Der Brief an die Hebräer

Einleitung

Der Brief an die Hebräer

Der Brief an die Hebräer nimmt unter den Briefen von Paulus eine besondere Stellung ein. Auch wenn der Brief den Namen des Schreibers nicht angibt, so vermutet die christliche Kirche mit Recht den Apostel Paulus als Schreiber dieses Briefes. Der Inhalt, die besondere Schreibart, die Grüsse am Ende des Briefes, wie auch die Stellung, die er in der Reihe der Briefe einnimmt, beweisen diese Vermutung.

Die Reihenfolge der vierzehn Briefe des Paulus ist ein deutlicher Beweis der Eingebung und Leitung des Heiligen Geistes. Neun dieser Briefe sind an verschiedene Versammlungen gerichtet, vier an einzelne Personen und einer an die Gläubigen aus Israel. Von den ersten neun Schreiben bildet der Brief an die Epheser den Mittelpunkt. Vier Briefe gehen ihm voran und vier folgen nach. Das ist sehr beachtenswert, weil im Brief an die Epheser die höchste Stellung beschrieben wird, die der Gläubige durch Gottes Gnade einnimmt.

Nachdem Paulus im Brief an die Römer die Lehre des Heils dargestellt hat, behandelt er in den Briefen an die Korinther die Einrichtung, die Ordnung und die Zucht in der Versammlung. Im Brief an die Galater verteidigt er die Heilswahrheit gegenüber der falschen Lehre, die gesetzlich gesinnte, jüdische Lehrer in Galatien einzuführen versuchten, um dann im Brief an die Epheser die himmlische Stellung der Ekklesia, der Versammlung Gottes zu beschreiben. Darauf folgt im Brief an die Philipper die Darstellung des himmlischen Wandels des Christen; in dem Brief an die Kolosser die Beschreibung der Größe und Herrlichkeit des Christus, der als die Hoffnung der Herrlichkeit in den Gläubigen wohnt, damit sie, von allen menschlichen Satzungen und Lehren befreit, auf die Dinge sinnen, die droben sind, wo Christus ist. In den Briefen an die Thessalonicher wird die Lehre betreffs der Wiederkunft des Herrn für die Gemeinde und für die Welt dargestellt.

Nach den Briefen an Timotheus, Titus und Philemon folgt der Brief an die Hebräer, in welchem klar und deutlich gezeigt wird, wie durch das Christentum der Haushaltung des Gesetzes und der vorbildlichen Schatten ein Ende gemacht ist. Alle die Satzungen und Opfer des Alten Bundes finden ihre herrliche Erfüllung in Christus, der als der oberste Führer und Vollender des Glaubens in die Herrlichkeit eingegangen ist, um dort für alle die Seinen einen Platz zu bereiten und ihnen an Seiner Herrlichkeit Anteil zu geben. Der Brief des Jakobus wendet sich an die Gesamtheit des israelitischen Volkes. Das Schreiben des Petrus und das des Paulus hingegen an die Gläubigen aus Israel, die sich in den zerstreuten Versammlungen in Palästina und in der ganzen Welt befanden. Die große Gefahr, in der sich die christliche Kirche befand, ihre Vorrechte preiszugeben und zum Judentum zurückzukehren, veranlasste Paulus zu diesem Schreiben. Die Christen aus den Juden hatten von Anfang an unsäglich viel zu leiden. Sowohl in Palästina, als auch an anderen Orten, standen sie dem glühenden Hass der Juden gegen Jesus von Nazareth, ihrem Herrn und Erlöser, gegenüber, und von diesen aufgestachelt ergoss sich auch die Wut der heidnischen Völker über die gläubigen Hebräer.

Die Apostelgeschichte teilt uns solche Beispiele mit. Mit Mut und Freudigkeit des Glaubens hatten sie diese Verfolgungen und diese Leiden ertragen. Wiewohl sie durch Schmach und Drangsale der Welt ein Schauspiel geworden waren, blieben sie nicht nur standhaft, sondern sie machten sich eins mit denen, die gleich behandelt wurden. Den Raub ihrer Güter hatten sie mit Freuden ertragen, da ihr Blick auf ein besseres, bleibendes Gut im Himmel gerichtet war (Kap. 10). Doch die lange Dauer der Verfolgungen hatte sie mutlos gemacht. Ihre Hände waren schlaff und ihre Knie matt geworden. Sie liefen Gefahr, in ihren Seelen zu ermatten (Kap. 12).

Von diesem Zustand der Erschlaffung hatte der Teufel auf listige Weise Gebrauch gemacht. Er stellte ihnen vor, dass die Verfolgungen ein Ende nehmen würden, sobald sie etwas weniger streng an ihren Grundsätzen festhielten. Sie könnten ganz gut Christen bleiben, ohne sich von den anderen Juden zu trennen. Das Einhalten der jüdischen Satzungen, die doch von Gott selber gegeben waren, würde ihnen nicht schaden, im Gegenteil, sie vom Hass und Widerstand der Juden erlösen, so dass sie fortan ruhig im Besitz ihrer Freiheit und ihrer Güter bleiben könnten. Diesen Versuchungen Satans liehen sie ihr Ohr, ohne die große Gefahr zu sehen. Wenn sie diesen Rat befolgten, würden sie das Christentum preisgeben, die christliche Lehre verwerfen, das Blut des Christus unrein achten und den Geist der Gnade schmähen. Das aber bedeutete nichts anderes, als das einzige Opfer für die Sünde zu verwerfen, so dass kein Opfer mehr für ihre Sünden übrig blieb und ihrer also nichts anderes warten würde als das furchtbare Gericht Gottes und die Glut des Feuers, das die Widersacher verschlingen wird.

Paulus, der die Listen Satans und die Schwachheit des Fleisches kannte, sah durch das Licht des Geistes die furchtbaren Folgen des Abweichens von der Wahrheit. Er fühlte sich gedrängt, sie zu warnen und zu bitten, ihre Freimütigkeit doch nicht wegzuwerfen, sondern viel eher die matten Knie wieder aufzurichten und gerade Bahn für ihre Füße zu machen, damit nicht das Lahme vom Weg abgewandt, sondern vielmehr geheilt werde.

Die Art, in der er das tut, ist ein neuer Beweis für die Eingebung und Leitung des Heiligen Geistes. Gleichwie der Apostel im Brief an die Kolosser gegenüber der jüdischen und heidnischen Philosophie die Schönheit und Größe des Christus, des Herrn und des Hauptes der Herrlichkeit, vor ihre Augen stellt, so zeigt er auch hier die Vortrefflichkeit und Herrlichkeit des Christus gegenüber den vielen Opfern des mosaischen Gottesdienstes. Das jüdische Priestertum nahm ein Ende, das Priestertum nach der Ordnung Melchisedeks bleibt in Ewigkeit. Irdische Vorrechte mussten vor den himmlischen Segnungen weichen.

Fügen wir hier eine kurze Übersicht über den Inhalt dieses wichtigen Briefes an. Die göttliche Herrlichkeit des Christus ist die Grundlage Seines Apostelamtes; Seine leidende, aber hernach verherrlichte Menschheit, die Seines Hohenpriestertums. Dies ist das Fundament der Lehre, die in diesem Brief entwickelt wird. In Kapitel 1 wird die göttliche Herrlichkeit und in Kapitel 2 die verherrlichte Menschheit des Christus dargestellt, der jedoch, bevor Er verherrlicht wurde, all das Leid und all die Versuchungen auf sich nahm, denen die unterworfen waren, für die Er kam, um sie zu erlösen. Also ist Er Apostel und Hohepriester Seines Volkes. An diese zwiefache Herrlichkeit schließt sich eine dritte an. Der Messias ist als Sohn das Haupt über Sein Haus. Dieses Haus bilden die Gläubigen, an die der Schreiber sich richtet, sofern sie die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis zum Ende standhaft festhalten. Diese Erwägung leitet über zu den Ermahnungen in Kapitel 3,7–4,13, wodurch sie angespornt werden, auf die Stimme des Herrn Acht zu geben und sich nicht zu verhärten, damit sie zu der Ruhe eingehen würden, die für das Volk Gottes übrig bleibt. Von Kapitel 4,14–10,18 behandelt Paulus das Hohepriestertum, als notwendige Folge der Veränderung des Priestertums und des Bundes. Er beschreibt den Wert und die Allgenugsamkeit des Opfers Jesu im Gegensatz zu den Schatten des Alten Bundes. Die auf diese Lehre gegründeten Ermahnungen führen zum großen Grundsatz des Ausharrens des Glaubens, der uns in Kapitel 11 in der Wolke von Zeugen aus dem Alten Bund dargestellt wird. Diese Reihe von Glaubenshelden wird durch das Vorbild von Jesus selber gekrönt, der trotz aller Hindernisse die Laufbahn des Glaubens vollendet hat und uns sehen lässt, wohin dieser mühevolle, aber herrliche Weg führt. Von Kapitel 12,3 an spricht Paulus ausführlich über die Prüfungen, die uns auf dem Weg des Glaubens begegnen, und knüpft daran ernste Warnungen und köstliche Tröstungen für die, welche auf dem Weg des Glaubens wandeln, und die durch Gottes Gnade in so viele herrliche Beziehungen, aber auch Verpflichtungen gestellt sind. Im 13. Kapitel richtet Paulus verschiedene Ermahnungen an die Gläubigen betreffs einiger besonderer Punkte und dringt zum Schluss mit allem Ernst bei ihnen darauf, dass sie mit Entschiedenheit den christlichen Standpunkt unter dem Kreuz einnehmen sollten, da die Christen ausschließlich den wahren Gottesdienst besitzen, an dem alle, die im Judentum bleiben wollen, kein Recht hatten, teilzunehmen. Mit einem Wort, der Heilige Geist will, dass die Gläubigen sich gänzlich und für immer vom Judentum trennen sollten, das bereits verurteilt und dem Verschwinden nahe war, und dass sie mit Freuden die himmlische Berufung ergreifen sollten, die vor ihre Augen gestellt war.

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