht ist. Gott wechselt die Heiligkeit Seiner Natur nicht; darum ist der Anspruch auf Gemeinschaft mit dieser Heiligkeit, falls wir in der Finsternis wandeln, ganz und gar falsch. Danach stellt Johannes das Heilmittel hinsichtlich unseres Zustands vor. Es besteht darin, daß Christus uns reinigt und für das Licht passend macht. Als Zweites lesen wir dann noch im nächsten Kapitel, daß, wenn wir in unserer Schwachheit in Sünde gefallen sind, „wir einen Sachwalter bei dem Vater (haben), Jesum Christum, den Gerechten.“ Die Gnade hat für das Böse vorgesorgt, obwohl es in diesem Zustand keine Gemeinschaft mit Gott geben kann. Zuerst haben wir also die Fülle der Segnung, dann ihre Natur und ihr Wesen, nämlich Gottes Licht und Reinheit. Danach erfahren wir von den Mitteln, durch welche es möglich ist, daß solche Sünder wie wir diese ganze Segnung besitzen können, und zwar zunächst durch die Reinigung und zweitens durch die Sachwalterschaft Christi.
„Was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben, betreffend das Wort des Lebens.“ (V. 1). Christus wird in dieser Welt als der Anfang von allem gesehen. Das heißt nicht, daß die früheren Erlösten von Ihm kein Leben aus dem Himmel empfangen hätten. Aber die Grundlage von allem war bisher niemals geoffenbart worden.
„Was von Anfang war, was wir gehört ...“ Es war ein Mensch in einem Leib. Das Leben kommt jetzt natürlich durch die Kraft des Wortes; doch jene Jünger hatten dieses ewige Leben in der Person eines Menschen, der über diese Erde ging, gesehen. So wie wir das natürliche Leben in Adam sehen können, so sehen wir das göttliche Leben in Christus. Wenn wir das Leben in uns anschauen, dann ist es mit Versagen verbunden. Die Vollkommenheit des Lebens erkenne ich indessen, indem ich Christus anschaue. „Und das Leben ist geoffenbart worden, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns geoffenbart worden ist.“ (V. 2). Dort sehen und erkennen wir es; und unser geistlicher Zustand beruht auf dem Grad, in dem wir es verwirklichen. Die Jünger hatten es im Fleisch gekommen gesehen; und uns wurde es verkündigt, damit wir mit ihnen Gemeinschaft haben – und ihre Gemeinschaft ist mit dem Vater und Seinem Sohn Jesus Christus. Hier handelt es sich nicht einfach um eine Person, die durch das Werk Christi vor Gott gerechtfertigt ist, sondern um eine Gemeinschaft mit Gott kraft eines Lebens, das in Christus vor Gott bestand – ein Leben, das vollkommen mit allem übereinstimmt, was Gott ist. Wenn wir die neue Natur anschauen, welche uns gegeben wurde in ihrer Heiligkeit und Liebe, finden wir dieselbe auch in Gott. Er gibt mir dieses Leben, damit ich Kraft habe. Es kann mir keine Offenbarungen schenken, aber es gibt mir Gemeinschaft mit Gott. Ich bin nicht nur vor Ihm gerechtfertigt, sondern habe auch dieselben Gedanken und Gefühle wie Er. Gott hat sie in sich selbst; wir empfangen sie von Ihm. Dennoch sind es dieselben. Das ist Gemeinschaft. Es gibt gemeinsame Gedanken, Freuden und Gefühle zwischen dem Vater und dem Sohn; das wissen wir, und wir nehmen daran teil. Gott hat uns den Heiligen Geist gegeben, damit wir Kraft haben, wenn der Geist in uns wirkt. Alles das wurde in der Person Christi in den Empfindungen eines Menschen entsprechend der göttlichen Natur verwirklicht. Wenn meine Seele sich an Christus erfreut und die Segnungen in Ihm erkennt – weiß ich dann nicht, daß auch mein Vater sich an Ihm erfreut? Er erfreut sich an Ihm in Heiligkeit und Liebe; und so ist es auch bei uns. Das ist Gemeinschaft. Wir erhalten Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Diese Segnung habe ich empfangen. Es geht hier nicht einfach um die Tatsache, daß ich, der ich einst ein Sünder war, von Gott angenommen bin. Christus ist mein Leben geworden. Dadurch erhalte ich die Glückseligkeit der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Der Vater liebt den Sohn, und der Sohn liebt den Vater; und auch ich habe ihre göttlichen Zuneigungen geschenkt bekommen und Gemeinschaft mit ihnen. Dahin führt Gott uns. Das ist vollkommene Glückseligkeit.
Das wird keinesfalls ausschließlich im Himmel verwirklicht; denn eine solche Gemeinschaft mit Seinem Vater hatte Christus nicht im Himmel 1. Er diente Seinem Vater auf der Erde – gab in allem Seinen eigenen Willen auf. Das Leben wurde uns hier geoffenbart und nicht im Himmel. Natürlich werden wir die volle Segnung davon erst im Himmel kennen lernen. Darum sagt Johannes: „Dies schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig sei.“ (V. 4). Wir haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohn Jesus Christus. Sogar im Himmel gibt es nichts, was diese Segnung übertreffen könnte. Daher gilt: „Dies schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig sei.“ Das ist die Segnung, in welche Christus uns hineinversetzt hat.
Nun kommt die Probe, um Selbsttäuschung auszuschließen. „Dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: daß Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist.“ (V. 5). Wenn Christus dieses ewige Leben offenbarte, dann offenbarte Er auch Gott. „So lange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“ (Joh 9, 5). Zusammen mit dem Gedanken vom Leben führt Er auch jene Probe ein, welche alles in uns prüft. Das ist die andere Seite der Wahrheit. Diese läuft durch diesen ganzen Brief. „In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ (Joh 1, 4). Hier wird gesagt: „Gott (ist) Licht und gar keine Finsternis in ihm.“ Nichts ist reiner als Licht; und es enthüllt alles. Das war Christus – vollkommen rein; und als Solcher enthüllte Er alles. „Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit.“ (V. 6). Das ist der Natur der Dinge nach unmöglich. Falls die Reinheit dieser göttlichen Natur fehlt, welche in uns Licht ist, gibt es keine Gemeinschaft mit Gott. Wenn wir behaupten, daß es trotzdem so sei, dann lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Alles muß Gott Selbst entsprechen. Gott wird geoffenbart. Du kannst einem Menschen kein Licht geben, noch für dich selbst das Licht finden. Es war in Ihm. Jetzt ist Gott im Fleisch geoffenbart worden; und darum mußt du „in dem Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist.“ Falls wir dieses tun, „haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ (V. 7). In diesem siebten Vers finden wir die drei Teile unseres christlichen Zustands als Menschen gesehen, die hienieden wandeln. Wir wandeln im Licht, wie Gott im Licht ist. Alles wird gerichtet der Person entsprechend, mit Der wir Gemeinschaft haben. Als nächstes besitzen wir etwas, wovon die Welt nichts weiß: „Wir (haben) Gemeinschaft miteinander.“ Das heißt: Ich besitze dieselbe göttliche Natur mit jedem anderen Christen zusammen – derselbe Heilige Geist wohnt in mir. Daraus muß Gemeinschaft folgen. Ich mag auf der Reise einem völlig Fremden begegnen; und trotzdem kann es mit ihm mehr Gemeinschaft geben als mit einem alten Bekannten, den ich schon mein ganzes Leben lang kenne, weil in ersterem das göttliche Leben wohnt. Für die neue Natur gilt in diesem Fall selbstverständlich: Hier ist Gemeinschaft! Doch außerdem bin ich gereinigt: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“
Wir sind im Licht, wie Gott im Licht ist. Wir haben Gemeinschaft miteinander; und wir sind durch das Blut Jesu Christi gereinigt.
Danach geht Johannes ein wenig mehr auf den praktischen Zustand unseres Gewissens ein. „Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ (V. 8). Hier tritt die Wahrheit in unserem Inneren nach außen. Die neue Natur in uns richtet alle Sünde in uns. Johannes leugnet nicht, daß wir die Wahrheit erkannt haben; aber wenn Christus die Wahrheit in mir ist, muß sie alles als Sünde richten, das noch vom alten Menschen stammt. Wenn ein Mensch die Wahrheit nur äußerlich gelernt hat, kann er möglicherweise über jede Angelegenheit gut reden. Falls hingegen die Wahrheit in uns ist, wird alles herausgestellt. Wenn ich sage, daß ich im Fleisch gesehen keine Sünde habe, betrüge ich mich selbst; und die Wahrheit ist nicht in mir. Hier geht es indessen nicht ausschließlich um das Aussprechen der Tatsache, daß Sünde in mir ist. Herz und Gewissen müssen wirklich berührt sein, um zugeben zu können, daß ich persönlich dem Fleisch folgte. Es geht hier nicht um Lehre. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.“ (V. 9). Gottes Verhalten uns gegenüber ist voller Gnade und Vergebensbereitschaft; und Er reinigt uns vollkommen.
„Wenn wir sagen, daß wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.“ (V. 10). Wenn wir behaupten, nicht gesündigt zu haben, machen wir Ihn zum Lügner. Das bedeutet nicht nur, daß die Wahrheit nicht in uns ist. Wir machen außerdem Gott selbst in Seinem Wort zum Lügner. Durch die Behauptung, keine Sünde zu haben, betrüge ich mich selbst. Wenn ich jedoch behaupte, nicht gesündigt zu haben, leugne ich die Wahrheit Gottes auch äußerlich, weil Er sagt, daß alle gesündigt haben. Ich leugne dann tatsächlich die ganze Wahrheit Gottes. Doch diese Forderungen werden gestellt: Zuerst, wir sollen wissen, daß die Wahrheit in uns ist, und dann, wir sollen unsere Sünden bekennen. Ein Mensch mag schrecklich stolz sein und es nicht bekennen wollen. Wenn indessen in einer Person durch die Gnade Gottes die neue Natur die Oberhand gewonnen hat, haßt sie sich selbst, anstatt die Sünde zu entschuldigen. Sie bekennt sie und steht auf dem richtigen Boden vor Gott; und Gott sagt: „Ich will dir vergeben. Die Sünden sind weggetan.“ Wir stehen vor Gott in dem Wissen Seiner Gunst. Doch wir stehen außerdem vor Gott in dem Bewußtsein, daß wir in Seinen Augen völlig rein sind.
Wenn ich mit dem geringsten Schmutz auf mir in das Licht trete, erkenne ich ihn sofort. Wenn ich mich im Dunklen aufhalte, sehe ich nichts. Wenn wir uns vor Gott im Licht befinden, wird alles sichtbar. Falls ich jedoch gereinigt und im Licht bin, erkenne ich nur um so mehr, daß es bei mir keinen Flecken gibt. Die beiden Anfangsverse von Kapitel 2 zeigen das Mittel, sodaß wir uns im Licht aufhalten können.
Das erste Kapitel beschäftigt sich also mit diesen beiden Gegenständen: Erstens mit der Fülle des Segens in Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und zweitens mit der Natur jener Gemeinschaft. Danach sehen wir, wie ein Sünder letztere besitzen kann. Dabei geht es um den persönlichen Zustand der Seele, die sich richtet und die Sünden bekennt, sowie um die Wahrheit im Inneren. Ich kann nicht sagen, daß ich keine Sünde habe; und dennoch sage ich, daß ich vor Gott rein da stehe. In dieser Hinsicht irren sich viele Menschen. Sie benötigen eine göttliche Natur, welche, anstatt sich auf Werke zu stützen, alles dem Licht entsprechend richtet. Wo Sünde auf dem Gewissen liegt, kann es keine Gemeinschaft geben – obwohl ein gesegnetes Hilfsmittel der Gnade vorhanden ist, welches reinigt. „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ In den Versen 1 und 2 von Kapitel 2 finden wir das Heilmittel für tägliche Verunreinigungen. Dort sorgt Christus nicht für unsere Gerechtigkeit, sondern für die Wiederherstellung der Gemeinschaft.
Fußnoten
- 1 Die letzte Aussage fehlt in den „Coll. Writ.“. (Übs.).