Betrachtung über Offenbarung (Synopsis)

Einleitung

Betrachtung über Offenbarung (Synopsis)

Bezüglich der Apostel Petrus und Paulus sagt uns die Schrift, dass wir den einen als den Apostel der Beschneidung, den anderen als den der Nationen zu betrachten haben. Als die Jünger zerstreut wurden, blieben Petrus und die anderen Apostel in Jerusalem zurück und setzten das Werk fort, das Christus unter dem Überrest Israels begonnen hatte, indem sie die verlorenen Schafe aus dem Hause Israel zu einer Versammlung hier auf Erden sammelten (obwohl Gott darüber wachte, dass die Einheit aufrechterhalten blieb). Der Dienst, den Paulus empfing, hatte einerseits die Versammlung Gottes, andererseits die Verkündigung des Evangeliums an die ganze Schöpfung, die unter dem Himmel ist (Kol 1), zum Gegenstand. Er legte als ein weiser Baumeister den Grund. Petrus stellt uns als Pilgrime dar, die, dem auferstandenen Christus nachfolgend, sich auf dem Wege zu dem Erbteil droben befinden. Bei Paulus begegnen wir (z. B. in Phil 3) zwar auch derselben Art der Darstellung; wenn er aber seine Lehre völlig entwickelt, so zeigt er uns die Heiligen als in Christo in den himmlischen Örtern sitzend und als Erben alles dessen, was Ihm Selbst erblich gehört. So entsprach es der Verschiedenheit der Verwaltungen, die den beiden Männern übertragen waren, und ist für uns voll von Belehrung. Johannes nimmt eine ganz andere Stellung ein. Er hat es mit keiner Verwaltung zu tun. Wohl erwähnt er einige Male in seinem Evangelium (wie in Joh 13,1; 14,1; 17,24; 20,17) die Aufnahme des Herrn sowie die der Heiligen in den Himmel als Tatsache, aber er betrachtet weder die letzteren noch selbst den Herrn als im Himmel befindlich. Für ihn ist Jesus eine göttliche Person, das fleischgewordene Wort, Der, welcher Gott und den Vater kundmacht, das auf die Erde herabgekommene ewige Leben. Der 1. Brief des Johannes behandelt die Frage unseres Teilhabens an diesem Leben und beschreibt die Charakterzüge desselben.

Am Schluss des Evangeliums Johannes jedoch gibt Christus, nachdem Er von der auf Seinen Weggang folgenden Sendung des Sachwalters geredet hat, Seinen Jüngern (wenn auch in geheimnisvoller Weise) Aufschluss über die Fortsetzung der Handlungen Gottes mit der Erde. Damit hat es der Dienst des Johannes zu tun, indem er die Offenbarwerdung Christi auf Erden bei Seinem ersten Kommen mit Seiner Offenbarwerdung bei Seinem zweiten Kommen in Verbindung bringt. Christi Person und das ewige Leben in Ihm bilden hierbei das unveränderlich Bestehende, volle Sicherheit Gewährende, den lebendigen Samen Gottes, der bleibt, wenn hinsichtlich der göttlichen Verwaltungen alles verderbt ist und sich in einem Zustand der Zerrüttung und des Verfalls befindet. Mag äußerlich auch alles in Verwirrung geraten, das ewige Leben bleibt immer unveränderlich dasselbe.

Im Blick auf diese Dinge bildete die Zerstörung Jerusalems ein Ereignis von einschneidender Bedeutung, indem die jüdische Versammlung, die als solche am Pfingsttage gebildet worden war, von da ab zu bestehen aufhörte; eigentlich war das schon früher geschehen, nur wurde die Tatsache, der besiegelnde gerichtliche Akt, da erst vollzogen. An die Christen war zuvor der Warnungsruf ergangen, aus dem Lager hinauszugehen. Der Bruch zwischen Christentum und Judentum war vollständig geworden. Christus konnte in der aus dem jüdischen Überrest gebildeten Versammlung nicht länger den Sitz Seiner künftigen Herrschaft auf Erden erblicken 1.

Aber ach! die Versammlung, wie sie unter dem Dienst des Paulus entstanden war, hatte ebenfalls schon ihren ersten Zustand verlassen; sie war in keinem Sinne fähig, das Erbe, dessen Israel sich verlustig gemacht hatte, anzutreten. „Alle suchen das Ihrige“, schreibt Paulus, „nicht das, was Jesu Christi ist.“ Alle, die in Asien sind - also Ephesus, die geliebte Stätte, wo alle, die in Asien wohnten, das Wort Gottes gehört hatten -, hatten sich von ihm abgewandt. Die, welche in besonderer Weise mit vollem Verständnis in die Stellung der Versammlung eingeführt worden waren, hatten diesen Platz nicht in der Kraft des Glaubens behaupten können. Ja, schon vorher war das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam, und es sollte weiter um sich greifen und zunehmen, bis das, was den gänzlichen Abfall noch aufhielt, beseitigt sein würde.

An diesem Punkt, in diesem Zustand allgemeinen Niedergangs und Verfalls, tritt der Dienst des Johannes ein. In der Person Christi gab es Beständigkeit, zunächst im Blick auf das ewige Leben, dann aber auch hinsichtlich der ferneren Wege Gottes mit der Erde. Mochte auch die Versammlung aus Seinem Munde ausgespieen werden. Er blieb der treue Zeuge und der Anfang der Schöpfung Gottes. In seinem Evangelium stellt uns Johannes diese Dinge in ihrem Zusammenhang vor Augen. Im 20. Kapitel finden wir, wie dies bereits an anderer Stelle näher ausgeführt worden ist, ein Bild der Wege Gottes von der Auferstehung bis hin zu dem Überrest Israels in den letzten Tagen, der durch Thomas dargestellt wird, indem er den Durchstochenen anschaut und durch Schauen zum Glauben kommt. In Kapitel 21 finden wir, neben dem Überrest, die volle Sammlung, die im Tausendjährigen Reich stattfinden wird. Endlich wird am Schluss des Kapitels (allerdings in geheimnisvoller Weise) der besondere Dienst des Petrus und des Johannes gekennzeichnet. Petrus werden die jüdischen Schafe Jesu anvertraut, indessen sollte dieser Dienst, gleich dem des Herrn Selbst, ein Ende finden. Aufgrund dieses Dienstes sollte die Versammlung ebenso wenig wie Israel dauernden Bestand haben. Im Blick auf denselben konnte von einem Bleiben bis zur Ankunft Christi keine Rede sein 2. Der Dienst des Petrus fand tatsächlich seinen Abschluss, und die Versammlung aus der Beschneidung stand hirtenlos da, noch ehe die Zerstörung Jerusalems jeder derartigen Verbindung für immer ein Ende machte.

Die Antwort, welche der Herr auf die Frage des Petrus im Blick auf Johannes gibt, ist zwar dunkel, lässt aber doch erkennen, dass das Ende des Dienstes des Johannes - eine Sache, die den Petrus, der Jesu nachfolgen sollte, nichts anging - sich weiter hinausziehen sollte, ja, dass derselbe möglicherweise bis zum Kommen Christi fortgesetzt werden würde. Nun, der Bräutigam verzog in der Tat, aber der Dienst und die Wirksamkeit, die Johannes mittels des Wortes ausübte (und das war es allein, was bleiben sollte, nicht aber ein Apostel, der sich persönlich der Seelen annahm), dauerten fort bis zur Wiederkunft Christi.

Johannes war kein Baumeister, wie Paulus es war, - ihm war keine Verwaltung anvertraut worden. Sein Dienst war, wie der des Petrus, mit der Versammlung in ihrer irdischen Gestaltung verbunden, nicht in ihrer ephesischen oder himmlischen; doch war er wiederum nicht der Diener der Beschneidung, sondern setzte das mit der Erde in Verbindung stehende Werk unter den Nationen fort, indem er nur die Person Christi im Auge behielt. Seine besondere Aufgabe war, Zeugnis für die Person Christi abzulegen, die auf die Erde gekommen war mit göttlichem Anrecht an sie, mit Gewalt über alles Fleisch. Dadurch wurde die Verbindung mit Israel nicht abgebrochen, wie das bei dem Dienst des Paulus der Fall war, vielmehr wurde die Macht, die in der Person Christi alles zusammenhielt, zu einer solchen Höhe erhoben, dass sie ihren Weg bis ans Ende (da ihr die Welt zu Füßen liegen wird) fortsetzen kann, wie viel Zeit auch inzwischen vergehen oder welch starke Gewalten sich ihr entgegenstellen mögen. Dabei wurde Israel als solches nicht ausgeschlossen der Schauplatz aber, auf welchem Christus Seine Macht ausüben wird, wurde in der Weise erweitert, dass er die ganze Welt mit einschließt. Auch wurde Israel nicht als die Quelle dargestellt, aus welcher diese Macht hervorgehen sollte, wohl aber wurde die Möglichkeit offen gelassen, dass Israel selbst an dem ihm zukommenden Platz von einer himmlischen Machtquelle aus durch dieselbe gesegnet werden würde.

Welchen Platz nimmt nun die Versammlung in diesem Dienst des Johannes ein, wie wir ihn im Buche der Offenbarung finden? In ihrem paulinischen Charakter gar keinen, ausgenommen in einem Satz, der sich aber erst findet, nachdem die Offenbarung selbst bereits abgeschlossen ist und in welchem der wahre Platz, den sie während der Abwesenheit Christi einnimmt, angedeutet wird (Off 22,17). Wir begegnen den Heiligen der Jetztzeit und sehen, wie sie sich des Verhältnisses bewusst sind, in welchem sie zu Christo stehen, und wie sie der königlichen und priesterlichen Stellung Erwähnung tun, in der sie sich, in Verbindung mit Ihm, vor Seinem Gott und Vater befinden. Aber das Zeugnis des Johannes in Ausübung seines Dienstes bezüglich der Versammlung betrachtet diese als die äußerlich sichtbare Gemeinde auf Erden 3 in dem Zustand des Verfalls - in welchem sie von Christo gerichtet wird - und erblickt die wahre Versammlung am Ende als Hauptstadt und Sitz der Regierung Gottes, jedoch im vollen Besitz der Herrlichkeit und Gnade. Sie ist eine Hütte, und Gott und das Lamm wohnen in ihr. Das Gesagte wird uns zum leichteren Verständnis der einzelnen Gegenstände des Buches sowie der Gesamtbedeutung desselben behilflich sein. Die Versammlung hat ihrer Aufgabe nicht entsprochen; die durch Glauben in den Ölbaum eingepfropften Heiden sind nicht an der Güte Gottes geblieben. Die Versammlung zu Ephesus, das einsichtsvolle Gefäß und der Ausdruck dessen, was die Versammlung Gottes wirklich war, hatte ihren ersten Zustand verlassen, und wenn sie nicht Buße tat, sollte ihr Leuchter aus seiner Stelle weggetan werden. Das Ephesus, in welchem Paulus gewirkt hatte, musste jetzt als Zeuge dafür dienen, dass der Verfall der Versammlung eingetreten war und dass sie, wie es vordem mit Israel geschehen, vor den Augen Gottes hinweg getan werden sollte. Wohl würde sich die Geduld Gottes in derselben Weise der Versammlung gegenüber betätigen, wie vordem Israel gegenüber, aber die Versammlung würde ebenso wenig das Zeugnis Gottes in der Welt aufrecht halten, wie Israel es getan hatte. Johannes hält dieses Zeugnis aufrecht, indem er als Diener zuerst durch das Wort Christi die Versammlungen 4 und dann von dem Throne aus die Welt richtet, bis Christus kommt, persönlich Seine große Macht an Sich nimmt und Selbst regiert. Während dieser Übergangszeit, in welcher der Thron des Gerichts zur Geltung kommt, werden die Heiligen droben gesehen. Wenn Christus kommt, kommen sie mit Ihm.

Man kann deshalb sagen, dass der erste Brief des Johannes die Fortsetzung seines Evangeliums bildet, wenn man dasselbe vor den letzten zwei Kapiteln enden lässt, während die Offenbarung eben an diese beiden Kapitel anknüpft. Indem Christus in ihnen als auferstanden dargestellt wird, die Himmelfahrt unerwähnt bleibt, wird in den berichteten Ereignissen in weiten Umrissen angedeutet, wie Gott in Seinen Verwaltungen oder göttlichen Haushalten weiter handeln wollte. Gleichzeitig wird gezeigt, dass Christus damals das Reich noch nicht persönlich aufrichten konnte, indem Er zuvor gen Himmel fahren musste. Die beiden anderen kurzen Briefe des Johannes zeigen erstens, dass die Wahrheit (nämlich die Wahrheit betreffs der Person Christi) den Prüfstein echter Liebe bildet und dem Eindringen alles Antichristlichen gegenüber festgehalten werden muss; und zweitens, dass die ungehinderte Freiheit in der Bedienung der Wahrheit behauptet werden muss gegenüber einer angemaßten kirchlichen oder priesterlichen Autorität, die zu der Versammlung im Widerspruch steht. Der Apostel hatte an die Versammlung geschrieben. Diotrephes verwarf die freie Ausübung des Dienstes. - Ich komme jetzt zu dem Buche selbst.

Fußnoten

  • 1 In sittlichem Sinne war das schon in der Zeit von Apostelgeschichte 3 wahr, wo die Leiter des jüdischen Volkes das Zeugnis verwarfen, das für einen verherrlichten Christus, der wiederkommen wollte, abgelegt wurde, geradeso wie sie vorher den Erniedrigten von sich gewiesen hatten. Apostelgeschichte 7 beschließt mit der Rede des Stephanus die Reihe der Zeugnisse Gottes an Sein irdisches Volk, und nachdem der Geist dieses Zeugen droben aufgenommen hat, nimmt die Sammlung für den Himmel ihren Anfang. Die Zerstörung Jerusalems bildete den gerichtlichen Abschluss der Geschichte des Judentums.
  • 2 Naturgemäß wird der Dienst des Paulus, hier gar nicht erwähnt. Für ihn gehörte die Versammlung dem Himmel an, war der Leib Christi, das Haus Gottes, und er war ein Baumeister.
  • 3 Aus diesem Grunde wird sie auch in einzelnen örtlichen Versammlungen gesehen, die selbstredend gerichtet und beseitigt werden konnten. Die Weisheit Gottes zeigt sich hier jedoch auch noch in anderer Beziehung. Obwohl, wie ich nicht bezweifle, die ganze Geschichte der Versammlung in dieser Welt bis zu ihrem Ende hin dargestellt wird, geschieht das doch in der Weise, dass von damals bestehenden Tatsachen geredet wird, um so keinen Gedanken an eine Verzögerung des Kommens des Herrn aufkommen zu lassen. So sind auch in den Gleichnissen die einschlafenden Jungfrauen dieselben wie die, die nachher erwachen, die Knechte, welche die Talente empfangen, dieselben wie die bei der Rückkehr des Herrn Angetroffenen; und doch wissen wir, dass Jahrhunderte seitdem vergangen und die damals lebenden Personen längst gestorben sind.
  • 4 Eine Tatsache von größter Wichtigkeit tritt uns hier entgegen: die Kirche wird durch das Wort gerichtet, statt dass sie selbst Richterin wäre, und jeder einzelne Christ wird aufgefordert, dem über sie ausgesprochenen Urteil Gehör zu schenken. Die Kirche (ich gebrauche hier mit Absicht dieses Wort, da man sich desselben bedient, um auf die ihr zugeschriebene Autorität Anspruch zu erheben) kann nicht als eine Autorität betrachtet werden, wenn der Herr mich (sofern ich Ohren habe, zu hören) auffordert, das Urteil, das Er über sie ausspricht, zu hören und anzunehmen. Ich selbst beurteile ihren Zustand mittels der Worte des Geistes, ja, ich bin verpflichtet, das zu tun; sie kann in jenem Zustand unmöglich eine von dem Herrn über mich gesetzte Autorität sein. Fragen der Zucht kommen hier nicht in Betracht, es handelt sich um die Ausübung von Autorität seitens der Kirche.
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