Das Reich Gottes

Einleitung

Das Verständnis des Ausdrucks „Reich Gottes“ ist von grundlegender Wichtigkeit. Es gibt wohl in Verbindung mit dem Studium prophetischer Themen keinen wichtigeren Ausdruck als diesen. Das Ziel meiner vorliegenden Abhandlung ist es, den Ursprung und die Bedeutung dieses Ausdrucks aus dem Wort Gottes aufzuzeigen.

Am Anfang muss klar sein, dass sich unsere Untersuchungen nicht auf das Neue Testament beschränken dürfen, sondern auch das Alte Testament mit einbezogen werden muss. Der Herr Jesus, seine Jünger und auch Johannes der Täufer verwenden diesen Begriff mit einer großen Selbstverständlichkeit, weil ihre Zuhörer mit dem Reich Gottes schon gut vertraut waren. Es war ein bekannter Ausdruck, dessen Verwendung bei den Juden keine neuen Gedanken hervorrief. Es ist auch nicht erforderlich, sich mit den Gedanken der Juden weiter auseinanderzusetzen, weil die einzige Quelle, aus der die Juden richtige Gedanken über diesen Gegenstand empfangen konnten, für sie genau so zugänglich war wie für uns jetzt. Darüber hinaus wohnt der Heilige Geist, der die Schreiber des Alten Testamentes anleitete, jetzt in uns, um uns als den Freunden Christi und Gliedern seines Leibes völlig das zu öffnen, was den Heiligen vorheriger Zeitalter verborgen war, ja, was durch die Propheten selbst nur sehr undeutlich gesehen wurde.

Prophetische Andeutungen über die Herrschaft Christi

Selbst von den alten Propheten wird gesagt, dass sie forschten, „auf welche oder welcherart Zeit der Geist Christi, der in ihnen war, hindeutete, als er von den Leiden, die auf Christus kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach zuvor zeugte“ (1. Pet 1,11). Die Propheten waren also im Hinblick auf uns Werkzeuge dieser göttlichen Mitteilungen. So sind wir jetzt noch eher in der Lage, diese Mitteilungen zu verstehen, als die heiligen Männer damals, durch die sie berichtet wurden. Allein der in uns wohnende Geist Gottes befähigt uns, diese unterschiedlichen Zeugnisse bezüglich der Gnade und Herrlichkeit des Christus zu verstehen. Wir werden den Schriftgelehrten, die im Reich der Himmel gut unterrichtet sind (vgl. Mt 13,52), nicht durch unser natürliches Unterscheidungsvermögen oder durch die Menge von menschlich erworbenen Informationen überlegen sein. Wir bleiben sowohl in Bezug auf das „Alte“ als auch auf das „Neue“ von dem Reich Gottes unwissend, wenn wir uns nicht zu den Füßen des Herrn Jesus niedersetzen (Lk 10,39), um von ihm zu lernen. Es ist seine Stimme, die wir durch den Geist in den Propheten des Alten Testamentes hören. Aber es ist auch seine Stimme, die wir in den Aposteln und Propheten des Neuen Testamentes vernehmen. Möge es in diesem Geist der kindlichen Unterwerfung unter ihn und in Abhängigkeit von ihm sein, dass wir unsere vorliegende Untersuchung durchführen. Es ist meine Bitte, dass diese Überlegungen durch seine Gnade uns einführen in seine Gedanken und ein Segen für unsere Seele sein!

Es gibt einen grundlegenden Punkt, über den es keine Zweifel gibt. Von Gott wird oft als dem „König“ gesprochen:

  • „Horche auf die Stimme meines Schreiens, mein König und mein Gott! Denn zu dir bete ich“ (Ps 5,2).
  • „Der HERR ist König immer und ewig“ (Ps 10,16).
  • „Der HERR thront auf der Wasserflut, und der HERR thront als König in Ewigkeit“ (Ps 29,10).
  • „Du selbst bist mein König, o Gott“ (Ps 44,5).
  • „Denn der HERR, der Höchste, ist furchtbar, ein großer König über die ganze Erde“ (Ps 47,3).
  • „Singt Gott Psalmen, singt Psalmen; singt Psalmen unserem König, singt Psalmen! Denn Gott ist König der ganzen Erde“ (Ps 47,7–8).
  • „Sie haben deine Züge gesehen, o Gott, die Züge meines Gottes, meines Königs im Heiligtum“ (Ps 68,24).
  • „Gott ist ja mein König von alters her, der Rettungen schafft inmitten des Landes.“ (Ps 74,12).
  • „Denn ein großer Gott ist der HERR, und ein großer König über alle Götter.“ (Ps 95,3).
  • „Mit Trompeten und dem Schall der Posaune jauchzt vor dem König, dem HERRN!“ (Ps 98,6).

Alle aufgeführten Zitate stammen aus nur einem Buch der Heiligen Schrift. Es könnten noch viel mehr angeführt werden. Betrachte noch kurz die folgenden:

  • „Meine Augen haben den König, den HERRN der Heerscharen, gesehen“ (Jes 6,5).
  • „Denn der HERR ist unser Richter, der HERR unser Feldherr, der HERR unser König“ (Jes 33,22).
  • „Ich, der HERR, bin euer Heiliger, ich, der Schöpfer Israels, euer König“ (Jes 43,15).
  • „Wer sollte dich nicht fürchten, König der Nationen?“ (Jer 10,7).
  • „Und es wird geschehen, dass alle Übriggebliebenen von allen Nationen, die gegen Jerusalem gekommen sind, Jahr für Jahr hinaufziehen werden, um den König, den HERRN der Heerscharen, anzubeten“ (Sach 14,16).

Aus diesen Stellen können wir schnell entnehmen, wie wichtig dieser Charakterzug Gottes auch für uns ist, wenn er uns so viel darüber mitgeteilt hat. Wenn wir einige der oben angeführten Stellen zusammen mit vielen weiteren Stellen, die ein ebenso großes Gewicht haben, betrachten, so erhalten wir sehr klare und zahlreiche Unterweisungen über diesen Gegenstand in Gottes Wort. Möchten wir doch in Einfalt des Herzens und in einer von Gott gewirkten Unterwerfung unter die Autorität seines geschriebenen Wortes diese Erklärungen empfangen!

Der erste Punkt, auf den ich die Aufmerksamkeit richten will, ist die Tatsache, dass Gott als der ewige König ohne Zweifel über alle sichtbaren und unsichtbaren Werke seiner Hände souverän regiert. Selbst über die Wut und Rebellion seiner Feinde regiert er. Während bestimmter Zeitperioden hat es ihm gefallen, seine Herrlichkeit als König zu zeigen, indem er seine Autorität über eine bestimmte Sphäre anderen überträgt. Dabei machte er diejenigen, die sie empfingen, dafür verantwortlich, diese delegierte Macht und Herrschaft gemäß seinem Willen auch auszuüben. Wenn wir Adam als Beispiel dafür nehmen, dann sehen wir, dass er als Herrscher über alle niedrigeren Teile der Schöpfung bestimmt war. In 1. Mose 1,26 lesen wir: „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserem Bild, nach unserem Gleichnis; und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das sich auf der Erde regt!“ Die Erfüllung davon finden wir dann in Vers 28. Auf diesen Text wird in Psalm 8,5–9 Bezug genommen. Auch der Apostel bezieht diese Stelle auf die künftige Herrschaft Christi als Sohn des Menschen, dem zweiten Adam, in Hebräer 2,6–9 als die Vorhersage der künftigen Herrschaft Christi als Sohn des Menschen, dem zweiten Adam, dem Herrn aus dem Himmel.

Ich möchte jetzt nicht länger bei diesen Stellen verweilen. Nur noch eine Anmerkung. Adam versagte, als er in der Ausübung der ihm übertragenen Macht im Gehorsam gegenüber dem, der ihn damit betraut hatte, untreu wurde. Aber dabei wurde der Ratschluss Gottes, diese Erde unter die Herrschaft eines Menschen zu bringen, nicht beiseite setzte. Diesem Ungehorsam wurde in vollkommener Weise durch den zweiten Menschen, der bis in den Tod gehorsam war, begegnet. Der zweite Adam  wurde der Erbe der Herrschaft und Herrlichkeit, die der erste verwirkt hatte. Und auf diesen Herrn wartet die Herrschaft jetzt. „Wir sehen ihm jetzt noch nicht alles unterworfen“, sagt der Apostel in Hebräer 2, aber wir sehen „Jesus, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“. Zur bestimmten Zeit werden wir seine Herrschaft über die ganze Sphäre, die einst Adam übertragen worden war, errichtet sehen. Und dann wird der 2. und der letzte Vers aus Psalm 8, der von diesen Dingen spricht, erfüllt werden: „HERR, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde“. Später werden wir mehr davon betrachten.

Doch bevor dieses große und endgültige Ergebnis der anerkannten und universalen Herrschaft Christi erfüllt werden sollte, mussten weitere Prüfungen im Blick auf den Menschen auf verschiedene Weisen durchgeführt werden. Wir gehen jetzt nicht auf Ereignisse ein, die in der Zwischenzeit stattfanden, sondern wenden uns einer von Gott auserwählten Nation zu, die die Segnungen seiner königlichen Autorität genießen sollte. Genau in Verbindung mit dieser Nation taucht Gott unter dem Titel des Königs zum ersten Mal auf.

Aber bevor ich weitergehe, möchte ich noch einen Moment bei einer Stelle stehen bleiben, die sowohl die Vorkenntnis Gottes als auch seine Vorkehrungen zeigt. Außerdem zeigt diese Stelle die überaus große Wichtigkeit in Bezug auf das Thema, mit dem wir uns beschäftigen, nämlich, die Verbindung Gottes als König mit der Nation Israel. Die angespielte Stelle befindet sich in 5. Mose 32,8–9: „Als der Höchste den Nationen das Erbe austeilte, als er voneinander schied die Menschenkinder, da stellte er fest die Grenzen der Völker nach der Zahl der Kinder Israel. Denn des HERRN Teil ist sein Volk, Jakob die Schnur seines Erbteils.“ Aus dieser Stelle scheint hervorzugehen, dass schon lange bevor die Kinder Israel als Nation existierten, sogar lange vor dem Ruf Abrahams, Gott sein Auge auf diese Nation gerichtet hatte und sie zum Zentrum seiner ganzen Anordnungen im Verteilen der Erde unter der Nachkommenschaft Noahs in seiner Vorsehung machte. Die vollkommene göttliche Weisheit dieser Anordnungen wird in der Zeitepoche der universalen Segnungen, von der Psalm 8 spricht, offenbar werden, wenn man, nach einer anderen Stelle, Jerusalem den Thron des HERRN nennen wird und alle Nationen sich zu ihr versammeln werden wegen des Namens des HERRN in Jerusalem (Jer 3,17).

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