Betrachtung über Kolosser (Synopsis)

Einleitung

Betrachtung über Kolosser (Synopsis)

Der Brief an die Kolosser betrachtet den Christen als auferstanden mit Christus, aber nicht als sitzend in den himmlischen Örtern in Christus, wie der Brief an die Epheser es tut. Eine Hoffnung ist für ihn aufgehoben in den Himmeln (Kol 1,5); er soll sinnen auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist (Kol 3,1–4). Er ist mit Christus gestorben und mit Ihm auferweckt, aber er sitzt noch nicht in den himmlischen Örtern in Ihm. Dieser Brief liefert uns, gleich manchem von anderen Briefen, ein Beispiel von der gesegneten Weise, wie unser Gott in seiner Gnade alles zum Guten lenkt für die, welche Ihn lieben.

In dem Brief an die Epheser entwickelt der Heilige Geist die Ratschlüsse Gottes hinsichtlich der Versammlung, ihre Vorrechte. Bei den Christen in Ephesus fand sich nichts zu tadeln 1; deshalb konnte der Heilige Geist die durch diese treue Herde dargebotene Gelegenheit benutzen, um all die Vorrechte ausführlich zu entwickeln, die Gott für die Versammlung verordnet hat, sowohl derjenigen, die sie kraft ihrer Vereinigung mit Jesus Christus, ihrem Haupt, genießt, als auch die Vorrechte eines jeden Kindes Gottes persönlich.

Bei den Kolossern war es anders. Dieses gesegnete Teil war ihnen einigermaßen entschlüpft, und sie hatten das Bewusstsein ihrer Verbindung mit dem Haupt des Leibes verloren; wenigstens standen sie, wenn es noch nicht wirklich eingetreten war, doch dieserhalb in Gefahr und waren dem Einfluss derer ausgesetzt, die sie von dem Haupt abzuziehen und unter den Einfluss der Philosophie und des Judentums zu bringen suchten. Der Apostel hatte sich deshalb mit der Gefahr zu beschäftigen, und nicht allein mit ihren Vorrechten. Die Verbindung mit unserem Haupt selbst kann, Gott sei Dank, niemals verloren gehen, wohl aber die Wahrheit als solche in der Versammlung und ihre Verwirklichung durch die einzelnen Gläubigen. Wir sehen das nur zu sehr in unseren Tagen. Dieser schmerzliche Mangel bei den Kolossern gibt jedoch dem Geist Gottes Gelegenheit, all die Reichtümer und die ganze Vollkommenheit, die in dem Haupt und in seinem Werk gefunden werden, zu entfalten, um die Glieder des Leibes von ihrer geistlichen Schwachheit zu befreien und sie wieder in den vollen praktischen Genuss ihrer Verbindung mit Christus zu setzen, sowie in die Kraft der Stellung, die durch diese Verbindung für sie erworben war. Für uns ist dies eine bleibende Belehrung hinsichtlich der Reichtümer, die in dem Haupt sind.

Wenn der Brief an die Epheser die Vorrechte des Leibes schildert, so offenbart der an die Kolosser die Fülle, die in dem Haupt ist, sowie unsere Vollendung in Ihm. Dem entsprechend wird in dem Brief an die Epheser die Versammlung die Fülle Dessen genannt, der alles in allem erfüllt, während im Kolosserbrief die ganze Fülle der Gottheit in Christus leibhaftig wohnt und wir vollendet sind in Ihm. Es gibt indes noch einen anderen Unterschied, der hervorgehoben werden muss. In dem Brief an die Kolosser wird der Heilige Geist gar nicht erwähnt, es sei denn in dem Ausdruck: „Liebe im Geist“ (Kol 1,8), während im Epheserbrief viel von Ihm geredet wird. Andererseits finden wir Christum als unser Leben weit eingehender entwickelt – eine Wahrheit, die an ihrem Platz von gleich großer Wichtigkeit ist. Der Brief an die Epheser behandelt ausführlich den Gegensatz zwischen Heidentum und Christenstand und -vorrecht, der an die Kolosser mehr die Bildung der Seele zu lebendiger Gleichheit mit Christus. Es ist, um einen wohlbekannten Ausdruck zu gebrauchen, hier mehr „Christus in uns“, als „wir in Christus“, obgleich diese beiden Dinge nicht voneinander getrennt werden können. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist der, dass im Epheserbrief die Einheit von Jude und Heide in einem Leib einen hervorragenden Platz einnimmt, während in dem Brief an die Kolosser nur die Heiden uns vor Augen gestellt werden, wenngleich auch hier in Verbindung mit der Lehre von dem Leib.

Abgesehen von diesen bedeutsamen Unterschieden können wir sagen, dass die beiden Briefe in ihrem allgemeinen Charakter eine große Ähnlichkeit haben. Sie beginnen beinahe in der gleichen Weise 2. Beide sind geschrieben aus Rom, während der Apostel in jener Stadt gefangen saß, und sind durch denselben Boten und bei derselben Gelegenheit gesandt worden, wie wahrscheinlich auch der Brief an Philemon. Die Namen und Grüße berechtigen uns zu dieser Annahme. Die Anrede an die Epheser gibt diesen vielleicht unmittelbarer einen Platz in Verbindung mit Gott selbst, anstatt sie darzustellen als in brüderlicher Gemeinschaft auf der Erde. Sie werden nicht Brüder genannt (Eph 1,1), bloß Heilige und Treue in Christus Jesu. Im Kolosserbrief werden sie betrachtet als hienieden wandelnd, aber als auferstanden. Wir begegnen deshalb einem langen Gebet für ihren Wandel, wenngleich sie als Befreite auf einem hohen und heiligen Boden stehen. Der Epheserbrief beginnt mit dem Vorsatz und der vollen Frucht der Ratschlüsse Gottes. Auch erweitert sich des Apostels Herz sogleich in dem Gefühl der Segnungen, welche die Epheser genossen. Sie waren gesegnet mit allen geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern in Christus. Für die Kolosser war eine Hoffnung aufgehoben in den Himmeln, und der Apostel macht eine Einleitung von vielen Versen, die sich auf das Evangelium, das sie gehört hatten, bezieht und sein Gebet für ihren Wandel und Zustand hienieden einführt. Dann kommen wir er zu dem, was wir in Eph 1,7  finden, aber verbunden mit einer viel ausführlicheren Entfaltung der persönlichen Herrlichkeit Christi und einer mehr geschichtlichen Darstellung der Wege und Handlungen Gottes. Der Apostel wendet sich auch mehr persönlich an die Versammlung zu Kolossä als an die zu Ephesus.

Fußnoten

  • 1 Wie schmerzlich ist es, diese geliebte Versammlung später als ein Beispiel des Verlassens der ersten Liebe hingestellt zu sehen! (Off 2). Doch alles geht dem Ende zu.
  • 2 Der Name Timotheus findet sich nicht in der Anrede an die Heiligen zu Ephesus.
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