Der Judasbrief
1. Warnungen
Man hat vermutet, daß der Brief des Judas der letzte der inspirierten Briefe ist. Wie dem auch sei, er ist passend in den Kanon der Schrift genau vor dem Buch der Offenbarung aufgenommen worden; denn während Judas von der Verderbtheit und dem Abfall des christlichen Bekenntnisses spricht, sagt uns die Offenbarung das Gericht in allen seinen Einzelheiten voraus, das dann folgen muß.
Judas hatte seine Schreibfeder in die Hand genommen, um mit allem Fleiß über das gemeinsame Heil zu schreiben. Durch den Geist Gottes geleitet wurde er jedoch genötigt, über etwas bestimmtes Böses zu schreiben, das es sehr wichtig machte, daß Judas die Heiligen ermahnte, ernsthaft für den Glauben zu kämpfen.
Es gibt bekannte Übel – die Welt, das Fleisch und den Teufel – denen alle, die sich des gemeinsamen Heils erfreuen, zu allen Zeiten und an allen Orten ausgesetzt sind. Judas jedoch schreibt weder über das gemeinsame Heil noch von diesen bekannten Übeln. Er hat eine ganz bestimmte und außerordentlich schlimme Form von Bösem vor sich – die Verderbtheit der Christenheit, die durch ungöttliche Menschen inmitten des christlichen Kreises bewirkt wird.
Um eine klare Vorstellung dieses entsetzlichen Übels zu erhalten, wollen wir uns daran erinnern, daß der Apostel Johannes bereits von denjenigen geschrieben hatte, die „von uns ausgegangen sind, aber sie waren nicht von uns“ (1. Johannes 2,19). Auch Judas verfolgt die Spur des Bösen, von dem er zu solchen spricht, die nicht „von uns“ sind, denn er sagt in Vers 4, daß sie „Gottlose“ sind. Es besteht jedoch dieser wichtige Unterschied, daß die ungöttlichen Menschen, von denen Johannes spricht, „von uns ausgegangen sind“, während die Ungöttlichen, auf die Judas sich bezieht, „sich eingeschlichen haben“. Im Ergebnis ist dieser Unterschied sehr groß. Wenn ungöttliche Menschen „von uns aus [oder weg-]gehen“, dann werden sie zu Feinden der Wahrheit außerhalb des christlichen Bereiches. Wenn sich die Ungöttlichen jedoch einschleichen, dann werden sie Verderber der Wahrheit innerhalb des christlichen Bereiches. Sich der Wahrheit zu widersetzen ist in der Tat ernst, sie zu verderben ist jedoch weitaus schlimmer.
Gerade von diesem besonderen und schlimmen Bösen schreibt Judas. Er legt dessen heimtückischen Beginn in den Tagen der Apostel bloß; er offenbart dessen tödlichen Charakter, verfolgt dessen bösen Verlauf durch die folgenden Zeitalter und sagt das überwältigende Gericht darüber beim Kommen des Herrn voraus. Das Weiterbestehen dieses Bösen durch die verschiedenen Haushaltungen hindurch beweist deutlich, daß die Verderbtheit innerhalb des christlichen Bereiches ein Übel ist, das keine Annahme von Licht gefangen nehmen, keine Erweckung kontrollieren und keine Reformation entfernen kann. Nur der Herr kann damit bei Seinem Kommen handeln.
Der Beginn dieses Übels (Judas 4)
Die Verderbtheit innerhalb des christlichen Bereiches begann durch bestimmte Menschen, die sich nebeneingeschlichen haben. Daß sie sich nebeneingeschlichen haben, zeigt deutlich, daß sie die Heiligen durch ein gutes Bekenntnis und einen guten äußeren Anschein verführt haben. Sie bezeugten, Christen zu sein, und wurden so als wahre Gläubige aufgenommen. In der Tat erschienen die Diener Satans als Diener der Gerechtigkeit. Auch dieses Böse begann schon in den apostolischen Tagen, denn Judas warnt uns nicht einfach vor dem Bösen, das in den letzten Tagen kommen würde, sondern vor dem Bösen, das in seinen Tagen schon gegenwärtig war. Paulus hatte gesagt: „Ich weiß, daß nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen“ (Apg 20,29). Als Judas schreibt, waren diese reißenden Wölfe jedoch bereits dabei, ihr ruchloses Werk zu vollbringen. Daher sagt Judas nicht, daß gewisse Menschen kommen würden, sondern daß sie sich eingeschlichen „haben“. Nachdem Judas somit den Beginn des Bösen beschrieben hat, kommt er zu dem Charakter des Bösen.
Der Charakter dieses Übels (Judas 4–10)
Wir haben gesehen, daß die Menschen, die die Verderbtheit hineinbrachten, in der Tat „Ungöttliche“ waren, wie ansehnlich sie auch immer äußerlich waren. Der Charakter ihrer Gottlosigkeit war zweifach:
- Sie verkehrten die Gnade Gottes in Ausschweifung. In dem Brief an Titus lernen wir, daß Gnade das Prinzip ist, nach dem Gott den Menschen rettet, und durch das Er den Gläubigen belehrt, Gottlosigkeit und weltliche Begierden zu verleugnen sowie besonnen, gerecht und gottselig in diesem jetzigen Zeitlauf zu leben (Titus 2,11–12). Das große Prinzip, durch das Gott den Menschen von der Sünde befreit und ihn belehrt, besonnen zu leben, wird von diesen ungöttlichen Menschen als Gelegenheit benutzt, das Fleisch zu befriedigen und den Begierden nachzugehen. Zugleich halten diese Menschen ein gutes Bekenntnis aufrecht und bewegen sich weiter in dem christlichen Bereich.
- Sie verleugnen „unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus“. Das ist das Ablehnen jeglicher Autorität. Sie verleugnen nicht den Namen Christi, aber sie wollen sich nicht Seiner Autorität unterordnen. Sie verleugnen „unseren alleinigen Gebieter“. Das ist Gesetzlosigkeit, und Gesetzlosigkeit ist die Entschlossenheit, den eigenen Willen zu tun.
So finden wir hier die zwei großen Eigenschaften dieses verdorbenen Bösen – Begierde und Gesetzlosigkeit. Notwendigerweise führt die Begierde zur Gesetzlosigkeit, denn der Mensch, der entschlossen ist, seine Begierde zu befriedigen, wird auf jede Einschränkung unwillig reagieren. Wer kann leugnen, daß das, was heute auf der Erde den Namen Christi trägt, durch Begierde und Gesetzlosigkeit gekennzeichnet ist? Natürlich mag das Böse die unterschiedlichsten Formen annehmen und sich in sehr unterschiedlichen Abstufungen äußern, aber überall offenbart sich in steigendem Ausmaß ein Geist des Eigenwillens und der Hemmungslosigkeit, verbunden mit einem Geist der Auflehnung, der sich gegen jede Autorität richtet.
Darüber hinaus beschreibt Judas nicht nur den Charakter des Bösen, sondern zeigt ebenso, was es zur Folge hat und wohin es führt. Das Böse hat die Hoffnungslosigkeit des Abfalls zur Folge und führt zu überwältigendem Gericht. Um zu beweisen, daß dies ohne jede Frage so ist, ruft Judas drei schreckliche Beispiele aus der Geschichte dieser Welt in Erinnerung:
- Zuerst erinnert er uns an diejenigen, die aus dem Land Ägypten gerettet worden waren, dann aber in der Wüste vertilgt wurden. Was war das Geheimnis ihres Untergangs? Begierde und Gesetzlosigkeit. Sie lüsteten nach den Dingen Ägyptens und lehnten sich gegen Gott auf (Judas 5).
- Dann spricht Judas von den Engeln, die ihren ersten Zustand nicht bewahrt haben. Dieser Vers bezieht sich nicht auf den Fall Satans und seiner Engel, denn wie wir gut wissen, befinden sie sich zur Zeit nicht in Ketten. Vielmehr ist ihnen erlaubt, auf dieser Erde hin und her zu wandern. An dieser Stelle handelt es sich um einen zweiten Fall von Engeln, auf den vermutlich in 1. Mose 6 hingewiesen wird. Das Geheimnis von Satans Fall war Hochmut, durch den er sich selbst bis zum Thron Gottes erhöhen wollte. Das Geheimnis dieses zweiten Falles von Engeln war Begierde, durch die sie ihre eigene Behausung verließen und ihren ersten Zustand nicht bewahrten (Judas 6).
- Schließlich ruft uns Judas die dunkle Geschichte von Sodom und Gomorra in Erinnerung, Städte, die sich selbst der Begierde und Gesetzlosigkeit hingaben (Judas 7).
In Verbindung mit diesen drei Beispielen tun wir gut daran, uns einiger Tatsachen zu erinnern:
- Jedes dieser Übel beruhte in der einen oder anderen Weise auf einer Begierde.
- Das Bemühen, diese Lust zu befriedigen, führte zur Rebellion gegen die Autorität Gottes.
- Rebellion gegen Gott brachte das Verlassen der Stellung mit sich, in die Gott die jeweiligen Personen gestellt hatte. Das ist Abfall.
- In jedem Fall brachte Abfall überwältigendes Gericht mit sich. Für einen abgefallenen Menschen, einen Abtrünnigen, gibt es keine Hoffnung.
Israel fiel in Lüste und rebellierte gegen Gott. So verließen sie ihre Stellung der äußeren Beziehung mit Gott, in die sie gestellt worden waren. Das war Abfall und führte zu ihrem Gericht – sie wurden zerstreut. Die Engel lüsteten und verließen ihre Position als Engel, in die Gott sie gestellt hatte. Auch das war Abfall, so daß sie als Folge dem Gericht ausgesetzt sind – „zum Gericht des großen Tages mit ewigen Ketten unter der Finsternis verwahrt“. Sodom und Gomorra lüsteten und verließen die natürliche Ordnung, die Gott festgesetzt hatte. Auch dies war Abfall, der sie der „Strafe des ewigen Feuers“ aussetzt.
Wie außerordentlich ernst ist doch die Warnung durch diese schrecklichen Beispiele! Wie laut verkündigen sie, daß die Verderbtheit und Rebellion, die das große christliche Bekenntnis heute kennzeichnen, zu dem hoffnungslosen Grauen des Abfalls führen – dem vollständigen Verlassen der christlichen Stellung. Für Abfall gibt es weder eine Heilung noch ein Heilmittel. Vor der verderbten Christenheit liegt nichts als nur das lange vorhergesagte Gericht beim Kommen des Herrn mit den Tausenden Seiner Heiligen.
Judas überläßt es nun nicht uns, eine Anwendung dieser drei Beispiele vorzunehmen, denn die angeführten Tatsachen wendet er selbst auf die Verderber der Christenheit an (Judas 8–10). Auch sie sind durch die Begierden des Fleisches gekennzeichnet. Da sie sich nicht durch die Offenbarung Gottes regieren lassen, sind sie vernarrt in ihre unanständigen Träume, die das Fleisch verunreinigen. Auch sie sind durch Gesetzlosigkeit gekennzeichnet. In der ehrgeizigen Verfolgung ihrer Träume lehnen sie sich gegen jede Autorität auf; wie dort gesagt wird, daß sie „die Herrschaft verachten und Herrlichkeiten lästern“. Als rein natürliche Menschen können sie nichts von den Dingen Gottes verstehen, denn „niemand weiß, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes“ (1. Kor 2,11). Von den Dingen, die sie nicht kennen, sprechen sie in übler Weise, und in den Dingen, die sie auf natürliche Weise kennen, verderben sie sich selbst, denn wie jemand zurecht gesagt hat: „Der Mensch kann nicht wie ein Tier werden, ohne sich weit unter das Tier zu erniedrigen; und das, was in dem Tier einfach die Abwesenheit eines moralischen Elementes bezeugt, wird in dem Menschen die Gegenwart eines unmoralischen Elementes beweisen.“
Hier finden wir somit alle Elemente, die die verderbte Christenheit kennzeichnen. Schmutzige Träume anstelle der Offenbarung Gottes; einen verunreinigten Körper anstatt diesen zur Verherrlichung Gottes zu nutzen; Verachtung von Herrschaft, anstatt Unterwerfung unter die Autorität Christi; Lästerung von Herrlichkeiten anstelle von geziemender Anerkennung; übles Reden über geistliche Dinge und Verderbtheit in natürlichen Dingen. Das ist das ernste Bild, das Judas nicht von einem degradierten Heidentum, sondern von einer zivilisierten Christenheit zeichnen muß. Für diesen Zustand kann es nur ein Ende geben. Bevor Judas jedoch dieses schreckliche Ende beschreibt, stellt er in einigen kurzen Sätzen die weitere Entwicklung des Bösen vor.
Die Entwicklung des Übels (Judas 11–13)
Judas stellt uns auf lebendige Weise die Entwicklung des Übels anhand von drei weiteren Illustrationen vor, die er aus dem Alten Testament nimmt. Indem er die Geschichte Kains in Erinnerung bringt, ruft er über die Verderber der Christenheit aus: „Wehe ihnen, denn sie sind den Weg Kains gegangen.“ Der Weg Kains war der Weg der natürlichen Religion. Kain war ein religiöser Mann, aber seine Religion war gemäß den Gedanken des gefallenen Menschen und nicht gemäß der Offenbarung Gottes. Seine natürliche Religion führte ihn dahin, die Sünde zu verniedlichen, die Vorsorge Gottes, wie der Sünde begegnet werden kann, zu verachten, Gott auf der Grundlage seiner eigenen Werke zu nahen und das wahre Kind Gottes zu verfolgen.
Aufgrund des Verderbens durch ungöttliche Menschen ist leider die große Masse der bekennenden Christenheit den Weg Kains gegangen. Die populäre Religion unserer Tage ignoriert die Offenbarung Gottes und nimmt keine Kenntnis davon, was Sünde in den Augen Gottes ist. Sie behandelt den Sündenfall als reinen Mythos und sieht, da sie den Fall des Menschen leugnet, keine Notwendigkeit für Sühnung. Da sie das Sühnungswerk Christi abweist, fällt sie natürlicherweise darauf zurück, die Werke des Menschen als Grundlage für die Annahme bei Gott anzusehen. Zudem hat sie nur große Verachtung und besonderen Haß für alle die übrig, die sich auf die Offenbarung Gottes stützen, sich auf das Sühnungsblut als ihr einziges Heilmittel stützen und den Herrn Jesus Christus in Aufrichtigkeit und Wahrheit lieben. Über alle diejenigen jedoch, die dem Weg Kains folgen, ruft Gott das „Wehe“ aus.
Judas fährt fort, indem er auf die Geschichte eines der verdorbensten Menschen des Alten Testamentes anspielt. Er sagt von diesen Verderbern, daß sie „sich für Lohn dem Irrtum Bileams hingegeben haben“. Dieser hoffnungslos böse Mann wurde von seinen Begierden regiert. Indem er den Gewinn suchte, wollte er aus dem Volk Gottes gleichsam eine Ware machen. Er war sogar bereit, Falsches über das Volk auszurufen, wenn er dadurch Lohn erhalten hätte. Dies ist zurecht das kirchliche Böse genannt worden, denn wie viele gibt es, die eine hohe offizielle Stellung in der bekennenden Kirche innehaben, um damit Handel mit dem Volk Gottes zu treiben und bereit sind, Falsches zu lehren, um dafür eine Belohnung zu erhalten. Dieses Böse findet seinen großen Höhepunkt in dem verderbten System Roms, das durch den „Handel mit Gold“ und durch jede auserlesene und kostbare Sache gekennzeichnet ist, die das Herz des Menschen begehren kann, „von Gold und Silber und wertvollen Steinen“ bis hin zu „Menschenseelen“. Wenn die bekennende Kirche mit der Wahrheit Gottes Handel treiben kann, dann wird sie auch nicht davor zurückschrecken, Tauschhandel mit den Seelen der Menschen zu betreiben (Offenbarung 18,12–13). Das ist die moderne Wiederholung des Irrtums Bileams.
Schließlich sagt Judas von diesen Verderbern, daß sie „in dem Widerspruch Korahs umgekommen sind“. Die Sünde Korahs war zweifältig; auf der einen Seite rebellierte er öffentlich gegen Mose und Aaron, indem er sagte: „Laßt es genug sein!... Warum erhebt ihr euch über die Versammlung des Herrn?“ auf der anderen Seite war er nicht mit seiner eigenen Stellung zufrieden und wollte sich widerrechtlich den Platz priesterlicher Fürbitte aneignen, der allein Aaron zustand (4. Mose 16,3.9–10). Er wollte Mose und Aaron auf den Status der Gemeinde Israel erniedrigen, sich selbst jedoch auf die Stellung Aarons erhöhen.
Wie klar und deutlich ist doch die moderne Antwort auf den Widerspruch Korahs. Von Kanzel und Presse, von Tagungen und Konferenzen steigt eine nicht aufhörende Flut von Rebellion gegen den Christus Gottes herauf, die verbunden ist mit der Erhöhung des Menschen. Christus wird auf den Stand des gefallenen Menschen erniedrigt, der Mensch jedoch auf die Höhe Gottes erhöht. Untreue religiöse Menschen, die sich als Christen verkleiden, wagen zu sagen, daß man aus Christus zu viel gemacht hat, während sie für den Menschen Rechte und Ehren beanspruchen, die nur Christus zustehen. Diese Rebellion gegen Christus, verbunden mit der Erhöhung des Menschen, ist genau der Kern des Abfalls und wird in der Erscheinung des großen Abtrünnigen, „des Menschen der Sünde“ enden, „der widersteht und sich erhöht über alles, was Gott oder verehrungswürdig heißt, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, daß er Gott sei“ (2. Thes 2,3–4).
Dies ist der schreckliche Verlauf des Bösen, durch das die Christenheit verderbt wird. Es beginnt mit dem Weg Kains – oder der Religion, die, Offenbarung ignorierend, gemäß des natürlichen Herzens des Menschen gebildet wird – und führt zu dem Irrtum Bileams, durch den Religion zum Handel wird; das Böse endet in dem Widerspruch Korahs, also in dem Abfall.
Judas benutzt nun vielfältige Metaphern (Bilder), um seine Abscheu gegenüber diesen bösen Verderbern der bekennenden Kirche auszudrücken. Sie sind gesunkene Klippen (siehe die Anmerkung in der Elberfelder Übersetzung in Vers 12), die zu Schiffbruch führen; Wolken, die die Aussicht auf erfrischende Regenschauer geben, in Wirklichkeit jedoch ohne Wasser und damit jedem Wind ausgeliefert sind; Bäume, die eine gewisse Zeit einen guten Eindruck machen, aber keine Frucht bringen, weil sie zweimal erstorben sind (durch Natur und Bekenntnis); am Ende werden sie entwurzelt; wilde Meereswogen, die eine große Demonstration von Macht abgeben, in Wirklichkeit jedoch schäumen sie Dinge aus, die zu ihrer Beschämung sind; Irrsterne, die mit einem kometenhaften Leuchten für eine Zeit erscheinen, jedoch nur, um in „das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit“ zu wandern.
So geht Judas über Land, See und Himmelsgestirne, um Bilder zu finden, mit denen er dieses furchtbare Übel entlarven und verurteilen kann. Niemand sollte allerdings aufgrund dieser eindrucksvollen Bilder denken, daß diejenigen, die dadurch repräsentiert werden, in den Augen der Menschen Ungeheuer der Ungerechtigkeit sind. Sie erscheinen vielmehr als Engel des Lichts und Diener der Gerechtigkeit, die in Gesellschaft mit Christen Festessen halten und sich selbst ohne Furcht weiden. Das zeigt einerseits, daß sie selbst kein Gewissen haben, andererseits, daß die Christen ihren wahren Charakter nicht erkennen.
Nachdem wir nunmehr den Charakter und die Quelle dieses großen Übels kennengelernt haben, wird uns abschließend gestattet, das Gericht des Bösen zu sehen.
Das Gericht des Übels (Judas 14–16)
Für jemanden, der in Sünde fällt, gibt es einen Weg der Wiederherstellung. Für einen Abtrünnigen gibt es nichts als ein gewisses furchtvolles Erwarten des Gerichtes und den Eifer eines Feuers, das die Widersacher verzehren wird (Hebräer 10,27). Abfall endet in dem zerschmetternden Gericht, wie es durch Henoch vorhergesagt wurde und erfüllt werden wird, wenn der Herr mit den Tausenden Seiner Heiligen kommen wird. Als Henoch damals von einer Welt Ungöttlicher umgeben war, schaute er danach aus, in den Himmel aufgenommen zu werden und sagte das kommende Gericht voraus. Erneut befindet sich das Volk des Herrn heute von den Ungöttlichen umgeben und schaut danach aus, dem Herrn in der Luft zu begegnen. Es weiß, daß Gericht auf die abtrünnige Christenheit fallen muß. An jenem Tag werden nicht nur die „Werke der Gottlosigkeit“ ihren wahren Lohn erhalten, sondern auch all die harten Worte, „die gottlose Sünder gegen Ihn geredet haben“. Seit den Tagen der Apostel bis hin zu diesen letzten, abschließenden Tagen ist die Person Christi durchgehend Gegenstand des Angriffes ungöttlicher Verderber inmitten der Kirche gewesen. Aber keine „harten Worte“ „gegen Ihn“ sind in Vergessenheit geraten. An alle wird erinnert werden und alle werden nur deshalb wieder in Erinnerung gerufen, um in Gericht auf diejenigen zurückzufallen, die so leichtfertig meinten, über den Sohn Gottes Gericht sitzen zu können.
Diejenigen jedoch, die Christus erniedrigten, haben immer zugleich den Menschen erhöht. Wenn sie „harte Worte“ gegen den Christus Gottes geredet haben, dann haben sie ebenso „stolze Worte“ über sündige Menschen ausgesprochen. Die Herabwürdigung Christi ist immer mit der Verherrlichung des Menschen verbunden. Zudem verbirgt sich hinter den harten Worten gegen Christus immer ein niedriger Lebenswandel. Solche sind „Murrende, mit ihrem Los Unzufriedene, die nach ihren Begierden wandeln“. Begierde ist das wahre Geheimnis der Feindschaft gegen Christus und der Verherrlichung des Menschen.
Harte Worte gegen den Christus Gottes müssen die gerechte Entrüstung wahrer Kinder Gottes hervorrufen. Und doch können sie die Urheber dieser harten Worte größtenteils mit stiller Mißachtung strafen, indem sie wissen, daß die Zeit bald kommen wird, wenn mit allem im Gericht gehandelt wird. Das unehrerbietige Behandeln der Offenbarung Gottes, die gottlose Verdrehung göttlicher Wahrheiten und die Lästerung gegen die Person und das Werk Christi, sei es durch sogenannte höhere Kritiken, religiöse Ungöttliche oder ruchlose Professoren sind von dem heiligen Gott nicht übergangen worden. Über Jahrhunderte hat Er Schweigen bewahrt und in langmütiger Geduld getragen, während der Mensch immer stolzer in seiner Rebellion geworden ist und den Zorn auf den Tag des Zorns angehäuft hat. Schließlich wird jedoch jedes „harte Wort“ seine zerschmetternde Antwort erhalten, und jeder Widersacher wird zum Schweigen gebracht und verurteilt, denn „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten seiner heiligen Tausende, Gericht auszuführen gegen alle und zu überführen alle Gottlosen von allen ihren Werken der Gottlosigkeit, die sie gottlos verübt haben, und von all den harten Worten, die gottlose Sünder gegen Ihn geredet haben“.