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Eine Auslegung des ersten und zweiten Timotheusbriefes
Einleitung
Verfasser des Briefes
Paulus, der sich im ersten Vers des Briefes nach der Schreibgewohnheit der Antike als Verfasser vorstellt, war ein Jude aus dem Stamm Benjamin (Phil 3,5). Er stammte aus Tarsus in Zilizien (im Südosten der heutigen Türkei) und besaß von Geburt an das römische Bürgerrecht (Apg 22,3.28). Bei dem Rabbi Gamaliel genoss er in Jerusalem eine Ausbildung nach den strengen Maßstäben der Pharisäer (Apg 26,5).
Im NT wird Paulus, der damals noch Saulus hieß, zum ersten Mal bei der Steinigung des Stephanus erwähnt (Apg 7,58). Unmittelbar danach werden seine grausamen Aktivitäten als Verfolger der Versammlung1 berichtet, an die er sich in seinen Briefen noch manchmal mit großer Trauer erinnert (Apg 8,1–3; 9,1–2; 1. Kor 15,9; Gal 1,13; 1. Tim 1,13).
Auf einer Reise nach Damaskus stellte sich ihm der verherrlichte Herr Jesus Christus in den Weg. Saulus bekehrte sich, und Gott, der ihn bereits vom Mutterleib an abgesondert hatte, berief ihn nun dazu, Seinen Sohn unter den heidnischen Nationen zu verkündigen. Unmittelbar nach seiner Errettung predigte er die frohe Botschaft zunächst in den Synagogen der Juden in Damaskus. Da die dortigen Juden ihn umbringen wollten, floh er nach Arabien. Über die drei Jahre, die er dort verbrachte, wird uns nichts mitgeteilt. Danach kam er nach Jerusalem, wo er Petrus kennen lernte (Gal 1,18).
Auch in Jerusalem trachteten die Juden nach seinem Leben, und er flüchtete über Cäsarea in seine Heimatstadt Tarsus. Dort suchte Barnabas ihn auf, der ihn nach Antiochien holte, wo beide dann einige Zeit gemeinsam im Dienst für den Herrn arbeiteten (Apg 11,25–26).
In Antiochien begannen Barnabas und Paulus ihre erste größere Missionsreise nach Zypern und Kleinasien (um 46–49 n. Chr.). Die Stationen dieser Reise waren Salamis, Paphos, Perge, Antiochien (Pisidien), lkonium, Lystra und Derbe. Hier war auch die Heimat des Timotheus. Auf dem Rückweg besuchten sie fast alle Orte nochmals, bevor sie über Attalia nach Antiochien heimkehrten (Apg 13 und 14).
Nach einem zweiten Besuch in Jerusalem (Apg 15 und Gal 2) ging Paulus wiederum von Antiochien auf seine nächste Missionsreise (um 51–54), nun allerdings nicht mehr in Begleitung von Barnabas, sondern von Silas. Diesmal gelangte Paulus zum ersten Mal nach Europa. Zunächst besuchte er nochmals Derbe und Lystra, wo er den jungen Gläubigen Timotheus fand und als weiteren Begleiter mitnahm. In Europa war die erste Station Philippi, dann folgten Amphipolis, Thessalonich, Beröa, Athen und Korinth. Hier blieb Paulus 18 Monate. Von dort kehrte er über Kenchreä, Ephesus und Cäsarea nach Antiochien zurück (Apg 15,36–18,22).
Kurz danach trat er seine dritte Missionsreise an (um 54–58), auf der er zeitweilig auch Lukas als Begleiter hatte. Über Galatien und Phrygien gelangte er nach Ephesus, wo er drei Jahre blieb, von dort nach Mazedonien und Griechenland. Die Rückreise führte ihn wieder über Mazedonien nach Kleinasien und die vorgelagerten griechischen Inseln nach Jerusalem (Apg 18,23–21,17).
Hier wurde Paulus kurz nach seiner Ankunft von feindseligen Juden im Tempel ergriffen und von den Römern in Haft genommen. Nach einer zweijährigen Gefangenschaft in Cäsarea wurde er nach Rom gesandt, weil er sich als römischer Bürger auf den Kaiser berufen hatte. Dort blieb er noch zwei weitere Jahre unter relativ günstigen Verhältnissen gefangen (Apg 21–28). Aus der Gefangenschaft schrieb er Briefe an die Epheser, Philipper und Kolosser sowie an Philemon. Darin drückt er die Hoffnung auf eine baldige Freilassung aus (Phil 1,25; 2,24; Phlm 22). Über den weiteren Lebenslauf des Apostels finden wir außer den Mitteilungen in den Pastoralbriefen (1. und 2. Timotheus, Titus) im NT keine weiteren Angaben.
In 1. Timotheus 1,3 erwähnt Paulus nun, dass er Timotheus in Ephesus zurückgelassen habe, während er selbst nach Mazedonien gereist sei. Diese Mitteilung kann sich weder auf seinen ersten kurzen Besuch in Ephesus auf der Rückkehr von der zweiten Missionsreise (Apg 18,19) noch auf seinen zweiten Aufenthalt in dieser Stadt während der dritten Reise beziehen, denn Paulus zog damals zwar weiter nach Mazedonien und Griechenland; aber in Apostelgeschichte 20,4 wird berichtet, dass Timotheus ihn wieder bis nach Kleinasien zurückbegleitete.
Ein Vergleich des Briefes an die Epheser mit dem ersten Brief an Timotheus zeigt, dass der Zustand der Versammlung zu Ephesus sich verschlechtert hatte (1. Tim 1,3.6.19; 6,10.21).
Schließlich erwähnt Paulus im ersten Brief an Timotheus nichts von einer Gefangenschaft (ebenso im Brief an Titus). Im Epheserbrief hatte er diese Tatsache mehrfach genannt (Eph 3,1; 4,1; 6,20). In dem später geschriebenen zweiten Timotheusbrief bezieht Paulus sich wieder sehr häufig auf seine Gefangenschaft (Kap 1,8.12.16; 2,9; 4,16) und auch auf seinen bevorstehenden Tod (Kap 4,6–7).
Wir dürfen daher wohl annehmen, dass Paulus' Hoffnung auf Befreiung aus der ersten Gefangenschaft sich erfüllt hatte. Er besuchte dann die Versammlung in Ephesus, wo er Timotheus zurückließ, während er selbst nach Mazedonien weiterreiste. Seinem Mitarbeiter Titus teilte er mit, dass er beabsichtigte, einen Winter in Nikopolis zu verbringen (Tit 3,12). Dann zog er noch einmal nach Troas, wo er seinen Mantel und seine Bücher zurückließ (2. Tim 4,13), vielleicht auch nach Ephesus (1. Tim 3,14). Von dort führte ihn sein Weg wohl wieder über Milet und Korinth (2. Tim 4,20) zu seiner zweiten Gefangennahme, deren Ursache und nähere Umstände uns allerdings nicht mitgeteilt werden.
Der erste Brief an Timotheus ist demnach wohl kurz nach dem in Kapitel 1,3 erwähnten letzten Besuch des Apostels in Ephesus in der Zeit zwischen den Jahren 63 und 66 geschrieben worden. Auch die Abfassung des Titusbriefes fällt in diese Zeit. Nach seiner erneuten Gefangennahme schrieb Paulus dann als letztes inspiriertes Zeugnis – wahrscheinlich im Herbst des Jahres 66 – seinen zweiten Brief an Timotheus.
Empfänger des Briefes
Timotheus war der Sohn eines griechischen Vaters und einer jüdischen Mutter. Sowohl seine Großmutter Lois als auch seine Mutter Eunike hatten ihn von seiner Kindheit an mit dem AT, das ja auch die Heilige Schrift der Juden ist, bekannt gemacht (Apg 16,1; 2. Tim 1,5; 3,15). Paulus wurde auf seiner zweiten Missionsreise in der Gegend von Derbe und Lystra (Lykaonien) auf den jungen Gläubigen Timotheus aufmerksam, weil er ein gutes Zeugnis von den Brüdern in Lystra und lkonium hatte (Apg 16,2). Da Paulus bereits auf seiner ersten Reise (Apg 13–15) in dieser Gegend evangelisiert hatte – wobei er die Orte Lystra und lkonium zweimal besucht hatte (Apg 14,1.8.21) –, dürfen wir annehmen, dass Timotheus bereits damals die Botschaft vom Kreuz gehört und im Glauben angenommen hatte. Auch die Mutter und die Großmutter des Timotheus kamen zum Glauben.
Damit ihm die Abkunft von einem heidnischen Vater im Dienst an den Juden nicht hinderlich wäre, beschnitt Paulus den Timotheus (Apg 16,3). Mit diesem neuen Begleiter zogen Paulus und Silas nun durch Kleinasien nach Mazedonien. Von Beröa reiste Paulus allein weiter nach Athen. Silas und Timotheus folgten ihm später dorthin (Apg 17,14;
1. Thes 3,12). Paulus sandte Timotheus jedoch aus geistlicher Sorge um diese junge Versammlung noch einmal nach Thessalonich zurück (1. Thes 3,1–6). Erst in Korinth trafen sie wieder zusammen und schrieben von dort aus den ersten Brief an die Thessalonicher (Apg 18,5; 1. Thes 1,1).
Auch auf der dritten Missionsreise begleitete Timotheus den Apostel Paulus. Von Ephesus wurde er dann gemeinsam mit Erastus nach Mazedonien und weiter nach Korinth gesandt, wo er nach Ankunft des ersten Korintherbriefes eintraf (Apg 19,22; 1. Kor 4,17; 16,10). Bei der Abfassung des zweiten Korintherbriefes befand Timotheus sich wieder bei Paulus in Mazedonien (2. Kor 1,1). Als Paulus nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Griechenland über Mazedonien nach Kleinasien zurückkehrte, wartete Timotheus mit einigen anderen Brüdern in Troas auf ihn (Apg 20,3–6). Wahrscheinlich ist er dann aber nicht mit nach Jerusalem gezogen, sondern in Ephesus geblieben, wo er auch später auf Bitten des Apostels gearbeitet hat. Als Paulus gefangen genommen und nach Rom gebracht worden war, besuchte Timotheus ihn dort. In den Briefen an die Philipper, an die Kolosser und Philemon wird Timotheus in den einleitenden Grußworten neben Paulus erwähnt. Da Paulus selbst die Möglichkeit eines Besuches versagt war, äußerte er im Philipperbrief die Absicht, Timotheus zu ihnen zu senden. Nannte Paulus ihn am Anfang ihrer Zusammenarbeit noch „unseren Bruder und Mitarbeiter Gottes in dem Evangelium“ (1. Thes 3,2), so spricht er im ersten Brief an die Korinther von ihm schon als von seinem geliebten und treuen Kind in dem Herrn (1. Kor 4,17). Die wärmsten und liebevollsten Ausdrücke gebraucht er jedoch in Philipper 2,19–22: „Ich hoffe aber in dem Herrn Jesus, Timotheus bald zu euch zu senden, dass auch ich guten Mutes sei, wenn ich eure Umstände weiß. Denn ich habe niemand gleich gesinnt, der von Herzen für das Eure besorgt sein wird; denn alle suchen das Ihrige, nicht das, was Jesu Christi ist. Ihr kennt aber seine Bewährung, dass er, wie ein Kind dem Vater, mit mir gedient hat an dem Evangelium. Diesen nun hoffe ich sofort zu euch zu senden, wenn ich gesehen haben werde, wie es um mich steht.“
Dieser junge und schüchterne, aber treue Diener des Herrn und Mitarbeiter des Apostels Paulus war einer der wenigen, die auch dann noch fest an seiner Seite standen, als viele sich eines gefangenen Paulus schämten und sich von ihm abwandten. Als Paulus nach seiner Freilassung noch einmal einige seiner früheren Wirkungsstätten besuchte, konnte er Timotheus vertrauensvoll in Ephesus zurücklassen. In der Hoffnung, bald zu ihm zu kommen, aber ahnend, dass der Herr einen anderen Weg für ihn ersehen hatte, schrieb er Timotheus seinen ersten Brief.
Der besseren Übersicht halber können wir den ersten Timotheusbrief wie folgt einteilen:
Kapitel 1 Gruß und Gnade
- Verse 1- 2 Absender, Empfänger und Gruß
- Verse 3- 4 Warnung vor falscher Lehre
- Verse 5–11 Die Bedeutung des Gesetzes
- Verse 12–17 Paulus dankt für die Gnade
- Verse 18–20 Nochmals: Falsche Lehre
Kapitel 2 Gebet und die Stellung der Frau
- Verse 1- 8 Das Gebet
- Verse 9–15 Die Stellung der Frau
Kapitel 3 Aufseher und Diener
- Verse 1- 7 Der Aufseher
- Verse 8–13 Die Diener
- Verse 14–16 Das Verhalten in der Versammlung
Kapitel 4 Falsche und rechte Lehre
- Verse 1- 5 Gefährliche Lehren
- Verse 6–16 Voraussetzungen eines Dieners
Kapitel 5 Witwen und Älteste
- Verse 1–16 Fürsorge für die Witwen
- Verse 17–21 Verhalten gegenüber Ältesten
- Verse 22–25 Persönliches Verhalten
Kapitel 6 Genügsamkeit und Reichtum
- Verse 1–2 Sklaven und Herren
- Verse 3–10 Gewinnstreben
- Verse 11–16 Der Mensch Gottes
- Verse 17–19 Reichtum
- Verse 20–21 Schluss