Gerechtigkeit und Liebe
1. Johannes 3
Es gibt Unterschiede in der Art und Weise, wie die göttliche Liebe in der Heiligen Schrift beschrieben wird. In Johannes 3 finden wird die Liebe Gottes gegenüber der Welt, die sich in der Gabe seines eingeborenen Sohnes erweist; in Epheser 5 haben wir die Liebe des Christus zur Versammlung, für welche er sich selbst gegeben hat; und in 1. Johannes 3 haben wir die Liebe des Vaters zu seinen Kindern. Und auch in der Wahrheit, die uns selbst betrifft, gibt es unterschiedliche Darstellungsweisen in der Heiligen Schrift. In den Briefen des Paulus sind wir Glieder des Leibes Christi, verbunden mit dem, der auf dem Thron sitzt; in den Briefen des Petrus sind wir Fremdlinge und Pilgrime, auf dem Weg durch diese Welt in unser unverwesliches, unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil; in den inspirierten Schriften des Johannes dagegen sind wir Kinder Gottes, in Verbindung gebracht mit ihm. Das ist es, was hier so lieblich ausgedrückt wird: „Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen“. Wir sind der Welt auf diese Weise noch nicht dargestellt, aber wir warten darauf. „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden“, aber wir wissen, was wir sein werden: wir werden Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. Wunderbarer Gedanke! „Zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein“ (Rö 8,29).
Inzwischen werden wir von der Welt nicht erkannt, wie sie auch Ihn nicht erkannt hat. Wir warten auf das Offenbarwerden unserer Sohnschaft, und nicht auf das Bewusstsein davon: „Jetzt sind wir Kinder Gottes“, dessen sind wir ganz gewiss. Der Glaube kann immer sagen „wir wissen“; der Glaube beschäftigt sich mit göttlichen Gewissheiten. Das Gleichsein mit Ihm, wenn wir Ihn sehen werden, erinnert uns an 2. Korinther 3,18: '“Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“.
Dies hat jedoch moralische Bedeutung und findet jetzt schon statt; in dem Maße, wie wir auf ihn in der Herrlichkeit schauen, wird sein Bild auf uns geprägt werden. 1. Johannes 3,2 dagegen ist noch zukünftig und geht über den moralischen Aspekt hinaus; und es umschließt den Leib, denn dieser wird verwandelt werden zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit. Dies alles geschieht, wenn wir ihn sehen werden.
Unser Apostel beginnt nun, praktisch zu werden; und welcher Brief wäre praktischer als dieser? „Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist“. Auf eine ganz ähnliche Weise folgen auch in den Kapiteln 1 und 2 die praktischen Ermahnungen. Als erstes wird uns dort gesagt, dass das ewige Leben, welches bei dem Vater war, uns offenbart worden ist und wir in die Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus berufen worden sind - und dies alles im Licht, wie er in dem Licht ist. Dann, nach den hinzugefügten Worten hinsichtlich der Vorsorge, die die Gnade für den Fall von Sünde getroffen hat, beginnt der Geist, praktisch zu werden und sagt: „Und hieran wissen wir, dass wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten“. So ist es auch hier: uns wird von unserer Hoffnung berichtet, und dann werden wir an die Reinheit erinnert, die uns im Blick darauf geziemt. Wie kann ich die Hoffnung festhalten, ohne mich selbst zu reinigen? Ist es möglich, mich der Hoffnung hinzugeben, bald ihm gleich zu sein, ohne den Wunsch zu haben, in gewissem Maß ihm schon jetzt moralisch gleich zu sein? Beachte, Christus ist der Maßstab der Reinheit: „...wie er rein ist“. Christus ist immer der Maßstab Gottes; Gott stellt seinen Heiligen keinen anderen vor. In Kapitel 2,6 werden wir aufgefordert, so zu wandeln, wie er gewandelt ist. In Kap 3,16 ist er der Maßstab für die Liebe, und hier ist er der Maßstab für die Reinheit. Wahrhaftig, wenn ich wissen möchte, wie ich die göttliche Natur, deren Teilhaber ich geworden bin, zur Schau stellen kann, dann muss ich auf ihn blicken in Ihm wird dies alles vollkommen gesehen.
Und wenn ich mich reinige, gleichwie er rein ist, dann darf ich praktischerweise nicht sündigen. Sünde wird hier in einem sehr ernsten Licht vorgestellt, sie ist die Gesetzlosigkeit. Welch ein ernster Gedanke für den Gläubigen! Wir sind geheiligt worden zum Gehorsam (1. Pet 1,2), wir sind dazu berufen worden, den Willen Gottes zu tun; doch wenn wir sündigen, begehen wir die Gesetzlosigkeit, d.h. wir handeln nach unserem eigenen Willen. Darüber hinaus werden uns noch zwei Gründe genannt, weswegen wir nicht sündigen sollten: „Er ist offenbart worden, damit er unsere Sünden wegnehme; und Sünde ist nicht in ihm“. Wenn ich wirklich glaube, dass meine Sünden sein Offenbarwerden und seinen Tod nötig machten, dann sollte ich die Sünde hassen; und wenn ich andererseits weiß, dass Sünde seiner Natur entgegengesetzt ist (und wir sind Teilhaber dieser Natur), dann erkenne ich die Widersprüchlichkeit eines solchen Handelns. Nicht der, der es bekennt, sondern der, der es praktisch verwirklicht, ist wahrhaft aus Gott geboren. „Kinder, dass euch niemand verführe! Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie er gerecht ist“. Gerechtigkeit, praktische Gerechtigkeit, ist es, was Gott erwartet, dass sie in denen dargestellt wird, die bekennen, aus ihm geboren zu sein. ''Wenn ihr wisst, dass er gerecht ist, so erkennt, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist“ (Kapitel 2,29). Nur durch unser Handeln können wir beweisen, zu welcher Familie wir gehören: „Hieran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar“. Der Herr bestimmt in Joh 8, dass wir die Kinder dessen sind, dessen Werke wir tun. Die Juden brüsteten sich in diesem Kapitel damit, dass Abraham ihr Vater sei; doch der Herr, obwohl er zugestand, dass sie der Same Abrahams seien, anerkannte sie nicht als Kinder des Mannes, „der frohlockte, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich“. „Wenn ihr Abrahams Kinder wäret, würdet ihr die Werke Abrahams tun“; und später sagte er ganz deutlich: „Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun“ (Joh 8,56.39.44).
Doch ein zweites Wort wird in unserem Kapitel noch hinzugefügt: „Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und wer nicht seinen Bruder liebt“. Hier haben wir einen unmittelbaren Übergang von der Gerechtigkeit zu der Liebe. Ist es möglich, dass wir uns da irren können, wie bei dem ersten Test? Es ist wegen unseres unvollkommenen Urteilsvermögens möglich, dass wir manchmal moralische Rechtschaffenheit für die Gerechtigkeit halten, die aus dem Geborensein aus Gott entspringt; aber hinsichtlich der Liebe können wir uns wohl kaum irren. Finde einen Menschen von bloßer moralischer Rechtschaffenheit, wird er wohl die Brüder lieben? Weit gefehlt. Aber wer aus Gott geboren ist, tut dies: „Jeder, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist“ (1. Joh 5,1). Die Liebe wird zu einem Beweis für andere (Vers 11), und zu einem Beweis für mich selbst (Vers 10). Bis zu welchem Grad soll die Liebe gehen? „Auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben“, und dies, weil es die Brüder sind. Doch damit wir nicht bloß in unseren Äußerungen gefühlvoll werden, fügt der Apostel noch hinzu: “Wer aber irgend irdischen Besitz hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?“. Es mag nämlich möglich sein, dass wir niemals die Gelegenheit haben werden, unsere Liebe dadurch zu beweisen, dass wir unser Leben hingeben; aber auf die andere Weise gibt es jeden Tag Gelegenheiten dazu. Nehmen wir sie auch wahr (Gal 2,10)? Es ist auffallend zu beobachten, wie hier Liebe zu den Brüdern verbunden wird mit Hass von Seiten der Welt: '“Wundert euch nicht, Brüder, wenn die Welt euch hasst“. Die gleiche Sache können wir in der Belehrung des Herrn in Johannes 15 feststellen. In Vers 17 gebietet Er den Seinen, einander zu lieben, und fährt dann in Vers 18 damit fort, von dem Hass der außenstehenden Welt zu sprechen. Alle Liebe, die wir in der gegenwärtigen Zeit und Welt erfahren, ist die Liebe, die wir einer dem anderen erweisen. Von der Welt, die für den Herrn nur ein Kreuz hatte, erwartet uns nichts als Hass, Verwerfung und Verachtung; doch in dem heiligen Kreis der Familie Gottes erwarten wir, Liebe zu finden, und das nach einem göttlichen Muster. Die Ordnung jedoch ist auch göttlich: zuerst Gerechtigkeit, dann Liebe.